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KAPITEL 2

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Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn langsam um, ich weiß nicht, warum ich so zögerte, aber irgendetwas in mir verriet mir, vorsichtig zu sein und ich sollte Recht behalten. Kaum hatte ich die Tür einen Spalt geöffnet, zog mich eine starke Hand ins Innere des Hauses und drückte mich gegen die Flurwand.

Ich hatte nicht einmal die Zeit gehabt, das Licht einzuschalten, um zu sehen, wer es war, doch ich wusste es eigentlich schon und so war es nicht verwunderlich, dass mir mein Herz bis zum Hals schlug und mein Puls vor Aufregung raste. Ich hatte ihn gefühlte fünfhundert Jahre nicht mehr gesehen und jetzt war er hier, mit mir, alleine. Dieser teuflisch schöne Mistkerl. Anmutig stand er da, mit seinem diabolischen Grinsen, welches durch sein markantes und vernarbtes Gesicht nur gekünstelt aussah. Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich wirklich freute mich zu sehen.

Er sah fertig aus, sein sonst so gestyltes braunes Haar hing schlaff und müde auf seinem Kopf, es war viel zu lang, normalerweise trug er es kurz, jetzt hing es ihm schon über die Ohren. Lange hatte er sich nicht rasiert und seine meerblauen Augen, die mich direkt in seinen Bann gezogen hatten, blickten traurig und sehnsüchtig zugleich in die Meinen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren trafen sich unsere Lippen und wir versanken in einen leidenschaftlichen Kuss, meine Gedanken kreisten, wollte ich mich doch eigentlich von ihm fernhalten und meine Chance nutzen, so trieb mich mein Herz weiter in seine Arme. Meine Finger vergruben sich in seinem Nackenhaar und meine Zunge tastete sich durch seine Lippen hindurch, um mit der Seinen zu tanzen. Wild und stürmisch zelebrierten wir unser Wiedersehen und ich wusste, dass wir weiter gehen würden, aber ich wollte Monas Gastfreundschaft nicht so schamlos ausnutzen und drängte Damian dazu aufzuhören und löste mich widerwillig von seinen Lippen. Die Enttäuschung meiner Ablehnung war ihm unverkennbar im Gesicht abzulesen.

»Wir haben noch ganze zwei Stunden Zeit, Em.«, forderte er mich auf, unserem fleischlichen Verlangen nachzugeben. Aber ich musste ablehnen, so schwer es mir fiel, ließ ich von ihm ab und schaltete endlich das Licht ein, um mich ein wenig umzusehen, auch wenn ich mit Mona zusammen schon tausend Mal hier gewesen war und ich mich blind zurechtfand.

»Wie hast du mich gefunden?«, wollte ich wissen, denn jetzt, wo ich kein Engel mehr war, sollte es auch ihm schwerer fallen mich aufzuspüren.

»Ich weiß immer, wo du bist«, entgegnete er gewohnt lässig und fläzte sich, ohne überhaupt auf die Idee zu kommen unerwünscht zu sein, auf die nebenan im Wohnzimmer stehende Couch.

»Damian, du musst gehen«, forderte ich leise, denn ich wusste, dass es gefährlich war einen Dämon zu reizen, besonders wenn es dieser Dämon war. Früher wusste ich nicht viel über Engel und Dämonen, bis ich selbst ein Teil von ihnen geworden war. Aber mir hätte klar sein müssen, dass diese Verbindung kein gutes Ende nehmen würde, meistens tat es das nie. Es gab dutzende Bücher über Verbindungen, die einfach nicht sein sollten und die zum Schluss im Drama endeten. Selbst in der berühmtesten Liebesgeschichte der Welt durften die Kinder zweier verfeindeter Familien nicht zusammen sein und als sie es versuchten, endete es mit dem Tod für die Protagonisten Romeo und Julia. Ganz egal wie oft ich dieses Buch noch lesen würde, es nahm kein glückliches Ende. Genau wie bei Damian und mir, unsere Liebe hatte keinen Bestand und keine Zukunft, sie durfte nicht existieren.

Kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, stand er auch schon vor mir, ich hatte gerade einmal geblinzelt und spürte seinen gierigen Atem auf meiner Haut.

»Komm mit mir!«, forderte er und legte meinen Kopf zur Seite, um mir genüsslich mit seiner Zungenspitze über meinen Hals zu lecken. Direkt durchzog mich ein Schauer und mein Unterleib zuckte. Er wusste ganz genau, welche Wirkung er auf mich hatte, dieser abscheuliche Mistkerl.

»Ich kann nicht«, keuchte ich und spürte, wie er inne hielt, er drehte mich um und begutachtete meinen flügellosen Rücken und drehte mich erneut.

»Du kannst«, erwiderte er und ich wusste, worauf er anspielte. Ich war kein Engel mehr und nichts und niemand hinderte mich nunmehr daran, ihm in die Unterwelt zu folgen.

»Meine Schwester«, murmelte ich kaum hörbar. Damian wusste, dass ich nicht ohne sie gehen würde. »Ich will meine Chance nicht vermasseln, aber ich will dich auch nicht verlieren.«

Er blickte mir lüstern in die Augen, ich wusste, dass er mein Blut roch und am liebsten seinem animalischen Zwang nachgegeben hätte, mich auszusaugen. Er konnte sich nehmen, was er wollte, ich war seine freiwillige Sklavin. Er bog meinen Kopf zur Seite, sodass er seine Fangzähne nur noch in meinen Hals versenken musste, um von meinem erhitzten Blut zu trinken. Doch er hielt inne.

»Du hast recht, ich sollte gehen«, knurrte er und ich wusste, dass es das Letzte war, was er wollte, aber wenn er jetzt von mir trank, dann würde das hier nicht gut enden. Er musste sich daran gewöhnen, dass ich nun menschlich war und dass mein Blut ihm nichts mehr nützte, sondern mein Leben mit jedem Schluck verkürzte. Gerade als ich etwas erwidern wollte, war er auch schon weg. Es war wohl das Beste für uns beide und ich beschloss, eine Dusche zu nehmen und mir frische Kleidung anzuziehen, um mich ein wenig menschlicher zu fühlen. Ich bereitete für Mona und mich ein Abendessen vor und überlegte mir, wie ich ihr so wenig wie möglich zur Last fallen würde.

Ich wollte nicht, dass sie mich lange bei sich aufnehmen musste. Ich beschloss, mich nur ein paar Tage bei ihr aufzuhalten und nahm mir vor, direkt morgen sämtliche Amtsbesuche zu erledigen, um einen Pass und Versicherungen zu erhalten. Und da war das Problem, ich hatte keinen Job und keinen festen Wohnsitz.

Es dauerte nicht lange und es klingelte an der Tür. Ich schreckte hoch, doch dann musste ich über mich selbst schmunzeln, denn es konnte ja bloß Mona sein, ich hatte ihren Schlüssel und ohne mich kam sie nicht ins Haus, also öffnete ich mit einem breiten Lächeln die Tür.

»Ich habe uns Essen gemacht«, begrüßte ich sie, doch sie erwiderte nichts, schob mich zur Seite und sah mich dann besorgt an.

»Geht es dir gut?«, fragte sie und ließ ihren Blick durchs Haus schweifen, als ob sie jemanden oder etwas suchen würde. Verwundert über ihre Frage nickte ich.

»Ja sicher, ich meine bis auf...« Sie fiel mir ins Wort, »Schh...« und ging zwei Schritte durch die Küche, von der aus sie direkt ins Wohnzimmer sehen konnte.

»Er war hier«, stellte sie fest.

»Wer war hier?« Denn sie konnte unmöglich Damian meinen, er war als Mensch getarnt und absolut perfekt in dem Gebiet sich einer anderen Spezies anzupassen.

»Der Teufel.«, zischte sie und fuhr herum.

Ungläubig starrte ich sie an und versuchte sie zu beruhigen, während ich mir nicht erklären konnte, woher sie das wusste. Sie hatte mich erkannt, obwohl sie mich nie zuvor gesehen hatte und sie hatte bemerkt, dass Damian hier gewesen war. Ich konnte die Angst in ihren Augen sehen und beschloss ihr nicht zu erzählen, dass Damian und ich in gewisser Weise liiert waren.

»Mona, das war sicher ein anstrengender Tag für dich und du bist durcheinander, immerhin begegnet man nicht jeden Tag seinem Schutzengel.« Mit diesen Worten schob ich sie zum Esstisch und hoffte, dass sie es damit gut sein ließ und wir das Thema wechseln konnten. Es wirkte tatsächlich, auch wenn sie zunächst noch etwas nachdenklich schien, hatte ich sie überzeugt und sie setzte sich.

»Du hast sicher Recht, entschuldige bitte meinen Auftritt, Liebes.« Ich stellte Teller und Besteck zurecht, schenkte ihr ein Glas Wasser ein und schüttelte den Kopf.

»Es gibt absolut gar nichts, für das du dich entschuldigen müsstest.« Ich servierte ihr mein gebratenes Schnitzel, garniert mit Erbsen, Karotten und frischen Kartoffeln, Kochen konnte ich im Gegensatz zum Laufen wohl noch recht gut und Mona hatte eine gut gefüllte Speisekammer. Beigebracht hatte mir das Kochen in gewisser Weise Mona. Ich hatte ihr immer dabei zugesehen.

»Ich hoffe, es schmeckt?«, fragte ich etwas verunsichert, denn probiert hatte ich es selbst vorher nicht.

Nachdem ich mir selbst auch etwas genommen hatte, setzte ich mich zu ihr und besprach mit ihr meine Pläne bezüglich der Jobsuche und darüber, dass ich ihr nicht lange zur Last fallen wolle. Sie ließ mich gar nicht ausreden, sondern beschloss ihrerseits, dass ich so lange bleiben könnte, wie es eben nötig wäre.

»Ich war so lange alleine, Emily. Ich bin froh, jemanden wie dich, mit reinem Herzen, hier zu haben.«

Es war mir fast unangenehm, welch große Meinung sie von mir hat, wenn sie die Wahrheit nur wüsste, dann wäre sie nicht mehr so überzeugt von mir und ich wusste, dass ich sie ihr eines Tages erzählen würde, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war.

Mir schien, sie hatte schon genug ertragen für einen Tag, aber eine Sache musste ich noch wissen.

»Wie hast du mich erkannt?« Sie schmunzelte. Damit hatte ich nicht gerechnet, lachte sie mich etwa aus? Ich war nicht gut darin, Emotionen zu deuten. Jetzt, wo ich keine Gedanken mehr lesen konnte, musste ich mich darauf verlassen, was mir die Menschen freiwillig von sich preisgaben und darauf vertrauen, dass es die Wahrheit war.

»Du bist mein Schutzengel Emily, natürlich erkenne ich dich«, sagte sie, so warmherzig, wie nur sie es konnte und ich schluckte.

»Ich war, trifft es wohl eher«, gab ich kleinlaut zurück und wieder beschwichtigte sie mich mit einem sanften Lächeln.

»Völlig egal, du hast mir immer wieder die Kraft gegeben weiter zu machen, den Mut nicht aufzugeben und es ist ein Segen für mich, dir endlich etwas zurück geben zu können.« Sie pausierte kurz, um etwas zu trinken und setzte erneut an. »Und es ist mir völlig egal, wer oder was du nun bist und wie es dazu gekommen ist. Du bist jetzt in meiner Obhut und ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht.« Während sie diese Worte sprach, tätschelte sie meine Hand und ich war den Tränen nah. Wie konnte sie nur so entsetzlich nett zu mir sein, wo ich es doch nicht verdient hatte? Diese Frau hatte keine Ahnung, welches Monster ich bin und doch hatte sie mir ihre Tür geöffnet und mir ein Dach über dem Kopf geboten.

»Steht dir übrigens ausgezeichnet.« sagte sie zwinkernd und deutete mit einem Nicken auf die Klamotten, die ich mir aus ihrem Schrank ausgesucht und übergeworfen hatte.

»Danke«, seufzte ich und hatte sichtlich Mühe dabei nicht direkt los zu heulen.

»Fang jetzt bloß nicht an zu weinen.«, ermahnte sie mit erhobenem Finger und breitem Grinsen. »Sonst muss ich auch heulen.« Gemeinsam räumten wir den Tisch ab und sie begleitete mich zu dem Zimmer, welches für die nächste Zeit meins sein würde.

»Es ist nicht das Beste, aber fürs Erste wird es wohl gehen. Richte es dir ein, wie du magst und bleib so lange du willst«, gab sie mir nochmals zu verstehen und umarmte mich liebevoll. »Ich werde zu Bett gehen, es war ein anstrengender Tag.« Mit diesen Worten ließ sie mich alleine.

Mein Blick schweifte durch das liebevoll eingerichtete Zimmer. An der Wand hingen selbst gemalte Bilder von Mona. Ich wusste, dass sie talentiert war und sie sollte wirklich mehr aus ihrer Gabe machen. Die Wände waren in einem zarten eierschalengelb gestrichen und auf dem Boden lag ein flauschig brauner Teppich. Das Bett wurde von einem massiven Buchenholz umrandet und der Bezug roch nach frischen Rosenblättern. Ich glaube, Mona hatte dieses Zimmer erst vor kurzem umgestaltet, früher war es ein Kinderzimmer gewesen, aber mit Gideon an ihrer Seite verschwand die Chance Kinder zu bekommen. Seufzend legte ich mich auf das Bett, wohl darauf bedacht, so vorsichtig wie möglich zu sein, um meine Wunden zu schonen und starrte an die Decke. Ich ließ den Tag nochmal Revue passieren. So viel war passiert und ich hatte bisher keine Zeit gefunden meine Gedanken zu ordnen. So wie es im Moment in mir aussah, hielt ich es für gänzlich unmöglich überhaupt nur zehn Minuten schlafen zu können, so aufgebracht war ich. Ich dachte darüber nach, welche Wirkung Damian auf mich gehabt hatte und wie er mich überhaupt gefunden hatte. Wusste er von Anfang an, was geschehen war? Er hatte mein Blut gerochen und ich wusste, dass er gierig war es zu trinken. Wir mussten aufpassen, von nun an konnten wir nicht mehr ungeachtet der Menschen um uns herum leben, jetzt war ich sichtbar und vor allem musste er sich von hier fernhalten. Mona schien es zu merken, wenn er hier war. Sie hatte ihn gespürt, genau wie sie meine Aura immer gespürt hatte. Scheinbar muss ich immer noch ein Stück dieser Aura behalten haben, wie sonst konnte sie mich erkennen? Ich rätselte unendlich lange, woher Mona diese Fähigkeit wohl hatte unsere Art zu erkennen? Ich fragte mich, ob sie mich schon immer sehen konnte oder ob es lediglich meine Anwesenheit war, die sie bemerkt hatte?

Meine Gedanken verwandelten sich in Erinnerungen, denn ich konnte plötzlich Sarah und mich sehen, wie wir klein waren und gemeinsam auf der Wiese vor dem Haus unserer Eltern umher rannten. Sarah und ich waren schon immer von Grund auf verschieden. Während ihre blonden Engelslocken sanft im Wind tanzten, fiel mein brünettes Haar glatt über meine Schultern. Ihr Lachen steckte an und jeder, der sich in ihrer unmittelbaren Nähe befand, stimmte in ihr Lachen mit ein. Ihre leuchtend grünen Augen hatte sie von unserer Mutter, Anna.

Meine Augen waren einfach nur braun, genau wie mein Haar und überhaupt war Sarah die Hübschere von uns beiden. Dafür hatte ich Jovan, unseren Vater, immer auf meiner Seite, ich war seine Prinzessin. Jovan war Banker und uns ging es wirklich nicht schlecht, wir lebten in einem großen Haus, weit außerhalb der Stadt. Genau dort befanden wir uns gerade in meinen Erinnerungen. Sarah und ich tobten herum, wir hatten bunte Kleider an und waren vielleicht fünf, denn auch wenn wir uns äußerlich nicht ähnelten waren wir Zwillinge. Zweieiige Zwillinge. Unsere Eltern saßen auf der Terrasse und hüteten uns wie ihren Augapfel, sie beobachteten jede unserer Bewegungen und dann plötzlich wurde es schwarz. Alles, was ich sah ist, dass ich weggerissen wurde. Eine höhere Macht, die ich nicht sehen konnte, riss mich von ihnen, ich streckte meine Arme nach meiner Familie aus und rief ihre Namen, aber sie konnten mich nicht hören. Ich spürte die Verzweiflung und schlug und trat um mich, aber es half nichts, dieses schwarze Loch zog mich näher zu sich und ich fiel tiefer in seinen Sog. Meine Familie wurde immer kleiner und ich konnte sie kaum noch sehen. Dann war alles dunkel und plötzlich schreckte ich hoch. Mein Herz raste.

Die Wunden auf meinem Rücken pochten unaufhörlich und ich war schweißgebadet. Inzwischen war es hell draußen und ich schaute auf die große Uhr über der Tür. Ich hatte den halben Tag verschlafen, wir hatten weit nach Mittag und Mona war bestimmt schon zur Arbeit aufgebrochen. Langsam richtete ich mich auf und versuchte aufzustehen, doch wieder einmal gaben meine Füße unter meinem Gewicht nach und ich knallte höchst unelegant mit dem Gesicht voran auf dem Boden auf. Ich wusste, warum mir der Teppich so gut gefiel, denn er federte zugleich meinen Abgang ab und hielt mich Tollpatsch davon ab, mich ernsthaft zu verletzen. Missmutig stand ich auf, meine Füße mussten sich an ihre neue Aufgabe gewöhnen, ob sie wollten oder nicht, jetzt ging es nicht mehr anders. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit und linste durch ihn hindurch, aber es war niemand zu sehen. Lediglich der Geruch von frischem Kaffee stieg mir in die Nase und ich freute mich auf ein ausgiebiges Frühstück. Langsam schlurfend nahm ich am Tisch Platz und entdeckte einen Stapel Kleidung auf ihm, obendrauf ein Zettel von Mona:

›Guten Morgen Langschläferin,

Brötchen findest du im Backofen und den fertigen Kaffee dürftest du bereits riechen – fühle dich bitte wie zu Hause. Ich hoffe, du hast gut geschlafen?

Die Klamotten habe ich für dich rausgesucht. Sie sind nicht sehr modisch, sollten aber fürs Erste reichen und vor allem dürfte es deine Größe sein. Bin gegen sechs Uhr daheim. Lass es dir gut gehen.

Küsschen, Mona.‹

Lächelnd nahm ich die Kleidung vom Tisch und musterte jedes einzelne Stück. Es war sogar ein Blazer dabei, der mich perfekt kleidete, sollte ich die nächsten Tage das Glück haben, für eine Arbeit vorzusprechen. Ich frühstückte in Ruhe, las mir den Lokalteil der Zeitung durch und markierte mir offene Stellenangebote, die meiner Meinung nach zu mir passten. Dann erledigte ich den Haushalt, um mich für die Gastfreundschaft zu bedanken und machte mich für den bevorstehenden Tag fertig. Allmählich freundete ich mich mit dem Gedanken an, ein Mensch zu sein und fand es gar nicht so schlecht, wenn alle Menschen so wie Mona waren, hatte ich doch nichts zu befürchten. Ich beschloss, mich mit der Gegend vertraut zu machen, daher ging ich zu Fuß. Mein Weg führte mich durch den Park, in dem ich Damian zum ersten Mal begegnet war, und ich setzte mich auf dieselbe Bank, auf der Mona jedes Mal Platz nahm, wenn sie hier war. Ich schloss für einen Moment die Augen und genoss die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Meine Gedanken schweiften ab, ich fragte mich, wo er wohl steckte?

Wegen meiner Liebe zu Luzifers Sohn war ich schließlich hier. Ich hatte eine Lektion zu lernen und sollte ihn schnell vergessen, was aber unmöglich war. Wie soll man denn aufhören zu atmen ohne zu sterben?

Ich wurde erst aus den Gedanken gerissen, als das helle Licht, welches durch meine geschlossenen Lider brach, verschwand. Neugierig öffnete ich die Augen, es konnten ja nur die Wolken sein, sagte mein Verstand, doch was meine Augen sahen, ließ mein Herz vorfreudig hüpfen. Nicht die Wolken hatten die Sonne vertrieben, er war es. Damian war wortlos vor mich getreten und wartete, bis ich meine Augen öffnete.

»Hi«, flüsterte ich. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, war ich unfähig normal zu denken, mein Herz klopfte wie wild und ich fühlte mich machtlos. Er nahm meine Hand und zog mich mit einer Leichtigkeit auf die Füße, wie nur er es konnte. Da standen wir nun, unsere Münder wenige Millimeter voneinander entfernt, unsere Sehnsucht lag wie ein Knistern in der Luft und mein Atem stockte in dem Moment, als unsere Blicke sich trafen.

»Komm mit mir!«, raunte er fordernd gegen meine Lippen, ehe er sie mit seinen versiegelte. Ich verlor den Boden unter mir und meine Knie zitterten. Ich war mir sicher, dass ich sofort umfallen würde, wenn er mich nicht festhielt. Meine Hände umfassten sein Gesicht und ich versank abermals in der Leidenschaft unseres Kusses. Es dauerte einige Zeit, bis sich meine Gedanken gesammelt hatten und ich wieder bei vollem Verstand war und auch wenn mein Herz mir befahl weiter zu machen und nicht an die Konsequenzen zu denken, hörte ich auf meinen Verstand, der mich an Sarah erinnerte und daran, dass ich sie um jeden Preis wieder sehen musste. Meine Liebe zu Damian hatte alles zerstört, sie und ich wurden getrennt, weil ich mich nicht bekehren ließ und alle Warnungen missachtet hatte. Ich löste mich von ihm und streichelte über sein markantes und vernarbtes Gesicht.

»Ich kann nicht.«, flüsterte ich abermals und senkte den Kopf. Er wusste doch, dass ich ohne Sarah nirgendwo hingehen würde. Ich spürte die Enttäuschung oder das, was ich dafür hielt, denn ich wusste, dass Dämonen nichts dergleichen fühlten. Ich war mir lange Zeit nicht einmal sicher gewesen, ob sie fähig waren zu lieben, aber Damian liebte mich. Dessen war ich mir sicher, denn auch er hatte zu viel aufs Spiel gesetzt und sich des Öfteren gegen seinen Vater gestellt, um bei mir sein zu können. Er schob seinen Zeigefinger unter mein Kinn und hob es an, sodass ich in die wundervollsten blauen Augen sah, die ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte.

»Ich verspreche dir, ich hole Sarah.« Er küsste meine Stirn. Erneut schüttelte ich den Kopf.

»Du weißt, dass das nicht geht, Damian. Wie soll ein Engel die Unterwelt betreten? Ich werde nicht zulassen, dass sie verbannt wird, hörst du?« Niemals würde ich zulassen, dass ihr dasselbe geschieht und sie meinetwegen noch mehr Leid ertragen muss. Unsere Eltern waren durch meine Schuld gestorben und jetzt hatte ich sie auch noch alleine gelassen.

»Em. Vertraust du mir?« Ich nickte.

»Dann komm mit mir. Du weißt, dass dir niemand etwas anhaben wird und Sarah holen wir so schnell es geht.« Erstaunlicherweise glaubte ich ihm, aber es war jetzt an der Zeit das Richtige zu tun.

Einmal in meinem Leben wollte ich alles richtig machen und so trat ich einen Schritt zurück und wusste bereits, dass die Worte, die ich gleich aussprechen würde, mir ebenso das Herz brechen würden wie das Seine. Ich hatte keine andere Wahl, ich musste mich entscheiden, zwischen meiner Schwester und dem Mann, den ich liebe. Nie ist mir etwas so schwergefallen, aber ich hatte nur diese eine Chance alles richtig zu machen und meine Fehler wieder gut zu machen. Ich musste es tun und so sah ich ihm in die Augen, nur ganz kurz, ich ertrug deren Anblick nicht. Unweigerlich stiegen Tränen in mir hoch und ließen mich tieftraurig werden. Meine Stimme zitterte und mein Herz schmerzte bei den Worten.

»Damian, wir können uns nicht mehr sehen. Ich habe alles verloren, was ich hatte, weil ich mit dir zusammen sein wollte. Noch nie hat sich etwas so Schönes so falsch angefühlt.« Ich schlucke und meine Tränen ließ sich nicht länger zurückhalten. Obwohl ich wusste, dass ich das Richtige tat, spürte ich, wie ich innerlich zerbrach, weil ein Teil von mir sich unwiderruflich zerstörte. Meine Kehle schnürte sich zu und ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Während mein Herz schrie, dass ich aufhören sollte, ermutigte mich mein Verstand weiter zu machen und an meine Familie zu denken. Ich konnte die Wut in seinen Augen sehen, sie verfärbten sich tiefschwarz. Das hatte ich bisher nur ein einziges Mal gesehen und ich wusste, dass es nun Zeit war für mich zu gehen, aber meine Beine waren schwer wie Blei. Nichts tat sich, ich sendete meinen Füßen den Impuls loszurennen, aber sie rührten sich nicht von der Stelle. Damian würde hier niemals die Kontrolle verlieren, nicht hier, wo ihn jeder sehen konnte. Aber ich wusste, dass ich jetzt besser nichts Falsches sagte. Ich atmete durch.

»Bitte versteh doch. Ich habe nur diese eine Chance.« Tränen nahmen mir die Sicht und ich traute mich nicht sie wegzuwischen, jede noch so kleine Bewegung konnte ihn reizen und so blieb ich einfach stehen. Er hasst es, wenn ich weine, er sagt immer, dass er mit Tränen nicht umgehen könne und sie die Schwäche eines jeden Wesens zeigen. Egal, wie gut man seine Gefühle verbirgt, sobald man weint, weiß jeder Bescheid wie schwach man ist. Es hat mich nie gestört, Damian kannte mich in und auswendig, meine Gedanken und meinen Körper.

»Schön«, schnaubte er und packte mich. Vor Schreck hörte ich augenblicklich auf zu heulen und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Du weißt, dass du ohne mich nicht leben kannst. Du wirst es noch bereuen.« Mit diesen Worten ließ er mich stehen.

Verwirrt und völlig atemlos stand ich da, steif und unfähig zu denken oder mich zu bewegen. Er hatte mich einfach stehen gelassen, nicht einmal protestiert, ich hatte ihn so komplett anders eingeschätzt. Wir hatten es nie einfach gehabt, aber er hatte mich immer ermutigt weiter zu machen, mit ihm an meiner Seite konnte mir schließlich nichts passieren und er hatte Recht. Umso unglaublicher war es, dass er jetzt einfach verschwunden war. Ich fragte mich, ob es das jetzt war, würde ich ihn nie wieder sehen? Allein diese Gedanken brachten mich um, ich wollte diese Trennung gar nicht und er hatte Recht, ich konnte nicht ohne ihn leben, aber ich musste es. Es war meine einzige Möglichkeit Sarah wieder zu sehen und vielleicht durfte ich eines Tages sogar zurück in den Himmel. Aber ich wusste, dass ich dieses Recht nie erlangen würde, solange ich mich weiterhin mit Damian traf.

Langsam bekam ich meine Körperfunktionen zurück und beschloss wieder nach Hause zu gehen. Den eigentlichen Sinn meines Aufbruchs hatte ich ohnehin vergessen. Den restlichen Tag erlebte ich wie in Trance, Farben schwammen an mir vorüber, Stimmen klangen wie verzerrte Musik und der Weg unter meinen Füßen schien beschwerlicher denn je. Ich stolperte in einer Tour aber es war mir egal. Ich hatte das Wesen, das mir nach meiner Schwester am meisten bedeutete von mir gestoßen, da hätte ich mir auch gleich ein Messer ins Herz rammen können.

Endlich war ich vor Monas Haus, meinem Zuhause auf Zeit. Zuhause. Ein befremdliches Wort für mich, doch wenn ich einen Ort beschreiben müsste, der mich an Zuhause erinnerte, dann würde es wohl am ehesten dieses alte Fachwerkhaus beschreiben, mit dem kleinen Garten dahinter und der Bank vor dem Haus. Ich griff unter die Fußmatte, dort lag der Ersatzschlüssel und ich sperrte die Tür auf. Mona war noch nicht wieder zurück und in diesem Moment war ich echt froh darüber, sie sollte mich nicht so sehen. Ich wollte jetzt alleine sein und verschwand direkt in meinem Zimmer. Ich verriegelte die Tür hinter mir.

Als ich mich wieder umdrehte, stellte ich fest, dass ich nicht alleine war, er war längst hier, vermutlich hatte er schon auf mich gewartet. Finster sah er mich an, seine Augen waren schwarz verfärbt vor Wut und er packte mich an der Kehle und hob mich mit einer Leichtigkeit nach oben, sodass meine Füße mehrere Zentimeter über dem Boden baumelten. Ich röchelte, er raubte mir die Luft zum Atmen und ich schnappte nach Luft. Meine Hände umklammerten sein Handgelenk und ich gab mich der klitzekleinen naiven Annahme hin, dass ich die Kraft hätte ihn zum Loslassen zu bewegen.

»Damian!«, krächzte ich und sah auf ihn herab. Er war so viel bulliger als sonst, seine Narben im Gesicht schienen erneut zu bluten und seine Fangzähne kamen zum Vorschein. Jetzt jagte er mir wirklich Angst ein, so hatte ich ihn noch nie gesehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich strampelte mit meinen Beinen, weil ich hoffte, ihn irgendwie zu treffen, doch was bildete ich mir eigentlich ein? Selbst wenn? Für ihn wäre es, als ob ihn eine Feder kitzelte. Er sah mit schrägem Blick zu mir und lachte kehlig auf.

»Ich sagte doch, du wirst es bereuen.« Er schlug mich ins Gesicht. Es fühlte sich an, als risse er mir meine Haut von den Wangen. Durch die Wucht seines Schlages fiel ich zu Boden. Keine Sekunde später stand er wieder vor mir, griff mir ins Haar und zog mich zurück auf die Beine. Er stemmte sich gegen mich und leckte mir mit seiner spitzen Zunge über meine Lippen.

»Wenn du nur nicht so gut schmecken würdest!«, lachte er und hob mich in die Luft. Er schmiss mich auf mein Bett und meine Angst vor ihm wuchs. Ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen, war mir aber sicher, er könnte noch viel mehr tun, wenn er wollte. Allerdings war ich jetzt ein Mensch und viel leichter verwundbar. Erneut packte er mich und hob mich auf Augenhöhe hoch, drehte meinen Kopf und flüsterte mir ins Ohr:

»Du solltest dankbar sein, dass du noch lebst, Miststück!«, sprach der Kerl, den ich glaubte zu kennen und den ich so unendlich liebte. Ich schloss meine Augen und hoffte diese Tortour zu überleben, als ich plötzlich einen Schlüssel im Schloss hörte. Ich wusste, dass es Mona war, die von der Arbeit nach Hause kam und verspürte das Bedürfnis loszuschreien, dass sie rennen sollte, aber er hielt mir den Mund zu.

»Einen Mucks und sie stirbt!« Ich gehorchte, auch wenn mir bewusst war, dass er nicht gegen den Pakt verstoßen würde, so war mir auch bewusst, dass er die Strafe, die ihn dafür erwartete, in Kauf nehmen würde. Ich hoffte so sehr, dass er ihr nichts tun würde und nickte bereitwillig.

»So ist das also? Interessant.«, sagte er amüsiert und strich sich über sein Kinn, dann war er weg.

Wieder hatte er mich überrascht, er verschwand nie unvollendeter Taten, es sei denn, er änderte seinen Plan und er hatte ihn geändert. Mit einem Mal dämmerte mir auch warum, ich hatte an Mona gedacht und er konnte meine Gedanken lesen, verdammt. Ich musste mir was einfallen lassen. In seinem jetzigen Zustand würde er alles tun und ich musste Mona beschützen, es durfte ihr nichts passieren. Ich war mir sicher, dass er ihr etwas antun würde, aber nicht, wie ich es verhindern konnte. In diesem Moment klopfte es an meiner Tür.

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