Читать книгу Das Haus im Nebel - V.C. Andrews - Страница 14
ОглавлениеKAPITEL FÜNF
Als ich mit Dr. Marlowe zurückkam, konnte ich am Gesichtsausdruck der anderen Mädchen erkennen, dass sie über mich geredet hatten. Es bereitete ihnen Schwierigkeiten, mich direkt anzuschauen, besonders Cathy. Ich saß da und wartete auf Dr. Marlowe, die ihre Brille aufsetzte, um etwas auf ihrem Block zu lesen, bevor sie sich wieder uns zuwandte. Sie krümmte ihren rechten Zeigefinger, als wollte sie einen Gedanken damit festhalten. Als sie ihre Lektüre beendet hatte, lächelte sie. »Willst du jetzt weitermachen, Misty?«, fragte sie.
Ich warf den anderen einen Blick zu. Alle drei schienen die Sorge zu haben, dass ich nicht weitermachen wollte.
»Von mir aus. Klar«, sagte ich und begann. Es war, als hätte man etwas Schlechtes gegessen und müsste es wieder aus dem Körper bekommen.
»Ein paar Tage, nachdem ich mit Charles Allen nach Hause gegangen war, brachte ich ihn nach der Schule mit nach Hause, damit er meine Mutter kennen lernen konnte und sie ihn. Ich hatte beim Abendessen ein paar Mal von ihm gesprochen, und schon nannte sie ihn meinen Freund.
›Ich sollte deinen Freund kennen lernen‹, insistierte sie und machte dabei ihr offizielles Muttergesicht, was sie hasste, weil es sie älter aussehen ließ. ›Ich sollte wissen, wie er ist, da du so viel Zeit mit ihm verbringst und sogar schon bei ihm zu Hause warst und seine Mutter kennen gelernt hast.‹
Beim letzten Teil klang sie ganz weinerlich, verletzt darüber, dass ich seine Mutter eher kennen gelernt hatte als er meine. Seit der Scheidung war meine Mutter ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, mir ein Schuldgefühl einzuimpfen.
›Erstens ist er nicht mein Freund, Mutter‹, teilte ich ihr mit. ›Zweitens verbringe ich gar nicht so viel Zeit mit ihm. Und drittens hast du bisher nie darum gebeten, irgendeinen anderen meiner Freunde kennen zu lernen, und ich habe viele zu Hause besucht und auch deren Eltern kennen gelernt.‹
›Das war etwas anderes‹, erwiderte sie. Meine Mutter nickt immer, wenn sie etwas gesagt hat, dem du zustimmen sollst. Als wollte sie deine Gedanken in die richtige Richtung leiten. ›Warum?‹, wollte ich wissen. Natürlich war sie enttäuscht, dass ich sie danach fragte. Ihre Mundwinkel fielen herab.
›Weil dein Vater noch hier wohnte. Um Himmels willen, Misty, du bist doch alt genug, um zu begreifen, dass die ganze Verantwortung jetzt auf mir ruht‹, stöhnte sie mit einem Seufzer, der nahe legte, welche Last ihren zerbrechlichen, aber perfekt geformten Schulten aufgebürdet worden war.
Natürlich wusste ich, dass sie sich so übertrieben dramatisch aufführte, weil sie wissen wollte, mit was für einer Art Junge ich zusammen war. Trotzdem brachte ich Charles Allen mit nach Hause und stellte ihn ihr vor.«
Ich wandte mich an die Mädchen.
»Ich sollte euch noch sagen, dass meine Mutter an dem Wettbewerb ›Die koketteste Frau der Welt‹ teilnimmt. Sobald sie sah, dass Charles Allen nicht gerade Frankensteins Sohn war, hatte sie ihre Scarlett-O’Hara-Nummer drauf. Fast hätte ich das Mittagessen ausgekotzt.
Allerdings beging sie sofort einen krassen Fehler. Sie nannte ihn Charlie. Jedes Mal, wenn sie das tat, verzog er schmerzlich das Gesicht, aber er war zu höflich, um etwas zu sagen.
Da ich ihr erzählt hatte, dass Charles Allens Familie sehr reich war, musste sie einfach unser Haus vorführen und auf die teuren Gemälde hinweisen, unseren Baldwin-Flügel, ihre Lalique-Sammlung, selbst auf Möbel und Teppiche, die sie als importiert und daher sehr kostbar bezeichnete. Ich wusste, dass sie glaubte, ihn dadurch zu beeindrucken, aber ein Blick auf sein Gesicht verriet, dass nichts ihn mehr hätte langweilen können.
Dann tat sie etwas so Peinliches, dass ich beinahe geweint hätte.
›Es ist so schwer, die Mutter eines Teenagers zu sein, wenn man irrtümlich ständig für die ältere Schwester gehalten wird‹, verkündete sie mit einer großartigen Geste, plusterte ihre Haare auf und drehte ihre Schultern verführerisch. ›Was Musik angeht, bin ich völlig auf dem Laufenden, und ich lese viele der Zeitschriften, die auch Misty liest. Wir mögen auch die gleichen Fernsehsendungen, nicht, Misty?‹
›Ich sehe doch gar nicht so viel fern‹, murmelte ich, aber sie kicherte wie ein alberner Teenager.
›Aber natürlich tut sie das, Charlie.‹
›Sein Name lautet Charles Allen, Mutter, nicht Charlie‹, korrigierte ich sie.
›Ach, Quatsch‹, rief sie und hakte sich bei ihm unter, um ihn in unseren Patio zu führen. Sie stützte sich förmlich auf ihn. ›So nennen ihn seine Eltern‹, dozierte sie. ›Du wirst doch nicht gerne so förmlich angesprochen, oder, Charlie?‹
›Tatsächlich bin ich daran gewöhnt, Mrs Foster.‹
›Oh, bitte‹, rief sie und verzog das Gesicht, als hätte sie gerade eine tote Ratte gesehen, ›nenn mich doch nicht Mrs Foster. Das macht mich so alt. Nenn mich Gloria. Alle Freunde von Misty nennen mich so‹, fügte sie hinzu, was wieder eine glatte Lüge war.
Er warf mir einen Hilfe suchenden Blick zu, und ich sagte meiner Mutter, dass er mitgekommen sei, um mir beim Lernen zu helfen, und dass wir nicht so viel Zeit hätten, weil er früh zu Hause sein müsse. Sie sah aus, als hätten wir ihr gerade mitgeteilt, dass sie nur noch zwei Tage zu leben hat.
›Oh‹, sagte sie, ließ widerstrebend seinen Arm los und trat einen Schritt zurück. ›Natürlich. Ich weiß, wie wichtig das alles ist. Ich wollte doch nur, dass Charlie sich wohl fühlt‹, sagte sie.
Eine winzige Sekunde tat sie mir Leid. Ich dachte sogar, sie litte unter Einsamkeit, und hatte ein schlechtes Gewissen, das so abzukürzen, aber Charles Allen war sehr dankbar für meine Rettung.
Wir gingen hinauf in mein Zimmer, und ich entschuldigte mich für das Verhalten meiner Mutter. Er ließ sich mit ausgestreckten Armen auf mein Bett fallen und starrte einen Augenblick lang an die Decke.
›Ich hasse es, wenn man so um mich herumscharwenzelt‹, sagte er schließlich. ›Ich habe eine Tante, die das auch immer macht. Sobald sie das Haus betritt, sucht sie mich und umarmt mich so fest, dass ich beinahe ersticke. Außerdem trägt sie dieses schwere Parfüm, so eine Sorte, die man noch stundenlang, nachdem sie das Zimmer verlassen hat, riecht. Sie zerzaust mir für ihr Leben gern das Haar und hält mich auf ihrem Schoß gefangen, ihre langen, dünnen, knochigen Arme um mich geschlungen wie eine Art Krake.‹
Er setzte sich mit einem strahlenden Lächeln auf.
›Was ist denn?‹, fragte ich.
›Immer wenn ich mich jetzt über sie beklage, erinnert mich meine Mutter daran, dass ich einmal, als ich drei Jahre alt war, auf sie uriniert habe, durch die Kleidung hindurch. Das hinderte sie aber nicht daran, mich das nächste Mal auch wieder auf den Arm zu nehmen. Sie ist die ältere Schwester meiner Mutter, eine alte Jungfer, die sich jahrelang nach dem Schlaganfall meiner Großmutter um sie kümmerte. Daher müssen wir uns mit all den exzentrischen Eigenschaften meiner Tante abfinden, und glaub mir, das sind nicht wenige.‹
Er hielt eine Weile inne, schaute sich in meinem Zimmer um und nickte, als er den Kleiderschrank, den Schminktisch, den Computer und meine Schränke und Spiegel ebenso wie die Poster, Familienbilder und die Puppensammlung sah.
›Dein Zimmer ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe‹, meinte er.
›Was meinst du damit?‹, fragte ich ihn. Wenn er gesagt hätte, es sei niedlich, hätte ich ihn aus dem Fenster geschmissen.«
»Und was sagte er?«, fragte Jade.
»Er sagte: ›Es ist gemütlich und warm.‹ Charles Allen wusste genau, auf welche Knöpfe er drücken musste«, berichtete ich mit einem Grinsen.
»Das hört sich an, als würdest du ihn heute hassen«, sagte Star. Ich warf Dr. Marlowe einen Blick zu. Ihr Ausdruck wurde weich.
»Ich hasse ihn nicht. Tatsächlich tut er mir Leid. Er ist vom Leben noch stärker durcheinander gebracht worden als … als ich«, erwiderte ich.
»Auf jeden Fall wurde es an jenem Nachmittag ganz schön heiß. Wir kamen uns sehr nahe«, sagte ich rasch, bevor Star nachfragte. Sie schien enttäuscht zu sein, dass wir uns nur nahe kamen. »Wir fingen an, uns zu küssen, und er bat mich, genau das zu tun, was ich auch bei ihm zu Hause getan hatte, nämlich meine Bluse und meinen Büstenhalter auszuziehen. Es hatte etwas Erregendes an sich, dies alles bei mir zu Hause zu tun, wo meine Mutter unten saß und sich die Fingernägel feilte oder so was.«
Ich unterbrach die Beschreibung der Szene und rief mir jenen Nachmittag selbst noch einmal ins Gedächtnis: seine Augen, mein wild klopfendes Herz, die Wolke, die mein Zimmer einige Augenblick lang in ein geheimnisvolles Dunkel hüllte, die Art, wie seine Zunge über seine Unterlippe glitt.
Meine Träumerei dauerte Star zu lange.
»Wenn du es erzählen willst, erzähl es«, sagte sie mit einem kleinen Lächeln.
Ich schaute sie mit einem Gesichtsausdruck an, der ganz deutlich sagte, sei besser genauso aufrichtig über dich wie ich über mich. Ich hatte Dr. Marlowe das meiste von dieser Geschichte bereits erzählt, daher fiel es mir nicht schwer, jetzt vor ihr gewisse Dinge zu beschreiben.
»Wir gingen ins Bett und küssten uns eine Weile. Ich hielt die Augen geschlossen und hielt mich an ihm fest, als würde ich sonst ertrinken. Dann knöpfte er meine Jeans auf und steckte seine Hand hinein. Niemand hatte mich je an der Stelle berührt, wo er mich anfasste. Dann überraschte er mich wirklich, indem er seine eigene Hose auszog. Er wand sich heraus wie eine Schlange. Ich fand das komisch, aber nachdem er es getan hatte und ich ihn zwischen meinen Schenkeln spürte, kriegte ich die Panik und bat ihn aufzuhören. Er sagte, es sei zu spät und so sei das nun mal bei Jungen.
›Hast du keine Ahnung von diesen Sachen?‹, fragte er, und da ich nicht dumm erscheinen wollte, sagte ich doch. Natürlich hatte ich, wie ihr alle vermutlich, Sexualkundeunterricht. Ich wusste, was passiert, aber es ist etwas anders, wenn es dir passiert und du nicht nur ein Lehrbuch liest.
Auf jeden Fall sagte er: ›Dann weißt du ja auch, dass ich jetzt nicht mehr aufhören kann‹, und er wurde erregt und machte mich nass. Mein Herz klopfte so stark, dass ich befürchtete, ich würde in Ohnmacht fallen. Rasch stand ich auf und ging ins Badezimmer. Aber mein Herz beruhigte sich nicht wieder. Als ich zurückkam, war er angezogen und saß ruhig an meinem Computer, als sei nichts vorgefallen. Als er aufstehen und gehen wollte, entschuldigte er sich, nicht richtig vorbereitet gewesen zu sein.
›Vorbereitet?‹, fragte ich.
›Du weißt schon‹, sagte er, ›Verhütung. Nächstes Mal ist es nicht wie bei zwei Kleinkindern.‹
Ich nickte und fragte mich, für wie weltgewandt er mich eigentlich hielt.
›Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir die Gelegenheit dazu haben würden‹, erklärte er. So wie er das sagte, hörte es sich nicht besonders romantisch oder aufregend an.
Er verabschiedete sich von meiner Mutter, die die Szene hinauszögerte, indem sie ankündigte, dass sie ihre Haarfarbe und ihre Frisur ändern wolle. Auf dem Tisch im Wohnzimmer lagen Bilder von Models, und sie wollte Charles Allens Meinung dazu hören. Er sagte ihr immer wieder, dass sie doch gut aussehe, aber sie beharrte darauf, dass er ihr seine Meinung sagte, und schließlich entschied er sich für ein Bild, nur um der Sache ein Ende zu bereiten. Natürlich behauptete sie, es sei genau das Bild, das sie selbst auch gewählt hatte.
Ich ging mit ihm hinaus zum Auto, wo ich mich wieder für meine Mutter entschuldigte.
›Ist schon in Ordnung‹, sagte er. ›Sie ist doch ganz amüsant.‹
›Amüsant?‹, vergewisserte ich mich. Diese Charakterisierung gefiel mir wirklich nicht besonders, aber er lächelte nur und startete den Motor. Dann beugte er sich aus dem Fenster, um mich zu küssen.
›Du bist das netteste Mädchen, das ich kenne‹, schmeichelte er mir. ›Es ist gut, wenn jemand dich darin bestätigt‹, fügte er hinzu.
Ich wusste, dass dies als Kompliment für mich gemeint war, aber es hörte sich an, als mache er sich selbst ein Kompliment darüber, dass er sich seine Freundin so gut ausgewählt hatte.
Als ich wieder hineinging, verblüffte meine Mutter mich damit, dass auch sie mir zu meiner Wahl gratulierte. Sie sagte, es sei beruhigend zu sehen, dass ich einen Gentleman zum Freund habe. Sie redete immer weiter darüber, wie wichtig es sei, sehr heikel und wählerisch in Bezug auf Männer zu sein, selbst bei diesen kleinen Highschool-Romanzen. Ihre Scheidung beweise das ja auch. Schließlich überraschte sie mich wirklich mit der Ankündigung, dass sie ihr erstes Rendezvous habe, seit mein Vater ausgezogen war. Der Besitzer eines der Restaurants, die sie regelmäßig zum Lunch aufsuchte, hatte von ihrer Scheidung erfahren und sie gebeten, mit ihm auszugehen.
Ich glaube, in dem Augenblick wurde mir so richtig klar, dass meine Eltern für immer zwei getrennte Menschen waren.«
Ich stoppte und holte Luft, als mir auffiel, dass Cathy so schrecklich zitterte, als ob sie friere. Ihr Gesicht war weiß, als hätte sie die Blutzufuhr abgestellt. Auch Jade und Star sahen das, und wir alle schauten Dr. Marlowe an, die leicht den Kopf schüttelte als Zeichen, nichts zu sagen. Ich wusste, dass sie wollte, dass ich einfach weitererzählte.
»Wie sich herausstellte«, fuhr ich fort, den Blick auf Cathy geheftet, »hatten an diesem Wochenende sowohl meine Mutter als auch ich eine Verabredung. Sie ging zum Essen und ich ins Kino und dann zum Pizzaessen mit Charles Allen.
So saßen wir beide an jenem Samstagnachmittag vor unseren Schminktischen und machten uns hektisch fertig. Sie kam zu mir hereingelaufen und wollte meine Meinung über ihren Lippenstift wissen, und ich bat sie, mir zu helfen, wie ich mich frisieren und meine Augen schminken sollte. Denn mein Daddy hatte mir oft eingeschärft, dass man selbst dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse. Mommy war unbestritten eine Expertin, wenn es um Make-up und Frisuren ging. Ich wollte älter aussehen, so weltklug, wie ich nach Charles Allens offensichtlicher Meinung war.
Es muss eine sehr komische Szene gewesen sein, wie wir beide hin und her wanderten und uns im Spiegel kontrollierten. Vor ihrem mannshohen Spiegel legte sie den Arm um mich und rief mit einer hohen, süßlichen Singsangstimme: ›Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Hörst du das?‹, sagte sie lachend. ›Er antwortete, du seist das!‹
Ich stelle mir vor, dass ihr alle das für ziemlich albern haltet, aber ich lachte zusammen mit ihr, und zumindest für eine kurze Weile fühlten wir uns einander sehr nahe.
Wir nahmen beide Schaumbäder, und ich ließ sie ihr Hautöl in meines gießen. Natürlich gefiel ihr nicht, was ich trug. Obwohl sie behauptete, im Herzen und im Geist jung geblieben zu sein, schätzte sie meine Kleidung nicht. Ich trug ein Tanktop zu einer Jeans.
›Willst du nicht eines deiner hübschen Kleider anziehen?‹, fragte sie.
›Ich gehe doch nur ins Kino und zum Pizzaessen, nicht zum Ball.‹
›Du solltest dich immer so kleiden und so aussehen, als gingst du zum Ball‹, sagte sie.
Ich bat sie, damit aufzuhören; sie hörte auf herumzumäkeln und machte mir für alles Komplimente. Natürlich ging ich als Erste, daher erfolgte die endgültige Abnahme fünfzehn Minuten, bevor Charles Allen eintraf.
›Du siehst wunderschön aus‹, sagte meine Mutter. ›Zu schade, dass dein Vater nicht hier ist und dich sehen kann.‹
Ich hatte die ganze Woche lang nichts von Daddy gehört und wusste, dass er am Wochenende weg war. Geplant war, dass ich das folgende Wochenende bei ihm verbringen sollte. Was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass Daddy bereits wieder begonnen hatte, sich zu verabreden.« Ich schluckte den Kloß im Hals herunter. »Ich glaube, er traf sich bereits mit Ariel, bevor er und Mommy beschlossen, sich scheiden zu lassen. Er hat meine Mutter betrogen.«
»Woher weißt du das?«, fragte Star.
»Als ich sie das erste Mal zusammen sah, hatte ich sofort das Gefühl, dass sie zu vertraut miteinander umgingen. Sie benahmen sich, als lebten sie schon lange zusammen. Das merkt man einfach«, stellte ich abschließend fest.
»Ja«, stimmte sie mir zu. »Das tut man.«
Offensichtlich hatten wir doch viel mehr gemeinsam, als wir zunächst gedacht hatten. Dr. Marlowe wusste wohl, was sie tat. »Als Charles Allen kam, um mich abzuholen, wurde mir klar, dass dies meine erste richtige Verabredung war. Ich war schon früher mit anderen Mädchen ins Kino gegangen, hatte dort Jungen getroffen, und anschließend waren wir alle zum Pizzaessen gegangen.
Daddy hatte immer erzählt, dass er da sein würde, um den ersten Jungen zu begrüßen, der mich ausführen würde. Er neckte mich deswegen und drohte, den Jungen zu inspizieren wie ein Ausbilder bei der Marine. Der Junge würde zittern vor Angst und genau wissen, ›dass er es schwer büßen muss, wenn er mein kleines Mädchen nicht mit Respekt behandelt‹.
Ich träumte oft von dieser Szene. Es war schön, dir deinen Vater als großen Beschützer vorzustellen, der die köstliche Pein erduldete, die alle Väter ertragen müssen, wenn sie feststellen, dass ihre kleinen Mädchen alt genug sind, mit Jungen auszugehen. Wie viele Filme hatte ich gesehen, in denen die Mutter den Vater erinnerte, dass sie nicht mehr sein kleines Mädchen war. ›Sie ist eine junge Frau.‹
Daddy war jedoch nicht da. Er war weg mit seiner neuen jungen Frau, und ich war das Letzte, an das er dachte«, sagte ich. Ich spürte, wie sich mir der Hals zuschnürte und die Last auf meiner Brust immer schwerer wurde. Alle Augen ruhten auf mir, weit aufgerissene Augen voller Mitleid. Ich hasste das. Ich schaute beiseite und biss auf meine Unterlippe, bis sie wehtat, dann wandte ich mich ihnen fast wütend wieder zu.
»Charles Allen trug ein Sportjackett und Jeans und sah besser aus denn je. Meine Mutter tauchte natürlich genau in dem Moment auf, als er an die Tür kam. Ich erinnere mich noch daran, dass ich dachte, sie könnte ihre Kommentare genauso gut mit einem Holzhammer anbringen.
›Ach was für ein schönes junges Paar ihr doch seid‹, rief sie.
›Du siehst sehr gut aus, Charlie. Und sieh dir nur Misty an. Sie ist erblüht wie eine prächtige Blume. Sie erinnert mich so sehr an mich in diesem Alter. Aber das soll eine Tochter ja auch für ihre Mutter tun, nicht wahr?
Einen schönen Abend wünsche ich euch‹, sagte sie und winkte mit der Hand, als erteilte sie uns ihren Segen.
Ich zerrte Charles Allen praktisch zur Tür hinaus und floh zu seinem Auto.
›Schnell‹, bat ich ihn, ›fahr los, bevor ihr noch irgendetwas einfällt.‹
Er lachte, und wir schossen davon. Ich hatte das Gefühl, als ob ein neuer Abschnitt meines Lebens beginnen würde.
Keinem von uns gefiel der Film. Wir verließen das Kino vorzeitig und gingen Pizza essen. Charles Allen schockierte mich, als die Kellnerin unsere Colas brachte. Er zog einen kleinen Metallflakon aus seiner Innentasche und tuschelte mir zu, dass es Rum sei. Er goss ein wenig in meine Cola und eine Menge in seine eigene. Ich war wirklich überrascht. In der Öffentlichkeit hatte er immer solche etepetete Manieren, dass ich mir nie im Leben hätte träumen lassen, er würde so etwas in einem Restaurant tun.
Der Rum regte mich nicht besonders auf. Ich meine, ich hatte schon früher auf Feten welchen getrunken und tat so, als ob ich gerne Gin tränke, auch wenn er mehr wie Medizin schmeckt, aber der Rum in der Cola war nicht schlecht. Mir fiel nicht auf, dass er irgendwelche Auswirkungen auf mich hatte.
Nachdem wir gegessen hatten, schlug er vor, zu ihm nach Hause zu fahren. Er sagte, die Dienstboten hätten an dem Abend frei und wir könnten ungestört Musik hören und uns unterhalten, ohne Angst zu haben, dass jemand uns über die Schulter schaute.
Es war noch sehr früh, deshalb stimmte ich zu.«
»Ich weiß, was er wollte«, sagte Star.
Ich wandte mich ihr zu.
»Ich wollte wirklich nicht dorthin, um es zu tun«, sagte ich.
»Schon gut«, meinte sie und verdrehte die Augen.
»Ich hatte es wirklich nicht vor. Das wollte ich ihm auch sagen. Ich wollte, dass wir uns besser kennen lernten und stärker ineinander verliebten.«
Star schaute so skeptisch wie möglich drein.
»Als wir zu seinem Haus kamen, war es so still und leer, wie er gesagt hatte. Wir gingen in das Medienzimmer, er legte Musik auf und ging dann in die Bar seiner Eltern, um uns noch eine Cola mit einem Schuss Rum zu machen.
Das Sofa hatte eine in die Lehne eingebaute Fernbedienung, mit der er das Licht dämpfen und die Lautstärke der Musik regeln konnte.
›Mein Vater hat hier einige Filme versteckt, die nicht jugendfrei sind. Willst du einen sehen?‹, fragte er.
›Nein‹, erwiderte ich rasch.
Er wirkte nicht enttäuscht. Er nickte und lächelte, als hätte ich gerade einen Test bestanden.
›Gut. Ich wusste, dass du ein reifes Mädchen bist‹, lobte er mich. Ich glaube, das machte mich glücklich, und vielleicht war ich mir deshalb weniger dessen bewusst, was passierte. Ich trank wohl auch die Cola mit Rum ein wenig zu schnell.
Plötzlich legte Charles Allen seine Hände auf meine Hüften, hob sie hoch und begann mich zu streicheln.
Ich war sehr erregt, aber auch ängstlich, als seine Hände unter meiner Kleidung forschten.
›Vielleicht kommt jemand herein‹, warnte ich ihn.
›Nein‹, beruhigte er mich. ›Alle sind heute Abend ausgegangen. Entspann dich‹, fügte er hinzu und küsste mich auf Hals und Wangen. ›Du riechst so gut.‹
Ich hatte eine ganze Rede vorbereitet, aber die Worte purzelten in meinem Gehirn durcheinander. Er brauchte nicht lange, um mein Tanktop und meinen BH auszuziehen, und dann zeigte er mir, dass er vorbereitet war.
Ich leistete ein wenig Widerstand, versuchte ihn davon abzubringen, aber auch er hatte eine Rede vorbereitet.«
»Oh, ich kann gar nicht abwarten, was er zu sagen hatte«, meinte Jade.
»Er sagte so was wie, wir sollten uns jetzt nicht verleugnen. Unsere Eltern wären unterwegs, um glücklich zu sein, warum sollten wir es nicht auch? ›Was glaubst du denn, was deine Mutter diese Nacht tut? Und was glaubst du, was dein Vater tut? Bestimmt tun deine Eltern genau das Gleiche wie meine.‹«
»Also hast du es zugelassen«, schloss Star.
»Es passierte so schnell. Wir waren beide nackt, und er fing an. Ich erinnere mich, dass ich so heftig zitterte, dass er lachte, aber ich hatte nur panische Angst, dass es wehtun würde. Natürlich war es mein erstes Mal, also tat es auch weh, aber ich konzentrierte mich so sehr darauf, dass ich den Augenblick gar nicht genießen konnte, und ich glaube, Charles Allen tat es auch nicht. Es ging alles so schnell, mehr wie etwas, das erledigt werden musste.
Er fing an sich zu beklagen, mir die Schuld für alles zu geben.
Dabei brauchte ich niemanden, der gemein zu mir war. Ich brauchte etwas Verständnis. Er gab mir das Gefühl, so unbedeutend zu sein, wenn er darüber redete, wie unerfahren ich und wie erfahren er war. Ich forderte ihn heraus, sagte ihm, dass ich kein einziges Mädchen kennen würde, das mit ihm zusammen war, denn ich wusste, dass er keine Liebesaffäre mit einem anderen Mädchen vom College hatte.«
»Ich wette, ich weiß, woher er seine Erfahrungen zu haben behauptete«, sagte Star.
»Woher?«, fragte Jade.
»Von der Straße«, erwiderte sie und schaute mich an, um dies bestätigt zu bekommen. »Stimmt’s, Mädchen?«
Ich nickte.
»Er ging zu Prostituierten?«, fragte Jade. Ich nickte.
»Er prahlte damit.«
»Igitt, wie konntest du weiter mit ihm ausgehen?«, fragte Jade.
»Ich ging nicht länger mit ihm«, sagte ich.
»Wie kam das?«
Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder.
»Als ich an jenem Abend nach Hause kam, fühlte ich mich nicht besonders wohl in meiner Haut. Ich fühlte mich … schmutzig. Ich nahm ein Bad. Das Haus war leer, still. Mommy war immer noch nicht zu Hause. Ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte. Ich brauchte einfach jemanden. Ich rief Daddy an. Natürlich wollte ich ihm nicht erzählen, was ich gerade getan hatte, aber ich wollte einfach seine Stimme hören. Es war nicht besonders spät, aber ich hörte nur seinen Anrufbeantworter und hinterließ keine Nachricht.
In jener Nacht weinte ich viel. Ich war so einsam, noch nie hatte ich mich so einsam und ängstlich gefühlt.«
»Was war denn mit deinen Freundinnen?«, fragte Jade.
»Ich hatte mich von den meisten von ihnen entfernt, und ich kannte sowieso keine, die meiner Meinung nach reif genug war, um über all das zu reden. Mommy kam in jener Nacht erst sehr spät nach Hause. Ich schlief schon, wachte aber einen Moment auf, als ich ihre Schritte hörte und sie die Tür öffnete, um hereinzuspähen. Ich sagte nichts. Sie schloss die Tür, und ich schlief wieder ein.
Am Morgen fühlte ich mich verwundet und wie von Krätze überzogen. Ich glaube, wenn Charles Allen und ich uns wirklich kennen gelernt und uns richtig ineinander verliebt hätten, wäre es etwas anderes gewesen, aber ich musste immer daran denken, dass er mich betrunken gemacht hatte, und fühlte mich benutzt wie eine Prostituierte. Es ist schwer, deine Selbstachtung zu bewahren, wenn du so etwas mit dir machen lässt.«
Ich hielt inne und lächelte Dr. Marlowe an.
»Eine Menge von dem ist mir mit Dr. Marlowes Hilfe klar geworden«, sagte ich. Die anderen sahen aus, als verstünden sie das.
»An jenem Morgen schlief Mommy lange. Ich machte mir selbst Frühstück und ging nach draußen, um mich auf einem Liegestuhl am Pool zu entspannen. Es war ein wunderbarer Tag, schöner als üblich. Ich wusste, dass Mommy noch lange nicht aufstehen würde. Immer wenn sie lange aus gewesen war, musste sie lange schlafen, um ihren jugendlichen Teint zu schützen und um zu verhindern, dass sie Tränensäcke bekam.
Gelangweilt stand ich auf, holte die Sonntagszeitung von der Ausfahrt und ging dann wieder nach draußen, um mir die Beilage anzuschauen. Während ich die Zeitung durchblätterte, stieß ich auch auf den Gesellschaftsteil. Beinahe wäre es mir entgangen. Ich war schon dabei, die Seite umzublättern, als mir der Name Fitch ins Auge sprang. Ich setzte mich auf und strich die Zeitung glatt, um die Bildunterschrift zu lesen. Natürlich erkannte ich Charles Allens Mutter.
Sein Vater war bei ihr. Sie hatten eine Wohltätigkeitsveranstaltung besucht und wurden als eines der wichtigen Paare aufgelistet. Dort waren sie also am vergangenen Abend gewesen.
Ich war verwirrt. Besuchten reiche geschiedene Leute gesellschaftliche Veranstaltungen immer noch zusammen, fragte ich mich.
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Ich stand auf und ging nach drinnen, benommen, erschrocken. Erst wusste ich nicht, was ich tun sollte. Aber dann kam mir eine Idee. Ich rief bei Charles Allen zu Hause an, und als der Butler sich meldete, fragte ich nach Mr Benjamin Harrison Jackson Fitch.
Der Butler wollte wissen, wer anrief, und ich sagte ihm, eine alte Freundin aus dem College.
Als er sagte: ›Einen Augenblick bitte‹, schlug mein Herz Purzelbäume. Wenige Augenblicke später hörte ich Charles Allens Vater sagen: ›Hallo‹, und da legte ich auf.«
»Seine Eltern ließen sich gar nicht scheiden?«, fragte Jade verblüfft.
Ich schüttelte den Kopf.
»Dieser Bastard«, rief Star.
Cathy nickte.
»Hast du ihn damit konfrontiert?«, wollte Jade wissen.
»Noch am selben Tag«, erwiderte ich.
»Was sagte er?«
»Er behauptete, sie hätten sich versöhnt, aber ich wies ihn darauf hin, dass er mir noch am Abend zuvor erzählt hatte, sie seien geschieden, und wiederholte, was er mir gesagt hatte, bevor er mit mir schlief.«
»Und?«, hakte Star nach. Sie beugte sich vor, die Hände zusammengeballt, als sei sie bereit aufzuspringen, mir zu Charles Allens Haus zu folgen und ihm das Gesicht zu Brei zu schlagen.
»Er hielt inne und sagte: ›Was macht das denn jetzt schon für einen Unterschied?‹
›Wenn du das nicht weißt, bedauere ich dich noch mehr als mich selbst‹, sagte ich und legte auf.
Ich habe nie wieder mit ihm gesprochen«, sagte ich und schaute Dr. Marlowe an. Ihr Blick sagte mir, dass ich aussprechen konnte, was ich auf dem Herzen hatte.
»Aber wisst ihr was«, fuhr ich fort, »ich hasse ihn nicht so sehr wie meine Eltern.«
»Warum?«, fragte Star.
»Weil sie sie in diese Situation gebracht haben«, sagte Jade, während sie mit zusammengekniffenen Augen durch mich hindurchstarrte. »Sie ließen sie nackt und allein und verletzlich zurück, um Charles Allens Worte zu benutzen.«
»Ja«, flüsterte Cathy. Wir alle schauten sie an. »Das stimmt genau.«
Wir alle wurden sehr ruhig, jede hing ihren eigenen Gedanken und Bildern nach, die sich vor unserem geistigen Auge abspielten.
»Wie möchtet ihr gerne weitermachen?«, fragte Dr. Marlowe.
»Wir können eine kleine Pause machen, eine Kleinigkeit zu Mittag essen, nach draußen gehen, ums Haus gehen, etwas frische Luft schnappen und dann noch eine Stunde weitermachen.«
»Misty sollte entscheiden«, sagte Jade mit einer Stimme voller Mitgefühl.
»Ja«, unterstützte Star sie. Cathy nickte.
»Mir geht es gut«, sagte ich. Das stimmte nicht. Ich hatte noch einen langen Weg vor mir, bis es mir wieder gut ging. Vielleicht ging es mir nie wieder gut.
Aber zumindest war ich mit Leuten zusammen, die wussten, warum nicht.