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4. KAPITEL
TANTE FANNYS GEBURTSTAGSPARTY

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Es war eine ideale Nacht für eine Party. Der Himmel sah aus wie eine Kulisse aus schwarzem Samt, die reich mit winzigen Diamanten übersät war. Die Luft war klar und von Duft erfüllt. Meine Eltern und ich waren bereits angezogen und fertig zum Aufbruch. Roland Star saß auf der Veranda und grüßte uns, als wir das Haus verließen.

»Das ist die Ruhe vor dem großen Sturm«, sagte er in seinem schleppenden Tonfall.

»Aber es ist nicht eine Wolke am Himmel zu sehen«, bemerkte ich. Wenn es um die Wettervorhersage ging, irrte sich Roland nur selten.

»Sie schweben dort oben, auch wenn man sie noch nicht sieht, Annie. Sie brauen sich heimlich über uns zusammen.«

»Glaubst du, daß es regnen wird?« fragte ich meine Mutter. »Ein Frühlingsgewitter kann wahre Wolkenbrüche mit sich bringen und alles überfluten. Das wäre doch eine Katastrophe für das Fest.«

»Mach dir keine Gedanken, so lange werden wir nicht auf der Party bleiben.« Sie sah zu meinem Vater hinüber und wartete auf einen bestätigenden Blick, aber der zuckte nur mit den Achseln. Dann stiegen wir in den Rolls-Royce und fuhren zu Tante Fanny und Luke. Sie hatten ein recht hübsches Haus. Natürlich war es bescheiden im Vergleich zu Hasbrouck House, aber das traf auch auf fast jedes andere Gebäude in Winnerrow zu. Nachdem Tante Fanny auf geheimnisvolle Art eine beträchtliche Geldsumme geerbt hatte – eine »Erbschaft«, die, wie Luke, Drake und ich wußten, mit der Verhandlung um Drakes Vormundschaft zu tun hatte –, hatte sie ihr Haus vergrößern und renovieren lassen. Sie hatte es mit dem Geld erworben, das ihr aus ihrer ersten Ehe mit einem Mann namens Mallory geblieben war. Seinen Vornamen hatte ich nie erfahren, denn sie sprach immer nur von »dem alten Mallory«. Ihre zweite Ehe mit einem gewissen Randall Wilcox war bald zerbrochen, und er war schon vor langer Zeit weggezogen. Danach hatte Tante Fanny offiziell wieder den Namen Casteel angenommen. Ich vermutete, daß sie es zum Teil getan hatte, um die Leute in der Stadt zu ärgern.

Tante Fanny prophezeite uns immer, daß sie ein drittes Mal heiraten würde. Doch das schien eine leere Drohung zu sein, denn solange ich mich erinnern konnte, war sie nie mit jemandem befreundet gewesen, der auch nur annähernd in ihrem Alter war. Alle ihre Freunde waren unter dreißig. Einer der letzten, Brent Morris, war nur vier Jahre älter als Luke gewesen.

Ihr Haus lag auf einem Hügel oberhalb von Winnerrow, und die Rockgruppe, die sie engagiert hatte, hatte so starke Lautsprecher aufgestellt, daß die Musik bis zur Hauptstraße herunterschallte. Wir hörten die dröhnende Musik, als wir den Hügel hinauffuhren. Mammi fand das empörend, doch Daddy lachte nur.

Als wir ankamen, war die Party schon in vollem Gang. Die Rockband hatte sich in Fannys Garage eingerichtet, und die breite Auffahrt diente als Tanzfläche. Über dem Garagentor war ein Transparent angebracht, auf dem mit leuchtend roter Farbe HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH, FANNY geschrieben stand. In allen Zweigen hingen Papierlampions, und auf dem gesamten Grundstück flatterten Fähnchen.

Mammi bat Daddy, den Wagen so zu parken, daß wir jederzeit aufbrechen konnten. Daddy hingegen schien nicht so erpicht darauf, uns einen Fluchtweg zu sichern. Er war sogar außergewöhnlich gut gelaunt. Ich vermutete, daß er zu Hause schon einige Drinks zu sich genommen hatte, um sich für den Abend zu stärken. So viele Jahre auch vergangen sein mochten – Tante Fannys Gegenwart hatte auf Daddy immer noch eine elektrisierende Wirkung. Ihre Gespräche waren stets mit versteckten Anspielungen gespickt und daher für alle anderen ein wenig peinlich. Ich bewunderte Mammi für die damenhafte Art, mit der sie Fannys Verhalten hinnahm. Ich hoffte nur, daß Luke recht hatte und daß ich später wirklich ebenso stark und würdevoll sein würde wie sie. Aber mir das heute vorzustellen, ging über meine Kräfte.

Tante Fanny kam uns entgegengeeilt, sobald wir aus dem Wagen gestiegen waren. Sie trug ein unglaublich enges schwarzes Lederkleid, das wie eine zweite Haut an ihrem Körper klebte. Das Kleid hatte einen tiefen, V-förmigen Ausschnitt, der Einblick auf ihren Brustansatz gewährte. Sie trug keinen Schmuck, so als wollte sie vermeiden, daß irgendetwas die Aufmerksamkeit von ihrem gesunden Teint und dem rosigen Busen ablenkte. Meine Mutter schien nicht weiter erstaunt, doch Daddys Augen weiteten sich in männlicher Bewunderung. Ich hielt Ausschau nach Luke, denn mir wurde bewußt, wie peinlich all dies für ihn sein mußte.

Fanny schob ihren linken Arm unter den meiner Mutter und den rechten unter den meines Vaters, um die beiden so zu der Party zu geleiten, und verkündete lauthals ihre Ankunft. Ich ging dicht hinter ihnen.

Vor dem Haus war eine lange Bar aufgebaut, hinter der zwei Barkeeper standen, die großzügig Drinks ausschenkten, ohne den Alkohol auch nur abzumessen, den sie in die Gläser gossen. Neben der provisorischen Bar befand sich ein riesiger Bottich voller Eis mit einem Bierfaß. Viele Männer, die zum großen Teil aus den Willies kamen, standen davor Schlange, um ihre Halbliterkrüge zu füllen.

Fanny hatte zwischen dem Haus und den gegenüberliegenden Bäumen Lichterketten aufhängen lassen, so daß sich Bündel von bunten Strahlen quer über den Rasen spannten. Ein halbes Dutzend Frauen in weißen, durchgeknöpften Baumwollkleidern standen hinter einem langen Tisch, der sich unter Platten mit gebratenen Hähnchen und Schüsseln mit verschiedenen Salaten bog, und füllten die Teller der Gäste.

»Meine reiche Schwester und mein Schwager, der König und die Königin von Winnerrow, die Stonewalls!« rief Tante Fanny.

»O bitte, Fanny, benimm dich«, tadelte meine Mutter.

»Laß sie sich doch amüsieren«, sagte Daddy.

Es mißfiel ihm offensichtlich nicht, daß man ihn den König von Winnerrow nannte. »Das ist schließlich ihr Abend. Herzlichen Glückwunsch, Fanny!«

»Danke, Logan, mein Schatz, aber kriege ich nich wenigstens ’nen Geburtstagskuß? Hast doch sicher nix dagegen, Heavenly?«

»Das muß Logan selbst wissen, Fanny. Ich werde ihm nicht vorschreiben, wen er zu küssen hat und wen nicht.«

Fanny schien Mutters Antwort sehr lustig zu finden. Sie wollte sich ausschütten vor Lachen, doch plötzlich hielt sie inne und wandte sich so verführerisch meinem Vater zu, daß alle Unterhaltungen um uns herum verstummten. Alle waren still und sahen zu uns herüber. Meine Mutter wandte sich ab, doch ich starrte wie gebannt auf die beiden. Daddy lächelte nervös und beugte sich dann vor, um Fanny ihren Geburtstagskuß zu geben.

Als seine Lippen die ihren berührten, umschlang Fanny seine Schultern und zog ihn zu sich herab. Ich sah, wie ihre Zunge sich zwischen seine Lippen schob und wie sie ihre Brust gegen seinen Arm preßte. Einige von den Männern aus den Willies klatschten Beifall und feuerten sie mit zweideutigen Zurufen an. Als sich ihre Lippen endlich voneinander lösten, zog Fanny meinen Vater auf die Tanzfläche, während er meiner Mutter und mir einen hilflosen Blick zuwarf. Fanny begann vor ihm herumzuwirbeln und ermutigte ihn, sich dem Rhythmus dessen, was sie »moderne Tänze« nannte, anzupassen.

Sie lockerte seine Krawatte.

»Hättet euch nicht alle für die gute alte Fanny so in Schale schmeißen müssen«, verkündete sie. Und den jungen Bewunderern, die sie umringten, erklärte sie, daß sie alles im Griff habe. Die Männer lachten, grinsten und stießen einander an.

Ich hielt wieder nach Luke Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo entdecken.

»Ich werde etwas zu essen holen, Annie«, sagte meine Mutter leise, »und Fannys Geschenk auf den vollen Gabentisch dort drüben legen. Möchtest du auch etwas zu essen?«

Ich sah sie an und fragte mich, wie sie sich wohl dabei fühlen mochte, daß Daddy und Tante Fanny so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen. Wenn man bedachte, wieviel Klatsch es wegen ihrer nun schon viele Jahre zurückliegenden Affäre gegeben hatte! Doch selbst in dieser Situation hatte meine Mutter die wunderbare Gabe, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Nur jemand, der sie so lange kannte und ihr so nahe stand wie ich, konnte den kalten, harten Ausdruck ihrer blauen Augen bemerken und erkennen, daß sie nicht nur unglücklich, sondern auch wütend war.

Ich fragte mich, wie sie so beherrscht sein konnte. Wie würde ich mich verhalten, wenn mir und meinem späteren Ehemann jemals so etwas widerfahren sollte? Würde ich mich auch so beherrschen können wie sie, oder würde ich explodieren? Angenommen, es wäre Luke, und er würde eine andere Frau küssen . . .

Daddy versuchte seinen Hüftschwung Fannys Bewegungen anzupassen, sie streckte die Arme aus und legte ihre Hände auf seine Schultern. Ich fand, daß ihre Versuche, wie ein verführerischer Teenager zu tanzen, lächerlich wirkten. Daddy schien verwirrt. Wie unfair sie sich Mammi gegenüber verhielten, wenn man bedachte, was sie durchzustehen hatte, während sich die beiden vor all diesen Zuschauer produzierten! Auch der Egoismus hatte doch seine Grenzen, und ich fragte mich, wieviel man unter dem Vorwand, alles sei doch nur Spaß, erdulden und hinnehmen mußte.

»Ich will zuerst Luke suchen, dann kommen wir zu dir.«

»In Ordnung, mein Liebling«, sagte sie und warf noch einen Blick auf Daddy und Tante Fanny. Fanny hatte ihre Arme um seine Taille gelegt und wiegte sich jetzt wild in den Hüften. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob ich nicht eingreifen und Daddy von Tante Fanny wegziehen sollte. Doch sie hätte sich dann vielleicht noch schlimmer aufgeführt und uns noch mehr in Verlegenheit gebracht. Ich machte mich auf die Suche nach Luke und fand ihn schließlich allein auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzend.

»Luke, warum sitzt du ganz allein hier drinnen?«

Er sah auf. Als er mich erblickte, erhellte ein Lächeln sein eisiges, vor Zorn erstarrtes Gesicht.

»Ich habe es da draußen nicht mehr ertragen, Annie. Da habe ich mir gedacht, daß es das beste wäre, wenn ich mich hier ins Wohnzimmer setze und warte, bis alles vorbei ist. Sie wirft sich allen Männern an den Hals, und die Art, wie sie sie küssen und wie sie ihre Küsse erwidert . . .« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Was will Mutter damit nur beweisen?

»Vielleicht, daß sie noch immer jung und hübsch ist und daß es immer junge Männer geben wird, die sie begehren.«

»Warum kann sie sich nicht ihrem Alter entsprechend benehmen?«

»Jetzt tanzt sie mit Daddy, und Mammi wird langsam ärgerlich«, sagte ich und versuchte nicht, meinen eigenen Ärger zu verbergen.

Er sah schnell auf. »Tatsächlich? Das habe ich befürchtet. Und wie verhält sich dein Vater?«

»Ich glaube, er will nur höflich sein und verhindern, daß ihr Verhalten noch peinlicher wird. Aber ich weiß nicht, wie lange meine Mutter das noch hinnehmen wird. Sie tut mir so leid, Luke.«

»Ich glaube, es ist besser, wenn ich mit nach draußen komme. Vielleicht kann ich eingreifen. Es ist mir schrecklich unangenehm«, sagte er.

»Du kannst dich nicht dein ganzes Leben lang für deine Mutter entschuldigen, Luke.«

»Es scheint mir, daß ich, solange ich denken kann, nichts anderes getan habe.« Er richtete sich auf. Er war sehr hübsch mit seinem hellblauen Sportblazer und der eleganten Krawatte. Sein volles, schwarzes Haar war weich und gewellt. Er sieht nicht mehr aus wie ein kleiner Junge, dachte ich, sondern wie ein Mann, ein Mann, der weiß, was in einer solchen Situation zu tun ist. Ich ging mit ihm hinaus.

Die Band spielte jetzt andere Musik, ein Liebeslied aus den Willies. Die Männer aus den Berghütten hatten einen Kreis um Tante Fanny und Daddy gebildet. Daddy schien völlig außer Atem, während sie ihn immer wilder herumwirbelte.

Sein zuvor tadellos gekämmtes Haar stand wild nach allen Seiten ab.

Ich erblickte meine Mutter, die etwas abseits unter einer Tanne stand. In der Hand hielt sie einen Teller mit Essen, doch sie rührte nichts davon an.

»Dein Vater macht sich zum Narren«, sagte sie, als Luke und ich zu ihr traten. »Ich warte nur darauf, daß er wieder zu sich kommt, doch soweit ich gesehen habe, hat er schon vier Drinks getrunken.«

»Ich werde eingreifen«, erbot sich Luke, und ehe meine Mutter antworten konnte, war er zur Tanzfläche gegangen. Er schob zwei Männer zur Seite und trat in den Kreis, ergriff Tante Fannys freie rechte Hand und zog sie von Daddy weg an sich. Daddy torkelte einen Moment lang verwirrt herum; dann fing er sich, sah, daß Fanny mit Luke tanzte, und trat aus dem Kreis heraus. Meine Mutter ging auf ihn zu.

»Du solltest besser etwas essen nach all dem Alkohol, Logan«, sagte sie und ihre Stimme war von schneidender Kälte.

»Hm?«

Er sah mich an und dann auf den Kreis, den die klatschenden Männer und Frauen um Luke und Fanny bildeten und der sich jetzt langsam in einzelne Paare auflöste. Dann wischte er sich mit einem Taschentuch das Gesicht ab und nickte.

»Deine Schwester ist verrückt«, sagte er. Meine Mutter sah ihn nur an. »Ich bin halb verhungert«, fügte er hinzu und ging hinüber zum Buffet. Ich beobachtete, wie er schwankte; und als ich meine Augen zum Himmel hob, sah ich, wie sich die versteckten Wolken, von denen Roland Star gesprochen hatte, über den dunklen Bergen zusammenbrauten und auf Winnerrow zutrieben.

Daddy holte einen Teller mit Essen und ließ sich auf einen der Stühle fallen, die Fanny auf dem Rasen um Tische herumgruppiert hatte. Mutter und ich setzten uns zu ihm und beobachteten, wie sich die Menge der Tanzenden immer mehr in eine wilde Besessenheit hineinsteigerte. Ich erkannte viele Leute aus der Stadt. Fanny hatte offensichtlich jeden, den sie getroffen hatte, eingeladen. Sie schien fest entschlossen, ihre Party zu einem der denkwürdigsten Ereignisse von Winnerrow zu machen.

Die meisten der Gäste waren Arbeiter und kleine Angestellte; keiner von den Freunden meiner Eltern aus der Oberschicht hatte die Einladung angenommen, nicht einmal aus Höflichkeit ihnen gegenüber. Doch ich wußte, daß meine Mutter es ihnen verzeihen würde. Ich konnte mich nicht erinnern, daß sich meine Mutter jemals irgendwann so unwohl gefühlt hatte wie an diesem Abend.

Plötzlich brach Tante Fanny den Tanz ab und ging zu dem Bandleader. Der nickte, und dann spielte die Band einen kurzen Tusch, dem ein Trommelwirbel folgte. Tante Fanny drehte einen kleinen Abfalleimer um und ließ sich von zwei ihrer männlichen Bewunderer hinaufhelfen.

»Ich habe euch ’n paar Worte zu sagen«, begann sie.

»Nur ’n paar?« rief irgend jemand, und ein tosendes Gelächter brach los.

»Nun, vielleicht auch ’n bißchen mehr«, konterte Tante Fanny, und das Gelächter wurde noch lauter. »Ich danke euch allen, daß ihr zu meinem vierzigsten Geburtstag gekommen seid. Ja, ich sagte vierzig, und ich bin verdammt stolz darauf, daß ich vierzig bin und aussehe wie zwanzig!« Sie drehte sich auf dem umgedrehten Mülleimer im Kreis, um ihre Figur zu zeigen, wobei sie ihre Brust herausdrückte. Die Männer um sie herum pfiffen und trampelten mit den Füßen. Ich sah zu Luke hinüber. Er stand etwas abseits und senkte den Kopf. Ich wünschte, ich hätte seine Hand ergreifen und ihn wegführen können, weit weg.

»Andere Frauen, vor allem die eingebildeten Tussis von Winnerrow, die zu fein sind, um hierher zu kommen, verschweigen ihr Alter. Sie hams nötig, denn als die zwanzig waren, sahen sie schon aus wie vierzig.«

Wieder wurde gelacht. Dann rief einer ihrer jungen Bewunderer: »Ich bin zwanzig, Fanny. Wie oft geht zwanzig in vierzig?«

Das Gelächter schwoll an. Fanny grinste, stemmte die Hände in die Hüften und wandte sich zu ihm.

»Nick ein einziges Mal«, rief sie. »Außerdem, ihr Dummköpfe, habe ich viele Gründe, heute nacht zu feiern. Seht ihr meinen Sohn Luke, der da hinten rumsteht, als würde er sich am liebsten unter ’nem Felsen verkriechen? Nun, ich bin stolz auf ihn. Er is in Harvard angenommen worden, und sie sind so wild auf ihn, daß sie die ganze Knete für sein Studium bezahlen! Was hättet ihr anderes von einem Casteel erwartet?«

Luke sah auf, und sein Gesicht war purpurrot, als würde es in Flammen stehen. Alle hatten sich umgewandt und starrten ihn an.

»Nun, willst du auch was dazu sagen, Luke, oder glaubst du, daß diese Hinterwäldler dich sowieso nicht verstehen?« Luke antwortete nicht, doch ich sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, sich zu beherrschen.

»Macht nix, mein Liebling. Ich kann für uns beide sprechen, und wenn ich nach Harvard komme, werd ich diesen ollen Professoren mal ’n paar Sachen klarmachen.«

»Das wirst du bestimmt, Fanny«, rief irgend jemand.

Dann stimmte die Band »Happy Birthday« an, und die Gäste begannen zu singen. Fanny, die immer noch auf ihrem umgedrehten Mülleimer stand, lachte zu Mutter und mir herüber. Als das Lied zu Ende war, applaudierten alle, und ein halbes Dutzend junger Männer stürzte auf Fanny zu, um ihr hinunter zu helfen.

Wenig später wurde unsere Aufmerksamkeit von zwei Männern angezogen, die sich in die Haare gerieten. Einer warf dem anderen vor, er hätte sich in der Schlange vor dem Bierfaß vorgedrängt. Statt sie zu beruhigen, feuerten ihre Freunde sie noch an, bis sie sich zu prügeln begannen. Jetzt stürzten andere auf sie zu, um sie zu trennen. Mein Vater fand das alles sehr lustig.

»Ich möchte gehen, Logan«, sagte meine Mutter bestimmt. »Diese Party wird immer schlimmer.«

»In einer Minute«, sagte Daddy und stand auf, um den Streit besser beobachten zu können. Die beiden Männer beschimpften einander gerade. Tante Fannys Lachen übertönte den Lärm. Der Wind war stärker geworden, und die Glühbirnen, die über den Rasen gespannt waren, begannen hin- und herzuschwingen. Der Wind zerrte an Fannys Geburtstagstransparent, bis schließlich die eine Seite nachgab, so daß es jetzt lose im Wind flatterte wie ein Kriegsbanner.

Tante Fanny eilte zu den beiden Kampfhähnen.

»Was is’n das für’n Ringkampf an meinem Geburtstag?« fragte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Drei ihrer jungen Freunde umringten sie und schrien durcheinander. Sie schwankte merklich, während sie ihnen zuhörte. Luke erschien hinter ihr, sah mich an und schüttelte den Kopf. Plötzlich sprang meine Mutter auf und ergriff Daddys Arm.

»Logan! Ich möchte nach Hause. Sofort!« beharrte sie. Er starrte sie kurz an, dann nickte er. Sie führte ihn zu mir.

»Laß uns gehen, Annie.« Ihr Gesicht war so wütend, daß ich fürchtete, sie würde jeden Moment die Fassung verlieren.

Ich stand auf und ging mit ihr, mein Vater folgte uns in einigem Abstand. Aber ehe wir den Wagen erreichten, hatte Fanny uns erspäht und schrie:

»Haust du schon ab, Heavenly? Jetzt geht die Party doch erst richtig los!«

Ich sah mich um, doch meine Mutter befahl mir weiterzugehen. Fannys Lachen folgte uns. Daddy stolperte hinter uns her und holte uns ein, als ich schon auf dem Rücksitz saß.

»Kannst du fahren?« fragte ihn meine Mutter.

»Natürlich kann ich fahren! Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst. Zwei Männer haben sich ein wenig gestritten. Das hat doch nichts zu sagen! Sie sind sicher schon wieder die besten Freunde.«

Er setzte sich in den Wagen und fingerte in seinen Taschen nach dem Zündschlüssel.

»Du hast zuviel getrunken, Logan. Ich weiß, daß du schon einiges getrunken hattest, ehe wir losfuhren.«

»Nun, dazu ist eine Party doch da, oder?« sagte er erstaunlich kurzangebunden.

»Nein«, antwortete Mammi schroff.

Er fand seinen Schlüssel und konzentrierte sich jetzt ganz darauf, ihn in das Zündschloß zu stecken. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn jemals so verwirrt gesehen zu haben. Plötzlich klatschte ein dicker Regentropfen auf die Windschutzscheibe. Dann folgten weitere.

»Nun, die Party scheint sowieso ins Wasser zu fallen«, sagte er mürrisch. »Roland hatte recht.«

»Das ist wohl auch das beste«, sagte meine Mutter. »Das wird alle etwas abkühlen. Und es scheint mir, daß alle«, sagte sie und sah Daddy dabei scharf an, »eine kleine Abkühlung gebrauchen können.«

Daddy ließ den Wagen an, worauf dieser einen kleinen Satz nach vorne machte.

»Was soll das heißen?« Er wandte den Kopf Mammi zu und blickte sie angriffslustig an.

»Du hättest nicht zulassen dürfen, daß sie dich lächerlich macht, Logan. Alle haben es gesehen.«

»Nun, was sollte ich denn machen? Sie niederschlagen?«

»Nein, aber du hättest ja nicht so . . . kooperativ sein müssen.«

»Kooperativ? O bitte, Heaven, das ist nicht fair. Ich war in die Enge getrieben, ich . . .«

»Fahr langsamer, der Regen wird stärker, und du weißt genau, wie gefährlich diese Straße ist«, mahnte Mammi.

»Ich wollte nicht so mit ihr tanzen, aber ich habe mir gedacht, wer weiß, was sie tut, wenn ich sie einfach stehen lasse. Sie war stockbetrunken und . . .«

»Fahr langsamer«, rief Mammi, dieses Mal eindringlicher.

Das Wasser klatschte jetzt gegen die Windschutzscheibe, und die Scheibenwischer kamen nicht mehr gegen die Flut an.

So heftig stritten sie sich nur, wenn es um Tante Fanny ging. Irgendwie schaffte sie es immer, Unfrieden zwischen ihnen zu stiften, alte Wunden aufzureißen und Salz auf die frischen zu streuen. Schade, daß sie nicht mit einem ihrer jungen Männer auf und davon lief und Luke bei uns leben ließ, dachte ich. Dann hätten wir wirklich eine glückliche Familie sein können, und peinliche Situationen wie diese hätte es nicht mehr gegeben.

»Man sieht nichts mehr«, rief Mammi, doch Daddy hörte ihr gar nicht u.

»Kannst du dir vorstellen, was jetzt auf der Party los ist?« sagte er und lachte. Dann sah er Mammi reumütig an. »Es tut mir leid, wenn ich dir weh getan habe, Heaven, wirklich, ich wollte nur . . .«

»Logan, sieh auf die Straße, diese Kurve . . .«

Die Straße, die hinunter nach Winnerrow führte, fiel steil in scharfen Serpentinen ab. Der Regen, der von Osten kam, schlug jetzt gegen die Bergwand. Daddys wilder Fahrstil warf mich auf dem Rücksitz von einer Seite zur anderen. Ich setzte mich auf und hielt mich an dem Griff oberhalb des Fensters fest.

»Du weißt, daß ich dich nicht verletzen wollte . . .«, begann er wieder, doch Mammi unterbrach ihn.

»Es ist in Ordnung, Logan«, sagte sie entschieden, »wir werden zu Hause darüber sprechen.« Plötzlich, als wir uns einer scharfen Kurve näherten, kam uns ein Wagen entgegen, der zu weit auf unserer Seite fuhr.

Ich hörte meine Mutter aufschreien und spürte, wie der Wagen nach rechts geschleudert wurde und die Bremsen griffen.

Das letzte, was ich hörte, war Mammis schriller Schrei und Daddys Stimme, die von einem Augenblick auf den anderen völlig nüchtern klang. Beide riefen meinen Namen.

»Annie . . . Annie . . . Annie . . .«

Nacht über Eden

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