Читать книгу Begehren hat´s eilig - Liebe wächst langsam - Veit Friedland - Страница 15
Hoffnungen keimen
ОглавлениеClaudia kommt aus der Küche zurück: „In gut einer halben Stunde bekommen wir ein feines Abendessen, das Körper und Seele versöhnen kann.“
Sie lacht und sagt zu ihrem Vater: „Du wartest hier auf uns, wir sind gleich zurück. Wir schauen nur nochmal nach Tante Berta, hörst du?“ Er nickt kaum merklich.
Claudia schiebt mich zur Tür hinaus.
Die Sonne steht schon tief, die Luft ist noch warm und riecht nach feuchter Erde. Wir laufen die Straße hinunter bis zu ihrem Anwesen, halten uns an den Händen und sehen vermutlich aus wie zwei übermütig Verliebte.
Es passt überhaupt nicht zur Situation, denn wir sind umgeben von Unglück und Trauer und auf dem Weg zu ihrer Ursache. Glücklicherweise begegnet uns niemand, der an uns Anstoß nehmen könnte. Wie heißt es bei solchen Gelegenheiten immer so schön: Das Leben geht weiter!
Als wir vor dem Hoftor ankommen, sehe ich gerade noch, wie sich der Bauernbursche von vorhin hinter einem mächtigen Baum auf der anderen Straßenseite versteckt.
„Claudia, hast du den Kerl diesmal gesehen?“ Ich zeige auf den Baum.
„Nein, vielleicht siehst du ja Gespenster.“
Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich laufe über die Straße und will mir den Burschen schnappen. Er muss mich kommen gesehen haben, denn als ich ihn fast erreiche, läuft er mit hohem Tempo davon. Ich habe keine Chance.
„Hast du ihn wenigstens jetzt erkannt?“
Claudia steht noch immer vor dem Hoftor und sieht meinem Treiben zu. „Na klar, das ist Paul Jansen. Ich bin mal eine Zeit lang mit ihm zur Schule gegangen. Er war eine Klasse unter mir, dann zwei und dann drei, ich glaube, irgendwann war er dann alt genug, um aufzuhören. Ich habe Abitur gemacht, weißt du das. Ich bin von der LPG delegiert worden.“
„Und warum verfolgt er dich jetzt?“
„Frage ihn doch, was weiß ich?“
Und Claudia geht mir voraus auf den Hof.
Es sieht hier wirklich trostlos aus. Schwarzgefärbte Fensterhöhlen stieren mich wie tote Augen an. Über allem liegt noch modriger Brandgeruch; es ist kein Ort, an dem man gerne verweilen möchte. Tante Berta kommt aus dem Haus; sie zeigt auf den kleinen vom Feuer verschonten Stall: „Die Tiere sind versorgt, die Hühner legen sogar schon wieder Eier.“
Ich gehe durch eine offene Tür in den Stall. Im Dämmerlicht erkenne ich eine Kuh, ein Schwein, zwei Schafe und eine Ziege. Sie stehen hinter Gattern und beäugen mich neugierig. Bauernidylle mit warmem Stallgeruch. Claudia ist mir nachgegangen und Tante Berta steht jetzt auch in der Tür.
„Das ist Tante Bertas Stall. Sie sorgt für den Eigenbedarf. Wenigstens das ist geblieben. Wenn ich nur wüsste, wie es weitergehen soll.“
Tante Berta ist rund und wirft einen breiten Schatten, keinen hohen. Und sie scheint unerschütterlich: „Wenn man Krieg und Vertreibung, Hunger und Armut und das Fünfmal-von-vorne-beginnen durch hat, ist man nur kurzzeitig zu erschüttern; es muss immer wieder weitergehen. Claudia, hast du es ihm schon gesagt? Er ist es doch?“
„Tante Berta!!“ Claudia ruft erschrocken und vorwurfsvoll. Tante Berta verstummt sofort und ich werde neugierig: „Was soll sie mir sagen?“
„Frage sie doch.“
„Das tue ich doch gerade.“
Claudia unterbricht uns: „Wir müssen zurück zum Vater, der wird sich schon ängstigen.“ Sie dreht sich um und quetscht sich an Tante Berta vorbei ins Freie. Ich versuche es noch mal bei Tante Berta:
„Was ist das für ein Geheimnis, macht es doch nicht so spannend. Ist es wirklich wichtig, was sie mir sagen soll?“
„Das kann man wohl sagen! Glücklicherweise seid ihr Mannsbilder beim Begreifen nie die Schnellsten; sie wird es dir schon sagen, sei nur nett zu ihr.“ Und Tante Berta zieht erhobenen Hauptes ab in ihr versengtes Schlösschen.
Ich laufe Claudia hinterher. Sie marschiert mit kräftigen Schritten die Straße hinunter. Die Katzenkopfsteine waren vor noch nicht langer Zeit mit einer Teerdecke überzogen worden. Jetzt haben sie auch hier angefangen, Randsteine für einen Bürgersteig zu setzen. Vor ihrem Hof legen sie einen gewaltigen Kreisverkehr an. Jemand muss eine überregionale Geldquelle entdeckt haben.
Ich erreiche Claudia erst vor der Tür des Gasthofes. „Warum hast du´s denn plötzlich so eilig. Ein alter Mann ist doch kein D-Zug.“ Ich bin kurzatmig vom Rennen.
„Meckere nicht! Wir hatten versprochen, schnell zurück zu sein, erinnerst du dich?“ Sie weicht mir also aus.
Der Wirt hat in der Gaststube Licht gemacht, es bleibt trotzdem schummrig.
Der Vater sitzt zusammengekauert noch immer an seinem Platz. Er sieht aus, als wollte er in sich verschwinden. Ich habe noch nie mit angesehen, wie ein Mensch von innen her, an seiner Seele eingeht. Er tut mir Leid. Aber wie kann ich ihm helfen, soll ich das überhaupt?
Claudia legt ihren Arm um die Schulter des Vaters und drückt ihn an sich. „Vater, hör doch auf, so traurig zu sein. Das Leben ist noch nicht zu Ende. Du hast doch mich... und Tante Berta. Sie grüßt dich. Wir werden jetzt ein schönes Abendessen bekommen, vielleicht geht es dir dann etwas besser.“
Sie drückt ihn noch einmal und geht dann in die Küche. Ich setze mich neben ihn und versuche eine Unterhaltung: „Aus dem Hof könnte man wieder etwas machen. Aber dazu werden wir Sie brauchen, das schafft Claudia nicht allein. Sie dürfen sich jetzt nicht aufgeben.“
Er hebt plötzlich den Kopf und sieht mich an. Ich bin erschrocken, denn es sehen mich zwei klare, wache, blaue Augen an. Er sagt nichts, aber sein Blick weist mich in meine Schranken: Was weißt du schon! Dann stiert er wieder vor sich hin.
Was ist mit dem Mann los? Was mag in seinem Kopf vorgehen? Bisher habe ich – bis auf das Grummeln – noch nicht seine Stimme gehört. Ich kenne ihn nur in dieser geduckten Haltung, stumm und regungslos. Aber seine Augen haben ihn verraten. Der ist noch kein erloschener Vulkan. Irgendetwas arbeitet in ihm und es ist wohl seine spezielle Art, mit dem Unglück fertig zu werden. Und mir wird bewusst, dass Claudia die ganze Zeit mit ihm fast normal redet. Sie nimmt Rücksicht auf seinen Kummer, behandelt ihn fürsorglich, lockt ihn zurück ins Leben, behandelt ihn aber nicht wie einen hilflosen Menschen.
Wäre ich doch bloß bei meinen Grundsätzen geblieben, aus deinem Problem nicht ungefragt ein Unserproblem zu machen. Ich hätte zumindest fragen können. Jetzt war ich mittendrin im Problemwirrwarr.