Читать книгу Begehren hat´s eilig - Liebe wächst langsam - Veit Friedland - Страница 8
Ein schöner Beginn
ОглавлениеIch kenne den Satz: Wollte ich Gott zum Lachen bringen, dann soll ich ihm von meinen Plänen erzählen.
Manchmal begegnet uns ein riesiger, stinkender Jauchewagen, der dann ein ganzes Leben völlig verändert. Aber ich erzähle besser der Reihe nach: Selbst wenn man eine gewisse Altersreife erlangt hat, kann man nicht sicher sein, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen und alle Dummheiten zu vermeiden.
Ich hatte mir zum Beispiel gerade spontan ein nagelneues Cabrio gekauft, keines von der Sorte, mit der man der Damenwelt Potenz vermitteln kann. Ich konnte und wollte mir nur ein kleines, preiswertes aus Japan leisten, bei dem man das Verdeck noch von Hand bewegt. Es durfte kein Vermögen kosten, weil ich nicht vorhersagen konnte, wie lange ich daran Vergnügen finden würde. Viele Konjunktive!
Aber es war schon eine verrückte Idee, mir so ein Autochen anzuschaffen. Fast täglich komme ich an dem Autoladen vorbei, noch nie haben mich die hochglanzpolierten Autos interessiert, die hinter den Scheiben im Scheinwerferglanz funkeln. Diesmal hatten die cleveren Verkäufer die ersten warmen Frühlingstage genutzt und das kleine rote Cabrio vor die Tür gestellt. Und ich habe mich verführen lassen. Ich habe mich hineingezwängt und mich prompt verliebt. Wir waren uns in dem Laden schnell handelseinig. Ich wusste, bei langem Nachdenken und Abwägen hätte bei mir wieder die Vernunft gesiegt. Ich wollte es mir aber einmal gönnen, völlig unvernünftig zu sein, aus Spaß und Dollerei und ganz aus dem Bauch heraus! Ich wollte vergessen, dass ich mich ganz langsam der Sechzig näherte und entdeckte voller Vergnügen bei mir die Lebenslust eines Zwanzigjährigen, war das normal?
Meine beiden Kinder hatten sich gerade abgeseilt und praktizierten Abnabelung von den Altvorderen. Das ist schließlich das normalste von der Welt, wenn man über zwanzig ist. Meine Frau hatte sich ihnen angeschlossen und wollte auch probieren, wie sie alleine zurechtkam: „Ich muss mich endlich selbst verwirklichen. Bisher war ich doch nur für euch da, eure Magd, die euren Dreck nachräumen durfte. Damit ist jetzt endlich Schluss!” Die Rede hat noch etwa eine Stunde gedauert, dann hoffte sie, dass ich endlich begriffen hatte, wie sie sich unsere und ihre Zukunft vorstellt.
Sie war in ihren alten Beruf zurückgegangen, als Lehrerin für Naturwissenschaften, vor allem in Mathe war sie ziemlich gut. Und da diese Sorte Lehrer am „Markt“ knapp ist, war es für sie kein Problem, auch nach langer Abwesenheit, wieder eine Anstellung zu bekommen. Und sie hatte sich zur Demonstration ihrer Unabhängigkeit eine eigene kleine Wohnung gemietet. Mich beschlich die Vermutung, dass sie das alles von langer Hand vorbereitet hat.
Mein ganzes Leben lang hatte ich mir viel Mühe gegeben, ein ordentlicher, verlässlicher, verantwortungsvoller, treusorgender und was noch alles Mensch zu sein und plötzlich ist das alles wertlos. Der Putz rieselt von der Fassade, und ich frage mich, ob sich all die lebenslange Mühe gelohnt hat. Ich wollte doch wenigstens diese Fassade ansehnlich halten.
Ich habe es gerade mal zum Oberarzt in der Charité gebracht, einer unter vielen. Ich sehe mir täglich all das Elend in den Krankenzimmern an und versuche mehr und mehr, es nicht zu dicht an mich heran zu lassen. Aber das gelingt immer seltener, die Haut wird dünner. Die Familie braucht mich nicht mehr so richtig. Höchstens noch als Dukatenscheißer; ihre Seelen wärmen sie nun anderswo.
Und dann passiert es: als ob dir jemand eine eingefärbte Brille von der Nase nimmt, und du siehst die Dinge wie sie sind. Und mir grauste!
Die Nachrichten, die täglich ins Haus schwappen, über einstürzende Häuser, heftige Winde, Überschwemmungen, Tote am Hindukusch und anderswo, über Menschen, die aus Frust, Überzeugung oder Spaß andere umbringen und was alles sonst so täglich berichtenswert ist; all das betrifft mich nicht und verdirbt mir trotzdem die Laune. Und um das Klagelied zu vollenden, betrachtest du auch noch dein eigenes Leben. Und du stellst fest, so berauschend ist das im Ergebnis auch nicht! Alles ist relativ und hängt am seidenen Faden. Einen Jugendfreund haben wir neulich zu Grabe getragen und der hatte noch soviel vor; frisch geschieden hatte er so ´ne richtig Nette kennengelernt. Beneidenswert, und dann kam dieses „Plötzlich und unerwartet“.
Auch ich hatte mein Leben geplant, aber, um ehrlich zu sein, viel ist davon nicht übrig geblieben. Gut, ich bin Arzt geworden, habe nach langem Anlauf auch noch promoviert, habe irgendwann geheiratet und zwei Kinder gezeugt.
Gelegentlich war ich auch schon mal im siebenten Himmel und bin doch immer wieder hart gelandet. Nun hocke ich in meinen vier Wänden und sehe zu, wie mir die Felle davon schwimmen.
Aber das kann´s doch nicht gewesen sein.
Zuerst hatte mich dieses, für mich unvorbereitete, Verlassenwerden deprimiert. Aber allmählich fange ich an, die neugewonnene Freiheit zu genießen und der Trennung auch positive Aspekte abzugewinnen. Mir ist endlich wieder die Frage eingefallen, die wichtiger als die Warumfrage ist:
Wozu soll das gut sein?
Der bisherige, fröhliche Höhepunkt meiner eigenen emanzipatorischen Bemühungen ist die Anschaffung dieses offenen Wagens. Der stellt mir Vergnügen und so etwas wie Freiheit in Aussicht, von der ich, ehrlich gesagt, noch keine endgültige Vorstellung habe.
Die Vorhersage verspricht, dass das Wetter sommerlich warm werden soll und so habe ich mich mit dem Wägelchen zu einem ersten Ausflug an die Ostsee aufgemacht. Ich klemme mit meinen langen einsfünfundachtzig in der kleinen Schachtel und freue mich des Lebens. Im noch kleineren Kofferraum habe ich einen winzigen Koffer untergebracht, mit dem Nötigsten für ein Wochenende.
Die Sonne ist gerade aufgegangen, und ich bin schon fast aus der Stadt heraus. Es macht mir Spaß, mit dem wehenden Rest meiner schütteren Haupthaare durchs Land zu fahren. Die Sonne bescheint mich von rechts und wärmt diese Seite sogar schon etwas, auf der linken friere ich.
Auf den Feldern hängen in den Mulden Nebelschwaden. Über den Äckern kreisen Raubvögel und halten Ausschau nach unvorsichtigen Mäusen. Ich genieße erstaunt den Duft des Morgens. Diesen feuchten, erdigen Geruch hatte ich in meiner Limousine mit Klimaanlage noch nie so intensiv wahrgenommen. Ich bin allerdings auch noch nie so früh am Morgen durch die Landschaft gefahren.
Ich muss jetzt das Tempo reduzieren, denn die Alleebäume zerhacken das Sonnenlicht so rhythmisch, dass mir schwindlig wird. Die kleinen Orte, durch die ich fahre, haben zum Teil noch immer schlechte Straßen und rütteln mich kräftig durch, so dass mein Tempo schon aus Gründen der Selbsterhaltung immer langsamer wird.
Gelegentlich fahren Traktoren mit riesigen Landmaschinen vor mir her und bringen mich dann fast vollends zum Stehen. So sieht also die Wirklichkeit aus! In der Werbung brausen die hübschen Kerle immer in ihren Luxuscabrios auf sanft geschwungenen Straßen am Meer entlang. Sie haben keine Mühe, eine Hand auf dem Knie einer entzückenden Frau zu haben, die auf dem Nachbarsitz mit einem Glas Sekt in der Hand... oder so ähnlich!
Ich schleiche jetzt hinter einem Jauchesprenger her.
Er nimmt die ganze Straßenbreite ein und aus seinem dicken Schlauchanschluss tropft heftig eine Spur ungewohnter, flüssiger Landluft. Es wäre völlig zwecklos, am Auto die Lüftung zu schließen, im Cabrio bekommt man Gutes und Schlechtes unvermittelt mit. Ich beschließe deshalb, am Ortsausgang anzuhalten und dem anderen einen Vorsprung zu geben.
Ich rechne fest damit, dass er bald auf irgendeines der Felder abbiegen wird, um dort den verbliebenen Rest seiner stinkenden Ladung auszubreiten. Und während ich mir zwischenzeitlich im Radio einen neuen Sender suche, spricht mich von der Seite eine bettelnde Frauenstimme an: „Macht es Ihnen etwas aus, mich ein kleines Stück mitzunehmen?” Als ich mich ihr zuwende, sehe ich neben mir ein knabenähnliches Wesen, nicht mehr ganz jung, mit kurzen Haaren, ungeschminkt, braungebrannt, in derben Hosen und vermutlich ebensolchen Schuhen aber mit einem Hemdchen, das Weibliches erahnen lässt.