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ОглавлениеDas Grab der Amazone Antiope
(Pausanias 1,2,1)
Von dieser Antiope sagt Pindar, sie sei von Peirithoos und Theseus geraubt worden, der Troizenier Hegias hat aber folgendes auf sie gedichtet. Herakles habe Themiskyra am Thermodon belagert und nicht nehmen können, und Antiope habe sich in Theseus verliebt […]; die Athener aber sagen, als die Amazonen gekommen seien, sei Antiope von Molpadia erschossen, Molpadia aber von Theseus getötet worden.
Varianten des Mythos
Für die Athener war Theseus die wichtigste mythologische Identifikationsfigur. Auch wenn eine Datierung dieser drei Varianten nicht immer möglich ist – Pindar lebte im 5. Jahrhundert v. Chr., über Hegias ist nichts bekannt, über das Alter der Variante der Athener können wir nur spekulieren – lohnt sich ein Blick auf die Unterschiede. Pindar, ein Dichter aus Theben, dessen Bewohner sich nur selten gut mit den Athenern verstanden, macht Theseus zu einem Frauenräuber. Hegias aus Troizen, einer Stadt auf der anderen Seite des saronischen Golfes, die nicht nur traditionell mit Athen verbündet war, sondern auch als Geburtsort des Theseus eine enge mythologische Verbindung zu Athen besaß, bietet eine wesentlich günstigere Variante, in der Antiope sich in Theseus verliebt. Schließlich erzählen die Athener davon, dass Theseus den Tod der Antiope rächt, die als Amazone auf der Seite der Athener gegen die Amazonen gekämpft hatte. Je nach Ort, je nach historischer Erfahrung, die man mit der Heimat einer mythologischen Gestalt gemacht hatte, konnten Mythen differieren.
Oidipus
Dies lässt sich zum Teil auch bei den Mythen um Oidipus aufzeigen. Oidipus war der Sohn des Königs Laios und der Iokaste. Das Orakel von Delphi warnte Laios, den König von Theben, dass ein Sohn ihn töten werde. Darauf ließ Laios ihn aussetzen. Oidipus, dem man noch die Füße durchbohrt hatte – die Übersetzung des Namens ist „Schwellfuß“ – wurde von Hirten gefunden und in Korinth als Sohn des Königs Polybos und der Merope aufgezogen. Später tötete er Laios, ohne zu wissen, wer er war; er löste das Rätsel der Sphinx und gewann als Lohn den thebanischen Königsthron. Darauf heiratete er seine Mutter Iokaste und zeugte mit ihr vier Kinder: Polyneikes, Eteokles, Antigone und Ismene. Als er seine Verfehlungen erkannte, stach er sich die Augen aus und Iokaste erhängte sich.
Deutungsversuche des Oidipusmythos
Dieser Mythos erlaubt eine ganze Reihe von Deutungsoptionen, von denen vier genannt werden sollen. Erstens kann der Zusammenbruch der Familienstrukturen für den Zusammenbruch der Polis stehen; immerhin lautet der Titel des Stückes auch „Oidipus tyrannos“ – der Tyrann steht gegen die Polis. Freuds „Ödipuskomplex“ erweist sich bei einer genauen Lektüre des Textes als geniale Schöpfung, die mit der Tragödie nur wenig gemeinsam hat; Oidipus will, ganz im Gegensatz zu Freuds Konzept, den Vater eben nicht bewusst töten, sondern unterliegt einem tragischen Irrtum. Am Ende gibt Oidipus die Herrschaft aus eigenem Entschluss auf und wird damit fast zum idealen König. Zweitens handelt das Stück von der Prophezeiung, dass der Sohn den Vater töten werde. Auch wenn sie auf alle mögliche Weise umgangen wird, erweist sich letztlich das Orakel von Delphi, das die Prophezeiung erteilt hatte, als zuverlässig; angesichts der in der Mitte des Stückes heftig geäußerten Zweifel an Delphi könnte man den „Oidipus tyrannos“ als Plädoyer für die Verlässlichkeit Apollons und seines delphischen Orakels lesen. Drittens zeigt sich in vielen Theaterstücken immer wieder Theben als Projektionsfläche; die Texte kommen von athenischen Tragikern, die in der nächsten größeren Stadt, und eben nicht in Athen, furchtbare Szenarien durchspielen. Viertens verweisen Fragmente der „Oidipodeia“, eines kaum erhaltenen Epos aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., auf die Existenz von wesentlich positiveren Darstellungen des Oidipus; in dieser Fassung fehlt der Inzest, die Kinder des Oidipus sind von einer anderen Frau.