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Beteiligungsrollen der Rezipierenden

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Rezipierende können auf ganz unterschiedliche Art in einer Interaktion beteiligt sein, weshalb Goffman (1981: 131ff.) den Beteiligungsrahmen (participation framework) entwickelt und unterschiedliche Beteiligungsrollen unterscheidet. Dadurch wird erstmals eine Differenzierung der Gesprächsbeteiligten vorgenommen, die eine Untersuchung dessen erlaubt, welche Rezipierenden die hauptsächlich gemeinten und welche eher zufällige Mithörende einer Äusserung sind. Grundsätzlich nimmt er eine Unterteilung in ratifizierte und nicht-ratifizierte Beteiligte vor, wobei erstere einen ‚offiziellen’ Teilnahmestatus haben und letztere eher zufällige Rezipierende einer Aussage werden.

Bei den ratifizierten Beteiligten unterscheidet Goffman (1981: 133) im Falle von Mehrparteieninteraktionen die adressierten und die nicht-adressierten Rezipierenden. Adressierte Rezipierende sind

oriented to by the speaker in a manner to suggest that his words are particularly for them, and that some answer is therefore anticipated from them, more so than from the other ratified participants (Goffman 1976: 260).

Sie zeichnen sich also einerseits dadurch aus, dass von ihnen gelegentlich die Turnübernahme erwartet wird. Andererseits sind die adressierten Rezipierenden auch diejenigen, für die eine optimale Ausgestaltung des Recipient Designs vorliegt ( „oriented to by the speaker in a manner to suggest that his words are particularly for them“). Diese Verbindung von Beteiligungsrollen und Recipient Design wird von Goffman nicht hergestellt, jedoch ist die Nähe der beiden Konzeptionen kaum zu übersehen. Was Goffman hier unter Adressierung versteht, kann m.E. als Design-Aktivitäten verstanden werden (vgl. Kap. 2.2).

Während die Adressierung zwar teilweise sprachlich realisiert wird, spielen Blickverhalten und Körperzuwendung eine wichtige Rolle und so muss bei einer umfassenden Analyse der Adressierung die multimodale Umsetzung mitbeachtet werden (vgl. Goffman 1981: 133; Lerner 2003: 178). Vor diesem Hintergrund werden für die Analysen zu den Beteiligungsrollen (vgl. Kap. 6) insbesondere Sequenzen gewählt, die beispielsweise aufgrund ihrer expliziten verbalen Adressierung eine Aussage zulassen. Als explizite Adressierung werden die namentliche Adressierung sowie die Anredepronomen gezählt (vgl. Lerner 2003: 178, 182ff.), welche im Falle des Deutschen eine eindeutige Referenz sein können, wenn beispielsweise eine Lehrperson zu einem Kind (Verwendung von du) oder zu einer anderen erwachsenen Person (Verwendung von Sie) spricht.1

Die Kategorie der nicht-ratifizierten Beteiligten nennt Goffman (1981: 132) bystanders und gliedert sie in zufällig Mithörende (overhearers) und absichtlich Lauschende (eavesdroppers). Bei beiden Untergruppen betont er den nicht-offiziellen Status der Teilnehmenden. Allerdings können Sprechende die nicht-ratifizierten Beteiligten unter Umständen auch wahrnehmen, beispielsweise wenn sich Personen in Hörweite befinden, sie aber dennoch nicht zu den ratifizierten Beteiligten der fokussierten Interaktion gehören. So ist bei vielen Gesprächen im öffentlichen Raum die Anwesenheit von nicht-ratifizierten Beteiligten durchaus die Regel (vgl. Goffman 1981: 132). Hingegen kann bei den vorliegenden Daten von schulischen Beurteilungsgesprächen in jedem Fall von offiziellen Gesprächsteilnehmenden gesprochen werden, da die Gespräche in geschlossenen Räumen stattfinden und alle Teilnehmenden auch ratifizierte Beteiligte des Gesprächssettings sind.

Levinson (1988) hat in Bezug auf Goffmans Beteiligungsrahmen eine wichtige Ergänzung angebracht. So zeigt er, dass die Beteiligungsrollen aufseiten der Rezipierenden (participant roles) in ein sehr viel komplexeres Gefüge einbezogen werden können, nämlich beispielsweise wenn nicht-adressierte Rezipierende der Interaktion die eigentlich gemeinten Adressierten sind (indirect target) (vgl. Levinson 1988: 173, 210ff.). In Beispielen zeigt Levinson (1988: 211f.), dass typischerweise indirekt adressierte Rezipierende unmittelbar auf Äusserungen, die an eine andere Person gerichtet, aber für sie gemeint sind, antworten. Dies wiederum bestätige, dass die Adressierung gelegentlich eine Turnübergabe an die adressierte Person bewirkt. Die Schwierigkeit, die sich bei der Analyse (aber v.a. auch für die Interagierenden selbst) ergibt, ist es, die gemeinten Beteiligungsrollen in der Interaktion zu erkennen. Levinson (1988: 212f.) nennt als Indikatoren u.a. die sequenzielle Umgebung der Äusserung, das Turn Design, Referenzen der dritten Person auf die indirekt adressierte Person oder Blickzuwendungen nach der Äusserung. Hier wird deutlich, dass die Kategorie der ratifizierten Adressierten ungenügend definiert ist, wenn nicht auch die indirekt adressierten Rezipierenden beachtet werden.

Beurteilungsgespräche in der Schule

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