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2.4.4 Selbst- und Fremdbeurteilung

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Im Kontext der Beurteilungsgespräche zeigt sich, dass das Positionieren und das Beurteilen nah verwandte Konzepte sind. Denn, wie auch Kotthoff (2012a: 294) feststellt, „gerät [alles] in einen Einschätzungsrahmen“, so auch Beschreibungen, Kategorisierungen oder Erzählungen.

Im Sinne von Sacks (1972; 1995) kann das Beurteilen als für Lehrpersonen typische und daher kategoriengebundene Aktivität verstanden werden (vgl. Kap. 2.4.2). Zunächst drängt sich eine Abgrenzung von Bewerten und Beurteilen auf, da sich dazu in der Forschungsliteratur unterschiedliche Definitionen finden. Mit Becker-Mrotzek und Böttcher (2012: 123) verstehe ich das Bewerten als einen der Beurteilung zugrundeliegenden „mentale[n] Prozess des Einschätzens“ und schliesslich das Beurteilen als eine „verbal geäusserte Bewertung“. Eine Bewertung kann also verbal als Beurteilung geäussert werden, oder dann in einer im Kontext der Schule typischen Note münden, welche sich als „zusammenfassende Bewertung einer Leistung“ definieren lässt (Becker-Mrotzek & Böttcher 2012: 124).

Bewertungen finden sich jedoch nicht ausschliesslich in schulischen Kontexten, sondern gelten vielmehr als ständige Bestandteile alltäglicher Interaktion (vgl. Fiehler 2001a: 1429; Hrncal & Gerwinski 2015: 46; Pomerantz 1984: 57). Denn sobald „Akteure Personen, Dinge, Verhaltensweisen, Ereignisse, Orte und vieles mehr hinsichtlich spezifischer oder vager Bewertungsmassstäbe einer Beurteilung unterziehen (im einfachsten Falle gut vs. schlecht)“ (Hrncal & Gerwinski 2015: 46), liegt ein Bewertungsdiskurs vor. Das Bewerten findet demnach in vielen Kontexten statt und kommt immer dann zum Zuge, wenn über die Sachverhalte hinaus eine Bewertung oder Beurteilung zustande kommt. Fiehler (2001a: 1429) versteht dann auch Kommunikation als eine „Verständigung über Sachverhalte“ und eine „Verständigung über Bewertungen“, denn „[b]eim Austausch über ein Thema werden immer auch Bewertungen kommuniziert“. Nach dieser Auffassung kann also das Bewerten als stets mitkommunizierte Aktivität gelten.

Während in Alltagsgesprächen auch vage Bewertungsmassstäbe hinzugezogen werden, liegen der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung in der Regel schulbezogene Kriterien zugrunde. Es gelten demnach institutionelle Massstäbe, an denen sich die Beurteilungen in Form von Noten oder (standardisierten) Beschreibungen orientieren (vgl. z.B. Mazeland & Berenst 2008, siehe Kap. 1.1.2).

In den vorliegenden Gesprächsdaten müssen sich die SchülerInnen gelegentlich auch selbst beurteilen. Selbstbeurteilung kann definiert werden als „das Bemühen der Lernenden, ihr eigenes Denken, Fühlen und Handeln zu reflektieren, einzuschätzen und gegebenenfalls zu bewerten“ (Nüesch, Bodenmann & Birri 2009: 43). Hierbei können – wie auch generell bei Beurteilungen – verschiedene Bezugsnormen relevant sein. Es werden in der Regel die Sozialnorm, die Lernzielnorm und die Individualnorm unterschieden, wobei teilweise andere Begriffe verwendet werden (vgl. Lötscher & Roos 2005: 14; Nüesch, Bodenmann & Birri 2009: 50; Winter 2004: 61ff.). Die Sozialnorm kommt dann zum Tragen, wenn die Leistung eines Kindes an der Leistung anderer gemessen wird. Diese Beurteilung erfüllt die Funktion der Selektion. Bei der Lernzielnorm geht es um die Standortbestimmung eines Kindes und gemessen wird der Erfolg im Hinblick auf die vereinbarten Lernziele. Und bei der Individualnorm werden die Fortschritte eines Kindes bewertet, was einer Förderung oder Bestärkung gleichkommt. Aus förderorientierter Perspektive sind gemäss Lötscher und Roos (2005: 16) insbesondere die beiden letztgenannten Normen zu beachten und die Sozialnorm eigne sich hingegen nicht für die Selbstbeurteilung von Leistungen. Demnach kann das Instrument der Selbstbeurteilung vor allem dann sinnvoll angewendet werden, wenn SchülerInnen sich selbst in Bezug auf Lernziele und Lernfortschritte beurteilen.

Vögeli-Mantovani (2011: 254) versteht „Selbstbeurteilungen als Voraussetzung für partnerschaftliche Beurteilungsgespräche“ und weist damit SchülerInnen eine anerkannte, gleichberechtigte Rolle zu. Weiter kommt er zum Schluss:

Selbstbeurteilung ist eine Voraussetzung für aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Alters am Beurteilungsgespräch. Umgekehrt gilt auch, dass ein Beurteilungsgespräch ohne Anteile von Selbstbeurteilung die Hauptperson nicht ernsthaft einbeziehen kann. (Vögeli-Mantovani 2011: 261)

In welchem Masse es sich um „partnerschaftliche Beurteilungsgespräche“ handelt und wie die Selbstbeurteilungen von SchülerInnen in den Gesprächen eingebettet werden, zeigt sich dann in den Analysen in Kapitel 8.

Beurteilungsgespräche in der Schule

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