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2.3.2 Gesprächsorganisatorische und thematische Steuerung

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Die Rollen der Sprechenden und Hörenden sind, wie gezeigt wurde, nicht klar trennbar und grundsätzlich in ihren Doppelfunktionen zu verstehen. So kann auch die Steuerung des Gesprächs nicht nur als Aufgabe von Sprechenden gesehen werden, da beispielsweise das Anzeigen von Verstehen oder Nichtverstehen aufseiten der Rezipierenden ebenfalls steuernd auf das Gespräch einwirkt und Sprechende zu weiteren Erklärungen ausholen lässt (vgl. z.B. Tiittula 2001: 1363f.). Zudem sollen die Ausführungen zur Gesprächssteuerung vor dem Hintergrund der Diskussion der Beteiligungsrollen betrachtet werden, die gezeigt hat, dass Beteiligung von den Beteiligten aktiv hergestellt und nicht einseitig zugewiesen wird:

Clearly a participant role is, from the point of view of participants, not something that is unilaterally assigned, but rather jointly negotiated. (Levinson 1988: 176)

Wenn wir nun also die Gesprächssteuerung untersuchen, interessieren dabei die unterschiedlichen sprachlichen Handlungen, welche gesprächsorganisatorisch und thematisch den Verlauf des Gesprächs lenken können. Solche lenkenden Handlungen können mit Kontrolle, Macht und (Wissens-) Asymmetrien in Verbindung gebracht werden (vgl. z.B. Boettcher et al. 2005: 6; Tiittula 2001: 1361f.).

Die gesprächsorganisatorische Steuerung umfasst grundsätzlich die „Verteilung der Redegelegenheiten“ (Tiittula 2001: 1364), die von Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) unter dem Begriff des turn-taking ausführlich untersucht wurden (vgl. Kap. 2.1.2). Schwitalla (1979: 70f.) nennt die gesprächsorganisatorischen Steuerungsaktivitäten dialogaufrechterhaltende Steuerungen und zählt dazu neben der Organisation des Sprecherwechsels auch Rezeptionssignale sowie Aktivitäten aufseiten der Sprechenden, die prüfen, ob und wie das Gesagte verstanden wird. In Untersuchungen zur institutionellen Kommunikation wurde in Bezug auf die gesprächsorganisatorische Steuerung gezeigt, dass Fragen ungleich oft von den VertreterInnen der Organisation gestellt werden und KlientInnen tendenziell die Antwortgebenden sind (vgl. zusammenfassend z.B. Drew & Heritage 1992a: 39f. und 49f.). Fragen sind deshalb ein einflussreiches Steuerungsmittel, da durch die Projektionsleistung von Paarsequenzen eine Antwort konditionell relevant gesetzt und somit eingefordert wird (vgl. Kap. 2.1.2). Stivers und Rossano (2010) argumentieren, dass es je nach Ausgestaltung eines Turns mehr oder weniger starke konditionelle Relevanzen gibt. Sie sprechen dabei nicht von Fragen als Auslöser von Folgehandlungen, da diese vielmehr als Sammelbegriff für verschiedene Praktiken stehen, welche im weiteren sequenziellen Verlauf eine Antwort auslösen bzw. relevant setzen (vgl. Stivers & Rossano 2010: 29). Diese Aspekte des Turn Designs, welche die konditionelle Relevanz einer Antwort begünstigen, sind fragende lexikalische und morpho-syntaktische Aspekte (interrogative lexico-morphosyntax), fragende Prosodie (interrogative prosody), Bezüge zu Wissensbeständen, über welche nur die adressierte Person verfügt (recipient-tilted epistemic asymmetry) und Zuwendung des Blicks in Richtung der/des Rezipierenden (recipient directed speaker gaze) (vgl. Stivers & Rossano 2010: 4). Das Zusammenspiel mehrerer Aspekte erhöht demnach den Zugzwang bzw. verstärkt die konditionelle Relevanz.

Bei Fragen spielt aber nicht nur der Aspekt der konditionellen Relevanz einer Antwort eine Rolle, nämlich ob eine Antwort relevant gesetzt wird, sondern auch die inhaltlich steuernde Funktion bestimmter Fragen, nämlich was in der Antwort zu erwarten ist. Denn Fragen können unterschiedlich stark einschränkend formuliert werden (offene versus geschlossene Fragetypen),1 sodass die Antwortgebenden durch diese Steuerungsmechanismen mehr oder weniger grosse Handlungsspielräume erhalten (vgl. Rost-Roth 2003; 2006).

Die thematische Steuerung schliesslich meint diejenigen Aktivitäten, die den Gesprächsverlauf inhaltlich lenken und prägen. Diese Einflussnahme äussert sich dadurch, dass Beteiligte eigene Themen und Fokusse einführen oder aktuelle Themen beenden oder verändern können (vgl. Tiittula 2001: 1368).2 Diese Fragen werden bei den Analysen insbesondere im Zusammenhang mit der Rolle der SchülerInnen aufgegriffen, da in Studien immer wieder auf die eingeschränkten Interaktionsrechte von Kindern und Jugendlichen verwiesen wird (vgl. Kap. 1.2) und dies daher in den eigenen Daten kritisch betrachtet werden muss.

Wenn von gesprächssteuernden Praktiken gesprochen wird, dann muss auch das Schweigen, also das Ausbleiben einer verbalen Antwort, betrachtet werden (vgl. z.B. Tiittula 2001: 1366). Allerdings muss Schweigen besonders vorsichtig interpretiert werden, wenn ausschliesslich mit Audiodaten gearbeitet wird, da nur das Ausbleiben einer verbalen Reaktion, nicht jedoch die nonverbalen Aktivitäten erfasst werden können. Heidtmann und Föh (2007: 263) bezeichnen das Schweigen als verbale Abstinenz und verstehen darunter eine Form der Beteiligung. Auch Schmitt (2012: 78ff.; 2013: 171ff.) greift das Konzept der verbalen Abstinenz auf und untersucht, wie verbal abstinente Beteiligte durch ihre multimodale Ausrichtung anzeigen, dass sie Teil der Interaktion bzw. des Interaktionsensembles sind. Insofern kann auch Schweigen bzw. verbale Abstinenz als Beteiligungsform betrachtet werden, die jedoch ohne Rückgriff auf Videodaten nur bedingt analysiert werden kann. In den Beurteilungsgesprächen gibt es immer wieder Schweigesequenzen, gerade auch wenn eine Antwort vonseiten des Kindes bzw. der jugendlichen Person erwartbar wäre. Aufgrund der Audiodaten können an diesen Stellen keine vollständigen Analysen präsentiert werden.

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