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Im gemeinsamen Haus
ОглавлениеStärke und zugleich Schwäche geistlicher Begleitung ist die Fokussierung auf die einzelne Begleitete. In Wahrheit, d. h. in Gott, ist sie eine von allen, eine winzige Zelle im Menschheitsleib. Die einzelne Zelle kann ansteckende Gesundheit oder ansteckende Krankheit verbreiten. Jede einzelne ist göttlichen Ursprungs.
Ein egozentrischer Individualismus ist unfähig, die anstehenden Menschheitsfragen anzugehen. Die Fülle des Lebens findet ein Mensch nicht mit sich und für sich allein. Um die Wahrheit zu erkennen und zu tun, bedarf ein Mensch der anderen und die anderen bedürfen seiner. Viktor E. Frankl verdeutlicht dies durch das Bild von zwei Halbkreisen, die einander bedürfen, um einen Kreis, ein Ganzes zu bilden. Der eine Halbkreis ist gefüllt mit den Fähigkeiten und Erfahrungen, auch der leidvollen, die ein Mensch in seinem bisherigen Leben gesammelt hat. Der andere Halbkreis steht für die Bedürftigkeit der Mit- und Umwelt, die seiner Unterstützung bedarf. Beide Halbkreise finden nur in gegenseitiger Ergänzung hin zum Ganzen, zum Heil.8
Ein egozentrischer Individualismus ist unfähig, die anstehenden Menschheitsfragen anzugehen. Die Fülle des Lebens findet ein Mensch nicht mit sich und für sich allein.
Von Zeit zu Zeit nimmt die Begleitete sich inmitten gesellschaftlicher, menschheitlicher Fragen in den Fokus und prüft sich. Sie will nicht nur »drinnen daheim«, sondern auch »draußen zuhause«9 sein: Wie stelle ich mich zum Leiden der Flüchtlinge, der Ausgeschlossenen, der Alten, der Sterbenden? Wie stelle ich mich zur Frauenbewegung, zur ökologischen Bewegung? Wie könnte ich mit meinen Gaben dazu beitragen, das Leiden in Menschheit und Schöpfung zu verringern?
»Viele Dinge müssen ihren Lauf neu orientieren, vor allem aber muss die Menschheit sich ändern. Es fehlt das Bewusstsein des gemeinsamen Ursprungs, einer wechselseitigen Zugehörigkeit und einer von allen geteilten Zukunft.«10 Um nachhaltig zu sein, bedarf ein solcher Bewusstseinswandel existenzieller, spiritueller Fundierung in jeder Einzelnen. Hier wird das Politische persönlich und das Persönliche politisch. Zum Dienst geistlicher Begleitung gehört es, von der persönlichen Tiefe her den Weg in die gesellschaftliche Weite zu unterstützen. Sie fördert »die Grundhaltung des Sich-selbst-Überschreitens« und hilft, in eine neue Balance zu finden – in »das innere Gleichgewicht mit sich selbst, das solidarische mit den anderen, das natürliche mit allen Lebewesen und das geistliche mit Gott«.11