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Zweites Kapitel

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Es war regnerisch und kühl, als Doug das Schiff in Caerdydd verließ, aber er hatte die Gedanken an südliche Gefilde längst hinter sich gelassen. Zu groß war seine Vorfreude auf Caernon County, nur getrübt durch die Trauer um seinen Vater. Gewiss fand er es auch bedauerlich, dass die Zeit der Reisen und seiner völligen Freiheit so abrupt geendet hatte, aber Doug wusste, was er seinem Land und seiner Familie schuldig war. Er würde die Verwaltung der Güter übernehmen und im Sinne seines Vaters fortführen, manches aber auch erneuern. Schließlich hatten seine Wanderjahre nicht nur dem Vergnügen gedient, sondern auch der Erkundung moderner Techniken in Bergbau und Landwirtschaft. Er brannte darauf, die Mine zu inspizieren, die Burg seiner Kindheit in Besitz zu nehmen und – ja, auch die Brautschau reizte ihn. Laetitia war ein schöner Traum gewesen, ein Ausflug in das Reich der Rosen und Zaubergärten. Aber die ihm bestimmte Gattin, das meinte er immer deutlicher zu spüren, würde hier auf ihn warten. Unternehmungslustig schulterte er einen Seesack – auf Reisen hatte sich das als praktischer erwiesen als Truhen und Kisten – und sprang vom Schiff auf den Pier, bevor es noch richtig angelegt hatte. Der alte Mann, der mit zwei gesattelten Pferden am Kai wartete, lachte darüber gutmütig auf.

»Ihr seid ein Heißspund wie eh und je, Mylord!«, begrüßte er den neuen Herrn von Caernon mit gespieltem Missfallen. »Könnt Ihr nicht warten, bis man einen Steg heranbringt, und das Schiff verlassen wie ein Edelmann?«

»Die Art, ein Schiff zu verlassen, macht den Edelmann nicht aus!«, konterte Doug, schritt auf den Mann zu und umarmte ihn herzlich.

»Sei gegrüßt, Francis! Ich hatte gehofft, dass mich jemand von Caernon abholt, aber ich war mir natürlich nicht sicher. Woher wusstest du von meinem Eintreffen? Und Cougar hast du auch mitgebracht!«

Nachdem er den betagten Majordomus begrüßt hatte, wandte der junge Graf sich dem Rapphengst zu, den Francis am Zügel hielt. Cougar war Dougs Pferd, war es immer gewesen, sein Vater hatte ihm das Fohlen geschenkt. Nun zauste der junge Mann zärtlich seine Mähne und kraulte die breite Stirn des kleinen, stämmigen Cobs. Der Rappe erkannte seinen Herrn ebenfalls, wieherte leise und zufrieden und rieb sich an seiner Schulter.

»Ich erwarte Euch bereits seit einer Woche, Herr!«, meinte Francis mit mildem Tadel. »Dem Boten war aufgetragen, Euch zur Eile zu mahnen. Wo habt Ihr gesteckt? Wieder einem Rock hergejagt?«

Doug lachte. »Francis, mäßige dich! In meiner Stellung jagt man keinen Röcken mehr nach. Man ... buhlt höchstens um die Gunst schöner Frauen.«

»Das Wort ›buhlen‹ ist wohl gar nicht so falsch gewählt!«, brummte der alte Majordomus. »Ihr werdet Euch nie ändern, und dabei ist Euer Vater kaum unter der Erde.« Missmutig reichte er Doug die Zügel seines Hengstes.

Doug nahm sie entgegen und verstaute seinen Seesack hinter dem Sattel. »Auch mein Vater hat das Leben geliebt«, konterte er dann. »Umso schlimmer, dass er uns so bald verlassen musste. Was ist geschehen, Francis?«

»Ein Schlag, wie es aussieht. Er trank einen Schluck Wein, würgte, verfärbte sich und sank zu Boden. Als er auftraf, hatte er die Besinnung schon verloren. Wir wollten ihn zu Bett bringen, aber er starb noch in der Halle. Nein, Gift kommt nicht in Frage, wir haben den Wein gekostet. Wahrscheinlich war es sein Herz. Es tut mir Leid.«

»Man kann wohl schlimmere Tode sterben. Gott gebe seiner Seele Frieden.« Doug bestieg sein Pferd. Er war erleichtert, dass sein Vater nicht gelitten hatte. Im Gegenteil, dies war ein Tod, wie der alte Lord ihn gewünscht hätte. Ein kleines Gelage, ein fahrender Sänger, der ihn unterhielt, und der Geschmack süßen Weins auf der Zunge. Vermutlich hatte der letzte Blick seines Vaters auch noch einer schönen Magd gegolten. Doug fühlte sich seltsam getröstet, als er sein Pferd in die Stadt lenkte. Es war fast, als hätte ihn ein ertapptes Lächeln seines Vaters gestreift. Lesley of Caernon hatte die Frauen ebenso geliebt wie sein Sohn.

»Wie geht es sonst auf Caernon? Ist die Mine einträglich? Wird die Ernte gut?« Doug wandte sich an den alten Diener, als sie Caerdydd hinter sich ließen und in die grünen Hügel von Wales hinausritten. Es war nicht weit nach Caernon Hall, in zwei bis drei Stunden sollten sie die Grafschaft erreichen. Ungeduldig wie Doug war, hätte er den Hengst gern angespornt und wäre auf die regenverhangenen Berge zugaloppiert. Dann hätte er sogar noch bei Tageslicht einen Blick auf sein Land werfen können. Aber er musste Rücksicht nehmen. Francis war nicht mehr der Jüngste und obendrein nie ein guter Reiter gewesen. Die Stute, die er sich für diese Reise gesattelt hatte, war zwar untadelig brav, aber langsam.

»Ihr solltet wohl am Besten wissen, was die Mine abwirft!«, antwortete Francis. »Von dem bisschen Ertrag der Bauernhöfe hättet Ihr Eure Reisen schließlich kaum finanzieren können. Silber ist nach wie vor hoch begehrt, der Verwalter ist fleißig und hält die Bergleute bei der Arbeit. Auch die Felder sehen vielversprechend aus, wie ich hörte. Aber da lässt sich ja nichts sagen, bis der letzte Sack Korn in den Scheunen liegt.«

Doug lächelte über die Auskunft. Francis nahm nie ein Blatt vor den Mund und hatte den jungen Grafen immer für hoffnungslos verwöhnt gehalten. Dennoch war er ihm von Herzen zugetan und hätte ihn mit Zähnen und Klauen verteidigt, hätte jemand anders gewagt, seinen Lebenswandel zu tadeln.

»Eine hübsche Stute hast du da«, bemerkte Doug, um das Gespräch auf etwas anderes zu lenken. »Ist sie neu? Ich kenne sie gar nicht.«

»Ihr kennt vieles nicht mehr. Werdet Euch ganz schön umstellen müssen nach all dem Lotterleben in fernen Ländern ...«

Doug seufzte und gab es auf. Die Laune des alten Majordomus wurde immer schlechter, vielleicht plagte ihn ja seine Gicht. An solche Tage konnte der junge Lord sich noch gut erinnern. Als er ein Kind war, hatte sich Francis’ Unmut auch schon mal in einer Backpfeife entladen. Adel hin oder her, Francis hielt auf strenge Erziehung, gerade in einem mutterlosen Haushalt wie dem Schloss von Cynan. Dougs Vater hatte seine Gattin vergöttert, aber früh verloren. Umso mehr verwöhnte er seinen Sohn. Francis sah seine Aufgabe darin, hier ein Gegengewicht zu schaffen.

Inzwischen war es dämmerig geworden, und die Berge, denen die Reiter sich nur langsam näherten, ragten bedrohlich im Wolkenschleier vor ihnen auf. Es wurde nun auch kühl, und der Regen nahm zu. Doug konnte den Unwillen seines Begleiters, bei diesem Wetter unterwegs zu sein, nicht recht nachvollziehen. Ihm selbst machte es nicht viel aus, im Gegenteil. Nach der ewigen Sonne Italiens fand er die regengeschwängerte Luft seines Landes erfrischend und genoss den erdigen Geruch der aufgeweichten Felder. Auch Cougar beeindruckte der Regen nicht. Er schritt gelassen aus und setzte die Hufe auch auf morastigen Wegen mit traumhafter Sicherheit. Mitunter schüttelte er aber unwillig den Kopf, wenn Doug ihn auch auf griffigen Strecken zurückhielt. Dem Hengst ging es wie seinem Herrn: Das Reisetempo war ihm erheblich zu langsam.

Als sie die Grenze von Caernon County endlich erreichten, war es fast völlig dunkel, und Sprühregen verschlechterte die Sicht noch mehr. Dennoch bemerkte Doug, dass die Straßen und Felder offensichtlich in gutem Zustand waren. Die Wege waren befestigt – auch bei Regen konnten schwere Erntewagen passieren, ohne stecken zu bleiben. An den Feldrändern wucherte kein Unkraut, das Korn stand hoch und wirkte kräftig, starke Ähren auf festen Stängeln trotzten dem Wind. Auch die Häuser des Dorfes wirkten adrett und gepflegt – soweit Doug das in der Dunkelheit erkennen konnte. Die Bauernhäuser lagen meist fern von der Straße, inmitten der Felder, und die Katen der Bergarbeiter, zu denen kleine Gartenstücke gehörten, waren im Regen nur als kleine Trutzburgen gegen das Wetter zu erspähen. Immerhin brannte in den meisten von ihnen ein Licht – die Menschen konnten sich also Talglichter und ein Kaminfeuer leisten.

Die Straßen des Dorfes waren wie ausgestorben. Es war mitten in der Woche, da besuchte hier niemand den Pub, und sonst gab es keinen Grund für einen Mann, bei diesem Wetter seine Hütte zu verlassen.

Aber Halt: Eine einsame Gestalt kämpfte sich doch durch den Regen. Doug erkannte ein eher kleines, dünnes Männchen, das sich in einen unförmigen Mantel hüllte und einen schweren Sack hinter sich herzog. Manchmal hob es ihn auch auf und versuchte, ihn sich über die Schulter zu werfen, aber dafür schien seine Kraft nicht zu reichen. Es kam aus einem der Feldwege. Hatte es im Schutz dieser Nacht womöglich irgendwelche Feldfrüchte gestohlen und versuchte nun, seine Beute in Sicherheit zu bringen? Dafür schien es jedoch nicht wachsam genug, sondern mühte sich ganz selbstverständlich weiter, obwohl es die Pferde gesehen haben musste.

Wo der Feldweg in die befestigte Straße mündete, trafen sie schließlich zusammen.

»Einen guten Abend wünsche ich!«, meinte Doug gut gelaunt. »Wo wollt Ihr hin in einer Nacht wie dieser?«

Das Geschöpf sah auf, und Doug erkannte weibliche Formen unter dem verschlissenen, durchnässten Tuchmantel. Ein Mädchen!

»Auch Euch eine gute Nacht, Herr«, grüßte sie mit so heller und klarer Stimme, dass sie Doug aufhorchen ließ. Es war fast, als sänge sie die Worte, sie schien dem Satz eine Melodie zu geben, wie er sie süßer noch nie gehört hatte.

Doug hörte neben sich ein Schnauben von Francis. »Schau an, unsere Dorfhexe wandelt mal wieder auf dunklen Pfaden ...«

Die junge Frau stellte ihren Sack ab und versuchte, zu Atem zu kommen.

»Wäre ich eine Hexe, Master Francis, so hätte ich diesen Regen längst verjagt und uns ein wenig Mondlicht beschert. Mir gefällt dieser Pfad auch nicht, aber Kinder werden selbst in Regennächten geboren und leider nicht immer inmitten des Ortes. Ich habe Mary vom hinteren Eckhof von Zwillingen entbunden. Und nun würde ich gern heimkehren und mich aufwärmen, wenn Ihr nichts dagegen habt.«

»Und? Leben die Kinder, oder hast du den gleichen Pfusch betrieben wie bei meiner Tochter?«

Doug warf Francis einen verwunderten Blick zu. Er kannte ihn als alten Miesepeter, aber so böse, wie er diese junge Frau anfunkelte, sah man ihn selten.

Das Mädchen seufzte, aber aus seiner Kehle klang sogar dieser erschöpfte Laut wie ein Lied. »Eins lebt, eins kam tot zur Welt. Aber die Mutter ist wohlauf. Wäre ich nicht dabei gewesen, hätte der Bauer jetzt drei Tote zu beklagen. Wie oft soll ich es Euch noch sagen, Master Francis: Niemand auf dieser Welt außer unserem Herrn Jesus Christus hätte das Kind Eurer Tochter retten können. Und nun lasst mich bitte vorbei. Ich bin müde, und dieser Sack ist schwer.«

»So bist du also Hebamme?«, fragte Doug freundlich. »Du musst neu hier sein, ich erinnere mich, dass die Dörfler früher eine Frau aus Blaemarvan holten. Aber was schleppst du da mit dir herum? Ist die Tasche einer Heilerin so schwer?«

Sie schüttelte den Kopf, wobei ihr die weite Kapuze vom Kopf rutschte. Doug gewahrte ein helles Gesicht und langes, lockiges Haar, aber ihre Züge waren im Dunkeln nicht zu erkennen, zumal sie den Kopfschutz auch gleich wieder hochzog. Sie musste entsetzlich frieren, und so, wie sie sich vorhin vorwärts geschleppt hatte, schien sie wohl völlig erschöpft.

»Meine Tasche wiegt nicht viel, aber die halte ich hier unter dem Mantel. Im Sack sind Rüben, Herr. Die Bauern entlohnen mich meist mit Feldfrüchten. Niemand hier hat viel Geld.«

»Er hätte dir den Sack auch nach Hause bringen können, statt dich damit auf den Weg zu schicken«, meinte Doug kopfschüttelnd.

Sie lachte. »Vielleicht ist er abergläubisch wie Herr Francis und meint, dass ich mich gleich beim Verlassen des Hauses auf meinen Besen schwinge und davonfliege.«

Francis gab ein Grummeln von sich. Doug dagegen fasste einen Entschluss. Gut, vielleicht ziemte es sich nicht für einen Lord, aber was schadete es schon, etwas freundlich zu sein. Geschmeidig ließ er sich aus Cougars Sattel gleiten und stemmte stattdessen den Rübensack hinauf.

»Mein Pferd trägt dies leichter als du, und ich habe es nicht eilig. Ich werde dich nach Hause bringen, zum Dank für den neuen Untertanen, dem du heute auf die Welt geholfen hast.«

Das Mädchen sah zu ihm auf, und obwohl er ihr Gesicht nach wie vor nicht erkennen konnte, meinte er ein Lächeln in ihren Worten mitschwingen zu hören. »Dem entnehme ich, dass Ihr der neue Earl of Caernon seid. Im Dorf reden alle von Eurer Ankunft. Marys Kind ist allerdings ein Mädchen, also ist es nichts mit einem neuen Bauern, der Eure Felder bestellt – auf die Gefahr hin, dass ich jetzt meine Rüben selbst tragen muss. Aber auch das Geschlecht der Babys kann ich nicht bestimmen, Herr Francis. Es ist nicht meine Schuld, dass auch Eure Nichte neulich nur ein Mädchen zur Welt gebracht hat!«

Zwischen Francis und dieser Hebamme musste wirklich eine ernsthafte Fehde bestehen.

»Mir ist auch ein Mädchen willkommen«, lachte Doug und führte Cougar neben der jungen Frau her. »Zumal der Bauer im Eckhof doch schon drei Söhne hat – oder täusche ich mich da? Wo geht es hin, Mädchen? Du musst mir schon den Weg weisen, wenn ich mein Pferd bestimmen lasse, bringt es deinen Lohn direkt in seinen Stall.«

»Immer die Straße entlang«, antwortete sie kurz. Jetzt, da sie ihre Last los war, bewegte sie sich rasch und anmutig. Doug fragte sich, wie er sie jemals für einen Mann hatte halten können. Selbst in dem wenig kleidsamen Mantel sah man doch ihre sanft geschwungenen Hüften, und ihr leicht wiegender Gang war der einer sinnlichen, ihrer Schönheit bewussten Frau. Dazu trug sie den Kopf hoch – höher als es die meisten Bauernmädchen tun, und sie zeigte sich auch erstaunlich furchtlos. Doug war ihr Herr, unzweifelhaft arbeitete ihr Vater in der Mine oder irgendwo als Tagelöhner auf seinem Land. Und doch sprach sie mit ihm offen und belustigt fast wie mit ihresgleichen. Doug brannte darauf, ihr Gesicht zu sehen und zu erkunden, ob sie wirklich rotes Haar hatte, wie man es den Hexen nachsagte. Er selbst glaubte allerdings nicht an Hexerei. Dazu hatte er zu viele Scheiterhaufen überall in Europa brennen sehen, und immer waren nur Menschen darauf gestorben, denen kein Gott und kein Satan zur Hilfe kam. Wenn dieses Mädchen sich bei Geburten geschickter anstellte als andere und Kräuter gegen diese oder jene Krankheit wusste, so deshalb, weil eine andere Hebamme ihr diese Künste vermittelt hatte. Satan ließ sich bestimmt nicht dazu herab, die Angelegenheiten der Bäuerin Mary zu regeln.

»Da du nun schon weißt, wer ich bin, lass mich auch deinen Namen erfahren«, meinte Doug schließlich, als die junge Frau vor einer dunklen, ärmlichen Kate anhielt. Innen war es nicht ganz finster, aber nach flackerndem Feuer sah es auch nicht aus, höchstens, als habe jemand gerade so viel Holz nachgelegt, um die Glut bis zum Morgen zu halten.

»Ich bin Elizabeth«, sagte das Mädchen. »Und ich danke Euch von Herzen für die Hilfe. Wenn ich Euch einmal dienlich sein kann – Euch oder Eurer Lady ...« Sie schulterte den Rübensack und wollte sich zum Gehen wenden.

»Bislang gibt es noch keine Lady in Caernon Castle«, meinte Doug. »Noch konnte keine Frau mich verzaubern ...« Er zwinkerte Elizabeth zu, aber es war unwahrscheinlich, dass sie dessen im Dunkel der Nacht gewahr wurde. Auf jeden Fall antwortete sie völlig sachlich. Offensichtlich zog sie es vor, die Anzüglichkeit seiner Worte zu überhören.

»Ich könnte Euch auch eine Medizin für Euren Diener bringen« – sie wies auf Francis – »die seine Gichtschmerzen beruhigt. Aber das will er ja nicht. Dabei heißt es doch, wer Hexensalbe auftrüge, der verstünde in der Walpurgisnacht zu fliegen. Das käme einem so unwilligen Reiter wie ihm sicher zupass.«

Francis grummelte wieder, jetzt vor kaum unterdrücktem Zorn.

Doug lachte. »Ich denke an dich, wenn es mich nach Flügeln gelüstet«, neckte er sie. »Bis dahin wünsche ich eine gute Nacht, Elizabeth.«

»Das wünsche ich Euch auch, Mylord.«

Doug sah ihr nach, als sie ihren Rübensack in einen Verschlag neben der Haustür zerrte und dann in der Kate verschwand. Er fühlte sich seltsam leicht und geradezu unverschämt gut gelaunt. Womöglich konnte dieses Mädchen ja wirklich zaubern ... Er würde sie morgen finden und herausfinden müssen, welche Farbe ihr Haar und ihre Augen hatten ...

In den nächsten Tagen hatte Doug allerdings anderes zu tun, als dem Traumbild einer kleinen Zauberin nachzujagen. Die Geschäfte rund um Caernon County duldeten keinen Aufschub. Dougs Vater hatte keinen Verwalter beschäftigt, sondern sich bis zuletzt selbst darum gekümmert. In den Tagen nach seinem Tod war folglich vieles liegen geblieben. Dazu mussten die Felder und vor allem die Mine inspiziert werden. Es war wichtig, dass der neue Earl of Caernon sich den Bauern und Bergarbeitern zeigte. Und auch die adlige Nachbarschaft ließ Doug nicht zur Ruhe kommen. Es gab Beileidsbekundungen des Dukes of Glenmorgan und der anderen Peers zu beantworten – und die ersten Kondolenzbesucher trafen auch schon am Tag nach Dougs Ankunft ein, bevor der noch Zeit gehabt hatte, sich wieder mit seinem Land und seinen Leuten vertraut zu machen. Doug fragte sich, wie der Earl of Blaemarvan überhaupt schon von seinem Kommen gehört haben konnte. Aber irgendwie musste es sich herumgesprochen haben. Der Lehnsherr des nächstgelegenen Landgutes traf jedenfalls schon am nächsten Nachmittag ein – wobei er nicht nur eine Eskorte von zwanzig Rittern, sondern auch ein Mädchen mitbrachte. Doug beobachtete vom Söller aus, wie er ihr galant aus dem Sattel half. Der junge Graf seufzte. War das die Gattin des alten Ritters? Dann musste er erst vor kurzem gefreit haben, denn die Frau machte einen eher jungen Eindruck. Vielleicht also auch seine Tochter. Natürlich. Die Stellung der ›Lady of Caernon‹ war vakant. Wahrscheinlich musste er in Zukunft mit etlichen Besuchern rechnen, die ihre Töchter und Nichten an den Mann bringen wollten.

Wie auch immer, der Brauch verlangte, dass er Lord Blaemarvan höflich entgegentrat. Doug begab sich also hinunter in den Hof, nicht ohne die Diener unterwegs anzuweisen, Wein und Erfrischungen in die Halle seines Vaters zu bringen. Dann begrüßte er die Besucher auf der Treppe zum Wehrgang und zu den Wohnräumen.

Lord Blaemarvan war ein kräftiger, rotgesichtiger Mann, bekannt für sein aufbrausendes Wesen und oft übergroße Härte gegenüber seinen Bauern und Arbeitern. Doug jedoch näherte er sich jetzt in überbordender Herzlichkeit.

»Doug of Caernon! Der verloren geglaubte Erbe. Ihr ahnt nicht, welche Märchen die fahrenden Sänger über Eure Abenteuer in der Fremde erzählen! Aber nun seid Ihr heimgekehrt. Leider aus traurigem Anlass.« Lord Blaemarvan überschlug sich mit Beileidsbekundungen. Doug nahm sie mit ernstem Gesicht entgegen. Dabei konnte er nicht umhin, neugierig zu dem Mädchen zu schielen, das züchtig ein paar Schritte hinter dem Grafen stand und dessen Schleier seine Züge noch nicht voll ans Tageslicht brachten.

»Und ich wollte unbedingt der Erste sein, der Euch in der Heimat willkommen heißt! Wenn Ihr Beistand braucht, wenn ich Euch Erntehelfer oder anderes Personal zur Verfügung stellen soll, braucht Ihr es nur zu sagen.«

Doug dankte freundlich, hätte aber am liebsten die Augen verdreht. Warum sollte Caernon plötzlich auf Erntehelfer aus Blaemarvan angewiesen sein? Die Bauern dort würden sich bedanken, wenn ihr Herr sie von der eigenen Arbeit abzöge und zur Fronarbeit in einer anderen Grafschaft zwänge. Nein, dieses großherzige Angebot musste andere Gründe haben. Offensichtlich suchte Lord Blaemarvan nur nach einem Vorwand, seine Nase so bald wie möglich in Dougs Angelegenheiten zu stecken.

»Darf ich Euch übrigens meine Tochter Lissiana vorstellen?«, meinte er schließlich. »Sie bestand darauf mitzukommen. Sie hörte, bei Euch stünde ein Fohlen zum Verkauf, das sie sich gerne ansehen möchte.«

Doug hatte keine Ahnung, wie viele Fohlen es momentan im Stall von Caernon gab – und er hielt auch dieses Ansinnen für eine Finte. Lissiana dürfte sich weniger für Frischblut im Pferdestall als auf dem Heiratsmarkt interessieren. Nun aber trat sie näher, hob ihre Schleier, und dem jungen Mann stockte kurz der Atem.

Dieses Mädchen war eine Schönheit! Samtig weiches, dunkelbraunes Haar umrahmte ein klares, aristokratisches Gesicht, beherrscht von wachen, dunkelgrünen Augen. Sie wirkten etwas schräg und lauernd. Sicher würden sie Katzenaugen gleichen, wenn etwas Lissiana erzürnte, aber diese verhaltene Wildheit machte das Mädchen gerade reizvoll. Lissianas Teint war hell und ebenmäßig wie Elfenbein. Keine Sommersprosse störte das perfekte Bild. Ihre Lippen war weich und rot wie reife Kirschen, der Mund vielleicht etwas zu groß, aber auch das unterstützte den Eindruck von Sinnlichkeit, schlummernd unter der Fassade der höheren Tochter.

Lissiana knickste artig. »Auch ich heiße Euch im Land Eurer Väter willkommen«, sagte sie mit leiser Stimme. Sie verhauchte etwas, hinter jedem der überaus höflichen Worte schien ein verborgenes Versprechen zu stehen. »Völlig fremd seid Ihr mir jedoch nicht. Erinnert Ihr Euch, wir haben als Kinder zusammen gespielt.«

Doug runzelte die Stirn und lächelte bei der Erinnerung.

»Gespielt? Ihr habt mir das Gesicht zerkratzt, nachdem ich Euch beim Wettlauf besiegt hatte!«

»Erst, als ihr dafür einen Kuss als Siegespreis von mir fordertet! Ihr sagtet, das sei am Artushof durchaus üblich gewesen, aber ich hatte nicht die geringste Lust, Euch abzuschmatzen.« Ihre Augen blitzten noch beim Gedanken an seine damaligen, ungeschickten Annäherungsversuche – und ihre erfolgreiche Abwehr. »Ich hoffe, es sind keine Narben zurückgeblieben.«

Sie nahm diese Bemerkung zum Anlass, ihm forschend ins Gesicht zu blicken. Was sie sah, schien ihr zu gefallen. Doug hatte scharfe Züge, eine gerade Nase und einen markant geschnittenen Mund. Seine Augen konnten stahlblau aufblitzen, wenn er angegriffen wurde, und im Kampf fixierte er den Gegner mit eisblauem Blick. Aber gewöhnlich lachten seine Augen eher gut gelaunt in die Welt oder blitzten mutwillig und schalkhaft auf wie jetzt.

»Nur an meiner Seele, Mylady! Aber vielleicht mögt Ihr sie ja irgendwann heilen. Ich darf sagen, dass ich mir inzwischen sehr viel größere Fertigkeiten in der Kunst des Küssens erworben habe als damals.«

»Aber kaum mehr gesellschaftlichen Schliff – wenn Ihr mir schon mit Entehrung droht, bevor ich nur Eure Burg betreten dürfte«, gab Lissiana die Neckerei zurück. »Vielleicht lasst Ihr uns erst einmal eintreten. Es wird gleich wieder regnen, wisst Ihr.«

Doug lachte und machte den Weg frei.

»Selbstverständlich seid Ihr willkommen in Caernon Castle, Lord und Lady Blaemarvan«, meinte er formvollendet. »Meine Diener haben bereits Erfrischungen vorbereitet. Darf ich Euch den Mantel abnehmen, Lady Lissiana?«

Lissiana warf ihm einen Blick zu, hinter dem fast etwas Lockendes zu stehen schien. Meinte er es nur, oder bog sich ihm ihr geschmeidiger Körper tatsächlich leicht sinnlich entgegen, als er den Mantel von ihren Schultern nahm? Auf jeden Fall schlüpfte sie mit natürlicher Anmut aus dem Panzer aus dickem Tuch und enthüllte eine perfekte Figur. Ihre Taille war so schmal, dass er sie fast mit zwei Händen umfassen konnte, ihre Hüften aber eher ausladend und ihre Brüste verheißungsvoll schwellend, gebändigt von einem Spitzenmieder, das vorwitzig aus dem Ausschnitt ihres dunkelgrünen Kleides hervorlugte. Lissiana hatte sich schlicht gewandet – schließlich ging es hier offiziell um einen Kondolenzbesuch –, aber gerade das schmucklose, gerade geschnittene Kleid betonte ihre Formen. Dazu fiel ihr Haar jetzt frei über ihre Schultern. Wie es sich für unverheiratete Mädchen ziemt, trug sie es offen, nur ein grünes Samtband hielt es beim Reiten aus dem Gesicht. Samt und Seide ... Lissianas Haar leuchtete wie glattes, geschmeidiges Seidengarn.

Zierlich nahm sie einen Becher gewürzten Wein aus Dougs Hand entgegen. »Das tut gut nach dem Ritt. Es sollte nicht mehr so kalt sein um diese Jahreszeit. Aus dem Süden seid Ihr sicher anderes gewöhnt«, bemerkte Lord Blaemarvan.

Doug nahm die Gelegenheit zur Konversation auf und erzählte ein wenig von seinen letzten Reisen. Dabei musste er sich bemühen, den Blick von Lissiana zu wenden. Nicht nur, weil ihre Schönheit ihn faszinierte, sondern auch, weil das Mädchen seinerseits ihn ständig prüfend musterte. Lissiana schien keine seiner Bewegungen zu entgehen, sie hing an seinen Lippen, aber sie nahm sich auch Zeit, seine kräftige Gestalt, die langen Beine und die starken Muskeln unter dem Lederwams mit anerkennenden Blicken zu bedenken. Dabei trank sie langsam, benetzte oft nur ihre Lippen mit dem Wein und leckte die Tropfen dann genüsslich ab, wie ein Kind, das Honig schleckt. Doug empfand unweigerlich das Verlangen, diese Lippen zu küssen, sich am süßen Geschmack des Weins und dem lockenden Mund des Mädchens zu berauschen.

»Und habt Ihr viele Eroberungen auf Euren Reisen gemacht?«, fragte sie schließlich, die Lippen leicht geöffnet, die Augen groß, fragend und doch etwas spöttisch blitzend.

»Ich war nicht auf Kriegszug, Lady Lissiana«, gab Doug scherzhaft zurück und befeuchtete jetzt auch seine Lippen leicht mit der Zunge. »Aber wenn Ihr Frauenherzen meint ... doch, da habe ich an manches gerührt. Freilich an keines, das in einem schöneren Körper schlug als dem Euren.«

»Ihr seid ein Schmeichler, Mylord«, rügte Lissiana. »Sicher habt Ihr irgendwo schon eine Liebste, die sich nach Euch verzehrt. Wartet keine Lady of Caernon in fremden Ländern, um von ihrem Gatten heimgeholt zu werden?«

»Hätte ich irgendwo eine Frau, die Euch an Schönheit vergleichbar ist, so ließe ich sie nicht allein!«, meinte Doug. »Ich bin eifersüchtig, Mylady ...«

Inzwischen genoss er die Tändelei mit Lissiana. Es war ein Spiel, ein Flirt. Aber dennoch – bei der Frage nach der Frau seines Herzens war kurz der Widerhall einer singenden Stimme in ihm aufgestiegen, einer schmalen Gestalt mit regenverklebtem Haar, deren Gang wie ein Tanz wirkte ... Doug schüttelte unwillig den Kopf. Was fantasierte er sich da zusammen? Er hatte das Mädchen gestern nicht einmal bei Licht gesehen. Wahrscheinlich würde er sie kaum wiedererkennen. Und trotzdem – ihre Stimme hatte etwas in ihm angerührt, das ihn jetzt weniger empfänglich für Lissianas Reize machte, als er es sonst gewesen wäre. Daher wandte er sich nun auch wieder verstärkt ihrem Vater zu. Lord Blaemarvan erzählte von seiner Silbermine, deren Ertrag sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt hatte.

Doug fand dafür bewundernde Worte. »Auch die unsere bringt gutes Geld. Aber eine solche Steigerung ... Wie habt Ihr das gemacht, Blaemarvan? Deutlich vergrößert? Oder modernere Fördermethoden? Ich beabsichtige, neue Gerätschaften aus England kommen zu lassen. Wir wollen die Schächte jetzt grundsätzlich abstützen, dann kann man sie tiefer in den Berg treiben – und breiter. Das vereinfacht auch die Arbeit der Männer.«

Lord Blaemarvan lachte. »Das ist Euer Fehler, Doug! Genau wie der Eures Steigers. Ihr legt zu viel Wert auf Sicherheit und macht Euch zu viele Gedanken, wie Ihr das Silber aus der Erde kratzt. Mich kümmert das nicht sehr, dafür sind die Arbeiter zuständig. Wenn einer seine Familie ernähren will, muss er heranklotzen, ich zahle keine hohen Löhne. Das hält sie besser bei der Stange als neue Schächte, in denen sie sich dann womöglich so wohl fühlen, dass sie gar nicht mehr zum Hauen kommen.«

Doug runzelte die Stirn. »Das ist wohl übertrieben, Mylord. Wart Ihr einmal in einer Mine? Dort unten wird man sich schwerlich wohl fühlen – wenn man nicht gerade die Bedürfnisse einer Made hat, so dunkel, eng, feucht und heiß, wie es da unten ist. Ich bin jedes Mal froh, das Tageslicht wiederzusehen, und das wird den Männern nicht anders gehen. Warum soll ich sie da noch zusätzlich schinden? Caernon County ist reich, ich habe alles, was ich zum Leben brauche.«

»Vielleicht wünscht sich Eure Lady aber irgendwann ein wenig Luxus ...« hauchte Lissiana. Das Gespräch der Männer langweilte sie, und sie spielte mit ihrem Weinkelch. Ein Gefäß, das ihr eigentlich hätte Luxus genug sein sollen. Es war goldbesetzt und mit fein ziselierten Ornamenten geschmückt. Stilisierte Blumenranken, die sich um bunte Edelsteine wanden. Lissiana zeichnete ihre Windungen mit dem Finger nach, eine Bewegung, die wie ein Streicheln wirkte.

»Bislang hat sich noch keine Frau darüber beschwert, dass ich knauserig wäre«, meinte Doug lässig. »Zudem ich gedenke, aus Liebe zu heiraten. Die Frau, die ich erwähle, sollte auch bereit sein, mit mir die ärmlichste Hütte zu teilen.«

»Ihr seid ein Träumer, Caernon«, polterte Blaemarvan. »Aber sei’s drum, die Frauen lieben das, Was war nun mit dem Pferd, Lissiana?«

Lissiana sah sich wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und stellte den Kelch zurück auf den Tisch.

»Oh, ich hörte, Ihr hättet ein schwarzes Fohlen von Eurem Hengst – und ich suche einen neuen Zelter. Vielleicht ... würdet Ihr es mir zeigen?« Ihre Augen leuchteten. Sollte sie sich wirklich für Pferde interessieren? Oder war da noch ein anderer Ausdruck, der für Lockung und Verführung stand?

»Mein Hengst macht keine Zelter, Fräulein, eher Reit- und Arbeitspferde. Sie sind schön, stark und auch recht schnell. Aber einen besonders weichen Gang haben sie nicht.« Doug beschloss, ihr Ansinnen einfach so sachlich aufzunehmen, als ginge es um einen x-beliebigen Pferdekauf.

»Sehe ich aus, als brauchte ich ein sanftes Pferd?«, fragte Lissiana mit einem mutwilligen Aufblitzen ihrer schönen Augen. Dabei straffte sie sich, hob stolz den Kopf und nahm die Haltung einer Reiterin im Damensattel an. Wenn sie so selbstbewusst und gerade zu Pferde saß wie jetzt in ihrem Sessel, mochte sie wohl jedes Ross bändigen können.

»Ich sprach nicht von wilden Tieren, sondern von solchen mit weichem Gang.« Doug wusste nicht, warum er auf ihre Provokation nicht reagierte. Sonst hätte er es genossen, ein paar Worte über die Zähmung von Pferden und Wildkatzen zu verlieren, aber immer wieder schob sich das schemenhafte Bild des Mädchens im Regen vor die personifizierte Anmut, die hier vor ihm saß und irgendein Spiel zwischen Verführung und Brautwerbung abzog. Die singende Stimme der kleinen Hebamme verfolgte ihn, und er dachte an die zarte, nicht fordernde, sondern eher fragende Bewegung, mit der sie zum Abschied Cougars Nüstern gestreichelt hatte. Sanft, fast scheu und vor allem nicht aufdringlich, nicht einmal einem Pferd gegenüber. »Tatsächlich sind Cougars Fohlen wahre Engel, leicht zu handhaben. Wer den Kampf mit seinem Pferd sucht, wird sie nicht schätzen.«

»Nun zeigt ihr schon den Gaul!« Lord Blaemarvan schien langsam die Geduld zu verlieren. Pferde interessierten ihn offensichtlich gar nicht – außer vielleicht als Geldanlage oder vierbeiniges Schmuckstück. Der Schimmel, den Lissiana vorhin geritten hatte, war ein erlesenes Ross.

Lissiana stand auf. »Ja wirklich, ich möchte das Tier sehen. Vielleicht kann man es einmal mit meinem Schimmel paaren und hätte dann Schönheit, Sanftmut – und Feuer.« Bei den letzten Worten fixierte sie Doug mit jetzt unzweifelhaft lockenden Blicken. Ihre Lippen bebten dabei leicht.

»Also kommt«, lud Doug sie ein. Irgendein Stutfohlen sollte sich in den Ställen wohl finden lassen. Er führte Lissiana – Lord Blaemarvan hielt es offensichtlich nicht für nötig, seine Tochter zu begleiten – die Stiege hinunter zu den Stallungen. Tatsächlich wurde er schon beim ersten Blick über die Boxen eines Jährlingsfohlens gewahr, das sehnsüchtig durch ein Fenster nach draußen blickte und nun tänzelte und lauthals wieherte, als ihm die Aufmerksamkeit der Menschen zuteil wurde. Natürlich, die kleine Stute war ihm gestern schon aufgefallen. Sie stand wegen einer leichten Verletzung im Stall, in ein paar Tagen würde man sie wieder in die Aufzuchtherde in die Berge entlassen. Offensichtlich konnte sie es kaum abwarten.

»Hier, das dürfte sie sein«, meinte Doug. Aber Lissiana warf nur einen flüchtigen Blick auf das Fohlen.

»Ein rassiges Tier«, hauchte sie. »Würdet Ihr es für mich zähmen? Sicher habt Ihr doch Übung im Zähmen von rassigen Weibern.«

Sie schob sich näher an ihn heran, gab vor, in die Box blicken zu wollen, und tat, als ob sie dabei stolperte. Doug fing sie auf. Er streifte dabei ihre Brust und umfasste ihre schlanke Taille.

Lissiana machte keinen Versuch, sich wieder von ihm zu lösen. »Verzeiht mein Ungeschick«, meinte sie nur. »Es ist dieses Korsett, meine Zofe pflegt es zu eng zu schnüren. Manchmal meine ich, keine Luft mehr zu bekommen.« Sie hob ihm den Kopf entgegen, die Lippen leicht geöffnet.

Doug wollte schmunzeln über diese kaum verhüllte Annäherung, aber dann zog ihr Anblick ihn doch in seinen Bann. Sie war schön, ihre Haut jetzt vor unterdrückter Erregung, vielleicht auch Spannung und Scham leicht gerötet, die Augen strahlend. Warum sollte er das Mädchen nicht küssen? Ihr nicht anbieten, das Korsett für sie zu lösen?

Entschlossen beugte er sich zu ihr herab und schmeckte die Süße ihrer Lippen. Seine Zunge erforschte ihren warmen, einladenden Mund, fuhr entlang ihrer kleinen, geraden Zähne und umschmeichelte ihren Gaumen. Doug schmeckte Gewürze und Wein, fühlte sich aufgenommen und umschmeichelt von einer Frauenzunge, die sicher auch nicht zum ersten Mal küsste. Dabei nahm er das Mädchen mit allen Sinnen wahr, seine Hände wanderten an ihrer Taille hinab zu den Hüften, streichelten weiche Rundungen unter dem eng anliegenden Kleid. Bereitwillig und ohne Scheu, eher mit kaum verhohlener Erregung drängte sich ihr Körper dem seinen entgegen. Doug reagierte heftig, als ihre Hände sich auch in seine intimsten Regionen vortasteten. Er spürte, dass er hart wurde und langsam in ein Vorstadium der Ekstase geriet. Sein Atem ging schneller, und er nahm ihren Duft in sich auf, eine aufregende Mischung von Brombeere und Veilchen, erdige, heimatliche Düfte, die er lange vermisst hatte. Lissiana roch nach dem Land, das er liebte – und doch versprach sie lustvolle Reisen zu den fernsten Gestaden der Seligkeit. Vielleicht war sie wirklich diejenige, die das Schicksal hier für ihn bereithielt. Das Mädchen, von dem er träumte, seit er Venedig verlassen hatte. Aber irgendwo in seinem Kopf übertönte jetzt eine singende Stimme den Lockruf der Lust. ›Könnte ich zaubern, Mylord ...‹ Die kleine Hexe von gestern Nacht. Das zarte, geschmeidige Ding, das sich tapfer durch den Regen kämpfte und sich spröde zur Wehr setzte, als Francis es anging.

Weiß Gott, das Mädchen konnte zaubern! Doug stand immer noch in seinem Bann, selbst Lissianas Umarmung konnte die Erinnerung nicht auslöschen. Langsam und vorsichtig löste er sich von ihr. Immer noch atemlos ordnete er seine Kleider.

»Was ist los, mein Herr? Vermag ich Euch nicht zu fesseln?«, fragte Lissiana verwundert. Ihre Worte sollten neckisch klingen, aber es schwang auch ein leichter Anflug von Beleidigung, wenn nicht sogar Wut darin mit.

»Nein, das ist es nicht ...«, meinte Doug. »Kein Kuss könnte süßer sein als der Eure. Aber ... da ist etwas, das ich noch nicht beendet habe. Ich möchte damit fertig sein, bevor ich etwas Neues wage.«

»Also doch eine Geliebte in der Fremde, die Ihr nicht vergessen könnt?«, fragte das Mädchen stirnrunzelnd. Mit einer lasziven Bewegung strich sie sich eine Strähne ihres leuchtenden Haars aus dem Gesicht, die sich bei ihrem wilden Kuss gelöst hatte.

Vielleicht gar nicht so fern, dachte Doug. Aber das würde er Lissiana nicht verraten. Stattdessen druckste er etwas herum und sprach von vergessenen Pflichten und seiner noch schmerzenden Trauer um seinen Vater. Bislang mochte er einfach noch nicht an Bindung denken, und für einen flüchtigen Moment der Erregung sei ihm Lissiana zu kostbar.

Das Mädchen wirkte insofern nicht verstimmt, als er ihr kurz darauf auf ihren Schimmel half. Zum Abschied nickte sie ihm strahlend und huldvoll zu. Gut, die Begegnung im Stall war vielleicht nicht so leidenschaftlich verlaufen, wie Lissiana es gehofft hatte, aber die junge Lady schien doch nicht gänzlich unzufrieden mit dem Ergebnis ihrer ersten Begegnung.

Und Doug? Der wusste nicht recht, was er denken sollte, als er Lord und Lady Blaemarvan verabschiedet hatte und langsam zurück zu den Ställen ging. Lissiana wäre eine gute Partie. Die ideale Lady of Caernon – gleichrangig, exzellent erzogen und alleinige Erbin der Güter ihres Vaters. Die grenzten obendrein an Caernon, es wäre ein Leichtes, die Verwaltung der Güter zusammenzulegen. Mit Lissiana freite Doug zugleich eines der größten Vermögen des Landes. Dazu war das Mädchen traumhaft schön – und schien nicht prüde zu sein.

Doug musste nur die Erinnerung an die kleine Zauberin Elizabeth abschütteln – die so vehement darauf bestand, keine Hexe zu sein. Er lächelte bei der Erinnerung an den Tadel in ihrer singenden Stimme. Aber auch deren seltsamen Nachhall musste er vergessen. Es ging nicht an, dass sie sich immer wieder in seine Gedanken stahl.

Nun, vielleicht war das ja ganz einfach. Wahrscheinlich musste er ihr nur bei Tageslicht wieder begegnen, die Traumgestalt durch das Bild eines wirklichen, vielleicht sogar wenig reizvollen Mädchens ersetzen.

Doug beschloss zum zweiten Mal, Elizabeth zu suchen. Leider erinnerte er sich nicht mehr genau, vor welchem Haus er sie abgesetzt hatte. Aber das war egal – es wäre ohnehin nicht sehr schicklich gewesen, wenn der Earl of Caernon eine Hebamme in ihrer Hütte aufsuchte! Aber Morgen würde er die Mine inspizieren und dabei vermutlich dem halben Dorf begegnen. Wenn sie nicht ganz von allein auftauchte, musste er einen Vorwand finden, die Leute nach ihr zu befragen. Francis’ Gicht vielleicht ... Doug lachte bei dem Gedanken. Der alte Diener würde fluchen, wenn er davon hörte.

Verheissungsvolle Sehnsucht

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