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Drittes Kapitel

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Doug erreichte die Mine schon kurz nach Sonnenaufgang, aber nicht früh genug, um die Männer beim Einfahren zu begleiten. Die Schicht der Bergleute begann vor Tau und Tag – und dauerte zehn Stunden. Dabei zählte allerdings nur die Zeit, in der die Männer wirklich Silber abbauten. Der Ab- und Aufstieg in die Grube, beides oft mit längeren Wartezeiten verbunden, kamen hinzu. Ein Arbeiter war insofern bis zu zwölf Stunden in der Mine – im Winter kam es vor, dass die Männer das Tageslicht nur am Sonntag sahen.

Doug wusste das und brachte seinen Bergleuten großen Respekt entgegen. Er hatte als Jüngling selbst ein paar Tage in der Mine gearbeitet. Sein Vater bestand darauf, dass er nicht nur die Verwaltung der Erträge erlernte und sich mit den Bankiers und Zwischenhändlern des Silbers herumschlug, sondern auch wusste, wie sich der Abbau als solcher gestaltete. Um ihm dies aus erster Hand zu vermitteln, hatte er ihn kurzerhand Richard Edwards, seinem erfahrensten Steiger, als Lehrling zugeteilt. Richard – Dick, wie die Männer ihn nannten – war vor Jahren bei einem Bergsturz verletzt worden und hatte seitdem ein steifes Bein. Dougs Vater beschäftigte ihn hauptsächlich als Verwalter, und Doug musste jetzt noch lächeln, wenn er daran dachte, wie der alte Dick seinen adligen Lehrjungen herumgeschubst hatte! Zunächst war der junge Lord höchst brüskiert ob des rauen Umgangstones gewesen, aber nach ein paar Stunden im Schacht gab sich das. Wer hier arbeitete, dachte nicht an Standesschranken. Wenn man überleben wollte, war man aufeinander angewiesen, Pfusch und Dünkelhaftigkeit konnten nicht geduldet werden. Schließlich war aus anfänglichem Misstrauen Freundschaft geworden, und der junge Lord und sein Steiger umarmten einander herzlich, als Richard aus der Mine kam, nachdem Doug die Glocke geläutet hatte.

Der junge Earl bekam dabei gleich seinen Anteil Steinstaub ab, denn auch wenn Richard nicht mehr selbst als Hauer arbeitete, sondern nur noch die Aufsicht führte: Sauber kam niemand aus der Mine.

»Wollt Ihr ein Bier mit mir trinken, junger Herr?«, fragte der Steiger gut gelaunt. »Meine Frau hat gestern gebraut, es wird Euch gewiss schmecken nach dem langen Verzicht. Oder habt Ihr dort im Ausland andere Genüsse schätzen gelernt?«

Doug schüttelte lachend den Kopf. »Etwas Besseres als das Bier, das Anna braut? Wie sollte das gehen? Der Gedanke daran war ein ständiger Stachel in meinem Fleisch. Ich hatte regelrecht Heimweh nach ihrem Gebräu! Aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Du hast mir selbst gesagt, dass auch der kleinste Schluck Alkohol verboten ist, wenn man in die Aline geht.«

»Ihr wollt einfahren, Mylord? Das hätte ich nicht erwartet. Ich habe die Bücher für Euch herausgesucht, ich dachte, es geht um die Erträge. Aber gut, wenn Ihr möchtet. Ich werde den Förderkorb holen lassen.« Der alte Dick gab mittels Zug an ein paar Stricken ein Signal nach unten, und gleich darauf hörte man das Scheppern von Eisen und das Ächzen sich spannender Seile.

»Natürlich geht es mir um die Erträge, Dick«, meinte Doug und musterte die Seilkonstruktion, der er gleich sein Leben anvertrauen würde. »Aber deren Quelle liegt doch wohl nicht in den Büchern. Ich habe auch auf meinen Reisen Bergwerke besucht. Es gibt ein paar technische Neuerungen, die vielleicht auch unsere Förderung verbessern und die Arbeit vereinfachen dürften.«

Der Förderkorb war inzwischen am Tageslicht, und Doug untersuchte den primitiven Aufzug genau, bevor er sich hineinbegab. Die Einrichtung war alt und klein, mehr als zwei Leute auf einmal konnte man nicht darin transportieren. Dazu dauerte es lange und war schwierig, allein sechs Männer mussten die Haspel bedienen. Das war ein Risiko – im Falle eines Bergsturzes, eines Brandes oder Wassereinbruchs im Stollen würde es kaum möglich sein, die ganze Belegschaft zu retten. Allerdings war die Anlage gut gepflegt, der Flaschenzug aus Seilen erst kürzlich erneuert. Sicher brauchte niemand befürchten, mit diesem Aufzug zu Tode zu stürzen. Das kam sonst leider häufig vor. Niemand beaufsichtigte die Minen, es war gänzlich dem Gutdünken der Betreiber überlassen, ob sie Sicherheitsmaßnahmen ergreifen wollten oder nicht.

Doug nickte Richard anerkennend zu. »Wie sieht es aus mit dem Schacht? Müssen wir bald neu graben?«, erkundigte er sich.

Richard zuckte die Achseln. »Ich fürchte, Sir. Silber ist noch genug da unten, aber der Schacht wird mir zu lang. Ich hab Angst, dass er einstürzt.«

Doug nickte. »Darüber wollte ich gerade mit dir reden. Es gibt neue Methoden, die Stollen zu sichern. Wir könnten längere Schächte bauen und die Mine länger nutzen.«

»Klingt gut«, meinte Richard. »Aber dafür muss der Einstiegsschacht breiter werden, wenn Holzbalken und Bretter mit runter sollen. Aber nun kommt, wenn Ihr schon darauf besteht, die Hölle in Augenschein zu nehmen. Glück auf, Mylord!« Der Aufzug war endlich verankert, und Dick entzündete eine der Grubenlampen.

»Glück auf, Steiger!«, grüßte Doug ehrerbietig wie damals als Lehrling, und Dick zwinkerte ihm zu.

Doug folgte dem Steiger in den Korb. Er musste wie immer einen Anflug von Furcht überwinden, als er Sonne und Tageslicht hinter sich ließ und in die ewige Dunkelheit des Berges eintauchte. Er war nicht ängstlich, aber er glaubte, dass es jedem Mann so gehen musste, egal ob er einmal im Leben oder täglich in die endlose Nacht einfuhr. Selbst alte Hasen wie Dick bekreuzigten sich jedes Mal vor dem Bild der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Natürlich war es unter Tage nicht wirklich stockdunkel. Im Gegenteil, gerade die Mine der Caernons galt als hell erleuchtet. Dougs Vater hatte niemals an Grubenlampen gespart, aber mehr als ein unwirkliches, gelbliches Zwielicht war auch mit den besten Öllampen nicht zu erreichen. Dougs Augen brauchten einige Zeit, um sich daran zu gewöhnen. Richard schaffte das schneller. Er öffnete die Tür des Aufzugs und ließ dem Lord den Vortritt. Der Raum, in den sie ausstiegen, war ziemlich groß. Man konnte hier aufrecht stehen, die Wände wirkten sicher, und auf den Gedanken, die Decke mit Holzbalken abzustützen, war Dick auch schon ganz von allein gekommen. Ein paar Bergleute schaufelten das erzhaltige Gestein in Transportkörbe, die andere heranbrachten, und ein junger Mann notierte gewissenhaft, wie viele erzgefüllte Kiepen jeder Hauer heranschleppte. Die Männer nickten dem Steiger grüßend zu und warfen prüfende Blicke auf seinen Begleiter. Als Richard Doug vorstellte, verbeugten sie sich tief, begannen aber gleich darauf, miteinander zu tuscheln. Ein Adliger, der persönlich die Minen inspizierte, war eine Sensation.

Richard führte seinen Besucher weiter. »Hier ist der Hauptschacht. Etwas weiter hinten geht ein weiterer ab.« Dick musste hier schon schreien, denn der Lärm in der Mine war infernalisch. Die Hammerschläge in den engen Schächten hallten in der ganzen Grube wider. Je weiter sie in den Berg vordrangen, desto enger und heißer wurde es auch. Die Gelehrten führten das darauf zurück, dass man dem Höllenfeuer näher kam, das angeblich aus glühender Lava bestand. Ähnlich dem Teufelszeug, das Vulkane wie der Ätna auch heute noch versprühten. Doug hatte es sich nicht nehmen lassen, in Italien persönlich einen Blick auf den Feuer speienden Berg zu werfen. Die Bergleute witzelten, dass sie in der Mine den Odem des Teufels spürten – und so mancher fürchtete sich sein Leben lang davor, gleich hier vom Teufel geholt zu werden.

Doug musste sich jetzt schon sehr bücken, um im Schacht vorwärts zu kommen, und die Männer arbeiteten zum Teil auf den Knien. Die Lampen erhellten diesen Stollen nur noch unzureichend, dazu wurde die Sicht von Staub getrübt. Doug konnte nur mühsam ein Husten zurückhalten. Nervös warf er einen Blick auf den Vogelkäfig, der mitten im Schacht aufgehängt war. Das kleine Tier darin wirkte munter, also war die Atemluft gut. Wären irgendwo giftige Dämpfe ausgeströmt oder würde die Luft zum Atmen knapp, hätte das Vögelchen die Männer rechtzeitig gewarnt.

»Wenn man hier verschalen würde, könnte man aufrecht stehen«, bemerkte Doug gegenüber Dick. »Man hätte bessere Sicht und vor allem wäre es sicherer. Mal ganz abgesehen davon, dass man länger graben könnte.«

Bislang beschränkte sich Caernons Silbermine auf eher kurze Stollen. Spätestens alle drei Jahre wurde neu gegraben und ein neuer Einstiegsschacht erstellt. Das war teuer und immer etwas riskant. Schließlich konnte niemand genau wissen, ob es in der neuen Mine wirklich Silber gab.

Inzwischen waren die Männer zurückgekehrt, die ihre Körbe am Ausgang geleert hatten. Sie nahmen die Traggestelle ab, ergriffen ihre Hacken und machten sich wieder an die Arbeit. Die meisten schlugen dabei einfach aufs Geratewohl auf die Minenwände ein. Nur ein dunkelhaariger, junger Mann schien sich mehr Gedanken zu machen.

»Da verläuft die Ader einfach nicht, Rob, das ist Felsgestein, in der Richtung zu graben bringt nichts!«, versuchte er dem offensichtlich stärksten Hauer verständlich zu machen. Der vierschrötige, bullige Mann hieb mit wilder Kraft auf das Gestein ein und schien den Stollen fast allein mit jedem Schlag tiefer in den Berg zu treiben. Nur Erz fiel dabei nicht ab.

»Da kommt schon gleich Erz!«, brüllte der Bergmann im Brustton der Überzeugung zurück, aber der Jüngling – Doug erkannte ihn jetzt als den Mann, der vorher die Erträge notiert hatte – schüttelte den Kopf. »Nicht so bald, Rob, vielleicht gar nicht. Sieh, du musst dir den Berg vorstellen wie ... also so, als habe ein Riese ein Schmalzbrot gefaltet und zerdrückt.« Der junge Mann machte dabei Bewegungen, als lege er zwei Stullen übereinander, klappe das Brot dann noch zwei Mal um und presse es schließlich zusammen. »Dann ist der Belag auch nicht irgendwo, sondern nur da, wo die Wucht des Zudrückens ihn hinpressen konnte. Wo vier Schichten Brot übereinander lagen, wirst du kaum Schmalz finden, aber wenn du Schmalz hast, musst du seinem Verlauf folgen, dann findest du mehr. Du musst der Silberader folgen. Und die verläuft in die andere Richtung.«

Doug lachte über die stark vereinfachende, aber doch einleuchtende Erklärung. Der vierschrötige Hauer schien tatsächlich gewillt, den Ausführungen des eher schmächtigen Jünglings zu folgen. Auch der alte Dick trat näher heran, um den Schacht zu prüfen.

»Er hat Recht, Rob«, urteilte der Steiger. »Schau, hierhin führt die Spur. Mach hier weiter, und am Ende des Tages wirst du um etliche Kupferpfennige reicher sein!« Aufmunternd lachte er beiden Männern zu, und gleich darauf platzte tatsächlich Erz unter den wuchtigen Schlägen des Hauers aus der Wand.

Doug und Richard verließen die Arbeiter mit anerkennendem Nicken.

»Meine Hochachtung, Richard, deine Männer sind hervorragend geschult!«, meinte Doug. »Gut, dieser Rob hat es wohl mehr in den Muskeln als im Kopf, aber wie der Kleine es ihm erklärt hat – das hätte ich kaum besser machen können. Erzählst du ihnen, wie das Silber dereinst in den Berg kam?«

Richard zuckte die Schultern. »Gelegentlich. Mal hier, mal da. Aber dem da musste ich’s nicht sagen, der weiß fast mehr über den Berg als ich. Vielleicht war sein Vater Steiger. Ich weiß es nicht, er ist nicht von hier. Ihm selbst fehlt es ein bisschen an Kraft, als Hauer schafft er nichts weg. Ich vermute, dass er deshalb von einer anderen Mine entlassen wurde. Aber ich behalte ihn, er ist fleißig und kann abwiegen und Zahlen schreiben. Und manchmal macht er sich ja auch sonst bezahlt. Wie eben zum Beispiel. Rob hätte noch drei Tage lang Felsen aus dem Berg geschlagen, bevor’s ihm gedämmert hätte.«

Doug musste lachen. »Du machst es schon richtig, Dick! Zeig mir jetzt die Pläne für den neuen Schacht, und anschließend lass uns die Bücher in Augenschein nehmen ...«

Doug folgte Richard zurück in Richtung Ausgang, als die Männer plötzlich Poltern und Schreie hinter sich vernahmen. Es klang ohrenbetäubend, als bräche da hinten die Hölle los. Der Widerhall fallender Steine und einbrechender Wände ließ den Schacht erbeben.

»Der Stollen! O Gott, er bricht ein!« Doug unterdrückte den Drang, kopflos zu fliehen, und wandte sich stattdessen der Unglücksstelle zu. Das Getöse dort legte sich schnell, und ganz so schlimm war es zum Glück auch nicht. Allerdings schien Rob in seinem Eifer einen ungesicherten Stollen zu weit in die Erde getrieben zu haben. Vielleicht hatten auch andere Kumpel das Gestein bereits gelockert, auf jeden Fall hatten die überaus starken Schläge des Hauers einen kleinen Erdrutsch ausgelöst. Ein paar Felsen hatten Rob unter sich begraben.

»Er lebt, Herr!«, meinte einer der anderen Arbeiter, als Doug und Richard zu ihm eilten. Beide begannen hektisch, nach dem Mann zu graben, aber der Berg stöhnte dabei warnend. Wenn sie den Abraum zu schnell wegschafften, konnten noch mehr Teile des Stollens einbrechen.

»Und wenn das da runterkommt, wird es richtig gefährlich!«, meinte Richard und wies auf das Felsgestein, das bedrohlich über ihnen hing. Vielleicht war es fester Fels, vielleicht aber auch loses Erdreich. Wenn Teile davon herunterstürzten, würden sie mehr als einen Mann begraben.

»Verzeiht, Herr, aber wir müssen den Raum um den Verletzten abstützen.« Es war eine schüchterne Stimme, und Doug erkannte die schmale Gestalt des Mannes von vorhin. Der junge Brian war neben Rob niedergekniet und hatte seine Hand genommen. »Es sieht nicht aus, als läge er im Sterben, sein Puls ist kräftig.«

»Ach was, ich bin wohlauf!«, meldete sich Robs kräftiges Organ – und schien das Geröll schon wieder in Schwingungen geraten zu lassen. »Ich war vielleicht kurz weggetreten, aber sonst ... schafft mir nur dieses Ding vom Leibe!« Der kräftige Mann versuchte, den Gesteinsbrocken selbst von seinem Brustkorb zu stemmen, aber die Männer um ihn herum geboten ihm einstimmig einzuhalten.

»Ihr seht, er kann warten«, fühlte sich Brian in seiner Einschätzung bestätigt, »Das Sicherste wäre, den Stollen vor ihm mit Holzbalken abzustützen. Wenn dann noch etwas einbricht, so höchstens hinter ihm. Dann sollten wir den Stein, der ihn festhält, mit einem Hebel vorsichtig anheben – und ihn so schnell wie möglich darunter wegziehen. Wenn es dann einbricht, soll es brechen, Hauptsache der Mann ist befreit.«

»Sonst hat es keinen getroffen? Wir werden dort hinten keine Leichen finden, wenn wir diesen Stollen vorerst aufgeben?«, fragte Richard streng.

Die Männer schauten von einem zum anderen. Nein, keiner fehlte. Rob war der Einzige, den es getroffen hatte.

»Also dann!«, meinte Doug. »Seht zu, dass ihr Balken heranschafft. Ich arbeite links mit fünf Männern, Dick, du arbeitest rechts. Schnell, aber ordentlich, unser aller Leben kann davon abhängen! Und du ... Brian, oder wie du heißt ... bleib bei deinem Kumpel und halt ihn ruhig. Er soll nicht zappeln, sonst löst er womöglich noch einen Erdrutsch aus. Schau dir dabei schon mal an, wo wir den Hebel am besten ansetzen.«

Die Männer arbeiteten in fieberhafter Eile, und so mancher bewundernde Blick traf dabei den jungen Earl, der hier wie einer der ihren schuftete. Schließlich stand die Verschalung, Dick selbst setzte die letzten Balken ein.

»Fertig!«, bemerkte er zufrieden. »Jetzt drei kräftige Männer her zum Ziehen! Hast du die Seile schon befestigt, Brian? Ja, gut. Und hier setzen wir den Hebel an ...«

Der junge Brian hatte bereits alles für Robs Bergung vorbereitet – und es dabei nicht leicht gehabt, den Mann ruhig zu halten. Der kräftige Hauer verstand überhaupt nicht, wozu die aufwändigen Rettungsarbeiten gut sein sollten. Seiner Ansicht nach hätten ihn drei Männer leicht mit einem Schwung aus seiner misslichen Lage befreien können. Dass ihnen dabei womöglich die Decke auf den Kopf gefallen wäre, entzog sich seiner Vorstellungskraft.

Dick nahm den Hebel. »Bringt euch in Sicherheit, Männer, und Mylord! Ich halte den Felsen hoch, bis der Mann drunter weg ist. Danach renne ich.«

»Ja, du rennst, mit deinem steifen Bein!« Doug schüttelte den Kopf. »Hanebüchener Unsinn, Dick, ich nehme den Hebel. Ich bin schneller und stärker als du. Und ich will keine Widerrede hören: Dies ist ein Befehl!«

Dick verließ das Zentrum des Geschehens deutlich unwillig, aber dabei kannte Doug kein Pardon. Wer immer hier zugriff, musste jung und geschickt sein. Und stark. Der schmächtige Brian, der Einzige, dem er neben Dick zugetraut hätte, den Hebel an der richtigen Stelle anzusetzen, kam nicht in Frage.

Immerhin hatte Brian bereits Seile an Robs Beinen befestigt und wies auch schon die Männer an, die ihn gleich herausziehen sollten.

»Gleichmäßig ziehen, wir wollen ihn schließlich retten, nicht vierteilen. Und zügig, aber nicht überstürzt. Erst, wenn ich euch das Zeichen gebe.«

Doug bemerkte wohlgefällig, dass Brian die Männer möglichst weit weg von der Gefahrenstelle postiert hatte. Hier war der Schacht auch breiter und sie hatten mehr Platz, sich beim Ziehen aufzurichten. Brian selbst blieb zwischen Doug und den Männern, achtete darauf, dass die Seile gespannt blieben, und gab Dougs Anweisungen weiter.

Doug setzte den Hebel an und drückte den schweren Holzknüppel herunter. Langsam hob sich der Stein, aber noch nicht weit genug, um Rob darunter hervorzuziehen. Doug sah, dass er durch ein paar Felsen verkeilt war. Vorsichtig räumte er sie beiseite, während der Berg grollte – und die Zuschauer abergläubisch flüsterten oder lauthals Gebete sprachen. Brian tat nichts dergleichen, er beobachtete nur genau, was Doug anstellte – und ließ die Männer in exakt dem Moment anziehen, in dem der Felsen sich von Robs Brust erhob und weit genug darüber schwebte, um auch den Kopf des Verunglückten darunter durchzuziehen.

»Kopf runter!«, zischte Doug dem aufgeregten Rob zu, der sich sofort aufrichten wollte und damit natürlich nicht weiter kam. »Mach einfach gar nichts, umso schneller bist du raus.«

Doug brauchte seine ganze Kraft, um den Stein hochzuhalten. Zeitweise glaubte er, den halben Berg in der Schwebe zu halten. Keuchend verlagerte er sein Gewicht von einem Bein aufs andere, aber jede Bewegung quittierte der Berg mit erneuten Vibrationen. Endlich war Rob frei. Brian stürzte zu ihm und befreite ihn von den Seilen.

»Könnt Ihr noch, Herr? Es wäre besser, ich würde Rob hier wegbringen, bevor der Stollen womöglich einbricht. Ich glaube nicht, dass er schnell rennen kann.«

Doug nickte grimmig. Er meinte, es keine Sekunde mehr aushalten zu können, aber Brian war geschickt und flink. Aus den Augenwinkeln sah Doug, wie er seinem Freund aufhalf und mit ihm floh.

»Jetzt!«, rief Richard.

Doug überlegte, ob er versuchen sollte, den Stein langsam sinken zu lassen. Aber dann grollte der Berg derart, als er sich über die frühere Position hinaus absenkte, dass Doug sich für rasche Flucht entschied. Er ließ den Hebel los und rannte. Hinter ihm brach die Hölle los. Er hörte Schreie, das Getöse schien die ganze Mine erbeben zu lassen. Aber dann war er im Kreise seiner Männer, und auch der Bergrutsch ebbte langsam ab. Fassungslos sah Rob auf die Stelle, an der er eben noch gelegen hatte. Sie war mit losen Felsen und Erdreich übersät.

»Das hätt’ ich nicht überlebt!«, meinte er und bekreuzigte sich.

Doug, Dick und Brian konnten nicht an sich halten. Beim Anblick dieses glücklich geretteten Dummkopfs brachen sie in hektisches Lachen aus. Auch die anderen Männer lachten und schlugen einander auf die Schultern.

»Also gut, Männer!«, stellte Dick schließlich die Ordnung wieder her. »Sieht aus, als hätte uns der Berg einiges an Arbeit abgenommen. Schaut euch an, was da runtergekommen ist. Zum Teil reines Silber! Also geht wieder an die Arbeit und seht zu, dass ihr es abräumt. Leicht verdientes Geld heute – wenn man von der Aufregung mal absieht. Was ist mit dir, Rob? Fehlt dir etwas? Willst du mit uns hochfahren, damit Anna sich das mal ansieht?« Dicks Frau Anna pflegte leichtere Verletzungen der Bergleute zu versorgen.

Rob schüttelte den Kopf. »Mag sein, dass eine Rippe etwas angeknackst ist, Steiger, aber das ist nichts gegen die Prügelei neulich mit Hank. Ich mach weiter. Das Geld für das Erz lass ich mir nicht entgehen. Wo ich es doch fast allein rausgeholt hab!«

Wieder lösten seine Worte Gelächter aus.

»Mach dir die Methode aber nicht zur Gewohnheit!«, mahnte Dick belustigt.

Doug wollte sich noch mit einem Dank an Brian wenden, aber der lud schon fleißig Erz in seine Kiepe und reagierte nur mit einem Nicken, als Doug ihm zuwinkte.

Ein guter Mann, dachte Doug. Aber eigentlich waren es alle gute Männer. Es würde nichts bringen, einen besonders herauszustellen. Besser versprach er allen eine Prämie.

Die Kumpel nahmen das natürlich mit Jubel auf und ließen ihren Lord hochleben, als Doug sich endlich mit Richard zum Gehen wandte.

»Meine Kehle ist ziemlich trocken«, bemerkte er. »Ich schlage vor, war verschieben die Inspektion der anderen Schächte.«

Richard nickte. »Ihr sprecht mir aus der Seele, Mylord!«

Nach dem Aufstieg aus dem Schacht war Doug genauso verstaubt, verschwitzt und verdreckt wie ein Bergmann. Lachend machte er es Richard nach und wusch sich flüchtig in einem Zuber neben dem Förderkorb. Richard pumpte Wasser hoch, und Doug zog sein Wams und sein Hemd aus und hielt seinen Kopf darunter, um sich abzukühlen. Anschließend schüttelte er sich wie ein junger Hund.

»Tut gut, die Sonne wiederzusehen«, bemerkte er – aber dann fesselte etwas anderes als pures Sonnenlicht seine Aufmerksamkeit. Über den Weg vom Dorf zur Mine schritt ein Mädchen auf sie zu, das lange Haar wehte im Wind und ein Korb hing lässig über den Arm. Anscheinend wollte es zu Richards Haus, welches nah am Einstieg zur Mine lag. Richards Tochter? Aber nein, die hatte Doug als eher vierschrötig im Gedächtnis, während diese Maid ihm elfenhaft zart erschien. Sie war klein und zierlich, die Taille gertenschlank, obwohl das Dorfmädchen sicher nie ein Korsett getragen hatte. Vor allem aber war es ihr Gang, der Doug auffiel und an irgendetwas erinnerte. Dieses Mädchen lief nicht, es tanzte. Dabei schien der Wind ihm seine eigene Musik dazu zu singen, selbst sein Haar, eine prachtvolle Mähne rotblonder, krauser Locken, schien sich rhythmisch dazu zu wiegen. Als das Mädchen näher kam, erkannte Doug einen hellen Teint, gesprenkelt mit winzigen Sommersprossen, die hier jedoch nicht störend wirkten. Im Gegenteil, sie verstärkten den Eindruck von Lebendigkeit und Zuversicht in diesem zarten Gesicht und boten einen reizvollen Kontrast zu den klugen, leuchtend blauen Augen, die Doug nun mit mutwilligen Blitzen musterten. Seine breite Brust und seine kräftigen Muskeln schienen ihr Interesse zu erregen.

»Ein neuer Kumpel, Master Dick?«, fragte das Mädchen mit singender Stimme. »Und schon so früh wieder über Tage? Hat er da unten Platzangst bekommen? Dabei sieht er eigentlich ganz robust aus.«

Richard blickte sie missbilligend, ja entsetzt ob dieser Unbotmäßigkeit an. »Willst du wohl deine Zunge im Zaum halten, Elizabeth? Auf die Knie für deine Frechheit! Der Herr, den du hier so ungeniert anstarrst und obendrein wie deinesgleichen neckst, ist der Earl of Caernon. Er könnte dich für weniger lose Reden von Haus und Hof vertreiben!«

Doug betrachtete das jetzt tief errötende Mädchen und konnte sein Herz nicht daran hindern, rasend zu klopfen. Elizabeth – also hatte sein erster Eindruck nicht getrogen. Dies war die kleine Hexe. Bei Tageslicht wirkte sie jünger und fröhlicher. Sicher, jetzt war sie ausgeschlafen und frisch, nicht übermüdet nach einer Nacht bei einer Wöchnerin. Aber auch bei Tage strahlte sie diese Unzähmbarkeit aus. Selbst dann, wenn sie wie jetzt mit tief gesenktem Kopf vor ihm knickste.

»Ich habe Euch nicht erkannt, Mylord, bitte vergebt mir!«, bat sie. Natürlich, auch sie hatte ihn in dieser Nacht nur schemenhaft sehen können. Und eine Möglichkeit, seine Stimme wiederzuerkennen, hatte er ihr bisher nicht gegeben. Wenn sie es überhaupt für nötig gehalten hatte, sich in dieser stürmischen, regnerischen Nacht Stimmen zu merken. Er selbst erinnerte sich zwar gut an die ihre, aber die war auch unverkennbar. »Ich hielt Euch für einen neuen Bergmann, so verschwitzt und voller Steinstaub ... Ganz sicher wollte ich nicht unhöflich sein ...«

Elizabeth schien sich ernstlich zu fürchten. Und nicht zu Unrecht. Doug konnte sich gut vorstellen, wie Leute vom Schlage Lord Blaemarvans auf ihre Unbotmäßigkeit reagiert hätten.

Er selbst reichte ihr jedoch huldvoll die Hand, um sie aufzurichten – und verspürte etwas wie einen Anflug von Zärtlichkeit, als er ihre schmalen, aber von schwerer Arbeit rauen und aufgesprungenen Finger berührte.

»Sei unbesorgt, Mädchen, ich nehme deine Entschuldigung an. Schließlich muss ich noch Abbitte dafür leisten, dass mein Diener Francis dich bei unserem letzten Zusammentreffen mit Schmähungen überschüttete. Nannte er dich nicht ›Hexe‹?«

Sie lächelte zu ihm auf, ohne seine Hand sofort loszulassen. Ihr Lächeln bezauberte ihn vollkommen. Über ihr Gesicht zog dabei ein warmes Leuchten, die Augen strahlten und schienen ein dunkleres, tieferes Blau anzunehmen.

»Ihm ist vergeben«, sagte sie sanft. »Er weiß nicht, was er sagt, sein Enkelsohn starb bei der Geburt, und die Mutter wird wahrscheinlich nie ein weiteres Kind bekommen. Das ist bitter, und viele Menschen suchen dann einen Sündenbock, das leichter erreichbar ist als Gott, um ihn dafür verantwortlich zu machen.«

»Woher weißt du, dass Helen nie wieder empfangen wird?«, fragte Richard erschrocken.

Elizabeths schmale Finger ruhten immer noch in Dougs Hand, und der junge Earl ergriff sie jetzt fast unmerklich fester.

»Hast du es ihr aus der Hand gelesen?«, fragte er mit leichtem Lächeln. »Wenn ja, so versuch es doch auch bei mir. Was meinst du, kleine Hexe, hält das Schicksal für mich bereit?«

Elizabeth errötete wieder, etwas hilflos diesmal. Man sah ihr an, dass sie ihm ihre Hand gern entwunden hätte, aber natürlich mochte sie ihn nicht nochmals brüskieren.

»Ich kann nicht wahrsagen, Mylord. Eurer Hand in meiner entnehme ich nur, dass Ihr kein Bergmann seid und kein Bauer, aber auch kein Spielmann oder träger Lebemann. Die Schwielen darin sprechen von häufiger Handhabung des Schwerts und der Zügel eines Streitrosses. Und was Euer Schicksal angeht ... es ist zweifellos ein glückliches, seid Ihr doch auf einem Schloss geboren und mit einem reichen Lehen bedacht. Eine Wahrsagerin würde jetzt noch auf eine schöne Frau zu sprechen kommen, die bald in Euer Leben treten wird, was wahrscheinlich ist. Warum solltet Ihr eine hässliche freien? Aber das ist reine Vermutung, die Linien in Eurer Hand sagen mir nichts. Ich bin Hebamme, Mylord, und nicht mal eine sehr erfahrene. Von Hexenkunst weiß ich nichts ...« Sie entwand Doug nun doch ihre Hand.

»Aber du traust dir zu vorauszusagen, dass Helen ...« Das war wieder Dick. Doug fragte sich, warum er sich so dafür interessierte, aber Elizabeths Antwort verriet es ihm gleich.

Die junge Frau senkte verlegen den Kopf. »Das sind Frauendinge, Master Richard. Ich ... kann dir unmöglich erklären, warum die Frau deines Sohnes wahrscheinlich nicht mehr mit Kindern gesegnet wird, aber glaub mir, das ist nichts Übersinnliches. Niemand hat sie verwünscht oder verhext ... es ist nur ... höchstwahrscheinlich wurde in ihrem Leib etwas verletzt, als dieses Kind geboren wurde. Sie hat Glück, dass sie am Leben ist. Aber Kinder ... Gottes Wege sind unergründlich, und niemand weiß, ob es ihm nicht noch gefallen wird, ein Wunder zu tun.«

Elizabeth bekreuzigte sich züchtig. Doug fragte sich, ob ihre letzten Worte aus dem Wunsch erwuchsen, Richard zu trösten, oder ob sie sich damit schützen wollte. Hebammen wurde gern nachgesagt, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, also war es ratsam für sie, den Namen Gottes möglichst oft im Munde zu führen.

»Keiner macht dir einen Vorwurf!«, erklärte er rasch. »Es war Neckerei, als ich dich eine Hexe nannte, du hast auf Caernon nichts zu fürchten.«

Elizabeth schenkte ihm ein vages Lächeln, ein Ausdruck, in dem Doug sich hätte verlieren können. Ihre zarten Züge, die Grübchen in ihren Wangen, die sich zeigten, wenn sie die wohlgeformten, zartrosa Lippen zum Lächeln verzog und dabei ihre kleinen, weißen Zähne aufblitzen ließ. Dieses Gesicht mit seinen Sommersprossen und der leichten Stupsnase war sicher nicht klassisch schön – kein Vergleich zu Laetitia oder gar Lissiana mit ihrer gepflegten Erscheinung und ihrer blühenden Jugend. Aber es hatte etwas Besonderes, etwas Unvergessliches. Züge, in denen sich das Leben des Landes widerspiegelte, Augen, die alles verstanden und in Abgründe menschlicher Schmerzen geblickt haben mussten – die aber trotzdem einen Funken von Fröhlichkeit in jedem entzündeten, der ihr nur einen Blick gönnte. Doug hätte gern ihr Haar berührt, die krausen Locken, die nicht brav zur Frisur gebändigt über ihren Rücken hingen, sondern sie umtanzten, als hätten sie ein Eigenleben. Er hätte gern ihre Lippen geküsst und ihren weichen Körper umfasst – unter ihrer weiten, weißen Bluse zeichneten sich kleine, aber wohlgerundete Brüste ab, und auch die von einem verschlissenen, blauen Rock umschmeichelten Hüften wirkten vielversprechend. Aber in Elizabeths Augen war keine Lockung, dafür Dankbarkeit und Zutrauen. Das durfte er auf keinen Fall zerstören. Wenn er das Mädchen erobern wollte, musste er langsam und vorsichtig vorgehen. Und er musste sich die Frage stellen, ob er es überhaupt wollte. Die Befehle seines Vaters waren eindeutig gewesen: »Dir steht die ganze Welt offen, mein Junge, aber verführ mir kein Mädchen aus dem Dorf! Ich will keine weinenden Mütter in meiner Halle, die Beschwerde führen, weil ihre Töchter geschändet wurden, und ich will erst recht keine Bastarde von meinem Blut, die meine Felder bestellen und dabei einen Groll gegen ihre Halbbrüder und -Schwestern auf der Burg hegen. Es gibt genug gleichrangige Mädchen und Frauen – und wenn du es unbedingt mit einem Bauernmädchen treiben musst, so tu es in der Grafschaft eines anderen! Aber denk daran, was du anrichtest: Auch diese Menschen haben ein Leben, auch sie sind fähig, eine Jungfrau von einer Hure zu unterscheiden, und auch sie hängen nach der Hochzeitsnacht das Laken heraus. Du schenkst dem Mädchen vielleicht ein paar Träume, aber letztlich zerstörst du sein Leben. Bedenke wohl, ob es das wert ist!«

Doug seufzte. Wenn ihm irgendetwas fern lag, so Elizabeth etwas Böses zu tun. Im Gegenteil, dieses Mädchen erweckte den Wunsch in ihm, es zu lieben und zu verwöhnen, ihm sein hartes Leben zu vereinfachen und ja ... es heimzuführen auf seine Burg. Aber das kam natürlich nicht in Frage. Doug riss sich los. Schon viel zu lange schaute er dem Mädchen wie verzaubert in die Augen ...

Auch Richard schien das inzwischen aufzufallen.

»Was führt dich hierher, Elizabeth?«, mischte er sich ein. »Wolltest du zu Anna? Sie ist hinter dem Haus bei den Tieren.«

Elizabeth wandte sich nun auch von Doug ab, einen ernsteren Ausdruck als eben auf dem Gesicht. Auch sie musste etwas gespürt haben, aber sie strahlte eher Wachsamkeit als Hingabe aus.

»Und eben das sollte sie nicht!«, schalt sie Richard. »Anna sollte sich schonen, Master Dick, sonst wird sie ihre Nierenentzündung nie los. Gestern hat sie Bier gebraut von der Morgendämmerung bis in die Nachtstunden! Beim nächsten Mal soll sie nach mir schicken, ich helfe ihr gern. Aber vorerst gib ihr diesen Tee, Master Dick. Ein Aufguss davon drei Mal täglich sollte helfen. Aber wie gesagt: Ruhe ist wichtiger als alles andere!«

Master Dick nickte betreten. »Ich werde es ihr ausrichten. Willst du einen Krug Bier mitnehmen, Elizabeth? Als Dank für die Kräuter?«

Elizabeth schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt, Master Dick, ich will deine Beratung mit Mylord nicht weiter stören. Aber ich werde es mir gerne später abholen, wenn ich zurück bin von der Runde ums Dorf. Ich muss noch bis zu den Eckhöfen und nach meiner Wöchnerin sehen. Da würde mich der Krug nur stören.«

Das Mädchen verabschiedete sich artig und versank noch einmal in einem tiefen Knicks vor ihrem Herrn, bevor sie sich zum Gehen wandte.

Doug blickte ihr verzaubert nach. Wieder schien es, als triebe der Wind sie spielerisch vor sich her und als tanze sie auf den Sonnenstrahlen.

»Ein reizendes Mädchen!«, bemerkte er zu Richard. »Die Tochter eines der Bergleute?«

Richard schüttelte den Kopf. »Die Gattin eines Hauers. Ihr erinnert Euch an Brian, den Jungen, der Rob den Berg erklärt hat? Mit dem ist sie verbunden.«

Doug traf die Nachricht wie ein Messerstich ins Herz. Verheiratet? Dieses Mädchen, das doch gerade seine Seele berührt hatte, gehörte einem anderen? Eigentlich hätte ihn das erleichtern sollen – wenn er sie wirklich verführte, machte das bei einer Ehefrau viel weniger aus als bei einer Jungfer. Aber trotzdem ... Doug spürte glühende Eifersucht.

»Dabei scheint sie noch sehr jung zu sein«, bemühte er sich anzumerken, ohne dass seine Gefühle seine Stimme erstickten. »Ist die Ehe denn glücklich?«

Der alte Dick zuckte die Schultern. »Ich bin kein Fachmann in Liebesdingen, Herr. Aber sie scheint mir sehr glücklich. Sie wurde auch bereits mit einem Kind gesegnet, die beiden haben einen Sohn. Erst ein paar Wochen alt, aber sie lieben ihn innig. So jung kann sie also nicht mehr sein. Sagt, was Ihr wollt, aber so ein bisschen mit dem Teufel im Bunde sind diese Heilerinnen doch meistens. Die Hexe aus dem Nachbardorf scheint auch nicht zu altern.«

Doug bemühte sich, angemessen über den Scherz zu lachen.

»Und du weißt nicht, woher die beiden stammen?«, fragte er dann. »Wie lange sind sie überhaupt hier?«

»So etwa vier Monde«, rechnete Richard nach. »Vielleicht auch fünf. Und woher sie kamen ... ich bin nicht neugierig, Herr. Und Brian brennt nicht gerade darauf, davon zu sprechen. Besteht Ihr darauf, dass ich ihn aushorche?«

Doug schüttelte den Kopf. »Nein, er hat ja nichts getan. Bohrende Fragen würden ihn nur ängstigen. Aber nun lass uns die Bücher ansehen. Wie war das mit dem Bier?«

Richard führte den jungen Grafen in sein Haus, und in den nächsten Stunden hatten sie genug damit zu tun, die Bücher der Mine zu studieren. Sie waren unzureichend geführt. Richard konnte nicht lesen, und obwohl er Zahlen verstand und schreiben konnte, hatte er sie doch oft in die falschen Spalten eingetragen und damit ein heilloses Durcheinander angerichtet. Doug brauchte einige Zeit, um es zu entwirren, nahm es dem Steiger jedoch nicht übel. Im Grunde musste ihm ein Schreiber zur Hand gehen, aber wo fand man die schon außerhalb der Klöster und Kirchen? Und einen Geistlichen gab es nicht in Caernon, die Leute besuchten die Kirche im Nachbarort – ganz abgesehen davon, dass der Pfarrer sich auch kaum um eine Nebenbeschäftigung als Schreiber der Mine gerissen hätte! Doug versuchte also selbst, die Sache in Ordnung zu bringen, und erklärte Dick auch noch einmal geduldig, wo die Ausgaben für Werkzeuge und der Anteil an Blei und Silber im Erz notiert werden mussten.

»Bei den Löhnen für die Arbeiter irrst du dich aber nicht, oder?«, fragte er schließlich streng. »Es wäre mir sehr unangenehm, die Hauer zu betrügen!«

Dougs Bergleute wurden zum größten Teil nach Fördermenge bezahlt. Ein guter, fleißiger Hauer konnte dabei recht ordentlich verdienen.

Richard schüttelte den Kopf. »Nein, was denkt Ihr, Herr! Das schreibt Brian doch gleich unten in der Mine auf. Da gibt’s eine Liste für jeden Mann, und am Ende der Woche bekommt er seinen Lohn. Da kann nichts in die falsche Spalte geraten!« Der alte Dick musterte das Buch mit unverhülltem Unwillen. Anscheinend machte er Leder, Tinte und Papier für sein Versagen verantwortlich, nicht sein persönliches Unvermögen.

»Und was ist mit den Männern, die nicht hauen?«, erkundigte sich Doug unvermittelt. Die Frage hatte er sich vorher nie gestellt, aber jetzt brachte ihn der Gedanke an Elizabeths Gatten auf die Idee. »Die Männer an der Haspel und die Packer? Wie errechnest du deren Lohn?«

Dick zuckte die Schultern. »Für die wird den anderen was abgezogen. Ohne Packer und Förderkorb kein Silber, das leuchtet jedem ein. Diese Arbeiten sind natürlich nicht so beliebt. Aber das läuft reihum. Jeder ist mal an der Reihe. Manchmal melden sich die Leute auch freiwillig – ältere Männer zum Beispiel, die nicht mehr so viel schaffen. Oder wenn sich einer etwas krank fühlt, aber nicht gleich zu Hause bleiben mag. Es ist ein hartes Leben, Mylord ...«

Doug nickte. Seine Männer wurden besser bezahlt als viele andere, aber tauschen hätte er nicht mit ihnen wollen. ›Euer Leben wird glücklich sein, denn Ihr seid in einem Schloss geboren ...‹ So Unrecht hatte sie da nicht, die kleine Elizabeth. Glück und Unglück schmerzten oder erfreuten Herr und Knecht vielleicht gleichermaßen, aber sie hatten doch einen anderen Stellenwert, wenn man sie vom Schloss oder von einer Bauernkate aus erfuhr ...

»Er spielt übrigens im Pub die Fiedel ...«, bemerkte Dick etwas unvermittelt, als Doug sich fast schon verabschiedet hatte und der Steiger ihn noch zu seinem Pferd begleitete. »Am Samstag, wenn der Lohn ausgezahlt ist ...«

»Wer?«, fragte Doug verwirrt. »Sprich nicht in Rätseln, Dick!«

»Der Mann der Hebamme. Brian. Damit bessert er seinen Lohn auf. Und weiß Gott, er kann fiedeln! Selbst meine Anna wird wieder jung, wenn sie im Pub das Tanzbein schwingt! Kommt doch mal vorbei, Mylord! Die Männer würden sich freuen!«

Doug wagte das zu bezweifeln. Sicher mochten die Kumpel sich nicht auch noch bei ihrem samstäglichen Vergnügen von der Obrigkeit auf die Finger sehen lassen. Trotzdem weckte der junge Mann seine Neugier. Ein einfacher Kumpel, der ›fast mehr vom Berg verstand‹ als Dick? Und obendrein hatte er Zeit gefunden, das Fiedeln zu lernen? Aber hier gab es natürliche Begabungen, Doug hatte immer gestaunt, welche gestandenen Kumpel und Bauern am Abend noch zur Flöte, zur Trommel oder zur Fiedel griffen. Am Samstag spielten sie dann meist im Pub – denn den gab es in jedem Ort. Selbst in kleinen Dörfern wie Caernon, die nicht mal eine Kirche aufwiesen ...

Doug beschloss, tatsächlich am nächsten Wochenende in der Wirtschaft vorbeizuschauen. Er konnte ein Bierfass stiften – um seine Ankunft zu feiern und das glücklich abgewendete Unheil in der Grube. Und er musste ja nicht lange bleiben. Denn insofern hatte Dick schon Recht: Die Jahre auf Reisen, vor allem im kunstsinnigen Italien, hatten ihn für Wirtshausmusik ziemlich verdorben.

Brians schlichte Weisen würden ihn kaum lange fesseln.

Verheissungsvolle Sehnsucht

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