Читать книгу Möwe und Pflaumenbaum - Veronika Beci - Страница 6
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ОглавлениеArne. Ich hatte ihn vergessen. Jetzt ist sein Name wie Glockenschläge in meinem Hirn.
Eigentlich rankt sich alles nur um ihn, meine Gedanken und die Bücher, die ich schreibe. Alles er.
Soll ich die Schwester fragen, ob er sich gemeldet hat? Er muss doch inzwischen wissen, was passiert ist und das ich hier liege. Nein, ich lasse es. Ich erinnere mich an unseren letzten Streit. Und an alle seine Gemeinheiten.
Es gibt zwei Arten von Büchern, die ein Dichter schreiben kann. Brotbücher und Blutbücher. Die Brotbücher schreibt er mit handwerklicher Qualität, ohne innerste Anteilnahme, um sein Leben zu fristen. Die Blutbücher schreibt er mit ganzer Seele. Sie kosten ihn Leben. Sie verbrauchen seine Energie, zehren ihn aus. Sie bedeuten etwas, stehen außerhalb der Zeit. Aber sie werden selten verstanden. Es sind Bücher, die sich aus dem Herzblut des Künstlers speisen. Eines habe ich geschrieben. Meinen großen Roman über die Augen der Aphrodite. Arne hat nicht kapiert, dass ich danach müde war, mit meiner Kraft völlig am Ende. „Die Sachen verkaufen sich doch nicht“, wetterte er und warf eins der Freiexemplare nachlässig auf das Sofa. Verächtlich. Als wäre es nichts. Und ich kniete vor dem großen Bücherkarton und hob stolz und ehrfürchtig ein Freiexemplar nach dem anderen heraus auf den Sofatisch wie Neugeborene aus dem Mutterschoß gehoben werden. „Schreib' doch mal einen Kitschroman, oder einen Krimi, oder – Geschichte liegt dir doch. Das Zeug wird auch noch verfilmt! - Denk' doch mal nach. Hast du dir dein Leben derart vorgestellt? Dein Mann arbeitet sich kaputt für Geld, während du hohe Literatur schreibst, die keiner kaufen will? Scheiß auf die Lobeshymnen in den Zeitungen! Scheiß auf die Einladungen ins Fernsehen oder zum Radio! Du bist bekannt, aber es zahlt sich nicht aus.“ „Arne, darum geht es dich auch gar nicht, Ich schreibe doch nicht, um Geld zu verdienen. Ich muss schreiben.“ „Ach, ja? Und ich muss arbeiten, um den Schreiber zu füttern?“ „Du liebst doch deinen Job. Wasser ist deine Welt. Du verdienst genug...“ „Das hat doch damit nichts zu tun! Ich arbeite, du nicht.“ „Ich arbeite auch. Sehr hart. Und das weißt du.“ „Ach, was. Du sitzt den lieben langen Tag auf deinem Hintern am Schreibtisch und schreibst oder liest. Die paar Seminare, die du gibst, halbe Ehrenämter, und die Vorträge, davon wird man nicht satt. Und die halbe Nacht liest du auch. Es gibt nichts anderes für dich.“ „Ich bin damit erfolgreich.“ „Erfolg sehe ich auf dem Konto.“ „Ja, für dich gibt es nur das“, höhnte ich: „Daran misst sich Arbeit.“ „Etwa nicht?“ „Nein, sondern daran, dass etwas entsteht. Und das Wertvollste, was entstehen kann, ist Kunst.“ „Parasit! Mach' nur weiter so. Wir werden sehen, wo dein Leben endet. Nur eines musst du wissen. Ich werde nicht bis zum Lebensende der Diener sein, der für dich arbeiten geht.“ „Brauchst du gar nicht.“ „Nein? Und wovon willst du leben?“ „Ich verdiene genug. Und ich habe Großmutters Haus.“ „Haha! - Hast du wenigstens die Einladung in den Mauritzsaal angenommen?“ „Du weißt, diese Partys ...“ „Sind nichts für dich. Aber wenigstens die können wir mitnehmen, wenn du auch sonst nicht viel in unsere Ehe einbringst – außer Bücher. Nutze zumindest deine Bekanntheit aus, wo du kannst.“ Er stieß mit der Hand wie nachlässig gegen die auf dem Tischchen aufgestapelten Bücher. Sie gerieten ins Kippen, rutschten gegeneinander und fielen zum Teil auf den Boden. Es tat mir weh. Ich hielt die Hand ans Herz. Arne drohte mit dem Zeigefinger auf mich herab. „Sag' also zu, denn da sind jede Menge großer Tiere. Ich will dahin.“ Er blieb stehen wie eine drohende Bronzeskulptur. Unerschütterlich und von metallischer Kälte. „Okay. Ich sage zu“, murmelte ich. Ich hob die Bücher langsam auf, indem ich jedes streichelte, um sie über Arnes Gewalt zu trösten. „O, Mann! Wie du das wieder sagst! Du hast echt keine Freude am Leben, kann das sein?“ Achselzucken.
Arne und seine Sprüche: Das Leben besteht nicht nur aus Büchern. Alle Künstler sind irgendwie irre. Dichter sind Parasiten. Nur die Realität zählt. Was im vorigen Jahrhundert passiert ist, interessiert mich nicht. Wozu ist Literatur nötig. Leibniz – meinst du die Kekse? Schreiben ist Zeitverschwendung – effektiv arbeiten ist alles. Ich liebe dich, aber nicht deine Bücher. Warum bin ich so blöd, auf eine Schriftstellerin reinzufallen. Droste, Couperus – die sind doch alle tot, was will man bloß mit denen. Kunst ist ein nettes Hobby. Träumen, träumen, träumen – wann wachst du endlich auf. Nur am Schreibtisch sitzen, das ist kein Leben. Wenn dich diese Scheißbücher wenigstens reich machten.
Wie hat er mir damit mein Leben vergällt! Diese Abfälligkeiten meiner Kunst und meinen Mühen gegenüber! Und dann wieder ist er zuckersüß. Warum höre ich nichts von ihm? Warum besucht er mich nicht? Ich bin die einzige Familie, die er noch hat. Worauf wartet er?
Nooit breekt gij mar open/ dezelfde vruchten. Al uw liefde en hopen/ verzinken.
Möwen kreischen.
Albinonis Adagio.