Читать книгу Vom Schein zum Sein - Veronika Wlasaty - Страница 5
Das Instrument Sprache
Оглавление(oder noch ein Vorwort, das ebenso gut das erste Kapitel sein könnte)
Eine ehemalige Schülerin, die mich unlängst zum Klassentreffen einlud, teilte mir mit, sie habe mein letztes Buch gekauft, finde es interessant, aber einigermaßen schwierig zu lesen. Für diese Rückmeldung bin ich ihr äußerst dankbar. Ich möchte mit meinen Worten nicht den Intellekt bedienen, sondern das Herz berühren. Zudem war es mir in meiner Zeit als unterrichtende Lehrerin stets ein Anliegen, meine Worte mit Bedacht so zu wählen, dass alle folgen konnten, die es wollten. Als Bewunderin von Sprachvirtuosen, wie ich wortgewaltige Menschen nenne, laufe ich bisweilen selbst in Gefahr, zur Verfeinerung der eigenen Künste in der Sprache zu schwelgen. Der Gedanke, mittels Sprache eine Zuhörer- oder Leserschaft zu selektieren, liegt mir fern. Ich würde es zutiefst bedauern, auf diese Weise jemanden auszuschließen oder als Leser/in zu verlieren. Alle, die im öffentlichen Bereich tätig sind, sollten sich dessen bewusst sein, dass Sprache ein machtvolles Instrument ist, das oft zur Ausübung von Gewalt und zur Aufrechterhaltung bestehender Machtverhältnisse missbraucht wird. Und dort, wo sie der Selbstdarstellung und Profilierung in Insider-Kreisen dient, schafft sie Außenseiter, indem sie jene ausgrenzt, die mit Materie und Jargon, d. h. der codeähnlichen Ausdrucksweise innerhalb einer bestimmten Gruppe, nicht vertraut sind.
Ich gelobe, mich zu bemühen, das vorliegende Buch so zu verfassen, dass es allen Interessierten Zugang gewährt. Freilich, ein Teil der Verantwortung, bleibt bei der Leserin, dem Leser. Ich ermutige jetzt schon dazu – für den Fall, dass sich Worte einschleichen, die nicht jedermann geläufig sind, zum Wörterbuch zu greifen. Geht man aus einer Lektüre um ein paar Wörter, ein paar Ausdrücke reicher hervor, erhöht dies nicht nur die sprachliche Kompetenz. Es macht die Welt weiter und öffnet mitunter neue Türen.
Was das Gendern, d. h. den gleichberechtigten Gebrauch weiblicher und männlicher Formen anbelangt, so lasse ich mich von meiner Intuition leiten. Vorrangig ist für mich nicht, ob die männliche oder weibliche Form häufiger Verwendung findet, beide gleichermaßen in ausgewogenem Verhältnis, mit „Binnen-I“ oder sonst wie, sondern ausschließlich die innere Haltung der Gleich-Wertschätzung aller Menschen, ungeachtet ihres Geschlechts. Die Integration unserer eigenen männlichen und weiblichen Anteile muss sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene vollzogen werden. Ich denke, erst wenn wir diese Herausforderung gemeistert haben, wird die Gender-Debatte, die sich gegenwärtig eher an Äußerlichkeiten festmacht, zu einem befriedigenden Ergebnis gelangen.