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Komm doch zurück, Shelley

Syracuse University: 1962–1964

„Das Bild des Künstlers, auf dessen brillanten, künstlerischen Vorstoß ein Absturz in Depressionen und Elend folgt, wird von unserer Kultur mit großem Ansehen belohnt, ja, er wird deswegen sogar besonders geschätzt.“

— Aus dem Vorwort von Irving Howe zu Delmore Schwartz’

In Dreams Begin Other Responsibilities

Als Lou im dritten Jahr nach Syracuse zurückkehrte, mietete er ein Zimmer in einer großen Wohnung in der Adams Street, in der einige gleich gesinnte Musiker und Englischstudenten im letzten Jahr hausten. Sein Zimmer war so klein, dass gerade sein Bett hineinpasste. Lou fand das aber ganz in Ordnung, da er hauptsächlich im Bett lebte. Er hatte seine Schreibmaschine, seine Gitarre und Shelley; sie lebte jetzt gegenüber vom Crouse College, in einem der Wohnheime, die im Hüttenstil gebaut und viel weniger überwacht waren als ihre vorige Unterkunft. Sie konnte daher fast ihre ganze Zeit mit Lou verbringen.

Das Semester begann magisch – mit Shelleys Ankunft. Lou zog seine Gitarre und ein neues Instrument hervor, auf dem er im Lauf des Sommers spielen gelernt hatte: eine Mundharmonika, die er an einem Gestell um den Hals trug. Er fing an, eine ganze Reihe von Songs zu spielen, die er während des Sommers für Shelley geschrieben hatte, darunter auch das wunderbare „I Found A Reason“. Shelley war von seiner Musik völlig verzaubert und von ihrer Schönheit und der Empfindsamkeit seiner Texte zu Tränen gerührt. Lou spielte sehr klagend und zugleich packend Mundharmonika, was perfekt seine Songs ergänzte; leider ähnelte es zu sehr dem Stil Bob Dylans. Um nicht als Dylan-Abklatsch zu enden und seine musikalische Individualität zu wahren, musste er auf dieses Begleitinstrument verzichten. In seiner neuen Bleibe konnte er so laut Musik spielen, wie er wollte, und gefahrlos Drogen nehmen. Auch dieses Refugium sollte eine neue Bühne werden, auf der „Lou Reed“ geschaffen wurde. Er übte dort ganze Nächte hindurch mit seiner Band und bereitete sich das kreative Umfeld, das er zum Schreiben brauchte. Er fing an, ein Gefühl für seine Möglichkeiten zu entwickeln. Er hatte seine Band fest in der Hand. Er hatte bereits „The Gift“, „Coney Island Baby“ und den „Fuck Around Blues“ geschrieben; spätere Klassiker wie „I’ll Be Your Mirror“ waren in Arbeit.

Mitte der Sechziger machten die Colleges in Amerika eine einschneidende Veränderung durch, die sie binnen kurzem besonders attraktiv für Politik und Kunst machen sollte. Das Erkennungsmerkmal einer modernen Schule war ihr Angebot für „Kreatives Schreiben“. Nur wenige amerikanische Schriftsteller konnten von den Früchten ihrer Arbeit leben. Und irgendwann in den Fünfzigern kam irgendein Kerl auf die verschrobene Idee, Schriftsteller wie Ernest Hemingway und Samuel Beckett an Land zu ziehen, die dann zehn bis fünfzehn Leuten beibrachten, wie das mit dem Schreiben so vor sich ging. Das führte immerhin dazu, dass einige berühmte Schriftsteller wie T. S. Eliot (in den Fünfzigern ein direkter Rivale von Einstein und Churchill, was die Zugkräftigkeit des Namens anging) sechs Wochen lang Vorlesungen darüber hielten, wie man schrieb, und damit hunderte von Studenten dazu verleiteten, armselige Imitationen von The Waste Land zu Papier zu bringen. Das Programm für „Kreatives Schreiben“ sah auf Papier nicht schlecht aus, aber in der Praxis war es keinen Pfifferling wert; die Schriftsteller (meistens Lyriker), die in den frühen Sechzigern auf diesen lukrativen Zug aufsprangen, waren größtenteils verbrauchte Männer, die der Dichtkunst in den goldenen Jahren zwischen 1920 und 1950 – als der Einfluss W. H. Audens so groß war wie derjenige der Rockstars in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts – zu einer gewissen Popularität verholfen hatten.

Delmore Schwartz war einer der charismatischsten Dichter in dieser Runde, außerdem sah er umwerfend aus. Zwei literarische Schwer­gewichte, der große Dichter Robert Lowell und der spätere Nobelpreis­träger Saul Bellow, die ihn beide zu einer Zeit kennen gelernt hatten, in der er noch als die amerikanische Antwort auf T. S. Eliot galt, hatten ihn in das Programm für „Kreatives Schreiben“ von Syracuse hineingedrückt. Zum Leidwesen des Dichters und der Studenten hatte Delmore Schwartz, wie so viele seiner Zunft, seine Muse zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger durch eine tägliche, fast tödliche Dosis Amphetamin, die er mit hochprozentigem Alkohol hinunterspülte, zum Schweigen gebracht. Obwohl er 1959 den prestigeträchtigen Bollingen-Preis für seinen Gedichtband Summer Knowledge gewonnen hatte, durchlitt er 1962, als er in Syracuse ankam, gerade die unglücklichste und schmerzlichste Periode seines Lebens.

Sein Gesicht wies eine grüngelbliche Färbung auf, so als litte er unter permanenter Gelbsucht, und in seinen wahnsinnigen, heraustretenden Augen schwang uneingeschränkte Paranoia das Zepter. An einem guten Tag schaffte es dieser brillante Mann immer noch, dass ihm eine ganze Klasse hingebungsvoll zuhörte, wenn er, intelligent, empfindsam und überzeugend, mit hypnotisierender Stimme über seine Religion sprach – die Literatur. Nach einer bewegenden Lesung von The Waste Land erhielt Schwartz einmal von seiner Klasse eine zehnminütige stehende Ovation in Syracuse. Leider war sein Ansehen 1962 bereits so weit gesunken, dass keine seiner Performances, die er überall in Syracuse gab – auf der Straße, im Seminarraum, in Bars, in seinem Apartment, bei Fakultätszusammenkünften, kurz: überall, wo seine Stimme ein Publikum fand –, für die Nachwelt festgehalten wurde.

Bis Delmore Schwartz nach Syracuse kam, war Lou nicht sonderlich beeindruckt von seinen Lehrern gewesen, von dem bemerkenswerten Scarpatto einmal abgesehen. Lou musste jedoch nur einmal mit Delmore zusammentreffen, um zu erkennen, dass er es hier mit jemandem zu tun hatte, der noch viel gestörter war als er selbst. Auf diese Weise wurde ihm auch ein Blick in die Zukunft zuteil, der ihm verriet, was die Teufel in seinem Kopf noch alles anrichten konnten.

Falls Lou jemals nach einer Vaterfigur Ausschau gehalten hatte, nachdem er seinen Alten als verschnarchten, armseligen Hasenfuß disquali­fiziert hatte, so hatte er jetzt in Delmore Schwartz den perfekten Kandidaten gefunden. Aus zwei Büchern über Delmore Schwartz – Bellows Roman Humboldt’s Gift und James Atlas’ ausgezeichneter Biografie Delmore Schwartz, The Life Of An American Poet – lassen sich viele der Beschreibungen von Schwartz’ markanten Charaktereigenschaften auf das übertragen, was sich gerade bei Lou auszuformen begann.

Genau wie Lou verstrickte auch Delmore seine Freunde in so enge Bindungen, bis es schließlich für alle unerträglich wurde. Wie Lou bereitete auch Delmore den Menschen, die ihm nahe standen, eher Missvergnügen als Freude. Wie Lou war auch Delmore geradezu unglaublich arrogant und dem ganzen Wesen nach ein Einzelgänger und Diktator. Auch er verfügte über ein erstaunliches Gemisch von Eigenliebe und Selbsthass, und beide waren, was sich meist mit dem Urteil ihrer Freunde deckte, der Meinung, sie seien böse. Beide waren bezaubernd hektische Improvisatoren, Alleinredner und geschickte Schmeichler. Eloquent, launenhaft und gut aussehend, hatten sie meist während schlafloser Nächte ihre großen Erkenntnisse.

Hier hörten die Gemeinsamkeiten jedoch auf. Delmore Schwartz näherte sich bereits dem Wahnsinn, und wenn sein Herz raste, dann niemals vor Freude; Lou hingegen besaß noch die wunderbare Fähigkeit, sich auf eine sorglose, unerwachsene Art zu freuen, und achtete genau darauf, den Kontakt mit der Realität nicht zu verlieren. Er zweifelte nicht daran, dass er eines Tages Erfolg haben würde, und auch die meisten seiner Freunde glaubten an sein Talent. Mochte Lou auch wie Delmore Momente durchleben, in denen sich grandiose Inspiration mit unbeschreiblicher Verzweiflung abwechselte, so hatte er sich doch noch nicht aus der amerikanischen Kultur hinauskatapultiert.

In seinem dritten Jahr nahm Lou bei Schwartz zusätzlichen Unterricht außerhalb des Kreativ-Kurses. Sie lasen gemeinsam Dostojewski, Shakes­peare und Joyce, und beim Studium von Ulysses sah sich Lou als Dädalus zu dem Bloom von Schwartz. Zwischen ihnen entwickelte sich eine Freundschaft, die bis zu Lous Examen anhielt.

Zuerst hielt Delmore noch normalen Unterricht ab. Anstatt zu versuchen, seinen Studenten das Schreiben beizubringen, verfiel er jedoch bald schon in wirre, häufig desillusionierende Reden; er erzählte von den berühmten Männern, die er gekannt hatte, vom Liebesleben der Königin von England und so weiter und tat dies in so Vertrauen erweckender und Ehrfurcht gebietender Weise, dass er seine erstaunten Zuhörer davon überzeugen konnte, er wisse, wovon er rede.

Wenn er diese Ausflüge in die Nostalgie eines verlorenen Lebens satt hatte, las er den Rest der Unterrichtszeit vor, was an schlechten Tagen in unzusammenhängendes Gemurmel überging. Im hinteren Teil der Orange Bar eröffnete er am Tisch links ein zweites Büro, wo ihm Lou, einer der wenigen Studenten, die etwas mit ihm anfangen konnten, gewöhnlich gegenübersaß. Umringt von mehreren Stuhlreihen, tat Delmore hier das, was er am besten konnte. Bellow bezeichnete ihn als den „Mozart der Konversation“.

Shelley, die auch meist mit ihnen an diesem Tisch saß, erinnert sich, dass Lou und Delmore einander verehrten. „Delmore trank die ganze Zeit, warf Valium ein und redete. Er war groß und kantig, und er bewegte sich auf sehr zurückhaltende Art. Seine Hände nahmen irgendwelche Dinge vom Tisch und legten sie wieder hin; er saß immer vornübergebeugt, und ich hatte stets das Gefühl, er würde sabbern, weil er ständig aß und trank und irgendwas ausspuckte. Er war sehr direkt zu mir. Er sagte: ‚Ich mag Lou sehr. Du musst dich um ihn kümmern, er muss Schriftsteller werden. Er ist Schriftsteller. Und du musst dein Leben aufgeben, damit er Schriftsteller werden kann. Lass nicht zu, dass er dich wie Dreck behandelt. Aber toleriere alles, was er tut, um bei ihm zu bleiben, denn er braucht dich.‘“

Um möglicherweise der Meinung, er sei nur ein Rockgitarrist, etwas entgegenzusetzen, brachte Lou in seinem späteren Leben immer wieder seine Beziehung zu Delmore in Erinnerung. „Delmore war mein Lehrer, mein Freund und der Mann, der mein Leben verändert hat. Er war der klügste, lustigste und traurigste Mensch, der mir je begegnet ist. Wir betrieben unser Studium in einer Bar. Eigentlich war es so, dass er redete und ich ihm zuhörte. Leute, die mich kennen, würden sagen: ‚Das kann ich mir nicht vorstellen.‘ Aber so war’s nun mal. Ich hielt Delmore für den Größten. Um acht Uhr morgens fingen wir mit einem Drink an. Er war Ehrfurcht gebietend. Er bestellte fünf Drinks auf einmal. Er war sehr klug. Er konnte das Lexikon herunterbeten, angefangen bei dem Buchstaben A. Und er war einer der lustigsten Menschen, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Er war der ausdrucksvollste, lustigste Erzähler aller ­Zeiten. Delmore las mir damals Finnegan’s Wake laut vor, denn das schien die einzige Art zu sein, wie ich mich da durcharbeiten konnte. Delmore war der Ansicht, dass man unsinnigere Dinge mit seinem Leben anstellen konnte, als es der Lektüre von James Joyce zu widmen. Er war sehr intellektuell, aber auch sehr lustig. Und er hasste Popmusik. Er brüllte die Leute in der Bar an, sie sollten die Musikbox ausmachen.

Damals war ich immer zur Stelle, egal, um was für sonderbare Geschichten oder Forderungen es sich handelte. Für ihn machte ich alles. Sogar in seinem Abstieg war er unglaublich. Ich wollte einen Roman schreiben und besuchte deswegen den Kurs für Kreatives Schreiben. Gleichzeitig spielte ich in Rock’n’Roll-Bands. Von da aus war es nur noch ein kleiner Schritt, bis ich sagte: ‚Warum bringe ich nicht beides zusammen?‘“

Eine Geschichte von Schwartz öffnete Lou wirklich die Augen. Es geht darin um die Halluzinationen eines Sohnes, der sich in einem Kino ­wieder findet, wo er einen Dokumentarfilm über seine Eltern ansieht; er verliert völlig die Fassung und warnt sie schreiend davor, niemals einen Sohn zu haben. „In Dreams Begin Responsibilities beeindruckte mich sehr“, erinnert sich Lou. „Dass etwas so unglaublich Kraftvolles mit so wenigen Worten und auf so wenigen Seiten geschaffen werden konnte. So etwas konnte man auch schreiben, ohne unbedingt den größten Wortschatz der Welt haben zu müssen. In dieser Art wollte ich schreiben: einfache Worte benutzen, um Gefühle auszulösen und sie dann in Musik umzusetzen.“

Was Delmore anging, so war dieser davon überzeugt, in Lou einen Schriftsteller vor sich zu haben. Ihre Freundschaft befand sich auf dem Höhepunkt, als der ältere Dichter eines Abends in der Orange Bar seinen Arm um Lous Schultern legte und zu ihm sagte: „Ich werde bald in eine bessere Welt als diese hier verschwinden, aber ich möchte, dass du weißt, dass mein Geist dich verfolgen wird, wenn du dich für Geld verkaufst oder in der Werbung endest oder Mist schreibst.“

„Ich hatte mir überhaupt noch nichts überlegt, schon gar nicht, mich für Geld zu verkaufen“, erinnert sich Lou. „Ich nahm seine Worte sehr ernst. Er sah schon damals, dass ich in der Lage war, ganz anständig zu schreiben. Ich habe ihm nämlich nie etwas von dem gezeigt, was ich schrieb – ich hatte wirklich Angst davor. Trotzdem hielt er so viel von mir. Das war ein überwältigendes Kompliment, und ich habe es nie vergessen.“

So nahe sie einander auch gewesen sein mochten, so vertraten sie doch zu zwei Themen völlig unterschiedliche Meinungen. Als Mann, der in den Vierzigerjahren erzogen worden war, hasste Delmore alle ­Homosexuellen. Die verständnislose Einstellung gegenüber Schwulen in den frühen Sechzigern, die sie zusammen mit Kommunisten oder Drogenabhängigen in einen Topf warf, war bei konservativen männlichen Amerikanern sehr verbreitet. Aus diesem Grund konnte Lou viele seiner besten ­Geschichten nicht zeigen, da sie schwule Themen hatten.

Und dann war da noch der Rock ’n’ Roll. Delmore verachtete diese Musik und insbesondere die Texte, die er als eine Art Krebs der Sprache wahrnahm. Delmore wusste zwar, dass Lou in einer Band spielte, aber er schob es als eine kindliche Beschäftigung beiseite, der Lou ­entwachsen würde, sobald er sein Literaturstudium aufnehmen würde.

So war Delmore Schwartz von den beiden wichtigsten Einflüssen auf Lous Arbeit ausgeschlossen.

Im seinem dritten Collegejahr war Lous Beziehung zu Shelley auf ihrem absoluten Höhepunkt, zu einem Zeitpunkt also, da er wirklich Vertrauen zu sich selbst fasste und sich allmählich veränderte. In der Wohnung in der Adams Street, zwischen Gitarren, Verstärkern, Büchern, Kleidern und Zigaretten versteckt, lebte Lou jetzt in einer Welt, die sich ausschließlich um Musik drehte, begleitet von Shelley. Sie kannte seine geheimsten Winkel, besser als irgendjemand sonst, und sie hatte ihn gekannt, bevor er seine Panzer anlegte. Sie war sein bester Freund, der ihm direkt in die Augen sehen konnte, für den er schrieb und spielte.

Lou hatte es bitter nötig, geerdet zu werden, denn obwohl Lincoln so cool wie Schlagsahne und schlauer als jedes Amphetamin sein konnte, war er letztendlich ein Verrückter. Lou brauchte zwar immer einen Hof­narren, der ihn amüsierte, aber mindestens genauso dringend brauchte er die Gegenwart einer normalen Frau aus den Fünfzigerjahren, die ihn beruhigen konnte, wenn seine Fantasien allzu heftig wurden. Shelley Albin erfüllte für Lou sämtliche Rollen: Mutter, Schwester, Muse, Geliebte, Trös­terin, Therapeutin, Drogenbeschafferin und ebenbürtig Verrückte. Alles spielte sich zwischen ihr und Lou ab – vierundzwanzig Stunden am Tag.

Während Delmore in der Orange Bar Geschichten über Perverse und Verrückte erzählte und über wirkliche oder eingebildete Vorgänge in Washing­ton schäumte, trank Lou. Er flog auf seinem magischen Drogen­teppich dahin. Unzählige Manuskriptseiten und anderer Schutt türmten sich in seinem Zimmer, das, Shelleys Empfindung nach, mit voller Absicht aussah wie ein Schweinestall. Lou hatte eine sehr intensive, aufregende Beziehung zu Lincoln, der immer mehr ausrastete, sich in einem langen, verdrehten Romanwerk verlor, das ihm die Stimmen in seinem Kopf diktierten, wobei sie widersprüchliche Anordnungen gaben. Lou zeigte auch, dass er die nur wenigen gegebene Fähigkeit besaß, sich drei- oder viermal in der Woche vor ein Publikum hinzustellen und guten Rock ’n’ Roll zu spielen; er spielte die Gitarre auf eine wilde und erfinderische Art, er war ein poetischer Mundharmonikaspieler, und seine Stimme wurde zu einer menschlichen Musikbox.

Alles stand im Begriff, sich zu ändern. Rockmusik bestand aus „Telstar“ von den Tornados, „Walk Like A Man“ von den Four Seasons, „He’s So Fine“ von den Chiffons – Lous Ansicht nach alles tolle Platten. Was auf den Colleges und den Universitäten in Amerika jedoch wirklich von sich reden machte, war Folkmusik. Dylan stand kurz vor dem künstlerischen Durchbruch und schlug Lou im Kampf um den Titel, Poeta laureatus einer Generation zu werden.

An diesem Punkt angelangt, gab es für Lou mehrere Möglichkeiten. Unter den Fittichen von Delmore Schwartz hätte er nach Harvard gehen und vielleicht ein großer Dichter werden können. Er hätte Shelley heiraten und ein Folksänger werden können. Er hätte mit jedem Musiker in Syracuse zusammen eine Band gründen können. Stattdessen begann er sich von all seinen Freunden und Verbündeten, von einem nach dem anderen, zu trennen.

Der Ärger begann damit, dass Lou sich eine Hündin anschaffte, eine Kreuzung aus Schäferhund, Beagle und Dackel, neunzig Zentimeter lang und zehn Zentimeter hoch. Wenn man daran glaubt, dass Hunde immer die Persönlichkeit ihrer Besitzer widerspiegeln, dann war Seymour, wie Shelley sagte, „ein Lou-Hund“. Mehr als jedem anderen gegenüber, der sich in seine Nähe wagte, schien sich Lou dem Hund zu öffnen und mit ihm auf freundschaftliche Weise kommunizieren zu können. Soweit Shelley es beurteilen konnte, schien Lou sich nur dann wohl in seiner Haut zu fühlen, wenn er sich mit Seymour über den Boden wälzte oder mit ihr gemeinsam auf dem Sofa saß und ins Nichts starrte. Bald schon aber nahm Lous Hundeliebe obsessiven Charakter an. Er fing an, Shelley Vorwürfe zu machen, sie sollte den Hund besser behandeln und ihm mehr Aufmerksamkeit schenken.

Unterdessen begannen sich immer mehr jener Eigenschaften Lous abzuzeichnen, mit denen sich auch Shelley auseinander setzen musste, sollte sie sich entscheiden, bei ihm zu bleiben. „Ich meine, er machte wirklich ein Riesen-Tamtam darum, nett zu dem Hund zu sein“, kommentierte sie später. „Aber er selbst verhielt sich unmöglich; ich zog also meine Schlüsse daraus.“ Bei der herrschenden Eiseskälte dachte Lou nicht daran, mit dem Hund Gassi zu gehen. Es stellte sich schnell heraus, dass es zu Shelleys Aufgaben gehörte, den Hund zu füttern und mit ihm hinauszugehen. Trotzdem beschloss Lou, ihn auszusetzen. Shelley überredete ihn, es nicht zu tun. Dann heckte Lewis einen anderen teuflischen Plan aus. Er würde den Hund nach Freeport mitnehmen und ihn ohne Vorwarnung seiner Familie aufs Auge drücken. Und er wusste genau, wie er dabei vorgehen musste.

An Thanksgiving kamen Lou und Shelley mit dem Überraschungsgeschenk nach Freeport. Schon auf dem Flughafen La Guardia gab der Hund eine Talentprobe seiner Seelenverwandtschaft mit Lou. Er stürmte aus dem Frachtraum, in dem er seine Reise hatte zubringen müssen, und begann sofort, den ganzen Boden voll zu pissen, während Lous Mutter losschrie: „Ein Hund! O mein Gott, ein Hund in unserem Haus! Bloß das nicht!“ Diesem Ausbruch begegnete Lou mit jener kunstvollen Selbst­sicherheit, die auch seine späteren Mitarbeiter noch zur Verzweiflung bringen sollte: Er machte ihnen ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnten, indem er sagte, der Hund sei ein Geschenk für Bunny.

Zunächst waren die Reeds verstimmt, aber bald schon – sehr zu Lous Verärgerung – begannen sie an dem neuen Hausgenossen großen Gefallen zu finden. Es stellte sich heraus, dass der Hund wohl Lous Charme besaß, aber keine seiner anderen, weniger anziehenden Charaktereigenschaften. Bald schon jagte Seymour durch das Wohnzimmer der Reeds oder rollte sich auf Tobys Schoß zusammen, als hätte sie in ihr endlich die verlorene Mutter wieder gefunden. Kurz gesagt: Seymour war eine Quelle beständiger Freude in Tobys Leben geworden, so wie es Lewis niemals sein würde.

„Kannst du dir das vorstellen“, bemerkt Lou bissig in einem Song aus dem Jahr 1979, „zuerst wollte sie keiner, und dann war sie plötzlich wichtiger als ich!“

Sobald Lou sah, wie sehr seine Familie den Hund mochte, machte er seine Entscheidung, ihn Bunny zu überlassen, rückgängig und bestand darauf, ihn wieder nach Syracuse mitzunehmen. Dort blieb er bis zu seinem Examen bei ihm und verbrachte danach den Rest seines Lebens als beliebtestes Familienmitglied in Freeport.

Während ihres Besuchs nahm Lou Shelley nach Harlem mit, um Drogen zu besorgen. „Er sagte: ‚Los, wir müssen was abholen‘“, erzählte sie später. „Ich erinnere mich, dass wir zur 125. Straße hinauffuhren. Dort liefen wir durch schmuddelige, widerliche Korridore. Der Typ, den wir aufsuchten, war Musiker. Ich erinnere mich, wie er in seinem Apartment in Harlem hinter einem großen Piano saß. Ich glaube, zwischen den Typen in der Bar in Syracuse und ihm bestand eine Verbindung. Ich wusste, wir waren da, um Drogen zu besorgen, ich denke, es war Heroin, aber beschwö­ren kann ich’s nicht. Ich machte mir mehr Sorgen wegen Lous Fahrstil. Außerdem wusste ich, dass ich eigentlich nicht in Harlem sein sollte, und fühlte mich sehr unwohl. Damals war es für Weiße dumm, nach Harlem zu gehen, denn es war einfach zu gefährlich. Ich hätte vergewaltigt oder umgebracht werden können. Er fand das toll.“

Aber schließlich ging die Beziehung zwischen Shelley und Lou weder aufgrund der Drogen noch wegen des Hundes auseinander. Obwohl es keinen Zweifel daran gab, dass Lou in Shelley verliebt war und ihre Beziehung für beide sowohl romantisch als auch anderweitig eine Offenbarung war, stürzte sich Lou in sexuelle Experimente. Mishkin erzählte beispielsweise, Lou habe eine Schwäche für dicke Mädchen, darunter besonders „eine große, fette Schlampe, die er gern von der Seite vögelte“. Gelegentlich stieg er auch mit einer der schwarzen Sängerinnen, die mitunter die Eldorados begleiteten, ins Bett. „Ich habe nie feststellen können, dass er sich Shelley gegenüber besonders nett verhielt“, kommentiert Hyman. „Aber ich habe eigentlich nie gesehen, dass er zu irgendjemandem besonders nett war.“

Wenn Lou sich einer Frau gegenüber nicht nett verhielt, konnte er sogar besonders grausam sein. Damit versuchte er, sie an eine Grenze zu treiben, um so die Stärke ihrer Zuneigung zu testen. Seine Vorstellung, sagt Shelley, war folgende: „Ich erschaffe dich von Grund auf neu, und dann mag ich dich plötzlich nicht mehr und fange an, dich zu quälen, und warte ab, wann du mich verlässt. Je schlechter ich dich behandle, umso größer ist deine Liebe zu mir, und du bleibst für immer bei mir. Er wurde wirklich abscheulich. Er musste immer jemanden haben, den er fertig machen konnte, und zu dem Zeitpunkt war ich das.“

Aber sie gehörte nicht zu den Mädchen, die sich das einfach so ­bieten lassen, sondern zahlte in gleicher Münze zurück. Einmal hatten die Eldorados einen Auftritt in einem Verbindungshaus in Cornell. Shelley hatte sich ab und zu bereits heimlich mit einem der Bewohner getroffen und beschloss deshalb, zu dem Auftritt mitzukommen. Als Lou mit seinem femininen Gang, den er jetzt vollendet beherrschte, hereintänzelte, ­wurden die Mitbewohner wütend, als sie Shelley an seinem Arm sahen. Sie hatte einige Wochenenden im Haus der Bruderschaft verbracht, und jetzt kam diese kleine jüdische Schwuchtel … Shelley hatte Lou nichts von der unangenehmen Lage erzählt, und sogar er war von dem Maß an Feindseligkeit, das ihm entgegenschlug, beeindruckt. „Jesus, die sind ja wirklich übel, wie ein Haufen Tiere“, sagte er zu Shelley. Irgendwann im Lauf des Abends erklärte sie ihm dann beiläufig den Grund dafür. „Die sind so feindselig, weil ich am Wochenende öfter hier war, mit dem Typ namens Peter. Ich bin seine Freundin.“ Um ein Haar hätten sie den Ort der Veranstaltung nicht mehr lebend verlassen.

Zurück in Syracuse, erreichte die Beziehung zwischen Lou und ­Shelley ihren Tiefpunkt. Zwischen zwei Auftritten kam Lou zu Shelley und sagte: „Ich gehe mit dem Mädchen da ins Hinterzimmer. Möchtest du zuschauen?“ Shelley sah, wie Ritchie Mishkin sie verächtlich anblickte. Sie erkannte, dass sie sich lange genug von Lou hatte misshandeln lassen, und verließ das Verbindungshaus. Es war Februar 1963 und bitterkalt. Lincoln begleitete sie auf dem langen Weg zu ihrem Wohnheim. Er redete auf sie ein, sagte, sie solle sich keine Gedanken machen, dass er, Lincoln, ja immer noch da sei und dass es richtig von ihr gewesen sei, zu gehen. Sie hätte nicht zulassen sollen, dass Lou sie so lange so schlecht behandelte.

„In den vorhergehenden Monaten waren so miese Dinge zwischen Lou und mir gelaufen“, erklärt Shelley. „Diese Groupie-Geschichte gab mir einfach den Rest. Ich hatte niemals Zweifel daran, dass Lou eines Tages ein Rockstar werden würde, und wenn ich bei ihm blieb, hieß das, dass ich die Frau eines Rockstars sein würde. Ich entschloss mich, ihn zu verlassen und für die nächsten zehn Jahre nicht in seine Nähe zu kommen.

Am nächsten Tag sagte er: ‚Ich war so stoned, ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gemacht habe. Warum bist du sauer auf mich, hab ich das echt gemacht?‘“

Aber Shelley hatte endlich kapiert, was Lou antrieb, und sie hielt nichts davon. Der Kampf um den Sieg und die Kontrolle war ihm viel wichtiger als der Besitz, genauso wie er immer mehr zum Voyeur wurde, statt natürlichen Sex zu haben. Lou war von Grund auf unfähig, eine normale, wechselseitige Beziehung aufzubauen. Wie ein Hai wühlte er zwischen den Körpern herum, bis er etwas Lebendiges fand, das er in ­wilder Gier verschlang, während an seinem Kinn das Blut herunterrann.

In der Mitte seines dritten Jahres in Syracuse verwandelte sich Lou in ein achtköpfiges Monster, mit dessen unterschiedlichen Inkarnationen er von nun an durchs Leben schlitterte. Er stellte Bands zusammen, nur um sie wieder großartig aufzulösen, er saugte alle aus, die sich von ihm verführen ließen, und zerstörte sie, denn er spürte keine wirkliche Freude am Leben und wollte nicht, dass sich andere vergnügten, wenn er selbst dazu nicht in der Lage war.

Seit Lou ein eigenes Zimmer bezogen hatte, war seine Beziehung zu Lincoln abgekühlt. Im Lauf des dritten Jahres gab es immer mehr Anzeichen dafür, dass Lincoln sich einem Nervenzusammenbruch näherte. „Ich glaube nicht, dass einer von uns damals verstanden hat, dass Lincoln schizophren war“, erinnert sich Shelley. „Lou war so damit beschäftigt, seine eigene Show nach Lincolns Vorbild abzuziehen, dass ich nicht weiß, ob ihm aufgefallen ist, dass Lincoln wirklich krank war, oder ob er lediglich dachte, Lincoln sei einfach die krassere Nummer. Er versuchte, Lincolns Eigenschaften und Fähigkeiten zu übernehmen. Vieles von dem, was Lou ist, kommt von Lincoln.“ Shelley sagte, für beide Männer sehe der Ablauf einer Liebesgeschichte etwa so aus: „Ich bezaubere dich und bin gut zu dir und belohne dich mit meinem Wissen und meiner Gegenwart, und dann mache ich dich fertig.“ Allen Hyman stimmt zu, dass Lou viele seiner krausen Ansichten über das Leben von Lincoln übernommen hatte. „Viel durchgedrehter als Lincoln konnte man eigentlich nicht sein“, sagte er. „Außer man war Lou.“

Kurz nachdem Shelley Lou verlassen hatte, wurde Lincoln in die Klapse abtransportiert, als seine Eltern ihn in einem so desolaten Zustand vorfanden, dass ihre schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen wurden. Swados Schwester Elizabeth zufolge befand er sich „in einem Zustand völliger Desorientierung. Er war weder dazu in der Lage, dem Unterricht zu folgen, noch konnte er sein Zimmer verlassen. Die Stimmen in ­seinem Kopf gaben ihm zu viele einander widersprechende Anordnungen.“

So verlor Lou kurz hintereinander seine beiden besten Freunde, seine beiden Spiegel. Zwar gab es noch Delmore, aber der kam entweder gerade vom Spital oder war auf dem Weg dahin – jedenfalls war er nicht der Mann, an dessen Schulter sich Lou ausweinen konnte, obwohl er ihm einen sehr wichtigen Rat gab. Er sagte Lou, er solle einen Psychiater aufsuchen, und zwar eine Frau, denn einem Mann würde er doch nicht zuhören.

Trotz des Vorsatzes, ihrem Exfreund aus dem Weg zu gehen, ging es Shelley nach der Trennung von Lou sehr schlecht. Also zog sie los und tat etwas, das Lous Aufmerksamkeit garantiert auf sie lenken würde – sie färbte sich die Haare orange. „Ich erinnere mich daran, dass Lou, als er mich sah, sagte: ‚Wow! Jetzt hat man ja echt Mitleid mit dir, siehst ja aus wie Miss Trash.‘“ Natürlich musste Lou gleich mit ihr nach Freeport fahren, um seinen Eltern zu zeigen, was er aus dem netten jüdischen Mädchen gemacht hatte, das ihnen so sympathisch gewesen war. „Sie sahen das nette, gesunde Mädchen, das sich so zu seinem Nachteil verändert hatte, und sie sagten sich: ‚O Gott, Lou hat es schon wieder geschafft. Er hat sie ruiniert, er hat eine Schlampe aus ihr gemacht‘“, erinnert sich Shelley. „Seine Mutter sagte sogar zu mir: ‚Ich hoffe, er behandelt dich nicht so wie uns.‘ Wir haben seine Mutter wirklich geschockt. Er fand es super.“

Sobald sie wieder im College waren, trennten sie sich. Aber diesmal war sie entschlossen, niemals wieder zu ihm zurückzukehren. „Er war so ein Mistkerl.“

Der November 1963 war der Monat der Erkenntnis für Lou. Es begann damit, dass Bob Dylan ein Konzert in Syracuse gab. „Seit er mit seinem ersten Album herausgekommen war, war Dylan Lous großes Vorbild“, erklärt Mishkin. „Wir kannten seine Musik in- und auswendig. Plötzlich hatte man beides zusammen, Musik und Gedichte, und es war nicht Folkmusik. Lou hat’s echt umgehauen. Es war eine aufregende Sache. Lewis besorgte sich sofort eine Mundharmonika. Und ich erinnere mich daran, wie wir in seinem Apartment saßen und Stevie Windheim (von den Eldorados) und Lewis versuchten, die Noten von „Baby, Let Me Follow You Down“ herauszubekommen. Schließlich hatten wir sie, und wir spielten das Ganze, und wir hätten’s sicher nicht bei einem unserer Auftritte gespielt, aber es gefiel uns.“

Die Ermordung von Präsident Kennedy am 23. November 1963 markierte einen Wendepunkt in Lous Leben. Das Ereignis versetzte Delmore solch einen Schlag, dass er sich nie mehr davon erholte. Lou sah hilflos zu, wie sein Mentor und Saufkumpan in eine paranoide Depression verfiel. Er gab sich nicht einmal mehr den Anschein, noch zu unterrichten, und zog sich in die Orange Bar zurück. Bald war es Lou, der sich um seinen Lehrer kümmerte; er brachte ihn nach langen Nächten in der Orange Bar nachhause, er achtete darauf, dass Delmore Schlüssel und Zigaretten hatte, und kaufte manchmal Gemüse oder irgendwelche Kleinigkeiten für ihn ein. Wenn Schwartz die Orange Bar verließ, befand er sich häufig in anderen Sphären, und wie eine menschliche Wünschelrute ging er in jede Richtung los, die entweder menschliche Nähe oder, was noch häufiger vorkam, Ärger bereitzuhalten versprach. Lou überzeugte sich immer davon, dass er bis nachhause kam und sich ins Bett legte und dass die Gefahr, dass er das Haus durch eine achtlos fallen gelassene Zigarette bis auf die Grund­mauern abfackelte, nicht allzu groß war. Nach einer gewissen Zeit nahm diese Art der Fürsorge für Lou jedoch einen zunehmend unheimlichen Charakter an, denn er begann sein eigenes Schicksal in dem des älteren Mannes zu erkennen. Lou, der bis jetzt von Delmores ermutigendem Zuspruch profitiert hatte und ernsthaft mit dem Gedanken spielte, nach Harvard zu gehen, fand sich plötzlich neben einem Mann wieder, auf den man aufpassen musste und der ohne Unterstützung nicht mehr in der Lage war, von A nach B zu gelangen. „Lou war sich darüber im Klaren, dass man in Delmores Nähe bleiben, ihn beobachten und für ihn sorgen musste“, sagt Shelley. „Ich denke, Lou fand das allmählich etwas mühsam.“

Unterdessen bereitete Lou seinen eigenen Untergang vor. Seit er nach der Elektroschocktherapie auf alle möglichen Medikamente gesetzt worden war, hatte sich Lou zu einem passionierten Drogenkonsumenten entwickelt; oder, um seine eigene Definition zu benutzen, in „einen Smörrebröd-Schmuck“. Falls er gerade keine Pillen einwarf, rauchte er Dope, nahm LSD, aß Pilze, zog sich Kokain rein oder schluckte Downer. Nebenbei führte er sich auch noch ausreichende Mengen Alkohol zu Gemüte, um die Orange Bar rund um die Uhr in Betrieb zu halten. Nun hatte er seinem reichhaltigen Drogenmenü zum ersten Mal Heroin hinzugefügt, wäh­rend er es vorher nur verkauft hatte.

Shelley fiel auf, dass es mit Lou von dem Zeitpunkt an, als er anfing, Heroin zu nehmen, bergab ging. Beim Anblick von Nadeln war er früher wie gelähmt vor Entsetzen gewesen und hatte gesagt, er würde sich niemals Drogen injizieren. Als er dann auf einmal damit begann, Heroin zu spritzen, behauptete er steif und fest, er habe alles unter Kontrolle und könne jederzeit damit aufhören, wenn er nur wolle. Shelley erinnert sich: „Er war ständig auf Heroin und dann wieder runter davon. Er fand diese Erfahrung ziemlich fürchterlich, und außerdem hatte er auch einige Horrortrips.“

Aber Lous Hilfeschreie ließen Shelley kalt. Lou ging es auch deshalb so dreckig, weil er sich der Tatsache bewusst geworden war, dass Shelley ihn nicht nur für immer verlassen hatte, sondern dass sie auch noch mit zwei erwachsenen Männern zusammenwohnte, und zwar nur drei Türen von Lous Apartment entfernt. Bei einer anderen Gelegenheit, als sie mit ihrem neuen Freund und dessen Kumpel aus dem Koreakrieg in der Orange Bar zusammensaß, kam ein Freund von Lou in höchster Aufregung angelaufen und sagte ihr, dass es Lou sehr dreckig gehe. Obwohl sie damit rechnete, dass er die Nacht vielleicht nicht überleben würde, ließ ihm Shelley lediglich ausrichten: „Wenn du jemanden schickst, um mir zu sagen, dass du stirbst, dann stirb!“

Shelley hatte aber trotzdem noch Mitleid mit Lou. „Lou geht es nie gut, das ist einfach nicht in seinen Genen vorgesehen“, stellte sie später fest. „Er hat das Gefühl, dass er es einfach nicht verdient. In dem Moment, wo du sagst, dass Lou doch eigentlich ganz in Ordnung ist, denkt er, irgendwas stimmt mit dir nicht. Denn wenn du ihn ganz in Ordnung findest, dann siehst du nicht, wie schlecht er in Wirklichkeit ist, du siehst all seine schlechten Seiten nicht. Er kann sich einfach nicht wohl fühlen, und genauso wenig kann er es akzeptieren, dass ihn jemand gern hat. Das ist das Traurige an Lou.“

Swados, nach Schwartz der scharfsichtigste Mensch, den Reed am College kennen lernte, war der Erste, der darauf hinwies (in einer Unterhaltung mit einer Freundin, die ein Jahr später stattfand), dass sich unter Lous manchmal kindischer Verzweiflung und seiner Sehnsucht nach jemandem, der ihn bemutterte, ein zweiter Lou verbarg, der weitaus hartgesottener, klarer und realistischer war.

Er besaß Energie und Ehrgeiz in einem Ausmaß, von dem sich nur die wenigsten Leute in Syracuse eine Vorstellung machten. Schon die Tatsache, dass er mit seinen Drogenexperimenten die nächsten fünfzehn Jahre weitermachen und sie ohne fremde Hilfe überleben würde, lässt darauf schließen, dass er im Grunde seines Herzens nicht nur ein Mann war, der überall durchkam, sondern dass er jemand war, der Drogen regelrecht studierte und darauf achtete, dass er über das, was er sich da einverleibte, Bescheid wusste.

Lous wichtigste Entwicklung spielte sich in seinem letzten Jahr im literarischen Bereich ab. Lou machte einen großen Schritt nach vorn, als er anstelle von Kurzgeschichten Songtexte zu schreiben begann, in die er seine Kenntnisse über die Struktur einer Kurzgeschichte einbrachte. In dieser Hinsicht übte Bob Dylan einen großen Einfluss auf Lou aus, ebenso bei der anschließenden Entscheidung, nicht nach Harvard zu gehen. Anstatt sich dort in das Hauptstudium für Literatur einzuschreiben, gewann seine Liebe zum Rock ’n’ Roll endgültig die Oberhand, und er beschloss, diesen Weg einzuschlagen. Dylan hatte ihm nicht nur einen Weg gezeigt, wie man Songtexte schreiben konnte, sondern er hatte für die intellektuelle Anerkennung des Singer/Songwriters gesorgt. Das war ein wichtiger Punkt. Lou war es wichtig, dass er intellektuell für voll genommen wurde. Delmores Reaktion auf seine Entscheidung war für ihn von großer Bedeutung; er wollte nicht, dass dieser dachte, seine Worte seien für Lou unwichtig gewesen. Auf der anderen Seite gab ihm vielleicht gerade Delmores Kollaps die nötige Freiheit, um zu der Reise in eine Region aufzubrechen, die ihn schon immer angezogen hatte – die Kombination von Literatur und Rock.

„Ich dachte, all diese Schriftsteller beschreiben doch nur einen kleinen Teil der menschlichen Erfahrungen“, erläutert Lou. „Und eine Platte könnte doch wie ein Roman sein, man könnte sie genauso schreiben. Es war so nahe liegend, es war sonderbar, dass nicht alle damit anfingen. Nehmen wir uns Schuld und Sühne und machen daraus einen Rocksong!

Aber wenn wir schon von den Großen reden, keiner ist größer als Raymond Chandler. Ich meine, wenn man Raymond Chandler gerade gelesen hat und dann ein anderes Buch nimmt, das ist genauso wie ein Essen, das mit Kaviar beginnt, und dann kommt plötzlich ein absolut minderwertiger zweiter Gang. Nimm also die Sensibilität Raymond Chandlers oder Hubert Selbys oder Delmore Schwartz’ oder Poes und mach Rockmusik daraus.“

Wie jede introspektive Tätigkeit bedeutete Schreiben für Lou einiges mehr als nur einen anregenden Zeitvertreib. Für ihn war es ein langer, schmerzhafter Prozess. „Ich schreibe wirklich sehr gern“, sagte Lou in einem Interview. „Aber es ist qualvoll. Es ist ein sonderbarer Vorgang. Ich hab’s nie so ganz verstanden. Aber ich bin dafür bereit, ich bin dafür geschaffen, ich versuche, mein Umfeld so gut wie möglich darauf einzurichten. Ich versuche, mir nicht im Weg zu stehen. Wenn ich einmal mit Tippen angefangen habe, höre ich nicht mehr auf. Ich halte nicht an und versuche etwas zu verbessern, weil es sonst verschwindet, und ich kann es dann nicht wieder finden. Raymond Chandler: ‚Die Blonde war so anziehend wie eine gespaltene Lippe.‘ So was ist schwer zu schlagen. Er spricht über den Daumennagel von einem Typ, er sagt, dass der Nagel wie der Rand eines Eiswürfels aussieht. Zack, das kann man sich vorstellen. Und das ist das, was ich auch versuche. Ich versuche, mit nur wenigen Worten ein sehr visuelles Sprachbild zu schaffen, das man sich schnell vorstellen kann. Die meiste Zeit verbringe ich damit, zu kürzen. Ich nehme tonnenweise Zeug raus. Ordentlich abspe­cken. Das ist das Ziel. Ich versuche, Gefühle zu vermitteln. Dabei gibt es einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, aber außerdem bearbeite ich die Wörter so lange, bis sie wirklich etwas aussagen, damit die Botschaft schnell verstanden wird und so bildhaft wie möglich ist.“

Während dieser Tage verarbeitete Lou weiterhin seine Alltagserfahrungen zu Songmaterial. Er verbrachte viel Zeit damit, nach New York zu fahren, um dort Drogen zu beschaffen und neue Bands anzuhören. Er war besonders begeistert von Ornette Coleman und versuchte alle seine Konzerte zu besuchen, wenn er in New York auftrat. In seinem letzten Semes­ter führten das Schreiben, die Drogen, seine Einsamkeit und seine Faszina­tion vom Underground-Jazz zu einer kreativen Explosion. Er schrieb damals zumindest zwei seiner späteren berühmten Songs, „I’m Waiting For The Man“ und „Heroin“. Ihre sprachliche Genauigkeit und der wache Geist, der dahinter stand, kündigten bereits jenen Lou Reed an, der als der Baudelaire von New York bekannt werden würde. „Ich habe eine wichtige Entscheidung getroffen“, verkündet er in „Heroin“ und lässt darauf die schwärzeste Zeile der Rockmusik folgen: „Ich werde versuchen / mein Leben zu annullieren.“

„Zu der Zeit, als ich ‚Heroin‘ schrieb, empfand ich mich als einen ziemlich negativen, überspannten, gewaltsamen, aggressiven Menschen. Ich wollte mit diesen Songs das Dunkle in mir exorzieren, oder vielleicht auch das selbstzerstörerische Element, und hoffte, dass andere Leute die Songs auch so verstehen würden. ‚Heroin‘ ist dem Gefühl sehr nahe, das man von Smack bekommt. Es beginnt auf einer gewissen Ebene, aber es ist eine Täuschung. Du denkst, du hast Spaß. Aber wenn es zuschlägt, ist es bereits zu spät für dich. Man hat keine Wahl. Es wird immer stärker und schneller, und es kommt immer näher. In dem Song passiert all das, was auch in Wirklichkeit mit dir geschieht.“ Lou brauchte ein Jahr dafür, um „Heroin“ aus dem Urtext und einigen Grundakkorden in einen der größten Rock­songs aller Zeiten zu verwandeln. Mishkin half Lou dabei, den unvergess­lichen Bass herauszuarbeiten. Erst als Lou im folgenden Frühjahr auf John Cale traf, entwickelte er die Plattenfassungen der beiden Songs.

Sein letztes Jahr war von Konflikten und Frustrationen gekennzeichnet, die sich in verschiedenen dramatischen Zwischenfällen entluden. Im Oktober fuhren die Eldorados zum Sarah Lawrence College, um dort eine Reihe von Wochenendauftritten zu absolvieren. Seit Hyman sein Studium abgeschlossen hatte und durch einen anderen Schlagzeuger ersetzt worden war, hatte Lou noch weniger Geduld mit den schwer schuftenden Bandmitgliedern. Als sie an einem Abend an ihrem Auftrittsort ankamen, wollte Lou nicht spielen. „Er sagte: ‚Verdammt noch mal, ich spiele nicht für diese Vollidioten‘“, erinnert sich Mishkin. „Und plötzlich, direkt vor unseren Augen, zerschlug er mit seiner Hand ein Fenster“ (genau wie Lincoln, der das ein Jahr vorher auch getan hatte). „Natürlich konnte er danach nicht mehr spielen. Wir brachten ihn ins Krankenhaus, und er wurde richtig genäht.“

Lou trug weiterhin zur Schau, wie schlecht er drauf war. Anstatt seinen zunehmenden Drogenkonsum zu verheimlichen, wurde er zu einer Art wandelndem Werbeplakat dafür. Um acht Uhr morgens, wenn die anderen Studenten zum Unterricht trotteten, stand er, mit dem unmissverständ­lichen Kopfnicken, das eine Folge des Heroinkonsums ist, vor der Orange Bar und wartete auf Delmore. „Eines Tages – es war Anfang Frühling – saß ich in der Orange Bar“, erinnert sich Sterling. „Lou und dieser Typ saßen in einem roten Cabriolet, das dem Typen gehörte; beide saßen auf den Vordersitzen und nickten mit den Köpfen, während das Radio in voller Lautstärke lief, bei offenem Verdeck. Ich ging raus, schloss das Verdeck und stellte das Radio aus. Ein anderes Mal saß ich in der Orange Bar, und Lou kam rein. Er dachte, er würde sich auf den Ellenbogen aufstützen, aber der befand sich etwa dreißig Zentimeter oberhalb des Tisches.“ Die örtliche Polizei, die entschlossen war, gegen den Drogenkonsum vorzugehen, wurde auf sein Benehmen aufmerksam und beobachtete ihn.

In einem Essay schrieb Reed später: „Die Polizisten der Stadt, in der ich studierte, hatten mich ersucht, die Stadt noch vor meinem Examen zu verlassen, da ich im Verdacht stand, in einige undurchsichtige Vorgänge verwickelt zu sein. Damals hatten nur wenige Leute lange Haare, aber sie erkannten einander zumindest als gute Typen und Marihuanaraucher. Sie konnten mich nicht schnappen.“

Lou stand jedoch unter intensiverer Polizeiüberwachung, als er selbst wusste. 1963, als sich der Drogenkonsum in den Colleges rasch ausbreitete, hatte das Syracuse Police Department eine kleine Truppe von Beamten unter der Leitung von Sgt. Robert Longo vom Sittendezernat eingestellt und eine neue Abteilung zum Kampf gegen Drogen aufgebaut. Um es mit dem ersten Satz aus Lous Lieblingsbuch Naked Lunch von William Burroughs zu sagen, das kurz zuvor veröffentlicht worden war: „Ich spürte, wie die Bullen mich umzingelten.“ Um etwas gegen die zunehmende Überwachung durch die Polizei zu tun, hatten sich Shelley und eine Freundin mit zwei Mitgliedern dieser Drogenabteilung angefreundet. „Das Auto der Drogen­überwachung hielt vor meiner Wohnung, und obwohl sie eigentlich hätten arbeiten sollen, hingen sie nur herum und tranken Bier“, erinnert sie sich. „Und schmusten ein bisschen mit uns herum, ohne dass sie uns zu nahe gekommen wären. Sie kamen herauf, wurden ein bisschen gedrückt und geküsst und dachten, Wunder was für Fortschritte sie bei den verdorbenen Collegemädchen machten. Lou traf die Bullen auch und hatte während seines ganzen letzten ­Jahres mit ihnen Kontakt. Sie kamen häufig an die Uni. Und sie waren hinter Lou her. Sie mochten Lou überhaupt nicht, weil sich einer der Typen in mich verknallt hatte; deswegen wollten sie Lou an den Kragen.“

Shelley war sich der Tatsache, wie sehr die Bullen hinter Lou her waren, voll bewusst („Sie dachten, er sei eine verdorbene, miese Tunte“, sagt sie); auch dass sie ihn total zusammenschlagen würden, wenn er ihnen in die Hände fiel. So stellte sie die Bedingung, dass sie sich nur mit den Bullen treffen würde, wenn sie Lou in Ruhe ließen. „Wenn ihr Lou etwas antut“, sagte sie, „dann seht ihr mich nie wieder.“

Zunächst fand Lou die Tatsache, dass sich Drogenexperten an seine Fersen geheftet hatten, eher amüsant als anstrengend. Er unterhielt seine Freunde gern mit Geschichten darüber, wie er, gewarnt vor einer anstehenden Hausdurchsuchung, seinen Drogenvorrat im nahe gelegenen Pfadfinderlager vergraben hatte. Lou war voller Zuversicht, dass er die Polizei immer überlisten konnte, so wie er sein Leben lang auch schlauer als andere Autoritätspersonen gewesen war.

Es gab auch Anzeichen dafür, dass sich ein ruhigerer Lou, der mehr Vertrauen zu sich selbst hatte, entwickelte, einer, der das Auge eines inneren Orkans verlassen hatte und nun stärker, selbstsicherer und als sein eigener Herr daraus hervorging. Larry Goldstein, ein Erstsemester, dessen Band The Downbeats 1963 den Musikwettbewerb in Syracuse gewonnen hatte und der kurze Zeit bei den Eldorados mitspielte, hatte eines Nachts Gelegenheit, mit Lou zusammenzutreffen.

„Wir begannen, zusammen zu spielen, wir hatten hauptsächlich College­auftritte“, erzählt Goldstein. „Einmal spielten wir in Cornell, im Fayetville Inn, etwa zwanzig Meilen von Syracuse entfernt. Lou war ausgesprochen nett zu uns. Im Vergleich zu ihm waren wir bloß Kids, aber er verhielt sich überhaupt nicht wie eine Primadonna oder ein Rockstar, er hat uns sehr unterstützt. In der Nähe seiner Wohnung gab es ein Restaurant namens Ben’s, da gab’s so richtig fettes Soul Food [Speisen aus den Südstaaten; Anm. d. Ü.], und Lou ging häufig hin. Eines Abends saßen wir nach einem Auftritt in Lous Wohnung, und ich erinnere mich, dass er sehr freundlich und nett war, so eine Art Vaterfigur. Er schlug vor, zu Ben’s zu gehen und was zu essen zu besorgen. Er schien wesentlich älter zu sein als wir und in vieler Hinsicht auch reifer. Er war eine Persönlichkeit, die sich von allen anderen sehr unterschied. Ich erinnere mich nicht, dass er sich jemals arrogant verhalten hätte. Er war einfach in seiner Entwicklung schon sehr weit.“

Im Juni 1964 graduierte Lou an der Syracuse University mit einem Vordiplom für Kunst und Wissenschaft. Der Reichtum seiner Persönlichkeit und gleichzeitig auch ihre bedauerlichen Beschränkungen zeigten sich in seinem letzten Akt menschlicher Freundlichkeit in Syracuse. Reed dazu: „Sobald die Examen vorbei waren, noch während der Examensfeierlichkeiten, teilte mir die Polizei mit, dass sie mich zusammenschlagen ­würden, wenn ich nicht innerhalb einer Stunde verschwände. Sie hatten nichts Richtiges gegen mich in der Hand, aber sie würden mir alle Knochen im Leib zerschlagen, alles, was ich bewegen konnte. Also bin ich abgehauen, aber ich habe doch ein ehrenvolles Examen abgelegt.“

Shelley behauptet allerdings, Lou sei nach seinem Abschluss noch geblieben, einzig und allein, um sich um sie zu kümmern, da sie sehr krank war. Sie hatten seit einiger Zeit nur ein paar Häuser voneinander entfernt gewohnt. Shelley wohnte in der McDonald Street, zusammen mit ihrem wahnsinnig tollen Freund, und Lou lebte allein an der Ecke Adams Street. Am Ende des Semesters war Shelleys Freund auf Reisen gegangen. Lou besuchte sie und stellte fest, dass sie nicht zum Unterricht gehen konnte. Er packte sie und brachte sie in seine Wohnung. Er wusste, dass sie den Kurs, den sie bei Philip Booth belegt hatte, nicht schaffen würde, wenn er nichts Drastisches unternahm. Er brachte sie also zu der Wohnung von Booth. „Ich erinnere mich, dass ich da hingeschleppt und aufs Sofa gesetzt wurde, und er sagte: ‚Sitz bloß da und schau hoffnungslos aus der Wäsche‘“, erinnert sie sich. „Das fiel mir nicht schwer. Meine Augen müssen in meinem Kopf hin- und hergerollt sein. Er sagte nur zu Booth: ‚Lass sie durchkommen‘, und das tat er.“ Als die anderen Studenten das College verließen, war Shelley noch nicht in der Lage zu reisen, und deshalb blieb Lou bei ihr und „richtete sie wieder auf“, wie sie sagte.

Shelley erinnert sich daran, dass sie dachte: „Ich liebe ihn, er ist wirklich fantastisch“, aber sie war auch sehr durcheinander und erschöpft von der Krankheit. „Du weißt, wie es ist, wenn man sich plötzlich mit jemandem wieder gut versteht. Er war super. Wir fühlten uns wohl wie die Maden im Speck, wie zwei Kids, die gerade aus dem Gefängnis gekommen sind. Er war toll. Es war eine wunderschöne Zeit. Wir wunderten uns immer wieder, wie gut wir uns verstanden.“

Sie blieb ein bis zwei Wochen mit ihm zusammen. Unglücklicherweise war das etwas zu lang, und Shelley fühlte sich wieder auf unschöne Weise daran erinnert, dass Lou immer alles unter Kontrolle haben musste. Sie spürte, dass es zwischen ihnen niemals richtig gut laufen würde. Als er sie zum Flugzeug nach Chicago brachte, winkte sie ihm zum Abschied, ohne sich die Frage zu stellen, wann sie ihn wiedersehen würde.

Lou Reed - Transformer

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