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Wie bin ich hierhergekommen?
Januar 2009
Ich höre in der Dunkelheit eine Bewegung. Ich ringe nach Luft, aber ich habe das Gefühl zu ertrinken. Ein starker Druck wird auf meinen Brustkorb ausgeübt und zwingt meine Lunge, sich gegen ihren Willen zusammenzuziehen.
Luft!
Ich brauche Luft!
Ich muss atmen!
Bitte, kann mir jemand helfen?!
Maschinen piepen hektisch. Panische Stimmen ertönen um mich herum. Plötzlich blendet mich ein helles Licht. Ich versuche, das, was mir die Kehle zuschnürt, zu packen. Aber ich stelle fest, dass meine Arme festgebunden sind und sich nicht bewegen können. Mehrere Hände pressen meinen Körper nach unten, der sich unter dem Druck total verkrampft, und mein Bett wird im nächsten Moment mit besorgniserregender Geschwindigkeit durch einen Gang mit weißen Wänden geschoben.
„Alles ist gut, Victoria“, höre ich immer und immer wieder. Ich bin verwirrt. Ich kann nur eines denken: ATMEN! Dann versinke ich wieder in der schwarzen Dunkelheit.
*
Meine Augen sehen ein gleißendes, helles Licht, und ich höre einen lauten, ohrenbetäubenden Lärm. Ich beginne, unkontrolliert zu zittern, und ein schmerzhafter Stromstoß schießt durch meinen Körper, der sich daraufhin verkrampft und unkontrolliert um sich schlägt. Ich sehe Fremde, die laut rufend ins Zimmer laufen. Ihre Stimmen klingen angsterfüllt; ihre Hände drücken mich nach unten.
Als sich der Krampfanfall legt, versuche ich, wieder klar zu denken.
Wo bin ich?
Leuchtend bunte Luftballons sind an mein Bett gebunden, und mehrere Stofftiere sind im Raum verteilt. Ich kann alles nur verschwommen sehen, aber als sich meine Augen scharf stellen, sehe ich fröhliche Karten und Poster an der Wand. Darauf steht: „Wir lieben dich. Werde wieder gesund. Wir vermissen dich. Bleib stark!“
Warum schreibt mir jemand, dass er mich vermisst?
Wo bin ich?
Bin ich krank?
Was bedeutet: „Bleib stark!“?
Was ist mit mir?
Ich fühle mich gut.
Ich verstehe das nicht.
Wo bin ich?
Was ist los?
Bin ich etwa im Krankenhaus?
Warum?
War ich bewusstlos und wenn ja, wie lange?
Ich höre meine Mutter im Hintergrund. Sie kann mir bestimmt sagen, was los ist. „Mama, Mama!“, rufe ich, aber sie reagiert nicht.
HALLO!
Warum kann sie mich nicht hören?!
Kann mich irgendjemand hören?
Ich merke schnell, dass ich keine Kontrolle über meinen Körper habe, nicht einmal über meine Augen. Im Moment kann ich nur das sehen, was direkt vor meinen Augen ist. Als ich versuche, mich aufzusetzen, ist es, als wäre die Verbindung zu meinem Körper unterbrochen. Ich kann mich nicht bewegen und keinen Ton von mir geben.
Ich bin buchstäblich in meinem eigenen Körper eingeschlossen.
Das kann doch nicht wahr sein.
Das kann doch nicht wahr sein!
Hilfe!
Bitte, kann mir jemand helfen?!
Mein Herz rast und in meinem Kopf dreht sich alles. Ich versuche zu verstehen, was mit mir los ist. Ich habe so viele Fragen.
Welches Jahr ist es?
2006, glaube ich. Aber ich bin mir nicht sicher.
Wie lang liege ich schon hier?
Ich hoffe, noch nicht sehr lange.
Was ist passiert?
Ich kann mich nur verschwommen erinnern.
Werde ich wieder gesund?
Ich bin mir nicht sicher.
Mich befällt Panik. Ich will um Hilfe schreien. Ich versuche, mich zu beruhigen, aber das macht alles nur noch schlimmer. Ich fühle mich verloren und bin verwirrt. Warum sagt mir nicht bitte einfach jemand, was hier los ist?
Ich habe Angst.
Ich habe wirklich, wirklich Angst.
Ich kann keinen einzigen Muskel bewegen. So sehr ich mich auch bemühe, um Hilfe zu schreien, ich bringe keinen Ton heraus. Ich will atmen und schreien und sprechen. Ich habe so viele Fragen, und ich kann mich nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin.
Ich muss hier weg!
Hilfe!
Kann mir bitte jemand helfen?!
Ich bekomme Platzangst, und meine Panik steigert sich. Ich muss etwas finden, irgendetwas, um nicht den Verstand zu verlieren und die Panik zu besiegen.
Denk nach, Victoria.
Moment!
Du kannst denken.
Klar und deutlich.
Mein Körper weigert sich zu funktionieren, aber mein Verstand funktioniert irgendwie ganz normal. Vollkommen normal.
Wie kann das sein?
Mein Verstand.
Mein Gedächtnis.
Mein Wissen. Alles ist da.
Du bist noch da, Victoria.
Du bist immer noch du.
Mein Verstand funktioniert; das ist die einzige Beruhigung, die ich im Moment habe. Mein Hirn ist das Einzige, was ich kontrollieren kann. Dann dämmert mir, dass meine Fähigkeit zu denken die wichtigste Funktion überhaupt ist. Die Vorstellung, im buchstäblichen Sinn den Verstand zu verlieren, ist absolut beängstigend. Gott sei Dank kann ich denken und begreifen.
Ich muss überprüfen, ob ich noch klar denken kann.
Okay.
Ich heiße Victoria Arlen.
Ich bin die Tochter von Larry und Jacqueline Arlen.
Meine Brüder sind LJ, William und Cameron.
Meine Hobbys sind Schwimmen, Tanzen und Hockey.
Ich liebe meine flauschige Hündin, Jasmine.
Meine Lieblingsfarbe ist Pink.
Okay, machen wir es ein wenig schwerer:
Wie viel ist zwei plus zwei?
Vier.
Vier mal vier?
Sechzehn.
Du bist gut, Victoria.
Dein Verstand ist in Ordnung.
Danke, Gott.
Mein Verstand und mein Gedächtnis funktionieren. Offensichtlich kann ich klar denken. Ich bin immer noch da. Das rufe ich mir immer wieder ins Bewusstsein.
Aber wie bin ich hierhergekommen?
Mir fällt nichts ein. Ich erinnere mich an brutale Kopfschmerzen, und ich erinnere mich, dass ich in einen Krankenwagen geschoben werde. Danach wird alles schwarz. Ich lebe und kann denken. Aber ich kann mich nicht erinnern, wie ich hier gelandet bin, und auch nicht, warum ich mich nicht bewegen und nicht sprechen kann.
Ich bemühe mich ganz angestrengt, mich zu erinnern.
Denk nach, Victoria. Erinnere dich!
Als ich versuche, an die Zeit vor den Kopfschmerzen und den Krampfanfällen zu denken, kann ich mich nur daran erinnern, dass ich gesund bin. Ich war immer gesund. Wahrscheinlich war ich die gesündeste in der ganzen Familie, obwohl wir insgesamt eine relativ gesunde Familie sind. Ich hatte immer sehr viel Energie und war den ganzen Tag in Bewegung, bis mich meine Mutter abends ins Bett schickte. Ich war unglaublich abenteuerlustig und hatte eine blühende Fantasie. Besonders gern war ich mit meinen Brüdern unterwegs und habe jede Sportart betrieben, die mir meine Eltern erlaubten. Die Tage hatten nie genug Stunden, um alles zu machen, was ich mir vorgenommen hatte. Ich wollte schon damals die Welt verändern und etwas bewirken.
Wie konnte ich das alles verlieren?
Wie konnte es dazu kommen, dass das Mädchen, das früher alles tun konnte, nun nicht einmal mehr in der Lage ist, mit dem Finger zu wackeln?
Ich zwinge mich, weiter nachzudenken. Da ich keinen Muskel in meinem Körper betätigen kann, kann ich wenigstens das eine benutzen, was noch funktioniert: meinen Verstand. Ich erinnere mich an den Sommer vor der fünften Klasse. Damals war ich zehn. Meine Mutter ging mit mir zum Arzt, weil ich anscheinend einen Mückenstich im linken Ohr hatte. Der Arzt sah kein Problem, aber dann entzündete sich mein Ohr und ich schleppte diese Entzündung durch den ganzen Sommer. Die Ärzte meinten, es käme vom Schwimmen. Aber das war unlogisch. Ich bin vorher jahrelang geschwommen, ohne je irgendwelche Probleme mit den Ohren gehabt zu haben.
Ich erinnere mich, dass ich im Herbst Asthma bekam. Dann folgten mehrere Lungenentzündungen. Dazwischen hatte ich mehrmals Grippe oder grippale Infekte, wie der Arzt es nannte. Diese Erkrankungen waren oft von Ohnmachtsanfällen begleitet. Ich hatte eine oder zwei gute Wochen, aber dann wurde ich wieder krank.
Ich kam in der Schule und im Sportunterricht immer noch gut zurecht, aber irgendwie war es, wie meine Mutter es formulierte, „als hätten sich die Sterne verschoben“. Trotzdem machte sich niemand allzu große Sorgen, weil ich jedes Mal wieder gesund wurde und meinen normalen Alltag meisterte.
Aber ungefähr ein Jahr später, ganz genau ab dem 29. April 2006, kam ich nicht mehr auf die Beine.