Читать книгу Aufgetaucht - Victoria Arlen - Страница 8
Оглавление2
Das ist alles Kopfsache
April bis Juli 2006
Au!
Es fühlt sich an, als würde ein Messer in meine rechte Seite gebohrt. Ich versuche, mich aufzusetzen, aber das löst brutale Schmerzen aus, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Ich schiebe mich langsam von meinem Bett hoch und schleppe mich die Treppe hinab. „Mama, irgendetwas stimmt nicht mit mir.“
Meine Mutter vermutet, dass es wieder ein grippaler Infekt ist, bringt mich zum Sofa und deckt mich zu. Es ist ein Sonntag. Am Tag zuvor sind wir von einem unvergesslichen Ausflug nach Disneyland zurückgekehrt. Ich freue mich darauf, wieder zur Schule zu gehen und meine Freunde zu treffen. Ich bin in der fünften Klasse und das Schuljahr ist fast zu Ende. Der erste Schultag nach den Ferien ist immer lustig.
Aber statt am nächsten Tag zur Schule zu gehen, lande ich in der Notaufnahme, werde gepiekt, am ganzen Körper untersucht und mit Fragen gelöchert. Die Nadeln machen mir Angst, und von dem „Saft“ (Kontrastmittel), den ich für das CT trinken muss, wird mir schlecht. In meiner Familie gab es schon häufiger Blinddarmentzündungen, und da die Schmerzen auf meiner rechten Seite sind, ist das die naheliegende Diagnose. Nach einer Nacht im Krankenhaus, in der meine Schmerzen nicht gelindert werden können, entscheiden die Ärzte, meinen Blinddarm zu entfernen. Meine Eltern und ich hoffen, dass dies die Lösung ist und wir am nächsten Tag einfach heimfahren und ganz normal weiterleben können.
Aber die Schmerzen lassen nicht nach – auch nicht, als die Operationsnarben verheilt sind. Ich lande wieder in der Notaufnahme, dieses Mal in einer sehr renommierten Kinderklinik – angeblich „die beste Kinderklinik der Welt“ – eine Stunde von uns entfernt. Auch hier wird ein CT gemacht und mein Blut wird untersucht, aber die Ärzte finden nichts und tippen auf nachoperative Schmerzen. Sie schicken uns bedenkenlos nach Hause.
Es tut immer noch weh.
Zwei Wochen vergehen, und die Schmerzen in meiner Seite werden immer schlimmer. Ich habe jetzt grippeähnliche Symptome und nehme in kurzer Zeit sehr stark ab. Ich kann essen, so viel ich will, ich verliere trotzdem Gewicht. Schlank war ich schon immer, aber jetzt bin ich viel zu dürr. Die Schmerzen sind mittlerweile so stark, dass ich kaum mehr etwas tun kann. Ich kann nicht schlafen und habe nicht einmal die Energie, vom Sofa aufzustehen. Das ist das absolute Gegenteil von der gesunden Victoria. Ich lag bisher NIE auf dem Sofa. Nun kann ich nicht mehr zur Schule gehen, Sport treiben oder mich mit meinen Freunden treffen. Ich bin eine Gefangene dieser Schmerzen, die langsam, aber sicher mein ganzes Leben beherrschen.
Die einzige „Hilfe“, die von den Ärzten kommt, ist die Empfehlung, andere Ärzte aufzusuchen, die mir starke Schmerzmittel verschreiben und mich dann auch wieder nach Hause schicken. Die Medikamente helfen nicht und die Nebenwirkungen machen alles nur noch schlimmer.
Mit den Schmerzen geht eine erschreckende Kraftlosigkeit einher. Vom Bett aufzustehen und die Treppe hinabzusteigen, wird immer anstrengender. Ich kann mich an die Tage erinnern, als ich die Treppe leichtfüßig hinab- und hinaufgesprungen bin; jetzt fühlt sich jeder Schritt an, als würde ich einen steilen Berg erklimmen. Der Kampf, mich auf den Beinen zu halten, kostet mich alle Kraft.
Nein. Nein. Nein.
Als ich denke, die Schmerzen in meiner Seite könnten nicht mehr schlimmer werden, fangen sie an, sich auszubreiten. Es beginnt in meinen Zehen und zieht langsam an meinem Bein nach oben. Mein rechter Fuß ist seit zwei Tagen wie betäubt. Ich versuche, normal zu gehen, aber ich ziehe ihn wie einen schweren Anker hinter mir her. Meine Mutter bringt mich zu unserem Hausarzt, der mich seit meiner Geburt kennt. Sie erklärt ihm, dass ich immer noch starke Schmerzen habe, auch nachdem mein Blinddarm entfernt wurde, dass ich viel Gewicht verloren habe und dass ich jetzt nicht mehr richtig gehen kann. Der Arzt nickt nur und sagt: „Ich kann mir das nicht erklären. Aber bedenken Sie: Victoria ist ein Drilling. Vielleicht will sie einfach mehr Aufmerksamkeit bekommen.“ Statt mich zu einem Neurologen zu überweisen, besteht er darauf, dass ich zu einem Psychiater gehen soll, damit „der Schalter in meinem Kopf wieder umgelegt wird“. Was kann die Tatsache, dass ich ein Drilling bin, mit meinen Schmerzen zu tun haben? Aufmerksamkeit ist das Letzte, was ich will. Auf Hilfe angewiesen zu sein, frustriert mich grenzenlos. Außerdem: Welche Elfjährige kann das alles erfinden?
Jeder hat schon einmal den Spruch gehört: „Das ist alles Kopfsache.“ Meistens ist das einfach eine flapsige Art zu sagen: „Lass dich nicht so gehen“ oder „Reiß dich zusammen“. Ich habe nie gedacht, dass dieser Spruch ernst gemeint sein könnte. Aber die Ärzte, zu denen ich komme, gebrauchen mir gegenüber solche Formulierungen und verwenden Worte wie psychosomatisch. Damit wollen sie ausdrücken: „Du machst das nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen!“ oder sie wählen das Wort als Umschreibung für: „Wir haben keine Ahnung, was mit dir los ist!“. Aber letztendlich läuft alles auf das Gleiche hinaus: Sie glauben mir einfach nicht.
Immer öfter höre ich Sätze wie: „Die Schmerzen, die du hast, sind in Wirklichkeit gar nicht da, Victoria. Ja, der Reflex in deinem rechten Bein funktioniert nicht mehr und du hast Probleme beim Gehen, aber mach dir keine Sorgen. Das ist alles nur Kopfsache. Lege einfach den Schalter um, dann geht es dir wieder gut“ oder „Du fühlst dich nicht gut? Du bist ein Drilling. Du willst nur mehr Aufmerksamkeit bekommen. Medizinisch ist alles in Ordnung. Dir geht es gut.“
Mir geht es NICHT gut.
Kann mir jemand helfen?
Oder mir sagen, was los ist?
Bitte?
Bitte!
Etwas stimmt ganz und gar nicht mit mir. Das weiß ich, aber das scheint keinen Arzt zu interessieren. Mit mir geht es rasant bergab.
Bitte.
Bitte glaubt mir!
Bitte helft mir!
Ich werde von einem Arzt zum anderen geschickt, aber keiner hilft mir. Seit meinem Besuch in einer bekannten Kinderklinik in Massachusetts hat man mir anscheinend den Stempel „psychisch krank“ verpasst, und kein Arzt nimmt mich mehr ernst.
Aber ich habe Schmerzen.
So starke Schmerzen.
Warum hört mir keiner zu?
Etwas stimmt hier nicht!
Ich bin nicht verrückt.
Bitte.
Ich bin nicht verrückt.
Meine Familie und ich wissen es damals nicht, aber die lange Reihe von Fehldiagnosen beginnt gerade erst.
*
Jetzt ist Juni. Der Sommer rückt mit Riesenschritten näher, und ich will nichts anderes, als mit meinen Freunden spielen und das Schuljahr abschließen. Ich bete jeden Abend, dass ich wieder gesund werde und zu Kräften komme. Inzwischen kann ich die Schmerzen einigermaßen aushalten – ich habe mich an sie gewöhnt –, aber die Schwäche in meinen Beinen ist beängstigend. Ohne meine Beine verliere ich schnell meine Selbstständigkeit. Ich verpasse schon jetzt so viel. Ich möchte einfach wieder mein gewohntes Leben zurückhaben.
Irgendwann fangen beide Füße an zu brennen, als ginge ich über heiße Kohlen. Stechende Schmerzen schießen an meinen Beinen hinauf. Jeden Tag ziehen sie höher und höher und werden immer stärker. In meinen Beinen wütet die gleiche Art von Schmerz wie in meiner rechten Seite. Ich ziehe meinen rechten Fuß immer noch nach, und jetzt geben auch noch meine Knie nach. Jedes Mal, wenn ich stehe, sacken sie unter mir zusammen, und ich knicke zu Boden. Trotzdem bin ich fest entschlossen, mir von niemandem helfen zu lassen. Deshalb hangle ich mich an Möbeln und an der Wand entlang, um mich auf den Beinen halten zu können.
Das vergeht bestimmt wieder.
Falsch.
Meine Beine werden schwächer. Ich kann nicht mal mehr mit den Zehen wackeln. Und die Schmerzen werden noch stärker.
Doch eines Morgens sind sie abrupt weg. So sehr ich es feiern möchte, dass ich schmerzfrei bin, wären mir die Schmerzen doch lieber als das, was danach kommt: Nichts.
Keine Bewegung mehr. Keine Funktion. Nichts. Ganz tief innen weiß ich genau:
Hier stimmt etwas absolut nicht.
Ende Juni bezeichnen die Ärzte in zwei weiteren großen Kliniken in Massachusetts meinen Zustand erneut als „psychosomatisch“. Da sie nicht erklären können, was ich habe, bezeichnen auch sie mich als „psychisch krank“, um meinem Zustand irgendeinen Namen zu geben. Das bedeutet im Klartext: Die Ärzte schreiben mich nun ganz ab und weigern sich, mir zu glauben, geschweige denn zu helfen. In einem verzweifelten Versuch, Antworten zu bekommen, bringt mich meine Mutter zu einem Heilpraktiker in Connecticut. Der Heilpraktiker macht sich große Sorgen um mich und greift sofort zum Telefon. Ehe wir uns versehen, sind wir unterwegs in ein weiteres großes Krankenhaus, dieses Mal in New York City. Zuerst sind die Ärzte ernsthaft besorgt und führen eine Reihe von Untersuchungen durch. Aber als eine Untersuchung nach der anderen keine eindeutigen Schlussfolgerungen nahelegt, kratzen sie sich ratlos am Kopf und fragen sich: Was bringt ein normales elfjähriges Mädchen, das immer aktiv und gesund war, dazu, so zu werden?
Nach ungefähr einer Woche mit vielen Untersuchungen und erfolgloser Physiotherapie kommt eine der leitenden Ärztinnen zu uns ins Zimmer, hebt die Hände und sagt: „Ich habe keine Ahnung, was hier los ist.“ Dann geht sie und gibt uns lediglich ein Rezept für eine weitere Runde Physiotherapie. Und einen Rollstuhl.
Rollstuhl?
Das ist nur vorübergehend, oder?
Meine einzige Berührung mit einem Rollstuhl hatte ich, als sich ein Mitschüler in der vierten Klasse bei einem Motorradunfall das Bein gebrochen hatte. Er hatte einen echt coolen gelben Rollstuhl, und ich erinnere mich, dass ich mich gefragt habe, wie es wohl sein muss, den ganzen Tag darin zu sitzen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich eines Tages selbst in einem Rollstuhl hocke und dass der Rollstuhl für sehr lange Zeit die einzige Möglichkeit sein würde, mich fortzubewegen.
Erst jetzt fange ich an, wirklich zu begreifen, dass meine Beine nicht mehr funktionieren. Ich kann mir aber absolut nicht erklären, warum sie mir nicht gehorchen.
Warum kann ich nicht gehen?
Warum kann ich meine Beine nicht fühlen?
Wackle, Zeh!
Bitte, wackle!
Mein ganzes Leben lang war ich aktiv. Ich bin herumgerannt und habe getanzt, ohne irgendwelche Probleme zu haben. Und jetzt? Ich kann nicht einmal meine Fußzehen bewegen. Ich starre stundenlang meine Füße an und suche verzweifelt nach einem Lebenszeichen. Jede Minute, die vergeht, verstärkt meine Angst und Verwirrung.
HILFE!
Hauptsache, ich bin rechtzeitig zum Feldhockey-Camp im Juli wieder gesund! Ich bin fest entschlossen, in der sechsten Klasse in der Startmannschaft zu spielen. Aber für das Feldhockey-Camp müsste ich mich zumindest auf den Beinen halten können …
Das Feuerwerk erhellt den Himmel und am See wird gefeiert. Es ist der 4. Juli, der amerikanische Nationalfeiertag. Ich sitze in meinem Rollstuhl vor dem Seehaus meiner Familie und bin verwirrt und traurig. Ich kann nicht mit den anderen Kindern herumlaufen, und es macht mich richtig krank, dass selbst das Sitzen in meinem Rollstuhl so ermüdend ist. Noch im letzten Sommer bin ich ohne die geringste Sorge mit den anderen herumgesprungen und habe mir das Feuerwerk angesehen. Jetzt klammere ich mich an diese Erinnerung wie an eine Rettungsleine. Meine Welt bricht in sich zusammen.
Was geschieht mit mir?
Was ist aus dir geworden, Victoria?
Warum gibt mir niemand eine Antwort?
Warum glauben mir die Ärzte nicht?
Bin ich am Ende wirklich verrückt?
Aber ich weiß, dass ich es nicht bin und dass das, was ich spüre beziehungsweise nicht spüre, echt ist. Doch ich fühle mich von den Ärzten im Stich gelassen, von denen immer wieder nur die Aussage kommt: „Das ist reine Kopfsache.“ Mein Zustand verschlechtert sich weiter, aber die „Spezialisten“ glauben mir nicht und helfen mir nicht.
Meine Mutter macht mir immer wieder Hoffnung. Sie weigert sich zu akzeptieren, dass „man nichts machen kann“. Ihr Glaube an mich hilft mir, den Verstand nicht zu verlieren und stark zu bleiben. Aber nicht einmal sie kann das, was als Nächstes passiert, verhindern.
Nach diesem ersten Juli-Wochenende fängt mein ganzer Körper an, sich Stück für Stück abzuschalten.
Es ist, als würden die ganzen „Leitungen“, die meine Körperfunktionen steuern, eine nach der anderen „gekappt“. Wie die Stromleitungen im Haus, die dafür sorgen, dass die elektrischen Geräte funktionieren – Licht, Kühlschrank, Fernseher –, wird mein innerer Stromkreislauf nach und nach abgeschaltet. Eine Funktion nach der anderen wird immer mühsamer, bis irgendwann jede einzelne einfach ihren Dienst verweigert.
Ich, ich, ich kann nicht schlucken.
Das Essen steckt fest, Mama.
Zu essen war für mich nie ein Problem. Solange ich zurückdenken kann, hatte ich immer einen gesunden Appetit. Plötzlich stellt es eine körperliche Herausforderung dar, zu essen. Ich versuche zu schlucken, aber es fühlt sich an, als würde etwas meine Kehle blockieren. Mit jedem Schluck wird es schwerer und schwerer.
Husten! Du hast noch Essen im Hals.
Versuch es noch einmal!
Husten, husten, husten.
Das Essen steckt fest.
Noch einmal, komm schon, Victoria!
Husten!
Husten!
Ich bekomme keine Luft mehr! Hilfe!
Solche Situationen treten immer häufiger auf. Die Muskeln in meinem Hals und Mund werden schwächer und schwächer. Bis …
Bis der Schluckreflex überhaupt nicht mehr funktioniert.
Knips. Ausgeschaltet!
Die Fähigkeit, meine Beine und Zehen zu bewegen, habe ich bereits verloren, aber jetzt wird es auch mit meinen Armen und Fingern immer schlechter. Es ist, wie wenn ein Baby versucht, etwas zu greifen. Es weiß, dass es den Gegenstand oder das Spielzeug will, aber es bringt die Koordination nicht zustande, um seinen kleinen Arm an die richtige Stelle zu bringen. Ein kleines Kind versucht es und versucht es, immer und immer wieder, bis es schließlich gelingt und die Bewegung selbstverständlich wird.
Aber ich bewege mich in die andere Richtung. Einfache Dinge, wie ein Wasserglas zu halten, werden immer schwieriger. Ich will meine Hände und Finger bewegen, aber sie gehorchen mir nicht. Die Verbindung zu meinen Gliedmaßen wird immer schwächer, bis …
Bis ich meine Hände und Finger nicht mehr steuern kann.
Knips. Ausgeschaltet!
Ich brauche immer mehr Hilfe. Es wird ständig mühsamer, meine Selbstständigkeit nicht komplett zu verlieren. Um noch halbwegs allein zurechtzukommen, muss ich meine ganze verbleibende Energie aufwenden. Ich kämpfe um die Kontrolle über meinen Körper und darum, das Steuer in der Hand zu behalten, aber alles gerät außer Kontrolle und entgleitet mir in rasantem Tempo. Ich wache jeden Morgen auf und stelle fest, dass ich noch abhängiger von anderen geworden bin als am Vortag.
Ich verliere meine Selbstständigkeit.
Knips. Ausgeschaltet.
Dann tritt das ein, wovor ich die meiste Angst habe: Es gibt Momente, in denen ich mich an die einfachsten Dinge nicht erinnern kann: wer ich bin und wo ich bin und wer zu meiner Familie gehört. Es fühlt sich an wie ein Kurzschluss in meinem Gehirn, das sich offensichtlich immer wieder für einige Sekunden ausschaltet.
Solche Momente werden immer häufiger, und es fällt mir zunehmend schwerer zu sprechen. Ich weiß, was ich sagen will, aber ich finde die richtigen Worte nicht oder kann die Verbindung zwischen meinem Hirn und meinem Mund nicht herstellen. Dann wird der Schalter wieder umgelegt und alles ist gut. In der einen Minute weiß ich, wer meine Mutter ist, und in der nächsten weiß ich es nicht. Ich wechsle ständig zwischen klaren und dunklen Momenten hin und her und bete jedes Mal, dass es wieder hell wird.
Ich heiße Victoria Arlen.
Ich heiße Victoria Arlen.
Ich heiße Victoria Arlen.
Ich …
heiße …
?
Wie heiße ich?!
Wie heiße ich?!
Nein.
Nein.
Bitte, NEIN!!!
Lass das aufhören, Gott, bitte!
Mein Verstand …
Knips. Ausgeschaltet!
In meinen immer seltener werdenden lichten Momenten habe ich wenigstens noch meine Stimme. Ich kann mit meiner Familie kommunizieren und ihnen mitteilen, was ich erlebe. Aber dann, eines Tages …
Kann mich jemand hören?
Hallo!
Meine Stimme?
Meine Stimme!
Wo ist meine Stimme?!
Vollständig weg. Ich versuche, Worte zu formen, aber ich bringe nur ein mühsames, sinnloses Murmeln und Stöhnen heraus.
Meine Fähigkeit zu kommunizieren …
Knips. Ausgeschaltet!
*
Im Kunstunterricht in der fünften Klasse hatten wir einen Schraubstock, bei dem zwei Metallteile zusammengeschoben wurden, um dazwischen unser Kunstwerk einzuklemmen. Der Schraubstock sah aus wie eine Gerätschaft aus einem Wikingerfilm. Wie ein Folterinstrument für unsere armen Kunstwerke.
Genau so fühle ich mich jetzt. Als wäre mein Kopf in einen Schraubstock gezwängt und der Druck wird immer stärker und stärker, bis er unerträglich ist. Ich verliere aufgrund der starken Schmerzen immer häufiger das Bewusstsein oder will mich übergeben. Keine Entspannung oder Erleichterung, nur ständig dieser Druck und dieses Gefühl, dass mein Gehirn zusammengequetscht wird. Die rasenden Kopfschmerzen dauern eine gefühlte Ewigkeit. Aber es sind in Wirklichkeit nur zwei Tage. Dann wird alles dunkel.
Der letzte Schalter, der Lichtschalter …
Knips. Ausgeschaltet.
Ich versinke in einem schwarzen Loch. Nun bin ich in diesem dunklen Zustand gefangen, aber das ist mir nicht einmal bewusst. Ich habe mich von mir selbst, von meiner Familie und von allem, was ich kenne, zurückgezogen. Ich bin in meinem Gehirn gefangen, eingesperrt in einem Körper, der nicht mehr mit mir verbunden ist. Locked in.
Die Victoria, die meine Freunde kannten und die meine Familie liebte, gibt es nicht mehr. Das Licht ist erloschen und nichts funktioniert mehr. Alles, was mich ausmachte, ist fort. Ich bin fort.
Victoria Catherine Arlen, am 26. September 1994 in Boston, Massachusetts, als Tochter von Larry und Jacqueline Arlen geboren … ausgelöscht.
Die Hölle beginnt.