Читать книгу Das Zimmer des roten Traums - Victoria Holt - Страница 8
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ОглавлениеWie sich das Leben für mich verändert hatte. In der Vergangenheit hatte ich über die Bedeutung der Carringtons gelacht und gedacht, Kusine Agatha bewundere sie nur so, weil sie mehr Geld hatten und den Ton in einer Gesellschaftsschicht angaben, die sie auch erreichen wollte. Es war aber mehr als das. Josiah Carrington war nicht nur Bankier und Finanzier von großem Ansehen, sondern auch Regierungsberater und Diplomat. Der älteste Sohn Rollo folgte seinem Beispiel, und Philip war auf dem Wege, es ihm gleichzutun. Lady Emily, Tochter eines Earl, hatte Verbindungen mit den höchsten Kreisen und war vor ihrer Heirat bei Hof gewesen. Im Vergleich dazu schien Cousin William, so wohlhabend er auch war, unbedeutend. Aus diesem Grund hatte man die Einheirat in eine solche Familie als äußerst vorteilhaft angesehen und selbst den jüngeren Sohn Philip gerne in Erwägung gezogen.
Daß ich, die Ausgestoßene, die arme Verwandte, das Rennen machte, war fast schon komisch. Rosie sagte mir, daß die Dienerschaft sich kaputtlache darüber. Sie freuten sich alle, weil keiner je viel von Kusine Agatha gehalten habe, und es machte ihnen Spaß, daß sie »einen an die Birne geknallt gekriegt hatte«, wie sie es formulierten, und daß dieser Schlag von Philip gekommen war.
Ich wunderte mich, wieviel das Personal wußte. Weniges, was in unseren Räumen passierte, entging ihnen. Rosie war als Mittlerin sehr amüsant für mich.
Philip mochten alle. Er war immer zu Späßen und Streichen aufgelegt. Mr. Rollo sei da anders. Sehr kühl und hochmütig und seit dieser mysteriösen Heirat äußerst empfindlich. Und Mr. Carrington galt als guter Herr. Er weilte oft außer Haus, hatte hier und dort mit seinen großen Geschäften zu tun. Lady Emily mochten auch alle, aber sie lebte wie in einem Traum. Konnte nie das Hausmädchen vom Zimmermädchen unterscheiden, und die Köchin behauptete, sie kenne nicht einmal den Unterschied zwischen ihr und dem Butler. Trotzdem war sie eine jener Herrinnen, die man gerne mag. Sie stocherte nie in den Abrechnungen nach und fragte nie nach Preisen für dies oder jenes. Im Hause Carrington ließ es sich gut leben.
Philip und ich bekamen ein Haus in der Nähe und konnten natürlich das Landhaus mitbenutzen, wann immer wir wollten, wie es auch die übrige Familie tat.
Das Haus auszusuchen, würde Spaß machen, und Philip wollte, daß wir gleich damit anfingen. Ich mußte mir selbst versichern, daß ich nicht träumte. Ich, die nie ihres eigenen Zimmers hatte sicher sein können, in einem eigenen Haus! Die Nachricht über unsere Verlobung hatte übrigens rasch die Runde gemacht, und da Philip ein Carrington war, wurden wir für die Gesellschaftsseite verschiedener Zeitschriften fotografiert.
Ich fühlte mich wirklich wie im Traum. Im Tatler war ein großes Bild von mir. »Miß Ellen Kellaway, die Mr. Philip Carrington heiraten wird. Sie lebt zur Zeit bei ihrem Vormund, Mr. Loring. Mr. Carrington ist der jüngere Sohn von Mr. Josiah Carrington.«
Ich hatte einen ganz neuen Status gewonnen. Esmeralda war ganz begeistert. Sie umarmte mich und war glücklich, mich in meinem Element zu sehen. »Es war ja von Anfang an klar. Er hat dich immer schon gemocht. Ihr habt euch immer verbündet. Philip hielt mich für dumm.«
Ich tröstete sie: »Gemocht hat er dich auch immer.«
»Nein, er verachtete mich«, gab sie zurück. »Ich bin eben nicht so abenteuerlustig wie ihr. Ihr zwei paßt so gut zusammen. Es ist bestimmt richtig so. Und ihr werdet sehr glücklich sein.« Sie küßte mich.
»Du bist so lieb zu mir, Esmeralda. Bist du sicher, daß du Philip nicht liebst?«
»Völlig!« antwortete sie emphatisch. »Ich hatte schreckliche Angst, daß er mich um meine Hand bitten würde und ich ja sagen müßte, weil Mama es so wollte. Und dann hat sich alles so ergeben.«
»Ich glaube, deine Mutter ist nicht allzu erfreut darüber«, sagte ich.
»Aber ich bin es«, sagte sie. »Ach, Ellen, was für eine Angst ich davor hatte.«
Kusine Agatha hatte den ersten Schock überwunden und versuchte, ihren Schmerz zu verbergen. Ich überlegte, ob sie sich damit tröstete, daß selbst die Verbindung über eine arme Verwandte besser war als gar nichts.
»Du brauchst jetzt natürlich Kleider«, sagte sie zu mir. »Wir können uns nicht nachsagen lassen, daß wir dich zu kurz gehalten haben.«
»Keine Angst, Kusine Agatha«, beruhigte ich sie. »Philip ist das ganz egal, und wenn wir verheiratet sind, kauft er mir sicher welche.«
»Rede doch nicht so dumm daher. Ist dir denn nicht klar, daß du jetzt im Blickpunkt stehst? Man wird versuchen, herauszubekommen, was er an dir findet.« Sie rümpfte die Nase, um zu bezeugen, daß sie die Antwort darauf nicht geben konnte.
»Du mußt entsprechend gekleidet sein. Es wird verschiedene Anlässe geben ... Abendessen. Und dann brauchst du natürlich ein Brautkleid.«
»Wir legen keinen Wert auf große Feierlichkeiten.«
»Du vielleicht nicht. Aber du vergißt, daß du in die Carrington-Familie einheiratest.« Wieder dieses Naserümpfen.
»Gewiß, er ist nur der jüngere Sohn, aber immerhin ein Carrington. Wenn du einmal verheiratet bist, wirst du dich in diesen Kreisen bewegen. Sicher wirst du Esmeralda, deine Gefährtin, des öfteren einladen wollen.«
Plötzlich fühlte ich meine neue Macht. Ein herrliches Gefühl. Ich konnte nicht widerstehen, Kusine Agatha wohlwollend zuzulächeln und großzügig zu erklären, daß ich Esmeralda gerne oft bei mir sehen würde. »Ich bin glücklich«, sagte ich. »Zutiefst glücklich. Alles hat sich verändert.« Von wegen Aschenputtel! Und ausgerechnet Philip spielte die gute Fee! Es mußte doch wahre Liebe sein.
»Ich könnte es nicht ertragen, daß die Leute sagen, wir hätten dir nicht das Beste gegönnt!« sagte sie. »Es ist nun einmal passiert, so merkwürdig es auch scheint, und wenn Philip es sich nicht noch anders überlegt, heiratest du wohl in die Familie ein. Sicher wirst du dich immer daran erinnern, welches Glück du hattest, bei uns zu wohnen, und dir stets Dankbarkeit bewahren für jene, die sich um dich kümmerten und ohne deren Hilfe du deinem Glück nie begegnet wärst.«
Ich ließ sie reden; meine neue Stellung hatte mich großzügiger gemacht, und es war ohnehin nur eine kleine Entschädigung für ihre Enttäuschung. Glücklicherweise hatte ich nie zu den nachtragenden Menschen gehört und konnte daher rasch die Demütigungen meiner Kindheit vergessen.
»Unsere Hausschneiderin wird der Aufgabe wohl nicht gewachsen sein. Vielleicht kann sie dir ein paar Hauskleider machen. Ich nehme an, Lady Emily wird dich bei ihrer eigenen Schneiderin einführen. Du brauchst ein sehr elegantes Reisekleid und vor allem das Brautkleid. Ich habe darüber gerade erst mit meinem Mann gesprochen. Er ist bereit, alle Rechnungen zu bezahlen, so daß du unbeschwert in dein neues Leben eintreten kannst. Schließlich fällt der Widerschein ja nur auf uns, und wir müssen an Esmeraldas Zukunft denken.«
Und so ging es weiter; aber ich hörte ihr gar nicht mehr zu, ich hatte im Augenblick ja so viel anderes zu bedenken.
Philip holte mich immer ab. Wir ritten gemeinsam im Park. Ich hatte ein neues Reitkleid. Ein Geschenk von Mr. Loring, sicher auf Veranlassung vcn Kusine Agatha, denn das Ausreiten im Park machte uns ja für die Umwelt sichtbar. Fast jede Woche wurden wir fotografiert.
»Wie gräßlich!« sagte Philip. »Wozu all das? Ich möchte nur mit dir alleine fortfahren.«
Er schien sehr glücklich zu sein, und es war herrlich, zu wissen, daß er mich so liebte. Er neckte mich zwar oft und stritt mit mir wie eh und je. Dauernd trugen wir unsere kleinen Wortgefechte aus, die uns aber beiden Spaß machten. Ich war neunzehn, er beinahe einundzwanzig. Das Leben erschien uns beiden sehr schön. Ich glaube, von der Welt wußte er nicht viel mehr als ich, und ich wußte reichlich wenig. Manchmal ist es aber besser, nicht zu wissen, was die Zukunft einem bringt.
Es war angenehm, in seiner Familie willkommen zu sein. Lady Emily benahm sich trotz aller Zerstreutheit bezaubernd, und sie gestand mir einmal, daß sie sich schon auf unsere Babys freute. Sie sprach gerne und viel, aber meist unzusammenhängend. In der Carrington-Familie gab es immer Jungen, erzählte sie mir. Rollo war ein Jahr nach ihrer Heirat gekommen, Philip erst viele Jahre später. So sehr verschiedene Jungen. »Rollo hat mir manchmal Angst gemacht. Er war so schlau. Philip ist da anders.« Und irgendwie wurde als selbstverständlich angenommen, daß wir uns mit dem ersten Baby nicht allzusehr Zeit ließen.
Der Gedanke an ein Baby begeisterte mich, und in den ersten Wochen nach dem Ball gab es eigentlich keine einzige Wolke an meinem Himmel. Ich glaubte damals wohl wirklich, daß alles immer so weitergehen würde.
Eine Woche verbrachten wir auf dem Land, da die Carringtons die Verlobung auch unter ihren dortigen Bekannten feiern wollten. Das Landhaus der Familie hatte mich vom ersten Augenblick an fasziniert, und jetzt war ich selbst ein Mitglied der Familie, und es würde von Zeit zu Zeit mein eigenes Heim sein. Das begeisterte mich über die Maßen.
Trentham Towers ging bis auf die Tudorzeit zurück, allerdings war später viel daran verändert worden. Es stand auf einem Hügel und beherrschte die umliegende Landschaft, wie die Carringtons selber ihre Umgebung zu beherrschen schienen. Seit ich zur Familie gehörte, war mir klargeworden, daß ich manches falsch gesehen hatte. Meine Meinung über die Carringtons hatte ich von Kusine Agatha bezogen. Niemand hätte mich warmherziger empfangen können. Sie waren in den Kreisen, in denen sie sich bewegten, wirklich eine große Ausnahme.
Ich sagte Philip, daß ich mir das Haus gerne ansehen würde. Meine Vorfreude übertrug sich auf ihn, wie es oft passierte, wenn mich etwas begeisterte, was ihn normalerweise wenig interessierte (eine seiner schönsten Eigenschaften), und er übernahm gerne die Führung. Die Gärten kannte ich schon. Die hatte ich ja in meiner Kindheit gründlich erforscht. Was mich jetzt interessierte, war das Haus.
Er führte mich durch die große Eingangshalle zur Kapelle, dann zum Eßsaal mit den Porträts der Familie der Mutter. Über eine steile Wendeltreppe ging es zu einer schweren Eichentür, die er für mich öffnete. »Hier siehst du die alte Waffenkammer. Es ist jetzt unser Pistolenraum.«
»Wie viele Waffen ihr habt!« rief ich. »Hoffentlich sind sie nur zur Zierde da.«
Er lachte mich aus. »Ab und zu werden sie in der Jagdzeit verwendet. Ich bin übrigens ein Meisterschütze.«
»Ich hasse das Schießen auf Tiere«, sagte ich mit Nachdruck.
»Aber einen saftigen Fasan ißt du von Zeit zu Zeit ganz gerne«, spottete er. Er hatte einen mit rotem Satin gefütterten Koffer geöffnet, in dem eine silbergraue Pistole lag und noch eine leere Mulde für eine gleiche zweite Pistole war.
»Ist sie nicht schön?« fragte er mich.
»Schön kann man so etwas wohl nicht nennen.«
»Weil du nichts davon verstehst.«
»Und wo ist die zweite? Es gehören doch zwei hinein, nicht wahr?«
»Oh, die ist sicher aufgehoben.«
»Was willst du damit sagen?«
»Nun, wenn ich zum Beispiel allein in einem Flügel des Hauses bin, höre Schritte über den Korridor herumschleichen, die Tür öffnet sich langsam, ein Maskierter tritt ein. Er will das Silber stehlen, die Bilder, den Familienschatz. Was soll ich da tun? Ich greife unter mein Kopfkissen und ziehe die Pistole heraus: ›Hände hoch, Schurke!‹ würde ich rufen. Und was passiert? Was kann er gegen mich und meine kleine Schönheit hier tun? Der Familienschatz ist gerettet und alles nur dadurch.« Liebevoll streichelte er die Pistole, ehe er den Kasten wieder zuschloß.
»Du hast doch nicht wirklich die zweite Pistole unter dem Kopfkissen?«
»Doch, bis wir verheiratet sind. Dann habe ich ja dich zum Schutz dabei.«
»Du Dummkopf«, sagte ich. »Und ich mag so Schießzeug überhaupt nicht. Komm, sehen wir uns weiter um.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl«, antwortete er.
Die alte Ritterkammer und die Speicher gefielen mir. Bezaubernd fand ich auch das Zimmer, in dem angeblich schon Königin Elisabeth geschlafen hatte. Selbst das Himmelbett war noch da, in dem sie geruht haben soll. Der hübscheste Raum war das sogenannte Solarium. In diesem sonnenhellen Raum wandte ich mich zu Philip und fragte ihn: »Wann werde ich Rollos Frau kennenlernen?«
Meine Frage berührte ihn unangenehm. »Wir sehen sie alle nicht. Wir sprechen nicht einmal von ihr. Es ist eine höchst unangenehme Sache und paßt so gar nicht zu Rollo. Man hätte sich nie vorstellen können, daß er in so etwas verwickelt werden könnte. Immer war er nur mit den Geschäften befaßt, Finanzierungen und so weiter ... genau wie mein Vater ... vielleicht sogar noch mehr als er. Beide sausen dauernd in der Weltgeschichte herum und beobachten die Märkte. Oft meine ich, daß sie gar nichts anderes kennen, und dann heiratet er so eine.«
»War es eine übereilte Heirat?«
»Ja, offensichtlich. Ich hörte erst davon, als es schon ein fait accompli war. Und nach den Flitterwochen kam alles heraus.«
»Was kam heraus?«
»Daß sie ... nervlich belastet ist.«
»Du meinst verrückt?«
»Man muß sie in ... Gewahrsam halten. Es kümmert sich jemand um sie.«
»Wo? Hier im Haus?«
Er schüttelte den Kopf. »Eine Weile war sie hier. Sie lebte in den obersten Zimmern. Aber es war sehr schwierig, wo doch immer wieder jemand von der Familie hinaufkommt. Jetzt ist sie woanders.«
»Wo?«
»Ich weiß es nicht. Wir sprechen nicht darüber. Das ist Rollos Sache. Er will es so.«
»Er muß sehr unglücklich sein.«
»Bei ihm weiß man das nie. Aber sprich ja nicht mit meiner Mutter darüber. Es regt sie zu sehr auf. Uns alle regt es auf. Am meisten wohl Rollo. Er hat aber noch nie seine Gefühle gezeigt.«
»Was mag sie wohl fühlen?«
»Vielleicht weiß sie es gar nicht. Solche Menschen wissen es manchmal nicht.«
»Sie war also einmal hier im Haus?«
»Ja, eine Weile hatte Rollo sie hier. Er fand eine sehr gute Betreuerin für sie – und als es immer schwieriger wurde, brachte man sie woandershin.«
»Ich würde gerne die Zimmer sehen, in denen sie gewohnt hatte.«
»Warum denn?«
»Einfach so.«
»Sie sind ganz oben.«
»Also los«, kommandierte ich, »dann zeig sie mir.«
Wir gingen die Eichentreppe mit dem schön geschnitzten Geländer hinauf, fast bis unter das Dach. Zu den obersten Zimmern führte eine Wendeltreppe. Sie waren viel niedriger und kleiner als die schönen und luftigen Räume in den unteren Stockwerken. Vier waren es – eine Art Wohnung mit ineinandergehenden Zimmern.
Manchmal glaube ich, ich habe einen sechsten Sinn; denn während ich die Atmosphäre in mich aufnahm, meinte ich, Leiden darin zu spüren. Es schauerte mich, und Philip sagte: »Ist dir kalt?«
»Nein, es war nur ein Schauer.«
»Warum schauert es dich denn?«
»Eine Geisterhand hat mich berührt, wie man so sagt.«
»Komm, gehen wir lieber wieder.«
»Nein, noch nicht. Ich möchte noch eine Weile hierbleiben.
Wie sie sich wohl hier oben gefühlt haben mag?« Ich ging zum Fenster und sah hinunter. »Ganz schön weit runter da«, sagte ich.
»Vielleicht sind sie deshalb ausgezogen.«
»Meinst du, sie hätte sich selbst umbringen wollen?«
»Solche Menschen machen das manchmal. Komm doch mit runter, Ellen. Du wirst ja geradezu morbid hier. Ich kann dir nichts weiter über sie sagen. Wir sprechen nicht von ihr. Das ist Rollos Sache.«
»Und ihre auch«, sagte ich. Ich ging zum Bett, berührte die Steppdecke, die Lehne eines Stuhls. Sie hatte mit diesen Dingen gelebt. Ich wollte etwas über sie erfahren. Sie sehen. Vielleicht konnte ich mit ihr reden, ihr irgendwie helfen.
Wir sprechen nicht darüber, hatte Philip gesagt. Das war typisch Carrington. Unangenehme Dinge verschwieg man, als existierten sie nicht. So konnte ich nie werden, ich mußte dauernd an Rollos Frau denken.
Als wir auf dem Land waren, bestand Philip darauf, den »Toten Mann« zu besuchen. Miteinander wanderten wir durch die Wälder bergauf bis zu einer hölzernen Bank. Wir setzten uns, und Philip sagte: »Das bringt einem alles wieder nah, nicht wahr? Diesen Platz habe ich immer sehr geliebt. Du hast dich schon ein wenig gefürchtet, alleine hierherzukommen, gib’s doch zu.«
»Ja, ein kleines bißchen.«
»Es war gemein von mir, dich dazu zu zwingen.«
»Du warst oft ein gemeines Biest.«
»Aber du warst immer so überlegen, daß man dich manchmal ein bißchen bremsen mußte. Ist schon komisch hier oben, nicht wahr?«
»Ich frage mich, wie viele Menschen auf dieser Bank gesessen haben und daran dachten, runterzuspringen?«
»Wenn die Gerüchte stimmen, eine ganze Menge.«
Philip stand auf und ging wie immer zum Abgrund vor.
»Komm zurück!« rief ich.
Er fing an zu lachen. »Ellen, du hast ja richtig Angst. Hast du gemeint, ich würde da runterspringen?«
»Ich dachte nur, daß du vielleicht vor lauter Angeberei runterfällst. Man müßte wirklich ein Geländer anbringen.«
»Ich werde dafür sorgen. Es gehört ja auch noch zu unserem Besitz.«
Zu meiner Überraschung dachte er wirklich daran. Noch ehe wir nach Hause zurückkehrten, wurde ein Eichengeländer angebracht.
In London spazierten wir oft durch den Park und besprachen unsere Pläne. So konnten wir den Leuten entkommen, die uns aufsuchen und uns gratulieren wollten, und statt dessen ganz alleine miteinander sein. Wir nützten es weidlich aus. Wanderten die Serpentine entlang zu den Kensington Gardens auf der anderen Seite des Parks. In diesem Park sah ich einmal einen Mann, der uns beobachtete. Es war nichts Bemerkenswertes an ihm außer seinen ungewöhnlich buschigen Augenbrauen. Ganz leise war er herangekommen und setzte sich auf eine Bank nicht weit von uns.
Ich weiß selbst nicht, wieso er mir auffiel. Sein Anblick war mir unangenehm.
»Siehst du den Mann da drüben?« fragte ich Philip.
Er sah sich um. »Den auf der Bank, meinst du?«
»Ja, er scheint uns zu beobachten.«
»Sicher bewundert er deine Schönheit.«
»Er scheint an uns beiden interessiert zu sein.«
Philip drückte meinen Arm. »Natürlich ist er an uns interessiert. Wir sind ja schließlich auch besondere Leute.«
Der Mann stand auf und ging weg. Wir vergaßen ihn bald.