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Blumen zum Frühstück

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Das Klopfen war kaum hörbar, doch Elena war sofort hellwach.

»Ja?«, antwortete sie erwartungsvoll.

David steckte seinen Kopf zur Verbindungstür herein. »Bereit für ein kleines Abenteuer?«

»Ja.«

»Wie lang brauchst du, um dich fertig zu machen?«

»Sind zwanzig Minuten okay?«

»Kein Problem, ich trinke auf der Terrasse einen Espresso. Komm einfach runter, wenn du fertig bist.«

Nachdem er die Tür leise ins Schloss gezogen hatte, änderte sich ihr aufgesetzt entspannter Gesichtsausdruck schlagartig: Die Decke flog im hohen Bogen aus dem Bett und sie sprintete wie von der Tarantel gestochen ins Badezimmer. Der Blick in den Spiegel weckte ihren Wunsch die Haare zu waschen, doch zum Föhnen reichte die Zeit keinesfalls. Pferdeschwanz? Elena entschied sich für eine Hochsteckfrisur. Schnell drehte sie ihre Pracht zu einem Knoten und steckte ihn mit Spangen fest. Nach dem Duschen zog sie einzelne Strähnen heraus und föhnte den Pony auf. Wimperntusche und Gloss mussten als Make-up genügen. Ein hektischer Blick auf die Uhr verriet ihr: nur noch drei Minuten. Sie stürzte zum Kleiderschrank. Und jetzt? Was sollte sie anziehen? Kleid? Rock? Die gelbe Bluse, grüner Rock mit den passenden Sneakern, das sollte für den Besuch beim Floristen genügen.

Was für Gedanken mache ich mir eigentlich?

Elena musste feststellen, dass sein Outing, auch nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen hatte, noch immer nicht in aller Konsequenz zu ihr durchgedrungen war.

David marschierte los zum Steg. »Komm, das Boot wartet schon auf uns.«

»Ich sehe kein Wassertaxi.«

»Wir fahren mit einem Sandolo.«

Die Überraschung war gelungen: Ihr Fremdenführer hatte eine kleine Gondel mit stilechtem Gondoliere für sie bestellt. Dieser coole Typ musste doch tatsächlich so etwas wie ein Gefühl für Romantik haben. Und jetzt wo er ihr gestanden hatte, schwul zu sein, hatte er wahrscheinlich keine Bedenken mehr, seine weiche Seite auch zu zeigen. Vielleicht hatte er sich aber auch einfach nur von der allgemeinen Hochzeitseuphorie anstecken lassen. Doch was immer es auch war, auf jeden Fall bewies er zu dieser frühen Stunde, dass er als Mann wirklich den Sinn fürs Wesentliche hatte: Sobald sie saßen, reichte er Elena einen lebensrettenden Becher Latte Macchiato.

Eine leichte Beklemmung breitete sich in ihr aus, als die kleine Nussschale ablegte, um den breiten Canal di San Marco zu queren. Bei dieser Bootsfahrt war sie froh, so dicht neben David zu sitzen. Seine Körperwärme wirkte wie eine Beruhigungstablette, denn da waren verdammt viele Meter Wasser zwischen ihnen und dem Ziel auf der anderen Seite des Kanals – und auch unter dem Rumpf.

»Jetzt, um 6.00 Uhr morgens gehört Venedig noch den Venezianern.« David zeigte auf den Platz vor dem Dogenpalast in der Einmündung zum Canal Grande – so menschenleer war er wahrlich ein seltener Anblick!

»Und außerdem gehört die Stadt dem Himmel und dem Meer«, entgegnete Elena begeistert. Im Zwielicht, in dem es noch keinen Horizont gab, tauchten die Inseln der Lagune eine nach der anderen wie von Geisterhand aus dem Dunst auf. »Wohin fahren wir?«

»Erst mal Frühstücken.«

»Frühstücken?«

»Ein besonderes Frühstück: Die Saison für Tintenfische hat gerade begonnen.«

»Um diese Uhrzeit Tintenfische?« Beim Gedanken an rohe Meeresfrüchte drehte sich Elena der Magen um.

»Du machst ein Gesicht, als müsstest du dich übergeben. Seekrank?«

Angesichts der wilden Schaukelei, in die das kleine Boot durch die hohen Wellen geriet, als es in den Canal Grande einbog, keine unberechtigte Frage.

»Nein, aber roher Tintenfisch ...«

»Warum denn roh? Der Stand, den ich meine, bietet die beste Meeresfrüchtepfanne an, die du je gegessen hast, das garantiere ich dir!«

»Du magst es zum Frühstück gerne deftig?«

»In jeder Beziehung und zu jeder Tageszeit.«

Elena verstummte. Sofort hatte sie ein Bild vor Augen, das sie nicht sehen wollte: David in den Armen seines Liebhabers … wie unvorstellbar.

Der Schatten des Brückenbogens, den sie passierten, senkte sich auf das Boot hinab. Die typischen Reflexionen von Licht, das sich auf der Wasseroberfläche brach, malte zart leuchtende Streifen auf die Steine und in Davids Gesicht. In diesem Moment lag etwas Zerbrechliches in seinen Zügen, etwas das ihr vorher schon ab und an aufgefallen war.

Als würde er bemerken, dass sie diese fragile Seite von ihm sehen konnte, verhärtete sich sein Ausdruck sofort wieder und wurde undurchdringlich. Jetzt, wo sie die Wahrheit kannte, wunderte es sie nicht. Beim Militär durfte er seine Homosexualität bestimmt nicht zeigen. In der von Männern dominierten Welt käme es bestimmt einem Spießrutenlauf gleich, wenn er seine Neigung zugeben würde. Fast hatte sie ein wenig Mitleid mit ihm. Seine abweisende Art war sicher nichts als Selbstschutz.

»Hey, schöne Frau, du siehst plötzlich so traurig aus. Was liegt dir auf der Seele?«

»Nichts. Nur ein kleiner Anflug von Melancholie. Angesichts dieser wunderschönen historischen Kulisse doch kein Wunder – oder?«

Ob ihre als Scherz gedachte Bemerkung als solche bei ihrem Gegenüber ankam, bezweifelte sie. Auch wenn David nichts erwiderte, sah er nicht so aus, als würde er ihr auch nur ein Wort glauben. Doch wer sich verteidigt, klagt sich bekanntlich an, und so beschloss Elena, nichts weiter zu sagen, und tat so, als würde sie die traumhafte Szenerie auf sich wirken lassen.

»Täuscht mich mein Eindruck oder gehst du seit gestern Abend auf Abstand zu mir?«

»Das bildest du dir ein, ich habe eine Menge schwuler Freunde …«

Mist, jetzt bin ich ihm voll auf den Leim gegangen!

David ergriff ihre Hand und streichelte liebevoll darüber. »Du bist ein guter Mensch. Ein Mensch ohne Vorurteile!« Da war etwas in seinem Blick, das war so theatralisch, dass sie zum ersten Mal das Gefühl hatte, wirklich neben einem Homosexuellen zu sitzen. »Ich hoffe, du bist nicht zu enttäuscht …«

»Aber um Gottes willen, nein!«, fiel sie ihm ins Wort.

»Nicht zu enttäuscht, dass ich nicht schwul bin. Das war doch nur ein Witz.«

Vollmeise war das erste Wort in Elenas Gedanken. Das nächste war Mordgelüste, gefolgt von dem starken Drang, ihm einen kräftigen Stoß zu versetzen. Es würde bestimmt helfen, wenn er mit dem Kopf einmal kräftig gegen die Steine des Brückenbogens schlagen würde. Leichte Erschütterungen im Oberstübchen sollten bekanntlich helfen, wirre Gedanken wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Doch Priorität hatte jetzt erst mal die Konzentration auf die eigene Atmung, um das akute Bedürfnis zu unterdrücken, die Stadt, die in weiten Teilen noch im Tiefschlaf lag, zusammenzuschreien.

Noch bevor es eine Möglichkeit gab, ihm wenigstens kräftig den Kopf zu waschen, zog er sie bereits vom Sitz hoch und auf den Holzsteg, an dem sie gerade festgemacht hatten. Er sagte selbst auch kein weiteres Wort, legte seinen Arm um ihre Schultern und schob sie in die Richtung der großen roten Marktschirme. Für ihn war das Thema damit offensichtlich erledigt.

Die Obst- und Gemüsestände sahen aus, als würden sie jeden Moment unter der Last zusammenbrechen. Zu hohen Türmen aufgestapelt leuchteten Früchte und Gemüse der Region in der schönsten Farbenpracht. »Gibt es hier in Venedig ein besonderes Licht? Das Obst sieht so verführerisch aus …«, murmelte Elena immer noch völlig neben der Spur.

David blieb stehen und ließ seinen Blick über die Auslagen schweifen. »Ja, Venedig hat seinen eigenen Zauber … Durch die aufgesteckten Haaren kommt der zarte Schwung deines Halses richtig zur Geltung. Deine makellose Haut erinnert mich an einen samtweichen Pfirsich. Einen Pfirsich, dessen betörenden Duft ich selbst auf diese Entfernung wittere.«

Die Vorstellung, auf welchen Duft David anspielen könnte, bescherte Elena ein leichtes Unwohlsein in der Magengegend – oder war das der Hunger? Der Gedanke, dass er die Richtung ihres Denkens dirigieren konnte, wie es ihm beliebte, zog ihr ganz langsam den Teppich unter den Füßen weg. Er hatte eine Art von magischer Wirkung auf sie, der sie sich aus einem unerfindlichen Grund ausgeliefert fühlte. Dankbar ihn nicht ansehen zu müssen, biss sie in die Melone, die er ihr reichte. »Lecker, so saftig«, kommentierte sie hilflos.

»Sehr lecker und supersaftig«, bestätigte David und leckte den Melonensaft ab, der seine Finger hinunterrann. »Aufgegessen? Sehr gut, dann gehen wir jetzt zum Fischmarkt.« Er zog sie hinter sich her in das dichte Gedränge einer historischen Säulenhalle im Zentrum des umgebenden Freiluft-Marktgeländes. Der stärker werdende Duft von gebratenen Meeresfrüchten, Gemüse und Kräutern zeigte, dass sie auf dem richtigen Kurs sein mussten, auch wenn Elena nicht sehen konnte, welchen Weg er einschlug: Davids durchtrainierter Oberkörper vor ihrer Nase, der die Menschenmenge teilte wie einst Moses das Rote Meer, ließ ihr keine Möglichkeit zu sehen, wohin die Reise ging.

»Wirklich hervorragend«, kommentierte Elena und vermied peinlichst alle Wörter, die ihrem Begleiter auch nur im Entferntesten die Möglichkeit boten, wieder an das Thema Sex anzuknüpfen.

»Satt?«

Sie tupfte den Mund mit der Serviette ab und nickte. »Danke, pappsatt.«

»Dann würde ich vorschlagen, wir machen uns auf den Weg. Der Florist ist auf der anderen Seite des Canal Grande.«

»Wie kommen wir dahin?«

»Laufen, es ist nicht weit.«

Galant bot er ihr einen Arm an und nach wenigen Minuten hatten sie über die Rialtobrücke bereits das andere Ufer erreicht. Als sie zum gefühlt zwanzigsten Mal in eine Seitengasse abbogen, war Elena froh, einen Mann mit offensichtlich ausgezeichnetem Orientierungssinn an ihrer Seite zu haben. Den Eingang zum Floristen zu finden, erforderte dagegen keine speziellen Fähigkeiten: Üppig bepflanzten Kübel stachen schon von Weitem wie blühende Wegweiser ins Auge.

Trotz des exquisiten und großen Angebots musste Elena nicht lange überlegen: Ihre Wahl fiel auf rote Rosen, Vergissmeinnicht und kleinblütige weiße Margeriten. »Das perfekte Trio für das Brautbukett und den Kranz.«

»Du bist eine Frau der schnellen Entschlüsse«, bemerkte David und es hörte sich nach einem echten Kompliment an – obwohl die Wortwahl wieder mehr als doppeldeutig war. Als sie hinaus in das wärmende Sonnenlicht traten, zog er sie plötzlich in die Arme. Der Druck seines Fingers bog ihr Kinn hinauf, bis er seine Augen in ihren versenken konnte. Sein Kuss fiel überraschend zärtlich und gefühlvoll aus. »Versprichst du mir, dass du bei deiner Hochzeit genauso einen Kranz in deinen Haaren tragen wirst?«

»Das solltest du wohl lieber mit meinem Zukünftigen besprechen, der steht nicht auf so viel Schischi

David löste seine Umarmung wortlos.

Und dieses Schweigen grub sich viel vernichtender in Elenas Gewissen ein, als ein Kommentar es hätte tun können. Er hat selbst schuld, warum hat er mich angelogen und behauptet, schwul zu sein? Geschieht ihm nur recht, wenn er jetzt enttäuscht ist, rechtfertigte sie sich vor sich selbst, denn der Blick in seine Augen bewies, dass sie einen Volltreffer gelandet hatte. Aber der Sieg hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. Was war ein Schlagabtausch wert, der nur darauf abzielte, dass man sich gegenseitig bewies, wie unwichtig man einander war?

Auch wenn David – ganz Gentleman – ihr wieder den Arm anbot, konnte Elena sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht mehr als eine Geste der Höflichkeit war. Mehrmals wollte sie ansetzen, doch sie fand einfach nicht die richtigen Worte, um die unangenehme Stille zu durchbrechen. Hinter der nächsten Wegbiegung wurde die bedrückende Enge der Altstadtgassen plötzlich von der Weiträumigkeit des Markusplatzes abgelöst. Doch die ausladende Weite brachte kein erlösendes Gefühl der Befreiung mit sich. Ein seltsames Empfinden beschlich Elena, fast so, als wäre sie zu einem Spießrutenlauf durch die Menschenmenge auf der großen Fläche verdonnert. Ob die vielen hundert Augenpaare nur darauf warteten, sie und ihr schlechtes Gewissen zu beobachten?

David ließ sich nicht beirren und bahnte sich forsch seinen Weg durch die Touristenströme. Als er dann auch noch entschlossen auf die motorisierten Wassertaxis zusteuerte, war klar, dass auch er diese unschöne Situation so schnell wie möglich beenden wollte. An einem gemütlichen Ausklang des Ausflugs in Form von Cappuccino oder Sightseeing hatte er kein Interesse mehr.

Zufrieden setzte David Kurs in Richtung Steg. Die Schuldgefühle waren Elena auf die Stirn geschrieben. Neben ihm wandelte ein verlockendes Kunstwerk von Mutter Natur, das dazu auch noch mit einem sehr großen Herz ausgestattet war. Bei dieser Frau musste er die Zügel vorsichtig aufnehmen, sie war noch nicht für die harte Gangart an der Kandare gerüstet. Doch bis jetzt hatte er sie auch ohne Zwang mit den entsprechenden Manövern in die gewünschte Richtung lenken können. Ihre Ungeduld wuchs von Tag zu Tag – und damit letztlich auch ihre Bereitschaft, gehorsam zu folgen. Ein kurzer unbemerkter Seitenblick auf ihre prachtvollen Formen bescherte ihm ein sagenhaftes Kribbeln bis in die Haarspitzen. Wie sie wohl reagieren würde, wenn er sie hier, quasi vor den Augen hunderter Touristen durcharbeiten würde, ohne dass auch nur ein Außenstehender etwas davon mitbekam? Die Angst vor Entdeckung würde ihrer Lust – und damit auch seiner – bestimmt Flügel verleihen. Mit einem leisen Seufzer verschaffte er sich Erleichterung und hoffte, dass sie nicht bemerkte, wie sein Körper unterhalb der Gürtellinie reagierte.

Auch nach dem Ablegen hatte Elena keine Hoffnung mehr, dass ein Gespräch in Gang kommen würde. Sie beschloss die unangenehme Situation zu überbrücken, indem sie sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zuwandte … Um sich dem Inhalt ihrer Rocktasche widmen zu können, erhob sie sich von ihrem Sitz. Ob es ein Windstoß oder eine Welle war, die das Wassertaxi heftig erwischte und gefährlich zum Schlingern brachte, ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Reflexartig klammerte sie sich an David fest, der von seinem Sitz hochgeschnellt war, um sie zu stützen, und öffnete für einen Sekundenbruchteil ihre Finger. Der Wind fand in dem Blatt eine ideale Angriffsfläche und riss es ihr aus der Hand. Fassungslos musste sie zusehen, wie der Zettel über Bord segelte.

»Fionas Ehegelöbnis!«, schrie sie entsetzt auf. Eine weitere schnelle Bewegung, ein weiterer Schrei: »Mann über Bord!«

Ohne zu zögern, war David todesmutig aus dem fahrenden Motorboot gehechtet. Als er wieder auftauchte, winkte er mit seiner Beute. Warum seine Gesichtszüge mit jedem Meter, dem er sich dem Boot näherte, missmutiger wurden, erschloss sich Elena nicht. Ob es an der Wassertemperatur lag oder an dem Menschenauflauf, der sich am Ufer gebildet hatte?

»Ein wirklich interessantes Ehegelöbnis«, kommentierte David und begann vorzulesen, nachdem er seinen triefenden Prachtkörper wieder an Bord gehievt hatte. »Sechs Eier, ein Liter Milch, Sahne …« Langsam richtete er sich auf und kam auf Elena zu. Ruckartig zog er sie an sich und sah sein Spiegelbild in ihren verängstigt geweiteten Pupillen aufblitzen. »Damit hat sich der Preis für mein Schweigen gerade verdoppelt!«

ShadowPlay - Entblößt

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