Читать книгу ShadowPlay - Entblößt - Victoria vanZant - Страница 8
Verschleierungen
ОглавлениеProportional zu dem steigenden Tempo, mit dem die Bäume und Büsche am Fenster vorbeiflogen, stieg auch Elenas Erregungslevel. Doch mit dem Abheben, hatte die freudige Aufregung nichts zu tun. Es war eine so schwer in Worte zu fassende, eine unwirkliche Vorstellung, dass vorne im Cockpit David saß und diese Maschine flog. Der Gedanke übte eine ebenso magische Faszination auf sie aus wie zuvor der Blick aus dem Fenster, als er den Jet für den Sicherheitscheck umrundet hatte. Auch wenn sie es sich selbst nicht eingestehen wollte: Dieser Mann zauberte trotz seiner unberechenbaren Art ein sanftes Kribbeln in ihren Bauch und – wenn sie nicht höllisch achtgab – ein versonnenes Lächeln in ihr Gesicht. Allerhöchste Zeit für eine Ablenkung! »Ich freue mich auf Venedig«, seufzte Elena und wandte sich vom Geschehen außerhalb des Flugzeugs und ihrem bewegten Inneren ab und wieder der Freundin zu.
»Dann wirst du dich noch etwas gedulden müssen. Wir fliegen zuerst nach Mailand, damit ich mir noch ein Brautkleid aussuchen kann.«
»Wow! Ich darf dir sogar helfen, dein Brautkleid auszusuchen?«
»Du darfst nicht«, empörte sich Fiona. Beide Zeigefinger wiesen ähnlich einem Fluglotsen bei der Einweisung auf dem Rollfeld rhythmisch auf ihre Kugel. »Du musst!«
»Und Ryan?«
»Der kommt natürlich nicht mit. Es bringt doch Unglück, wenn er das Kleid vor der Trauung sieht!«
Elena prustete los. »Das weiß ich doch! Ich meinte eigentlich, was der Bräutigam zur Hochzeit trägt.«
»Ganz traditionell, einen mittelgrauen Cut, Stresemann Hose und hellgraue Weste. Männer haben es da ja relativ einfach. Er hat mich nur gebeten, ihm ein Hemd mitzubringen, damit es farblich zum Brautkleid passt – weil ich noch nicht sicher bin, ob ich weiß nehme.«
Elena war mit ihren Gedanken schon wieder ganz woanders. »Wie hat Ryan das eigentlich so schnell mit dem offiziellen Aufgebot und mit diesem Jet hinbekommen?«
»Das verdanken wir David. Dieser Jet gehört zur Flotte der israelischen Regierung und der israelische Außenminister ist mit David oder seinen Eltern befreundet oder so was. Auf jeden Fall hat der Minister seinen italienischen Amtskollegen um Hilfe gebeten … wegen der Blitztrauung.«
»Ich kommentiere das alles nicht mehr. Ich muss mich daran gewöhnen, dass Ryan so hochrangige Kontakte und so eine illustre Gesellschaft von Freunden hat.«
»Ich möchte nicht neugierig sein, aber du hast da vorhin angedeutet, dass es Spannungen zwischen dir und David gibt?« Obwohl ich drauf wetten könnte, dass ihr am liebsten übereinander herfallen würdet, verkniff Fiona sich, weil Elenas Gesichtsausdruck bei diesem Thema ständig undefinierbar zwischen selig grinsend und angewidert ablehnend schwankte. Aber zumindest musste sie sicher sein, dass sie von der Freundin nichts Unmögliches verlangte. »Ist es denn überhaupt noch okay für dich, wenn ihr gemeinsam Trauzeugen seid?«
Elena kam ins Schwimmen, weil sie die Situation zurzeit selbst nicht einschätzen konnte. Und so wiegelte sie generös mit einer kleinen Schwindelei ab. »Ach was, das ist nur ein wenig schwierig mit der Planung …«
»Mit welcher Planung?«
»Na, weil … weil … weil wir aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen stammen.«
»Ja?« Fiona zog das A so lang, dass es einer ganzen Serie von Fragen gleichkam.
»Ja«, wiederholte Elena und gab darüber hinaus nur noch unkontrollierte Laute von sich, die einfach keine Worte bilden wollten. Das schlechte Gewissen stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Endlich kam die Erlösung.
»Ihr plant irgendwelche Streiche für uns! Mensch, sag das doch! Und ich bohre und bohre. Klar, dass du mir das nicht verraten kannst.«
»Genau!«, stieß Elena erleichtert hervor und lenkte das Gespräch schnell in eine andere Richtung, bevor der Israeli wieder im Mittelpunkt des Interesses stand. »Kennst du dich in Mailand aus?«
»Kein Stück«, musste Fiona bekennen. »Ich weiß nur, dass es eine wunderschöne Stadt mit vielen historischen Sehenswürdigkeiten ist, und dass es dort ein Modeviertel gibt, in dem alle namhaften Designer ansässig sind.«
»Hattest du da an etwas ganz Bestimmtes gedacht?«, fragte Elena irritiert. Wenn Fiona auch einen reichen Mann heiratete, passte ein Designerbrautkleid doch so gar nicht zu ihren sonstigen Gewohnheiten.
»Ja«, erklärte sie mit feistem Grinsen und strich über ihren Babybauch, »an etwas das passt. Und Ryan meinte, da werde ich bei einem namhaften Label sicher die größten Chancen haben, etwas zu finden. Und falls nicht, haben die Designer-Boutiquen die besten Schneider vor Ort, die das Kleid sofort für mich ändern könnten.«
»Das macht Sinn«, musste Elena zugeben und blickte versonnen aus dem Fenster in das strahlende Blau des Himmels. »Was trägt denn der Trauzeuge?«
Der Versuch gleichmütig zu klingen, weckte erst recht Fionas Skepsis. Die Freundin gab sich so viel Mühe, Desinteresse zu demonstrieren, dass sie damit quasi zugab, wie sehr sie das Thema beschäftigte.
»Habt ihr euch nicht abgesprochen?«, fragte die Braut schelmisch.
»Nein!«, gab die Trauzeugin verdattert zurück. »Nein, dazu hatten wir noch keine Zeit.«
»Vielleicht solltet ihr euch noch einen Moment alleine gönnen, bevor wir in Mailand ankommen.«
Ehe Elena abwinken konnte, war Fiona schon aufgesprungen und marschierte Richtung Cockpit.
Keine zwei Minuten später stand der Pilot vor ihrem Sessel und sah arrogant auf sie hinab.
»Du möchtest mich sprechen?«, fragte er so unterkühlt, dass die Temperatur in der Kabine augenblicklich in den Frostbereich fiel.
Warum hatte dieser Mann mit den glühenden schwarzen Augen eine so einschüchternde Wirkung auf sie? Und gleichzeitig weckte er die wilde Bestie in ihr, die ihn mit Haut und Haar verschlingen wollte.
Warum fühle ich mich in seiner Nähe wie ein triebgesteuerter Teenager, der nicht in der Lage ist, seinen Verstand zu benutzen?
»Wir hatten noch keine Gelegenheit uns abzusprechen … unseren Dresscode abzusprechen, also ich meine als Trauzeugen«, schickte Elena schnell hinterher und spürte das Pochen von flammend roten Hektikflecken auf ihren Wangen.
»Ich werde einen traditionellen Cut tragen wie Ryan auch. Seiner ist mittelgrau, meiner dunkelgrau, aber ansonsten identisch.«
Hielt er sie etwa für einfältig? In seinem Tonfall schwang eindeutig Spott mit. So als würde er sich wundern, wie sie überhaupt auf die Frage kommen konnte. Elena beschloss, diese Herausforderung zu ignorieren, und fragte nicht minder herablassend zurück. »Ryan richtet sich mit seinem Hemd farblich nach Fionas Kleid. Hast du ein Hemd oder möchtest du, dass wir für dich auch ein passendes mitbringen?«
Lässig stützte er sich auf den Lehnen ihres Sessels ab. Das leise Knirschen seiner Designerjeans durchschnitt das gleichförmige Surren der Triebwerke wie ein Störfeuer, als er sich hinunterbeugte, bis er ihr gerade in die Augen sehen konnte. »Kennst du denn meine Größe?«, fragte er süffisant.
»Wahrscheinlich ist dein Mundwerk um einiges größer, sonst hättest du wohl schon blank gezogen!«, rutsche Elena heraus. Trotzig hielt sie seinem folternden Blick ungeachtet der einsetzenden Panikattacke stand, die ihr das Atmen erheblich erschwerte.
Zu ihrer Überraschung ließ er den Kopf in den Nacken fallen, stieß geräuschvoll die Luft aus und lachte laut auf. »Ja, es wäre in der Tat nett, wenn ihr mir auch ein Hemd mitbringt. Dann habe ich den Rücken frei, um mit Ryan noch etwas Wichtiges zu erledigen.«
»Etwas erledigen?«
»Männersache«, sagte er schlicht, zog sie aus ihrem Sessel hoch und eng an sich. »Hast du mir immer noch nichts anzubieten?« Sein Blick bohrte sich erschreckend tief in Elenas Lustzentrum und schaltete ihren Verstand auf Stillstand. Plötzlich war da nur noch gähnende Leere – die er mit einem leidenschaftlichen Kuss ausfüllte.
Wegschubsen und zutexten in Richtung »Du überheblicher Blödmann!«, wäre die angemessene Antwort auf seinen Überfall, doch sie schaffte es nicht, sich loszureißen. Außer Atem landete Elena wieder im Sessel und strich sich versonnen über die Lippen, die immer noch von seinem Kuss prickelten. Stumm blickte sie dem großen Mann hinterher. Seine geschmeidige Art sich zu bewegen und die frische Erinnerung an den Kuss jagten einen Anflug von Gänsehaut über ihren Körper.
»Meine Güte, du bist ja ganz blass«, drang plötzlich Fionas erschrockene Stimme aus weiter Ferne zu ihr durch. »Was ist geschehen? Ihr habt doch eben noch zusammen gelacht …«
»Was? Wie bitte?«
»Ist dir schlecht?« Besorgt ergriff die Schwangere die Hand ihrer Freundin und streichelte sie. »Du bist ja eiskalt!«
»Nein, alles gut.« Elena lächelte verlegen. »Wirklich!«, schickte sie energisch hinterher, als sie dem besorgten Blick begegnete. »Ich habe wohl zu wenig gegessen.« Sie musste unbedingt ein wenig Zeit gewinnen, um sich zu sortieren. Sie sprang auf und nahm Kurs auf die Bordküche. »Sind noch Brötchen da?« Essen war eine gute Ablenkung, die sie gleichzeitig von der leidigen Pflicht befreite, antworten zu müssen.
»Meine Damen, wir befinden uns im Anflug auf den Flughafen Mailand«, schmeichelte Davids Stimme verführerisch aus den Lautsprechern. »Ich möchte Sie bitten, Ihre Sitze einzunehmen, die Rückenlehnen aufrecht zu stellen und die Gurte anzulegen. Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie frühlingshafte Temperaturen von einundzwanzig Grad bei strahlendem Sonnenschein erwarten. Ich danke Ihnen, dass Sie mit uns geflogen sind, und wünsche Ihnen ein besonders schönes Shopping-Erlebnis.«
Elena stopfte den letzten Bissen in sich hinein und ließ den Teller in der Schublade für schmutziges Geschirr verschwinden, bevor sie sich wieder gegenüber von Fiona setzte und ihren Gurt straff zog. Erwartungsvoll blickten die Frauen aus dem Fenster.
***
Via Monte Napoleone!, war alles, was Elena von Fionas Gespräch mit dem Taxifahrer verstand. Hatte schon Vorteile im Ausland eine Freundin an der Seite zu haben, die fließend Spanisch, Französisch und die Landessprache Italienisch sprach. »Wie lange fahren wir?«, erkundigte sie sich.
»In einer guten halben Stunde sind wir im Zentrum«, berichtete Fiona nach einem erneuten Wortwechsel mit dem Fahrer. »Zeit genug …«, sie verstummte und sah ihre Freundin erwartungsvoll an, die sofort reflexartig den Kopf einzog. Eigentlich hatte die Braut ein ganz anderes Thema ansprechen wollen, aber Elenas Reaktion ließ ihr keine Wahl. »Es ist dir unangenehm, über David zu sprechen?«
»Nein … ja.«
»Was ist denn los? Ist irgendetwas vorgefallen? Es ist doch nicht nur eure Geheimniskrämerei wegen der Hochzeitstreiche. Langsam mache ich mir Sorgen.«
»Ich habe dir doch schon im Flugzeug gesagt, dass er nicht wollte.«
»Es kann doch nicht wahr sein, dass er dich zurückgewiesen hat!«
»Geht es noch ein bisschen lauter?«, entrüstete sich Elena, die den aufmerksamen Blick des Fahrers im Rückspiegel auffing.
Auch wenn Fiona bezweifelte, dass der Dritte im Taxi etwas von der Unterhaltung verstand, senkte sie mit Rücksicht auf das durcheinandergewirbelte Gefühlsleben ihrer Sitznachbarin die Stimme. »Wir haben uns doch immer alles erzählt … Ich habe den Eindruck, du verschweigst mir etwas.« Mit unsicherem Blick musterte die Schwangere ihre Freundin. »Ich weiß gar nicht, wie ich mich benehmen soll. Was darf ich fragen und was nicht? Entschuldige, es steht mir nicht zu, so penetrant …«
»Nein, du musst dich nicht entschuldigen!«, fiel Elena ihr ins Wort. »Denn du hast recht! David bringt mich durcheinander. Zusätzlich bin ich noch mit meinem halben Hirn in London: Morgen bekomme ich Nachricht, ob der Kunde die PR-Kampagne abgenommen hat. Falls nicht, muss ich sofort nach der Hochzeit wieder zurück. Ich stehe einfach ein wenig unter Strom und möchte vor allem Eines: Dass ihr eine unvergesslich schöne Zeit habt!«
»Du bist wirklich die beste aller Freundinnen … Und ich denke nur an mich!« Stürmisch umarmte Fiona die Freundin.
»Ja und genau so soll es auch sein. Mach dir keine Gedanken um mich, darüber reden wir später! Ich möchte jetzt nur für dich und Ryan da sein!«
»Und für Hope!«
»Und für Hope«, bestätigte Elena. Als sie sich aus der Umarmung zurücklehnte, fiel ihr Blick auf die stilvollen Villen und mehrstöckigen Altbauten. »Mailand hat wirklich eine grandiose Altstadt. So viel alter Baumbestand. Die Häuser komplett eingebettet in dieses romantisch lichte Frühlingsgrün ...«
»Hui, du hast deine poetische Ader entdeckt?«, neckte Fiona und setzte geheimnisvoll hinzu: »Dann warte noch zwei Minuten …« Kurze Zeit später zeigte sie in die Richtung großer Grünflächen.
»Ein englischer Park mitten in Italien. Uund was ist denn das?« Eine mächtige Mauer und noch gewaltigere Rundtürme aus dunkelgrauen Steinen überragten selbst die jahrhundertealten Alleebäume.
»Das ist die Verteidigungsanlage des Castello Sforzesco, ein Schloss aus dem fünfzehnten Jahrhundert«, zitierte Fiona den kleinen faltbaren Stadtführer, den sie aus der Handtasche gezogen hatte. »Ziemlich imposant.«
»So kenne ich dich«, grinste Elena breit. »Wie immer bestens vorbereitet.«
»Die Dinger lagen am Flughafen aus. Ich hatte vorher keine Zeit mir eine App aufs Smartphone zu laden. Aber ich finde, die gute alte Methode mit dem Faltnavi passt zum Ambiente unserer Rundreise.«
Das Taxi bog wieder in eine der kleinen Seitenstraßen ein. »Apropos Rundreise: Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass das nicht der direkte Weg zum Modeviertel ist«, sinnierte Elena.
»Da Sightseeing zeitlich leider nicht drin ist, habe ich den Fahrer gebeten, wenigstens an den schönsten Sehenswürdigkeiten vorbeizufahren.«
»Was für eine tolle Idee! Es wäre wirklich eine Schande, ohne …!« Der Blick aus dem Fenster auf das weltberühmte Opernhaus verschlug ihr erneut die Sprache.
»Wäre es nicht toll, wenn wir in der Scala eine Vorstellung sehen könnten?«, schwärmte Fiona.
»Oh ja! Und wenn ich mir vorstelle, wer hier schon alles gesungen hat: die Callas, Caruso, Mario Lanza, Pavarotti …«, pflichtete Elena ihr begeistert bei.
»Hebe dir noch ein bisschen Luft auf«, mahnte Fiona, »denn das Beste kommt erst noch!«
Als sie um die nächste Ecke bogen, verstand sie, warum.
»Meine Güte!«, war alles, was Elena noch zustande brachte, bevor sie geblendet von der Marmorfassade, die das gleißende Sonnenlicht reflektierte, die Augen zukniff.
»Der Mailänder Dom – wirklich eine Schande, dass wir keine Zeit haben, ihn zu besichtigen«, bedauerte Fiona.
Elena setzte ihre Sonnenbrille auf und beugte sich vor, um mehr als nur einen kurzen Blick von dem imposanten Prachtbau zu erhaschen.
»Nach dem Petersdom und der Kathedrale von Sevilla ist der Dom die drittgrößte Kirche der Welt«, zitierte die Schwangere weiter aus dem Stadtführer. »Und einige sagen, es ist sogar die schönste aller Kathedralen.«
»Diese vielen Türme, die Verzierungen und vielen Statuen, wundervoll.« Elena klatschte begeistert in die Hände.
»Über viertausend figürliche Darstellungen – und besonders prächtig sollen auch die bunten Glasfenster im Chor sein.«
Elena drehte sich um, bis der Dom aus dem Heckfenster verschwunden war. Plötzlich wurde sie von einer seltsamen Wehmut gepackt. Zeit, wie viel Zeit würde sie zukünftig noch mit Fiona verbringen können, wenn sie verheiratet war? Sie würde aus der WG ausziehen und wahrscheinlich auch London verlassen. Einem plötzlichen Impuls folgend ergriff sie die Hand der Freundin: »Ich möchte, dass wir uns versprechen, dass wir gemeinsam nach Mailand zurückkehren und eine Vorführung in der Scala besuchen!«
Fiona sah sie erstaunt an. »Das ist eine wundervolle Idee, das verspreche ich dir nur zu gern!«
Kaum hielt das Taxi an, hatte Elena Mühe, mit der Schwangeren Schritt zu halten. Die sprintete zielstrebig in einen kleinen Laden, über dessen Eingang ein Schild mit der Aufschrift Gelateria da Fausto prangte.
»Hope hat Hunger, wir brauchen ein Eis«, erklärte Fiona der staunenden Freundin, die vor Begeisterung fast kopfüber in eine Reihe rechteckiger Metallschalen stürzte, die von Eiscreme in den schönsten Farben überquollen. Einige kunstvoll geschmückt mit Kapstachelbeeren oder Obstspießen, andere getoppt von Strömen aus Nuss-Nugat-Creme oder von Schokoladenriegeln geigelt.
»Das ist der Himmel!«, stieß Elena hervor und rieb erwartungsvoll die Hände aneinander. Doch lange Zeit zum Schwärmen blieb ihr nicht, schließlich galt es, lebenswichtige Entscheidungen zu treffen.
»Was ist Dolce Latte?«
»Karamell.«
»Also das möchte ich auf jeden Fall und dann auch eine Kugel Panna Cotta. Die roten Streifen da drin – ist das Himbeere?«
»Ja, das ist Himbeerpüree. Du wirst es lieben!«, bestätigte Fiona in Erinnerung an die vielen Kugeln Eis, die sie im vergangenen Spätsommer während des Italienurlaubs mit Ryan genossen hatte.
»Ich liebe es«, bestätigte Elena und schmiegte sofort wieder die Lippen um die zart schmelzende Masse. Schweigend und genießend schlenderten die Freundinnen nebeneinander her. Immer wieder musste eine hinter die andere zurückweichen, um entgegenkommende Passanten vorbeizulassen. »Das finde ich wirklich merkwürdig. Überall in der Altstadt gibt es breite Gehwege, auf denen noch Platz für Straßengrün ist, nur hier im Modeviertel wird es eng.«
Fiona leckte sich genüsslich die Finger ab und schob ihre Sonnenbrille in die Haare zurück, bevor sie antwortete. »Ja, das finde ich auch ziemlich schräg. Die Via Monte Napoleone ist eine der teuersten Straßen weltweit. Hier gibt es Armani, Gucci, Cartier, Chanel, Prada …«, zählte sie auf. »Und dann gibt es noch nicht einmal Platz zum Schlendern. Dabei sind die Auslagen in den Fenstern so toll und warten nur darauf, bestaunt zu werden. Aber ich denke, die Dame von Welt fährt wahrscheinlich standesgemäß vor.«
»Es gibt hier noch nicht mal Parkplätze!«
»Hach, du Kulturbanause«, feixte Fiona und näselte vornehm, »natürlich fährt sie in der Nobelkarosse mit Chauffeur vor, der Madame absetzt und auch wieder einsammelt! Ich hoffe, dass auch wir schnöden Fußgänger hier bedient werden.«
Elena grinste nicht weniger feist zurück – theatralisch rieb sie Daumen und Zeigefinger aneinander. »Ich denke doch, dass Mister Ryan Kerrigan dich mit passenden Argumenten ausgestattet hat!«
Fiona senkte die Stimme. »Besser, viel besser«, bekannte sie freimütig und zog eine Kreditkarte aus der Tasche. »Wenn wir wollten, könnten wir jetzt auch einen Ferrari kaufen … aber dazu fehlt uns leider die Zeit«, seufzte sie und bog ohne Vorwarnung in die nächste Boutique ab.
Elena musste feststellen, dass die Braut – entgegen ihrer Annahme – exakte Vorstellungen von einem passenden Outfit für die Hochzeit hatte. Jedenfalls lag die Vermutung nach dem aufgeregten Redeschwall, mit dem sie das Duo herbeigeeilter Designerkleidung auf zwei Beinen überschüttete, nahe.
Ob mangelnde Kommunikation, ein eventuelles Unvermögen der Mitarbeiterinnen oder fehlende Passform schuld waren, ließ sich auf Anhieb nicht klären: Auch nach dem fünften Kleid verließ Fiona immer noch gestresst die Kabine und blickte erst unzufrieden an sich selbst hinunter und danach im Spiegel wieder hinauf. Was die Schwangere in ihrer Verzweiflung zu der Frage führte, die exakt auch Elenas Hauptnerv traf.
»Was ziehst du denn zur Hochzeit an?«
Elektrisiert versuchte sich die Blondine, aus dem Sessel zu schälen, der sie wie eine behagliche Umarmung umschlang. Sicher nicht grundlos, denn in diesem noblen Etablissement war man offensichtlich darauf bedacht, die Herren der Schöpfung gleichsam einzufangen wie auch bequem unterzubringen, damit sie sich während der Wartezeit auf ihrem dicken Portemonnaie keine Beule in den Allerwertesten saßen.
Im Vorbeigehen schnappte Elena sich das Ensemble, das ihr Herz schon beim Hereinkommen auf den ersten Blick erobert hatte: Ein schlichtes Etuikleid mit einem passenden Spitzenbolero, dessen Wirkung im edlen Glanz des Stoffes und dem exquisiten Schnitt lag. Obwohl sie selbst gutes Geld verdiente und sich jederzeit der großzügigen Unterstützung ihrer Eltern sicher sein konnte, zählte sie nicht zu den Frauen, die sorglos zweitausend Euro für ein Kleid ausgaben. Doch die Anprobe entpuppte sich als ultimative Gehirnwäsche: Nach der Anwendung von kreativer weiblicher Arithmetik und in der Abwägung zwischen zwei Wochen Dosenravioli und einem unvergesslichen Auftritt konnte die Antwort der Trauzeugin nur »Ja, ich will!« lauten.
Gleichzeitig traten die Frauen aus den Kabinen und standen sich gegenüber. Mit großen Augen blickten sie von oben nach unten und wieder zurück. Wie aus einem Mund verkündeten sie: »Perfekt!«
Andächtig zeichnete Elenas Zeigefinger die Perlenstickerei an Fionas Dekolleté nach. »Das ist dein Kleid!«
»Ja«, jubelte die Freundin mit verräterischem Glitzern in den Augenwinkeln, »aber nur, wenn ich bereit bin, während der Zeremonie auf das Atmen zu verzichten.«
»Warum denn das? Es sitzt doch absolut großartig! Durch die hochgerutschte Taille sieht das Kleid aus, als wäre es für eine Schwangere entworfen worden!«
»Genau so ein Kleid im Empirestil habe ich gesucht. Aber es ist zu eng.«
Der klägliche Tonfall brachte Elena zum Grinsen. »Zeig mal, wo denn?«
Fiona drehte ihr den Rücken zu und präsentierte die Leiste mit Knöpfen, die aus lauter kleinen Perlen bestand. Im Rhythmus der Atemzüge spannte und entspannte sie die Knopfleiste bedenklich.
»Du hast recht, da sollte die Schneiderin Hand anlegen.«
Der freudestrahlende Blick der Braut verschwand, erneut war sie den Tränen nahe. »Und wenn das nicht geht? Ach, das ist sowieso viel zu viel Gedöns für mich, mit dieser Perlenstickerei im Oberteil und am Saum«, versuchte das Häufchen Elend, ihre Angst zu überspielen, indem sie sich das Kleid schlechtredete.
»Überhaupt nicht!«, widersprach Elena energisch. »Ganz im Gegenteil. Es ist doch alles Ton in Ton und wirkt dadurch ausgesprochen stilvoll. Und diese champagnerfarbene Seide passt total toll zu deinen rotbraunen Locken. Wirklich, du siehst so wunderschön aus!«
»Jetzt ist nur die Frage, was ich obenrum mache?«
»Du meinst ein passendes Jäckchen, falls es kurzärmelig zu kühl wird?«
»Ja, das auch, denn der Carre-Ausschnitt ist ja ziemlich groß und die Ärmel sind sehr kurz … Aber ich meinte auch hier oben«, sie zeigte auf ihren Kopf.
»Schleier?«, erkundigte sich Elena und visierte bereits die transparenten Träume an, die die gesamte Breite einer Wand zierten.
»Ja, ich finde zu einem langen Kleid gehört einfach ein Schleier.«
»Wenn du meinen Rat möchtest, nimm einen ganz Schlichten, keine Spitze oder so, denn das könnte dann doch mit der Stickerei des Kleides kollidieren.«
»Ja, das finde ich auch. Was denkst du? Eine Hochsteckfrisur und dann nur mit einem Schmuckkamm befestigt?«
»Nein«, entgegnete Elena entschieden und wendete sich direkt den Schleiern zu, um sie genauer zu inspizieren. »Zu dir, zu der großen Liebe, die dich und Ryan verbindet, gehört etwas ganz Romantisches!« Ihre Hand glitt langsam unter den feinen Seidenchiffon, der die dunklen Adern ihrer Haut durchscheinen ließ und gleichzeitig wie ein Weichzeichner wirkte. »Ich habe da schon eine Idee.« Fiona fixierte die Freundin erwartungsvoll – doch Elena verriet nichts und fragte stattdessen: »Vertraust du mir?«
»Natürlich, aber …«
»Ich habe eine tolle Idee und garantiere dir, dass sie dir gefallen wird.«
»Ich glaube, ich mag keine Überraschungen mehr!«, bekannte die Braut kleinlaut, »aber ich finde es wunderbar, dass du dir so viele Gedanken um mich machst.« Sie setzte an, um ihrer Trauzeugin um den Hals zu fallen, doch ein laut knirschendes Geräusch veranlasste sie, die Arme unverrichteter Dinge wieder sinken zu lassen. »Mein Gott!«
Angesichts der Perlenknöpfe, die wie Geschosse durch die Boutique flogen, entwich Elena ein flapsiges »Alle Mann in Deckung!«, das sie am liebsten sofort wieder zurückgenommen hätte, als sie Tränen in Fionas Wimpern glitzern sah. »Es ist doch gar nicht so schlimm!«, versuchte sie, zu beschwichtigen.
»Mein Kleid«, schluchzte die Schwangere. »Mein schönes Kleid …«
Der Kommentar, der Elena entwich, nachdem sie einen Blick auf die Rückseite geworfen hatte, trug ebenfalls nicht zur Entspannung bei. Genauso wenig, wie die entsetzten Gesichter der herbeigeeilten Angestellten.
Jetzt gab es kein Halten mehr. »Alles vorbei«, schluchzte die Schwangere unter Tränen.
Mit offenen Mündern starrten die Mitarbeiterinnen auf die Rinnsale, die sich links und rechts neben den Mundwinkeln unaufhaltsam ihren Weg in Richtung Dekolleté bahnten. Nur noch wenige Zentimeter, dann würde der sündhaft teure Stoff den salzigen Tropfen schutzlos ausgeliefert sein. Die pflichtbewussten Damen stürzten gleichzeitig aus dem Stand auf Fiona zu.
Elena war nahe daran, sich heldenhaft dazwischen zu werfen, weil sie sich nicht sicher war, ob die entfesselte Horde der Weinenden das Gewand vom Leib reißen würde.
Doch statt roher Gewalt, spendeten die Angestellten sanften Trost in Form feinster Taschentücher, mit denen sie versuchten, der Flut Herr zu werden, während gleichzeitig hektisch ordnende Maßnahmen verhindern sollten, dass Fiona beim Hinabsinken auf das Sofa Knitterfalten in das Kleid bügelte.
»Alles vorbei«, schluchzte sie erneut in ihr Taschentuch und ließ die Schultern sinken.
»Signora …!«
Mehr verstand Elena nicht, aber nach dem Tonfall des wechselnden Redeschwalls zu urteilen, der auf die heulende Braut niederprasselte, trafen die Damen genau den richtigen Nerv.
»Si, si, bene«, antwortete Fiona sichtlich ruhiger, erhob sich und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Auf dem Weg in die Umkleidekabine, die eher den Namen Luxusappartement verdiente, sah sie sich noch einmal um. »Ich ziehe das Kleid nur schnell aus, damit es repariert werden kann.«
Elena wollte eben entspannt auf dem Sofa in sich zusammensinken, als ihre eigenen Alarmglocken laut schrillten: Nur mit Mühe gelang es ihr, die Abwärtsbewegung abzufangen. Fehlte noch, dass sie jetzt ihr Kleid verunstaltete, bevor sie es gekauft hatte.
Aber sollte sie wirklich?
Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass der emotionale Rattenfänger eine versnobte Seite in ihr zum Vorschein brachte, die sie bisher weder angestrebt hatte, noch dass sie sie mochte. Allein das winzige Stückchen Stoff, das sie gerade auf der Schulter zurechtrückte, musste um die hundert Euro kosten.
»Wie für dich gemacht«, schwärmte Fiona noch einmal und zog den Gürtel des Bademantels straff, in dem sie aussah wie ein überdimensionaler Teddybär.
»Das kann ich nur zurückgeben«, grinste Elena und ließ ihre Finger über das flauschige Material gleiten. »Meinst du, wir schaffen es, so ein Teil hier raus zu schmuggeln? Der ist ja wirklich mega!«
Fiona schüttelte den Kopf und legte ihre Hände auf den Bauch. »Ich halte Hope die Ohren zu, damit sie nicht mitbekommt, welche kriminellen Anwandlungen ihre zukünftige Patentante gerade hat! Was hältst du denn davon, wenn wir einfach fragen, ob wir einen Bademantel mitnehmen dürfen?«
»Aber das macht doch nur halb so viel Spaß«, grinste Elena und setzte ihren berühmt berüchtigten Schmugglerblick auf.
»Wie kommt es eigentlich, dass du ausschließlich im Urlaub Anflüge von moralischer Legasthenie hast? Ist das die Klimaveränderung, die dir nicht bekommt? Du bist doch von Haus aus ein grundanständiger Mensch!« Fiona versuchte, ihr breites Grinsen zu verstecken, indem sie den Kopf senkte. Und sie beschloss, noch einen draufzusetzen. »Dein Kleid sitzt wie eine zweite Haut und dieses dezente Türkis wird sicher super zum Cut des Trauzeugen passen …«
Nicht schon wieder!
Elena war nicht bereit, erneut über David zu sprechen, und schlug den Ball zurück in das gegnerische Feld. »Das bringt mich zu deinem Kleid …«
»In dem ich aussehe wie eine Presswurst …«
»Nein, nein! Was redest du denn da!«
Elenas entgeisterter Blick überzeugte Fiona noch nicht hundertprozentig, legte sich aber wie heilender Balsam auf ihre zweifelnde Seele. »Dann müssen wir nur noch beten, dass sie es wieder zusammenflicken können.«
»Das hört sich an, als würdest du über einen billigen Fetzen aus dem Second Hand sprechen!«
Fiona versenkte ihren Blick hoch konzentriert in die platzenden Bläschen ihres Mineralwassers. »Ja, das ist das nächste Problem … Gleichgültig ob ich will oder nicht, jetzt muss ich den Fummel sowieso nehmen, nachdem ich ihn zerstört habe.«
»Zerstört, wie sich das anhört! Es war halt … es ist halt …«
»Sprich es ruhig aus: Geplatzt!«, bemerkte Fiona pikiert und verdrehte die Augen.
Schweigen senkte sich über die Szenerie – aber nur für eine Sekunde. Die Frauen sahen sich in die Augen und bogen sich schallend vor lachen.
»Hör auf, sonst kriege ich mein Kind gleich hier und jetzt!«, versuchte Fiona, zwischen den hysterischen Lachsalven herauszupressen.
Elena japste. »Auf jeden Fall kannst du von der Aktion noch deinen Enkelkindern erzählen.«
»Mir reicht schon, wenn ich es Ryan erzähle! Der wird nicht schlecht Augen machen, wenn ich ihm mitteilen muss, dass ich ein Kleid für schlappe zwanzigtausend Euro nehmen musste, weil ich es geschrottet habe!«
Elena schnappte nach Luft. »Hast du eben zwanzigtausend gesagt?«
»Jawohl – und weißt du was? Bei dem Preis sind die Reparatur, die Änderung und sogar der Schleier mit drin.«
»Dann ist das selbstverständlich etwas anderes, ein echtes Schnäppchen sozusagen!«
Fiona streckte ihr undamenhaft die Zunge entgegen. »Aber was ist denn jetzt mit meinem Schleier? Ich würde es gerne wissen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, antwortete Elena und übte sich in einer ähnlichen Zungenakrobatik. »Aber das wird meine Überraschung für dich!«