Читать книгу ShadowPlay - Entblößt - Victoria vanZant - Страница 7
Abheben mit David
Оглавление»Hallo«, murmelte Elena ins Smartphone, bevor ihre Hand wieder kraftlos aufs Kopfkissen sackte. Irgendjemand sprach, aber sie war zu müde, um das Telefon wieder ans Ohr zu ziehen. Wer konnte nur so grausam sein, sie zu so nachtschlafender Zeit aus den schönsten Träumen von hemmungslosem Sex mit David zu reißen?
David?
»Hallo, hallo, wie bitte? Mir ist das Telefon aus der Hand gerutscht …«
»So wie die Tür heute Nacht«, brummte die männliche Stimme am anderen Ende.
Sofort saß sie kerzengerade im Bett.
David!
»Ich sehe schon, um dir das Flunkern abzugewöhnen, muss ich wohl doch härtere Geschütze auffahren«, bemerkte er sarkastisch. Da er keine Pause machte, erwartete er offensichtlich keine Antwort oder gar Kommentierung seiner anmaßenden Bemerkung. »Aber jetzt ist es Zeit aufzustehen. Es ist gleich 7.30 Uhr, Punkt 9.00 Uhr fährt der Wagen bei dir vor.«
Innerlich knallte Elena die Hacken zusammen und säuselte lieblich: »Jawohl Sir, wie der große Meister befiehlt.«
»Braves Mädchen, ich sehe, wir verstehen uns so langsam.«
Sie ließ ihren Arm wieder auf das leere Kopfkissen fallen. Eigentlich schade, der Morgen hätte so schön beginnen können – wenn David über Nacht geblieben wäre. Aber irgendwie hatte der entweder mächtig was am Kopf oder eine Etage tiefer oder irgendetwas zu verbergen.
Elena schwang die Beine aus dem Bett und schlurfte unter die Dusche. Gleichgültig, wie sehr sie auch versuchte, diesen Typen abzuschütteln, irgendwie hatte er es geschafft, sich dauerhaft in ihren Gehirnwindungen einzunisten. Ein äußerst unangenehmer Zustand! Und den beabsichtigte sie zu beenden. Doch ihre Gedanken weigerten sich, eine andere Richtung einzuschlagen. Gleichgültig, wie sehr sie sich auch um Ablenkung bemühte. Eine kalte Dusche wäre vermutlich hilfreich, doch am frühen Morgen eher ein Garant für schlechte Laune als für eine Gehirnwäsche.
Nach dem Abtrocknen schlüpfte Elena so schnell wie möglich in ihre engste Jeans und eine hochgeschlossene Bluse, bevor die frische Morgenluft, die durch das offene Fenster hereinströmte, eine Chance hatte, ihren Körper auszukühlen. Der Blick in den Schminkspiegel war nicht dazu angetan, ihre Laune zu heben. War das Make-up nicht zu auffällig für den Tag? Mit den schwarz umrahmten Augen fühlte sie sich heute eher wie ein Waschbär und nicht wie eine verführerische Frau. Doch bevor sie die Möglichkeit hatte, sich abzuschminken, bimmelte Big Ben über den Flur.
»Shalom, wenn du mir öffnest, komme ich rauf und helfe dir mit dem Gepäck!«, ertönte es aus der Gegensprechanlage.
Elena musste machtlos zusehen, wie sich ihr Zeigefinger in Richtung des Summers bewegte und den Knopf drückte. Nun ja, wenn ihre Lust schlauer war als der Verstand, dann blieb ihr nichts anderes übrig, als sich ihr zu beugen … Und wenn schon Empfang, dann richtig. Lasziv schlang sie ihren Körper um die geöffnete Wohnungstür.
Mist, oh Mist!
Ein Blick in den gegenüberliegenden Spiegel ließ sie erstarren. Wo kam dieser schwarze Fleck über dem Knie her?
Elena stürmte ins Schlafzimmer.
Kleines gieriges Biest, war Davids erster Gedanke, als er statt Elena nur die angelehnte Schlafzimmertür sah. Der Anblick, der sich ihm bot, als er eintrat, war ein anderer als er erwartet hatte, aber trotzdem äußerst appetitanregend. Dort stand die Blondine mit heruntergelassener Hose und fummelte verzweifelt an einem der Verschlüsse ihrer Pumps herum.
Sofort nahmen seine Augen Maß an dem prallen Po, der sich ihm, in eine elegante Seidenpanty verpackt, entgegenstreckte. Seine Hände umfassten ihre Hüften und er ging ein wenig in die Knie, um ihr Hinterteil direkt vor das Zucken in seiner Jeans zu ziehen. Genüsslich rieb er sich an dieser einladenden Pracht.
Als Elena sich aufrichten wollte, drückte er sie mit einer Hand im Nacken wieder herunter. Sie wehrte sich nicht und befolgte auch sofort seine Ansage, den Fersensitz einzunehmen. Bevor er sich in Bewegung setzte, kostete er für einen Moment den Anblick aus. Sie sah so wunderbar hilflos aus, mit ihrer Hose, die um die Unterschenkel und Füße schlackerte, von denen einer noch im Schuh steckte. Ihre gesamte Körperhaltung drückte gespannte Erwartung aus, weil sie nicht wusste, was als Nächstes geschehen würde. Was für einen Gesichtsausdruck sie wohl dazu machte? Langsam, jeden einzelnen Schritt genießend, umrundete er den blonden Engel, der fügsam und mit gesenktem Blick vor ihm kniete.
Entweder hatte bereits jemand Vorarbeit geleistet oder sie zählte zu den seltenen experimentierfreudigen Naturtalenten.
»Sieh mich an«, forderte er leise und musste ein Grinsen unterdrücken. Genau, wie er vermutet hatte: Ihr Blick stoppte für einen Sekundenbruchteil auf der Beule, die sich direkt vor ihrer Nase befand. Und nach ihrem Augenaufschlag zu urteilen, ahnte sie inzwischen, was ihr bevorstand. Geschluckt hatte sie bestimmt noch nie, sie hatte noch eine Menge zu lernen, aber bei ihrer Begabung wäre es mit Sicherheit ein Vergnügen, sie auszubilden.
Und Elenas Haltung bestätigte ihm noch etwas anderes: dass er ihre Signale richtig gedeutet hatte. Denn sie war offensichtlich nicht so cool und männermordend, wie sie sich nach außen hin gab. Tief in ihrem Inneren sehnte sie sich nicht nur nach Führung und Geborgenheit, sie gierte direkt danach.
Gelassen sah er auf die Unschuld zu seinen Füßen hinab, deren Ungeduld mit jedem Atemzug wuchs. Eine gute Ausgangsbasis. Er streckte ihr die Hand entgegen und fragte höflich: »Darf ich dir behilflich sein?«
Wie ferngesteuert erhob Elena sich wieder. »Danke«, murmelte sie irritiert. Da stand dieses Bild von Mann vor ihr, seine Erektion war nicht zu übersehen und was tat er? Wieder nichts, absolut gar nichts …
Was ist bloß mit ihm los?
Ein Blick auf den Wecker erlöste sie augenblicklich von der Grübelei: bereits zehn Minuten nach neun Uhr. Schnell bückte sie sich, um den zweiten Pumps auszuziehen, und fuhr erschrocken herum, als sich eine Hand direkt auf die Seide zwischen ihren Schenkeln legte.
Genüsslich steckte David sich die Fingerspitzen in den Mund und sah sie dabei so intensiv an, dass sie beschämt den Blick senkte. »Du solltest deine Panty wechseln, die ist ganz feucht.«
Flammende Röte schoss ihr in die Wangen. Er hatte eine simple Feststellung von sich gegeben. Aber was für eine – unerträglich. Unerträglich anmaßend und unerträglich erregend. Die Hitze und das Prickeln landeten ungebremst in ihren Brustwarzen – und sie war sich sicher, dass David die Verräter sah, auch wenn er kein Wort dazu sagte. Stattdessen wartete er mit einer neuen Überraschung auf. »Wo finde ich deine Unterwäsche?«, fragte er interessiert.
Sprachlos zeigte sie auf die Kommode unterhalb des Fensters.
In aller Seelenruhe öffnete er nacheinander alle Schubladen.
»Ich unterbreche dich ja ungern bei deiner wichtigen Tätigkeit, aber wir müssen los, es ist gleich 9.30 Uhr.«
»Keine Panik, ohne uns können sie nicht losfliegen«, bemerkte David gelassen und stellte einmal mehr seinen erlesenen Geschmack unter Beweis: Er reichte Elena eine schwarze Seidenpanty mit Spitzenbesatz. Seine hochgezogene Braue signalisierte allerdings, dass ihm ihre schnippische Einmischung nicht gefiel.
»Weil wir die Trauzeugen sind?«, fragte Elena, die sich bemühte, einen vorwurfsvollen Unterton zu unterdrücken.
»Weil ich der Pilot bin!«
***
Elena hatte die Hand schon am Türgriff, doch dann machte sie einen Rückzieher: Der Wagen fuhr am Abflugterminal vorbei. Erst vor einer Schranke im Sicherungszaun des Flughafens stoppte das Fahrzeug. Durch die leisen Töne von Chopin, die aus den Boxen rieselten, drang das gedämpfte Surren eines elektrischen Fensterhebers in den Fonds. Der Fahrer öffnete sein Fenster und reichte dem Kontrolleur irgendwelche Papiere. Ein Schatten im Augenwinkel lenkte Elenas Aufmerksamkeit ab und ließ sie zusammenfahren: Sie sah direkt in den Lauf einer Maschinenpistole. Der Polizist neben dem Auto hatte seine Waffe zwar nicht im Anschlag, aber so in den Händen, dass ihn nur eine kleine Bewegung davon trennte.
»Alles okay, das ist ganz normal!«, versuchte David, zu beschwichtigen. Doch ihre verkrampfte Haltung signalisierte, dass seine Pauschalaussage sie nicht beruhigte. Die Frau benötigte eindeutig weitere Informationen. »Die Sicherheitsmaßnahmen sind hier nicht höher als am Terminal, nur eben auffälliger, weil an diesem Zugang nicht so viel los ist. Er wird ausschließlich von Flugpersonal, Diplomaten und VIPs genutzt.«
Elena lächelte zaghaft und sah noch einmal zu den Schwerbewaffneten, als sie weiterfuhren. »Und was bin ich?«
»VIP!«, versicherte David nachdrücklich und zwinkerte ihr zu, als der Wagen stoppte. »Warte, ich komme rum«, bemerkte er noch kurz und schon stand er neben dem Auto, um ihr die Tür aufzuhalten.
»Mein Gepäck?«
»Bringt der Fahrer rein.« David bot ihr seinen Arm an und dirigierte Elena im Gebäude zu den Beamten an der Durchleuchtungsanlage. »Ist es okay, wenn ich zu meinem Co-Piloten gehe? Dann kann ich schnell noch ein paar Informationen von ihm einholen.« Er nickte einem jungen Mann, der die Kontrollen bereits passiert hatte, freundlich zu.
Erstaunt blickte Elena ihm hinterher. David musste sein Gepäck nicht vorzeigen. Seine Kontrolle bestand aus einem kurzen Blick in seine Papiere. Sie hoffte nur, dass er tief genug in seine Besprechung vertieft war, um nicht mitzubekommen, dass sie Berta aus der Handtasche ziehen musste, um ihren Pass herauszufischen. Doch so süffisant wie er grinste, hatte er ihr Kuscheltier gesehen. In Windeseile stopfte sie die schwarz-weiß gescheckte Kuh zurück in die Tasche, ergriff ihr schweres Gepäck und hoffte, die peinliche Situation durch hektische Betriebsamkeit überspielen zu können. Der Plan ging auf: Als die Männer sie unter der Last ächzen sahen, stürzten sie herbei, um zu helfen.
Elena folgte den Piloten zu dem Kleinbus, der vor der Tür auf sie wartete. Aus dieser Perspektive hatte sie den Flughafen noch nie gesehen: was für eine beeindruckende Kulisse. Sie fuhren direkt über das Rollfeld an den Flugzeugen, die zum Greifen nah waren, vorbei. Von hier unten aus betrachtet waren es plumpe Riesen aus Aluminium; unvorstellbar, dass die Kolosse überhaupt abheben konnten.
David tippte ihr auf die Schulter und nickte Richtung Osten. Gegen das Licht der Morgensonne zeichneten sich die Umrisse eines Businessjets ab.
Zwei Triebwerke, dachte Elena – wieder einmal zu laut.
»Ja, die Gulfstream 450 ist ein zweistrahliger Jet. Ist das für dich wichtig?«
»Beruhigend«, antwortete sie verunsichert.
David strich unauffällig über ihren Arm. »Flugangst?«, raunte er ihr diskret zu.
»Nein … ja …«
»Ich bin mir bewusst, dass du mir dein Leben anvertraust. Hilft es, wenn ich dir sage, dass ich nicht beabsichtige, es zu gefährden, weil ich noch viel mit dir vorhabe?« Süffisant grinste er sie an, ließ seine Finger vom Arm hinab auf ihren Oberschenkel rutschen und bewegte sie auf direktem Weg in Richtung Schritt. Elena blickte starr geradeaus. Wenn sie nicht damit beschäftigt wäre, die Fingerübungen des Piloten vor dem Co-Piloten zu verbergen, würde sie David zu gerne auf ganz andere Weise helfen … Jetzt war er sogar schon so dreist, sie öffentlich zu provozieren. Zum Glück waren es nur noch wenige Meter bis zum Ziel – und seine Fingerspitzen erreichten ihres nicht!
Der Kleinbus hielt gerade an, da trabte Ryan schon die Stufen der Gangway hinunter.
»Na, ihr Schlafmützen, auch aus dem Bett gefunden?«
Liebevoll nahm er Elena in den Arm, die peinlich berührt den Kopf einzog.
»Fi erwartet dich bereits in der Kabine. Mach es dir bequem, um das Gepäck kümmern wir uns.«
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Worauf Ryan mit seiner Bemerkung anspielte, war klar – und genau so klar war, dass sie keine Lust hatte, das Thema mit ihm zu diskutieren. Im Grunde genommen hatte sie noch nicht mal das Verlangen, es mit ihrer besten Freundin zu besprechen. Sie wollte diese Schmach am liebsten ganz schnell vergessen. Ob David Gentleman genug war, um ebenfalls zu verschweigen, dass sie die Nacht nicht gemeinsam verbracht hatten, konnte sie nach seinem Handstreich im Auto nur hoffen.
Neugierig erklomm Elena die chromblitzenden Stufen. Als Australierin waren ihr Privatflugzeuge nicht unbekannt. Aber im Outback bewegte man sich mit kleinen Propellermaschinen, nicht mit zwölf Meter langen zweistrahligen Düsenjets. So einen Luxusflieger wie diesen hatte sie noch nie von innen gesehen, geschweige denn, dass sie schon einmal damit geflogen wäre.
Als ihre Augen sich an das angenehme Dämmerlicht im Inneren gewöhnt hatten, materialisierten sich die Konturen einer eleganten Bordküche. Dunkles Edelholz, Milchglas, blaue Hintergrundbeleuchtung – und das Wichtigste: Frühstück! Doch die große Platte mit belegten Brötchen war leider noch unter Folie vor unbefugten Zugriffen gesichert. Es war unmöglich, sich im Vorbeigehen unauffällig eine der Verlockungen in den Mund zu schieben.
»Herzlich willkommen in meiner armseligen Behausung!«, rief Fiona ihrer Freundin entgegen. Elenas ehrfurchtsvoller Blick war ihr nicht entgangen. »Hat schon was der Flieger, nicht wahr?«
»Das kannst du aber laut sagen!« Bewundernd glitten die Finger der Australierin über das weiße Leder der breiten Sitze, die an Fernsehsessel der Luxusklasse erinnerten. »Ich glaube es ja nicht, eine richtige Edelcouch für drei Personen!«
Fiona setzte sich auf das Sofa und klopfte einladend auf den Platz neben sich. »Ich wiederhole mich nur ungern, aber nochmals: Willkommen in meinem fliegenden Wohnzimmer«, grinste sie frech. »Endlich haben wir Zeit alles in Ruhe zu besprechen! Ich habe dich so vermisst!«
Elena griff sich eines der komfortablen Riesenkissen und klemmte es sich in den Rücken. »Ich dich auch! War das wirklich erst gestern Vormittag, als du aus dem Haus gegangen bist? Und ein paar Stunden später kommt der Anruf, dass Ryan zurück ist und ich ins Penthouse kommen soll, Verlobung, Hochzeit …«
Fiona ergriff Elenas Hand, legte sie auf ihren Bauch und strich nachdenklich darüber. »Erst jetzt realisiere ich langsam, was da gestern geschehen ist. Ryan lebt, er ist zurück. Zurück bei mir und Hope.« Tränen traten in ihre Augen.
»Oh Süße, es ist doch alles gut, alles gut!« Plötzlich wurde Elena bewusst, dass Fiona und sie sich in den vergangenen Wochen gegenseitig etwas vorgespielt hatten: Tief im Innersten hatte jede für sich ständig gegen die Angst gekämpft, dass der Mann, den die Schwangere liebte, nicht lebend von seinem Auslandseinsatz in Syrien zurückkehren würde. Doch keine von beiden hatte gewagt, es auszusprechen.
Und aus Furcht, dass die Freundin unter der enormen Last zusammenbrechen – und damit auch das ungeborene Kind gefährden – könnte, hatte Elena ihre Mitbewohnerin in den letzten zwölf Wochen kaum eine Minute aus den Augen gelassen.
Drei Monate ohne ein Lebenszeichen von Ryan. Drei Monate, in denen die werdende Mutter sich die Schuld gegeben hatte, dass er sich überhaupt auf den lebensgefährlichen Auslandseinsatz eingelassen hatte, um Davids Bruder und andere entführte Geiseln zu befreien. Doch jetzt war es Zeit, den Schuldkomplex, unter dem die Schwangere immer noch litt, ein für alle Mal aufzulösen. »Du fühlst dich immer noch verantwortlich für alles, was geschehen ist, nicht wahr?«, fragte Elena behutsam.
»Natürlich«, schniefte Fiona. »Ich habe ihn doch dorthin getrieben – zu dem, was er Gottesurteil nennt, weil er dachte, ich hätte mich gegen unser Kind entschieden.«
»Bullshit!«, wetterte Elena. »Ryan ist nicht der Typ, der das Leben auf so eine Weise herausfordert. Dafür ist er viel zu verantwortungsbewusst. Er ist vor allem gegangen, um seinem besten Freund David und dessen Familie zu helfen.«
»Glaubst du wirklich?«, fragte Fiona kleinlaut.
»Na logisch!«
»Ryan hat gestern auch versucht, mich zu überzeugen …«
»Was hat er denn gesagt?«
»Dass ich mir diesen Schuh von wegen Schuld nicht anziehen soll. Und warum er sich nach seinen traumatischen Erlebnissen bei den Special Forces und dem Geheimdienst entschlossen hatte, doch wieder an einem Einsatz teilzunehmen: Er musste für sich herausfinden, ob er endlich mit seiner militärischen Vergangenheit abschließen kann. Er macht sich immer noch Vorwürfe, als Führungsoffizier das Töten angeordnet, und auch selbst getötet zu haben.«
»Ryan hat schreckliche Dinge erlebt. Es muss verdammt schwer sein, damit fertig zu werden. Zu welchem Ergebnis ist er gekommen?« Erwartungsvoll sah sie die Schwangere an.
»Er macht eine Therapie. Die grausame Zeit lastet immer noch bleischwer auf seiner Seele. Aber er hat endlich verstanden, dass er kein Mörder ist, sondern uns alle durch seine Einsätze beschützt hat. Und er hat mir versprochen, dass er nie wieder an einem Einsatz teilnimmt!«
»Und mit seiner Vergangenheit als Escort hast du ja sowieso keine Probleme.«
»Um Gottes willen, nein!«, bestätigte Fiona sofort vehement. »Und jetzt wo ich begriffen habe, dass dieser extreme Lebenswandel mit der käuflichen Liebe nur sein Weg war, um die schreckliche militärische Vergangenheit zu verdrängen, erst recht nicht. Aber weißt du was? Ryan und ich haben beschlossen, nur noch nach vorne zu sehen. Und das sollten wir jetzt auch tun!« Der enorme Druck, unter dem die werdende Mutter gestanden hatte, entlud sich ohne Vorwarnung in einem Bach von Tränen.
Wie aufs Stichwort stand Ryan plötzlich neben ihnen und ging vor seiner Verlobten in die Hocke. »Alles okay bei euch, Prinzessin?«
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch und bitte, hör doch auf zu weinen!« Sanft wischte er mit seinen Daumenkuppen die Tränen von ihren Wangen – und war wieder fasziniert und verunsichert zugleich über die die tiefe Emotionalität der Schwangeren. Niemals zuvor hatte er sie zerbrechlicher und gleichsam stärker erlebt als in dieser besonderen Zeit – und niemals schöner!
Wie er ihr Gesicht in die Hände nahm und sie küsste … das war wirklich gelebte Liebe und Zärtlichkeit. Elena wendete diskret den Kopf zur Seite und sah direkt in ein Paar schwarze Augen, die sie fixierten. Irritiert senkte sie den Blick. Warum wusste sie selbst nicht genau. Als sie wieder aufblickte, stand David immer noch mit verschränkten Armen auf der Gangway an den Rumpf der Maschine gelehnt und sah ins Innere – genau auf sie. Und wieder durchlief sie dieser unangenehme Schauer, weil sie das Gefühl hatte, er könne ihr bis auf den Grund der Seele blicken.
»Kann ich dich mit Elena alleine lassen, ich möchte David …«
»Aber natürlich, Darling! Es sind doch nur Freudentränen. Weil ich so dankbar bin, dass du wieder da bist, dass du gesund bist, dass du uns liebst!«
»Prinzessin«, flüsterte Ryan strahlend und küsste ihre Nasenspitze.
»Nun geh schon«, schob sie ihn sanft von sich und nickte in Richtung der Gangway. »David wartet auf dich.«
Jede in ihre eigenen Gedanken versunken, sahen die Frauen den Männern hinterher, die lachend aus ihrem Sichtfeld verschwanden.
»Ich habe riesigen Hunger, wie sieht es mit dir aus?« Die Schwangere wartete die Antwort nicht ab und holte das Tablett mit den belegten Brötchen. Sie deutete auf die sich gegenüberstehenden Ledersessel. »Kannst du bitte den Tisch ausklappen? Einfach auf den Knopf neben der kleinen Lampe drücken.«
Wie von Geisterhand öffnete sich eine Klappe, die in der dunklen Verkleidung unterhalb der Fenster eingelassen war. Amüsiert sah Elena zu, wie eine Platte aus hochglanzpoliertem Edelholz sichtbar wurde, die sich langsam senkrecht herausschob und in die Horizontale umklappte.
»Du kennst dich hier ja schon gut aus«, grinste sie und nahm das Tablett von Fiona entgegen.
»Ryan hat es mir vorhin erklärt. Er hat bestimmt schon geahnt, dass ich mit dem Essen nicht warten kann. Er weiß ja, wie verfressen ich bin – und jetzt sogar gleich doppelt«, grinste sie und strich sich über den Bauch.
»Ich finde es erstaunlich, was du alles ohne Konsequenzen in dich reinschaufeln kannst!« Sehnsüchtig betrachtete Elena die Kurven der Freundin. Wie schaffte sie es, in der Schwangerschaft ausschließlich an den richtigen Stellen zuzunehmen? »Wenn ich nur an das denke, was du isst, platze ich schon aus allen Nähten.« Bedauernd zuckte sie die Schultern und ließ die Hände über ihre Hüften gleiten.
»Also ich kann beim besten Willen kein überflüssiges Pfund an dir erkennen.« Fiona sah sie frech an. »Kann es sein, dass du dir seit exakt vierundzwanzig Stunden verstärkt Gedanken um das Thema machst?« Noch bevor Elena antworten musste, schob sie eine unverfängliche Frage hinterher: »Was möchtest du trinken? Kaffee, Kakao, Champagner?«
»Champagner, wie dekadent um diese Uhrzeit!« Sie folgte ihrer Freundin zur Bordküche. »Aber ehrlich gesagt wäre mir ein Kakao am liebsten.«
Auf dem Rückweg zum Tisch nutze Elena die Gelegenheit, um noch einmal aus der Tür zu sehen, doch weder hier noch durch die Fenster konnte sie einen Blick von David erhaschen.
»Suchst du was?«, stichelte Fiona scheinheilig. Als sie Elenas bekümmerten Blick sah, tat es ihr sofort leid. »Hey, was ist denn mit dir? So kenne ich dich ja gar nicht. War es nicht schön mit David? Also ich meine …«
»Es war nichts.«
»Du wolltest nicht?«
»Er wollte nicht.«
Die Becher landeten so schwungvoll auf dem Tisch, dass der Kakao quer durch die Kabine spritzte. »Mist, es ist doch nichts auf die Sessel gekommen?« Panisch inspizierte Fiona die hellen Sitzflächen.
Dankbar, der Inquisition auf diese Weise zu entkommen, sprintete Elena zur Bordküche, um ein feuchtes Tuch zu holen. »Flecken entdeckt?«
»Zum Glück nicht, das wäre mir ziemlich peinlich.« Bittend hielt die Schwangere die Hand auf, doch die Freundin winkte ab.
»Setz du dich hin und suche dir das erste Brötchen aus.«
Geschickt umfuhr sie mit dem Tuch die Tassen und Teller im Slalom.
»Seit du schwanger bist, bist du hungrig noch weniger zu ertragen als ohnehin schon!«, feixte Elena, beförderte den Lappen mit einem gekonnten Wurf in die Spüle und ließ sich in ihren Sessel fallen. Um nicht wieder auf die Nacht, die es nicht gegeben hatte, zurückkommen zu müssen, ergriff sie das Wort, bevor ihre Freundin den Mund geleert hatte. »Aber jetzt erzähle doch mal, was gestern eigentlich passiert ist! Also ich meine vor deinem Anruf.«
Augenblicklich strahlte Fiona übers ganze Gesicht. »Du weißt ja, dass ich ins Penthouse gefahren bin, weil ich so Sehnsucht nach Ryan hatte … Seine Möbel, seine Kleidung, all die vielen Kleinigkeiten, die ihn ausmachen. Ich hatte gerade meine Nase ganz tief in ein Plaid vergraben – in der Hoffnung noch einen Hauch von seinem Duft finden zu können –, da ging die Tür auf. Ich dachte, es sei seine Schwester Charlotte, und als ich mich umgedreht habe, stand Ryan plötzlich selbst vor mir! Ich weiß nicht, wer von uns beiden erschrockener war.«
»Und dann?«, bohrte Elena atemlos nach. »Wie ging es weiter? Was hat er gesagt? Was hast du gesagt?«
»Ryan ist auf seine Knie gefallen und hat vor Glück geweint, als er gesehen hat, dass ich noch schwanger bin. Diesen starken Mann dort am Boden zu sehen, weinend vor Glück … Ich kann es überhaupt nicht in Worte fassen … Alles, was zwischen uns gestanden hat war plötzlich weg. Alles, was uns getrennt hat war so gleichgültig. Es gab nur noch uns: Ryan, Hope und mich.«
»Oh mein Gott, wenn ich mir das bildlich vorstelle … Du musst dich doch gefühlt haben wie im Märchen. Und wie ging es dann weiter? Erzähl, erzähl!« Elena hüpfte vor Aufregung auf ihrem Sitz auf und ab. »Klasse Federung«, bemerkte sie beiläufig.
Fiona senkte den Blick und grinste feist vor sich hin. Sie genoss es, die Neugierige noch ein wenig auf die Folter zu spannen und pustete in aller Seelenruhe ein Muster in den Schaum ihres Kakaos.
»Fi, ich platze gleich! Erzähl doch endlich weiter!«
»Nun ja, was soll ich sagen? Nachdem Ryan mir klipp und klar gesagt hat, dass er keine Zärtlichkeiten mehr mit mir austauscht, ehe ich nicht seinen Namen trage …«
»Das ist ja unerhört!«, empörte sich Elena breit grinsend. »Er hat dich also quasi zur Ehe genötigt?«
»Könnte man so sagen! Und um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, ist er vor mir auf die Knie gefallen und hat mir mit dem Verlobungsring seiner Mutter einen Heiratsantrag gemacht!«
»Oh mein Gott, ist das romantisch! Aber apropos Hochzeit: Wo sind deine Eltern, Ryans Schwester, ihr Mann und Liam samt Frau?«
»Die kommen alle übermorgen nach. Und ehrlich gesagt finde ich es klasse! So haben wir noch mehr Zeit alles vorzubereiten. Du hilfst mir doch?«
Der vorwurfsvolle Blick sprach Bände. »Sag mal, was denkst du denn von mir? Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen!«
»Das ist wunderbar. Mein größtes Problem wird sein, ein passendes Outfit zu finden, in das Hope und ich zusammen reinpassen …«
»Hm«, bestätigte Elena abwesend – den Rest von Fionas Ausführungen hörte sie schon gar nicht mehr.
Was macht David da draußen?
Aufmerksam umrundete er das Flugzeug, klemmte etwas unter seinen Arm und fummelte an einer Manschette herum. Wie er die Ärmel langsam hochkrempelte, das hatte etwas von einem sinnlichen Ballett. Der Anblick seiner langen schlanken Finger in Aktion genügte, um sofort wieder die sehnsuchtsvolle Glut in ihrer Körpermitte zu entzünden. Elenas Blick wanderte hinauf zu seinen vollen Lippen, mit denen er sie heute Nacht beinahe an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte … Beim Sprechen verzog er sie immer wieder leicht. Genau wie eine Augenbraue. Offenbar war David bester Laune und da draußen nicht allein. Außerhalb ihres Sichtbereiches musste noch jemand sein, mit dem er offensichtlich Informationen austauschte. Wiederholt sagte er etwas zu dem anderen und machte sich dann Notizen auf seinem Klemmbrett. Plötzlich veränderte sich der gelassene Ausdruck in seinem Gesicht. Geschmeidig sank er in die Hocke und schnellte wieder hoch. Der Gegenstand, den er aufhob, schien ihn zu beunruhigen. Sorgsam betrachtete er ihn von allen Seiten.
Ob das eine Schraube ist?
Der Pilot reckte sich nach oben Richtung Tragfläche und untersuchte eine Stelle. Seine verfinsterten Züge hellten sich auf. Offensichtlich hatten sich seine Bedenken in Luft aufgelöst. Mit der flachen Hand strich weiter über die Tragfläche, als würde er sie liebkosen. Plötzlich sah er in das Fenster hinein …
Elena schreckte zurück und presste sich tief in den Sitz, um nicht von ihm entdeckt zu werden. Sie bebte am ganzen Körper. Alles, was er ausgezogen hatte, waren zwei kleine goldene Knöpfe und eine smaragdgrüne Krawatte. Doch das war der beste Striptease, den sie jemals gesehen hatte.
»Miss Pasley, ich wollte mit dir meine Hochzeit besprechen … Rede und rede und was machst du? Schaust aus dem Fenster und antwortest nicht!«
Sonst nie um eine Ausrede oder einen passenden Spruch verlegen, blickte Elena die Braut jetzt lediglich unangenehm berührt an.
»Er hat es dir ganz schön angetan, was?«, fragte die Schwangere liebevoll.
Hilflos zuckte Elena die Schultern. »Ich weiß auch nicht.«
»Er hat dich mit seinem Verhalten verletzt …«
»So einen Mann wie ihn habe ich noch nie kennengelernt«, gestand die Blonde kleinlaut.
»Was genau meinst du?«
»Können wir später darüber sprechen? Ich weiß das alles noch nicht einzuordnen und ich möchte es auch nicht.« Beinahe flehentlich sah sie Fiona an und starrte dann so intensiv in den Kakaobecher, als würde sie in dem Getränk nach etwas suchen. Sie atmete einige Male tief durch, um mit fester Stimme weiter sprechen zu können. »Ich möchte mich genau wie du ganz und gar auf deine Hochzeit konzentrieren. Das sollen schließlich die schönsten Tage deines Lebens werden.« Strahlend streckte sie der Freundin die Hände entgegen und zog sie in ihre Arme. »Ich freue mich so sehr für dich, dass du deinen Mann, deine Familie gefunden hast und ich wünsche euch alles Glück der Welt!«
»Ach, hör auf. Wenn du so etwas Schönes sagst, muss ich sofort wieder heulen!«, schluchzte Fiona herzzerreißend.
»Ich auch!«, stimmte Elena jammernd ein.
»Ladys, seid ihr startklar?« Ryan sah die Frauen fragend an und kratzte sich am Kopf. »Warum weint ihr denn jetzt? Sollen wir vielleicht noch ein wenig warten … Gibt es noch etwas zu klären?« Er sah Fiona mit gespielter Verzweiflung an. »Gib es zu: Wir können gar nicht heiraten, weil du vergessen hast, mir zu sagen, dass du schon verheiratet bist!« Nach seiner Bemerkung ging er sofort in Deckung, als würde er befürchten, seine Zukünftige könnte ihren Becher jeden Moment in ein Wurfgeschoss verwandeln.
»Du Blödmann!« Mehr konnte Fiona nicht sagen und trompetete lautstark in ihre Serviette.
»Auch wenn du es nicht verdient hast«, murmelte Ryan und küsste sie zärtlich. »Wieder okay?«, vergewisserte er sich, bevor er sich aufrichtete. Nach ihrem Nicken wandte er sich wieder beiden Frauen zu. »Bitte schnallt euch an, wir werden gleich starten.« Noch ein liebevoller Blick in Richtung seiner Verlobten, dann räumte er den Tisch ab und marschierte zum Eingang, um die Treppe einzufahren und die Tür zu verriegeln.
»Ist Ryan jetzt der, der geflüchtet ist?«, frotzelte Elena, als er nicht zurückkam.
»Nein, er fliegt vorne mit. Direkt hinter dem Cockpit gibt es noch einen Sitz. So haben wir Zeit für uns und können alles besprechen.«
»Du heiratest wirklich einen Gentleman und Frauenversteher«, bekannte Elena neidlos.
»Ja, das ist er in der Tat.« Der süffisante Blick verriet, wie gut er Fiona verstand.
Die Frauen mussten lachen.
»Männer!«
»Männer!«, bestätigte Fi.