Читать книгу Christine Bernard. Das Mädchen aus einer anderen Welt - Vieten Michael E. - Страница 5

Оглавление

Und über uns die Sterne

Sie kommen in der Nacht. Sie stehlen Menschen.

Wenn man einen von ihnen tötet, werden sie ihn rächen. Dann ist man allein und nirgendwo sicher.

Die Lampen an den Decken hüllten den Raum in ein schwaches grünes Licht und nahmen allem die Farbe. Ihr nackter Körper schimmerte hellgrau, die Liege auf der sie lag, erschien ihr fast schwarz, die Wände waren offenbar mit einer Mischung aus beidem gestrichen. Nur die Farbe an den Wänden im Schlafraum war beinahe weiß.

Motoren summten und dröhnten und rauschten im Hintergrund. Stimmengemurmel. Leise Musik.

Sie starrte in das grüne Licht. Durch den Schleier des Beruhigungsmittels hindurch spürte sie ihren Unterleib. Heute war sie dran. Sie alle wurden untersucht.

Es stand vor ihr, mit riesigen Augen ohne Pupillen. Kein Mund und keine Nase. Keine Haare auf dem Kopf. Die Haut des nackten Körpers schimmerte matt.

Sie blieb tapfer. Diese Untersuchungen mussten sein. Das hatten sie ihr erklärt. Sie durfte gehen, wenn sie alles klaglos ertrug. Das hatte man ihr versprochen. Nur, wann das sein würde, hatte man ihr nicht gesagt.

Die anderen Mädchen waren schon länger da als sie. Nur Miranda nicht. Eine Holländerin. Sie hatte stundenlang geweint, nachdem man sie gebracht hatte. Dann bekam sie das Beruhigungsmittel und wurde das erste Mal untersucht. Seither dämmerte sie zwischen Wachen und Schlafen, ohne Bewusstsein für Zeit und Raum.

Die Untersuchung war zu Ende. Starke Arme halfen ihr beim Aufstehen und beim Duschen. Sie durfte ihre Tunika wieder anziehen und wurde in den Schlafraum zurückgebracht.

Zwei Türen weiter lag der Maschinenraum. Dort war das allgegenwärtige Dröhnen, Summen und Rauschen am lautesten.

Es gab etwas zu essen und zu trinken. Müsli mit Milch, Früchte, Wasser und Saft. Manchmal auch Brot und Wurst oder Marmelade. Sie sorgten für einen. Nur warmes Essen, Salat und Gemüse gab es nie.

Sie musste auf die Toilette und übergab sich. Eine Reaktion auf das Beruhigungsmittel, hatten sie ihr erklärt.

Sie legte sich auf ihr Bett. Sie war so müde.

Die Holländerin wurde erneut zur Untersuchung geführt. Jetzt war die also dran.

Sie hatte geschlafen. Wie lange, wusste sie nicht. Hier drin ging jedes Zeitgefühl verloren. Sie kannte nicht einmal die Tageszeit. War es Morgen oder Abend, Sommer oder Winter? Wie lange war sie bereits hier?

Die Holländerin wurde zurückgebracht und begann sofort zu weinen. Sie stand auf, ging zu Mirandas Bett und tröstete sie.

„Wir müssen hier weg!“, jammerte Miranda. „Fliehen!“

Miranda brachte sie alle in Gefahr. Immer wieder wollte sie fliehen. Dabei war es das Beste, sich nicht zu wehren. Sie hatten versprochen, sie dann frei zu lassen. Einige durften bereits gehen, dafür kamen andere.

Aber wenn man sich auflehnte, konnte es passieren, dass man verletzt wurde. Miranda behauptete sogar, dass sie Mädchen aus der Gruppe getötet hätten. Aber das war ganz sicher Unsinn.

Diese Untersuchungen mussten sein. Das hatten sie immer wieder versichert.

Sie stammten aus einer anderen Welt. Fern und besser als unsere. Sie wollten die Menschen studieren und dann alle retten.

„Wovor denn?“, begann Miranda, hysterisch zu schreien. „Wovor denn retten?“

Sie hatte die Holländerin beruhigen wollen.

„Stell nicht so viele Fragen. Denk nicht so viel nach. Wehr dich nicht. Gib dich hin. Dann wird alles gut.“

Sie hatte ihr nicht geglaubt. Verrückt sei sie, hatte Miranda gesagt. Dabei würde sie selbst diejenige sein, die ihren Verstand verlor, wenn sie ständig an Flucht dachte.

„Man muss sich mit den Dingen im Leben arrangieren“, hatte ihre Mutter sie stets ermahnt. „Hadere nicht mit deinem Schicksal“, sagte sie oft. Dann war sie tot. Der Krebs hatte sie geholt.

Sie legte sich wieder auf ihr Bett und starrte an die Decke. Im Maschinenraum dröhnten die Motoren. Sie schloss ihre Augen und sah über sich die Sterne.

Sie befanden sich an Bord eines riesigen Raumschiffs auf einer langen Reise durch das All. Diese lärmenden Motoren, das waren die Triebwerke.

Sie sah den schwarzen Weltraum und die unzähligen glitzernden Lichter, auf die sie zuflogen. Fremde Sonnen und Monde, Planeten und Gestirne, Asteroiden und Galaxien, verhüllt in bunten Nebeln, wanderten an den Fenstern vorbei.

Aber in diesen Räumen gab es keine Fenster.

Unerwartet weinte sie. Sie wusste auch nicht, warum. Es überraschte sie immer wieder. Es passierte einfach manchmal. Früher hatte sie nie geweint.

Das läge an dem Beruhigungsmittel, hatten sie ihr gesagt.

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Noch bevor sie verstand, was geschah, zog man sie auf die Beine. Dann liefen sie mit ihr über den Gang auf das glänzende Tor zu. Von dort kamen die neuen Menschen. Auch sie selbst kam einmal von dort. Aber wie lange das her war, wusste sie nicht mehr.

Das glänzende Tor fuhr auf. Dahinter befand sich eine matt schimmernde Kabine. Sie stiegen hinein. Weißes Licht. Das Tor schloss sich. Motoren summten. Ihre Beine gaben nach, zwei starke Arme stützten sie.

Das glänzende Tor schob sich wieder auf und dann war es plötzlich sehr warm, beinahe stickig. Und laut war es. Verkehrslärm. Sie waren endlich zurück auf der Erde.

„Miranda!“, wollte sie rufen. „Siehst du? Alles wird gut, wenn du nur brav tust, was man von dir verlangt.“

Aber wie dumm von ihr. Die Holländerin konnte sie ja nicht hören. Miranda musste noch bleiben, sie wurde ja noch weiter untersucht.

Sie fuhren mit dem Wagen. Es war Nacht. Trotzdem war draußen alles bunt. Die Lichter der Stadt, andere Fahrzeuge, die Kleidung der Menschen. Sie sahen glücklich aus. Dann führte die Fahrt sie über Land.

Schwarz war der Wald, kaum heller dahinter das Firmament über den Wipfeln der Bäume. Nur wenige Sterne waren zu sehen.

Sie legte ihren Kopf an die Fensterscheibe und schaute weiter in den Himmel. Die Wirkung des Beruhigungsmittels ließ nach.

Sie dachte an Basti. Sie lächelte.

Das Auto rumpelte über eine Unebenheit. Etwas klapperte im Ablagefach der Tür. Dann entdeckte sie das Plastikding und griff danach.

Sie wusste nicht, welche Energie das war und woher sie kam. Aber sie verlieh ihr übermenschliche Kräfte und diese Urgewalt legte sie in einen einzigen Stoß.

Sie hatten rotes Blut, genauso wie Menschen.

Christine Bernard. Das Mädchen aus einer anderen Welt

Подняться наверх