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Prolog

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„Mama, so wie du dein Leben verbringst, will ich meines nicht leben!“ sagte meine Tochter Lucia eines Tages zu mir. Sie befand sich im letzten Schuljahr und stand vor der schweren Entscheidung, ihren weiteren Lebensweg zu planen. Ganz offensichtlich war ich für sie kein geeignetes Vorbild.

„Aber das verlangt doch auch niemand von dir“, war meine prompte Antwort. Nach einer Weile des Schweigens wollte ich es dann aber doch wissen und fragte mit sanfter Stimme: „Und warum nicht? Was ist denn so schlecht an meinem Leben?“

„Du bist immer nur zu Hause, hast keinen Beruf, gehst nie auf Reisen. Du willst die Welt ja nicht mal sehen!“ rief sie fast zornig, was sonst gar nicht ihre Art war. Plötzlich spürte ich, dass sie sehr aufgeregt war, so als ob sie sich fürchtete, mir diesen Vorwurf zu machen, den sie wohl schon lange mit sich herumgetragen hatte.

„Woher willst du wissen, dass ich die Welt nicht schon kenne?“ Jetzt wurde auch ich aufgeregt.

„Woher? Aus deinen Büchern? Glaubst du, du kannst alles aus Büchern erfahren? Man muss raus, man muss sich den Problemen im Leben stellen. Ich werde jedenfalls nicht hier versauern. Ich will die Welt kennen lernen.“ Lucia stand vor mir und sah mich herausfordernd und ängstlich zugleich an.

„Ich habe schon die ganze Welt bereist, lange bevor du geboren wurdest“, schleuderte ich ihr entgegen. Sie sah mich entgeistert an. „Davon hast du nie erzählt.“

„Du hast nie gefragt.“

Sie hatte ins Schwarze getroffen. Ich war ebenso aufgeregt und ängstlich wie sie. Und ich war unfair. Sie hatte Recht, ich hätte erzählen müssen. Es ist an der Mutter, den Kindern zu erzählen und dann können die Kinder fragen. Lucia hatte mit diesem Vorwurf alles aufgewühlt, was ich in meinem Schweigen jahrelang versteckt hatte und ihr ging es im Grunde wie mir, auch meine Mutter hatte nie erzählt, und ich hatte nie gefragt.

Es ist eine lange Tradition in meiner Familie. Meine Großmutter hatte nie erzählt, weil ihre Tochter nie gefragt hatte. Ihre Tochter hatte nie gefragt, weil es sie nicht interessiert hatte, was sie später sehr bedauerte. Meine Mutter hatte nie erzählt, weil sie fürchtete, die Wahrheit könnte sich zwischen uns stellen. Ich hatte nie gefragt, weil ich die Wahrheit nicht ertragen hätte und ich hatte nie erzählt, weil meine Vergangenheit mich zu sehr schmerzte. Und Lucia hatte nicht gefragt, weil auch sie vor diesem tiefen Schmerz Angst hatte.

Nun hatte sie also gefragt. Nun war der Schmerz da. Nun war es an mir, diese Tradition zu brechen und ihr zu erzählen, was auch für sie wichtig ist, denn man muss wissen, woher man kommt, um zu wissen, wohin man gehen will.

Ich konnte es ihr nicht sofort erzählen. Da waren noch zu viele Tränen, die geweint werden mussten, ehe meine Stimme wieder klar und kräftig wurde, um ihr meine Geschichte zu erzählen. Und es dauerte noch einmal eine weitere Dekade, bis ich dies alles hier aufschreiben konnte.

Adriana

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