Читать книгу Melody - Das Erwachen - Violett McKenzie - Страница 10

Kapitel 5

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Vierundzwanzig Stunden später betrat Melody in Begleitung ihrer Agentin Maisie Swanbeck das Gebäude, in dem die ›A Sunny Place‹-Show gedreht wurde. Als sie durch die Korridore schritt, die seit ihrem letzten Besuch zwar gleichgeblieben waren, bemerkte sie all die kleinen Änderungen, die man an den Büros und im Atelier vorgenommen hatte, um sie moderner, vor allem aber auf dem neuesten Stand zu halten.

Sie erinnerte sich an die Sitzungsräume, Hallen, Ateliers und anderen Räume, in denen sie schon als Kind gespielt hatte. Die heutige Besprechung würde im großen Konferenzraum im zweiten Stock stattfinden. Er war der imposanteste der insgesamt drei Besprechungszimmer, mit riesigen Glasfenstern, die einen Blick auf das Hauptstudio boten, in dem zumeist gedreht wurde. Sie war nur noch wenige Yards von dessen Tür entfernt, als diese plötzlich aufschwang.

Melody erblickte ihren Vater in einem grauen, dreiteiligen Anzug, nur wenig älter, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sein früher einmal blauschwarzes Haar war silbriggrau geworden und sein Gesicht zeigte genau die Art Charakter, der ihn für die weiblichen Zuschauer der Show so anziehend machte. Er war noch immer sehr attraktiv, und sie vermutete, dass er regelmäßig im Fitness-Studio auf einer anderen Etage des Gebäudes trainierte. Sie registrierte das Zögern in seinen tiefbraunen Augen, so als wäre er sich nicht ganz sicher, was er ihr, seiner eigenen Tochter in diesem Augenblick sagen sollte.

»Hallo, Dad, gut siehst du aus«, übernahm sie daher die ersten Worte, wobei sie ihre eigenen Gefühle herunterschluckte und ihm die rechte Hand entgegenstreckte. Sie fühlte sich durch die Unentschlossenheit und das Zögern in seinem Blick bestätigt, bevor er es durch ein sanftes Lächeln überdecken konnte und die von ihr angebotene Hand nahm.

Langsam ließ Owen Tyrrell die Hand seiner jüngsten Tochter los.

Dann folgte sie seinem starren Blick, der auf ihre nun gefalteten Hände gerichtet war, die von weichen Wildlederhandschuhen bedeckt waren, die in Farbe und Material perfekt zu dem jägergrünen Zweiteiler passten, der ihre Figur umschmeichelte und glänzend zur Geltung brachte. Sie hatte ihn sich vor einiger Zeit von einem Designer in Italien maßschneidern lassen, was bekanntermaßen nicht gerade preiswert war.

»Du siehst wunderbar aus, Melody«, murmelte er halblaut. »Ich freue mich sehr, dass du unser Angebot angenommen hast …« Er stockte ungeschickt in seinen Worten und konnte den Ausdruck der Erleichterung nicht verbergen, als er sanft zur Seite geschoben wurde und seine achtundvierzigjährige Frau die Situation übernahm.

Melody hielt ihre kühle Fassade aufrecht, bis ihre Mutter sie herzlich umarmte.

»Melody, ich weiß, dass in der Vergangenheit viele Fehler begangen wurden, und ich kann nur hoffen, ja beten, dass du diese Fehler verzeihen kannst, Melody«, flüsterte Michelle ihr leise zu, während sie sie an sich gedrückt hielt. »Ich hoffe von ganzem Herzen, dass wir wieder eine Familie werden können.« Sie machte eine Pause und strich ihr sanft über die Wange. »Bitte glaub' mir das. Selbst wenn du Nein sagst und uns nicht helfen magst, möchte ich den Kontakt zu dir nicht verlieren.« Dann trat sie zwei Schritte zurück und sagte mit lauterer Stimme. »Hallo, Melody! Hübsch siehst du aus.« Sie lächelte. »Ich kann da tatsächlich noch immer etwas von der kalifornischen Sonne in deinem Gesicht erkennen. Ich hoffe, dass du die Monate in New York genossen hast.«

Melody sah, wie Michelle sich ihrer Agentin zuwandte und dieser zur Begrüßung die Hand anbot.

»Es ist schön, Sie wiederzusehen, Maisie. Ich verstehe, dass Sie in den letzten Jahren zum Jetsetter geworden sind ... Stimmt es, dass Sie inzwischen zahlreiche Kunden an beiden Küsten und sogar in Europa haben?«

»Ja, Michelle, das stimmt«, erwiderte Maisie. »Und das verdanke ich alles Melody. Sie hat mich auf ihrem Zug des Erfolgs und Ruhm mitgezogen. Dank ihr habe ich gerade Rafail Esposito und Gabriela Romano unter Vertrag nehmen können.« Sie lächelte Melody an, als sie die beiden am schnellsten, aufstrebenden Stars der europäischen Filmindustrie erwähnte. »Melody hat sie mir vorgestellt und von den beiden erfahren, dass sie nach jemandem Ausschau halten, der ihnen hilft, ihre Karriere in den Staaten und Europa zu managen.«

»Da kann man nur hoffen, dass sie dich nicht feuern, wenn du ihre stürmische Affäre beendest, die sie gerade ausleben, Maisie!«, bemerkte eine Stimme aus dem Hintergrund.

Melody und Maisie drehten sich um und sahen Leslie auf sich zukommen.

Leslie Tyrrell hatte das attraktive Aussehen seines Vaters, aber es schien, als hätte er nichts von seiner Boshaftigkeit verloren, die sich erst nach seiner Heirat entwickelt hatte.

Melody präsentierte ihrem Bruder ihre überlegenen schauspielerischen Fähigkeiten und lachte fröhlich, als sie Maisie freundschaftlich einen Arm um die Hüfte legte und für sie Partei ergriff. »Oh, es gibt keinen Grund, sich um Maisie zu sorgen, Leslie! Sie kann es sich mittlerweile leisten reihenweise Leute abzulehnen, weil sie so gut ausgelastet ist … Und nur, um dich in ein kleines Geheimnis einzuweihen …« Sie zog ihre Agentin noch enger an sich und lächelte verschwörerisch. »Sie hat sie mit dem Vertrag derart geknebelt, dass Rafail und Gabriela nicht in der Lage sein werden, sich zu trennen.« Sie legte eine theatralische Pause ein, ehe sie eine Information aufdeckte, für die viele Journalisten getötet hätten. »Nur falls du es nicht weißt: Die beiden sind seit fast zehn Jahren verheiratet und haben mehrere niedliche Kinder adoptiert. Ich habe letztes Jahr einige Wochen auf ihrem Weingut in Frankreich verbracht und trotz vier Kindern und einer Vielzahl an Hunden und Katzen, war es der friedlichste Urlaub, den ich seit Jahren hatte.«

Leslie lächelte schmal, als seine Frau Geena, die immer noch extrem schlank und anmutig war, sich ihnen anschloss. Ihr langes, dunkelbraunes Haar war am Hinterkopf zu einem schicken französischen Zopf hochgesteckt.

Melody wusste, dass die beiden keine Kinder hatten und auch warum. Mehrfach hatte Geena erklärt, dass sie solange nur irgend möglich ihre Figur behalten wollte, damit sie weiter schauspielern und deutlich jünger aussehen konnte, als sie es tatsächlich war. Auch war es offensichtlich, dass ihr feines Seidenkleid niemals neugierigen und oft schmutzigen kleinen Händen standhalten würde. Sie spürte eine wohlige Wärme, als sie sich an ihre Freunde und deren Kinder erinnerte, die sie in ihren Herzen und ihrem Zuhause willkommen geheißen hatten. Und sie lächelte still in sich hinein, wenn sie daran dachte, wie sehr es ihr gefiel, wenn sie von den Kleinen mit ›Tante Melody‹ gerufen wurde. Wie aus dem Nichts kam in ihr der Gedanke auf, Ryan zu einem Besuch in Frankreich zu verleiten und seine Reaktion auf die vier Kinder zu beobachten.

»Wenn ich mich nicht irre, ist das ein Originaldesign von ›Valentino‹, nicht wahr?«, bemerkte Geena und riss Melody aus ihrer Träumerei.

Melody gewahrte den neidischen Blick in den Augen ihrer Schwägerin, den diese nicht unterdrücken konnte. ›Valentino‹ war so exklusiv, dass es sehr schwierig war, ihn überhaupt für sich zu gewinnen. Die alte Feindseligkeit ist also immer noch da, dachte Melody bei sich und erinnerte sich daran, wie Geena sie schon früher ohne Gnade gepiesackt hatte. Nein, Geena ist weder die Zeit noch die Mühe wert, entschied sie im Stillen. »Das stimmt, auch wenn es nicht wichtig ist, Geena!«, entgegnete sie. »Ich habe ihn getroffen, während ich an diesem Film zum Thema Aids arbeitete, wie die Krankheit das Leben vieler Menschen zerstört, ja selbst das des Umfelds, das nicht erkrankt ist. Einer seiner engen Mitarbeiter hatte das Buch dazu geschrieben, auf dem der Film basiert, und sie waren oft in dem Hospiz, wo wir einige Szenen abdrehten.« Sie wandte sich an Maisie, die ihn ebenfalls am Set getroffen hatte. »Ich habe ihn erst neulich besucht, und er hatte das Gefühl, dass es Matteo endlich etwas besser geht.« Sie lächelte ihre Freundin an. »Aber gut, genug davon … Glaubst du, wir könnten zur eigentlichen Angelegenheit zurückkommen?« Für einen kurzen Moment war sie geneigt zu erklären, dass sie im weiteren Verlauf des Tages noch andere Verpflichtungen hatte, auch wenn es nicht stimmte. Doch dann hielt sie sich zurück und beschloss, dass es an der Zeit war, das kindliche Benehmen abzulegen – ganz gleich was nun gesagt wurde oder wer es sagte.

»Natürlich, Melody, Liebes«, brachte sich ihre Mutter anmutig wie immer ein. »Du kennst ja alle anderen Anwesenden hier.«

Erst jetzt bemerkte Melody, dass ihre ältere Schwester Veronica und deren Ehemann Jeff Cronenberg bereits am Konferenztisch Platz genommen hatten. Neben den beiden saßen die Schwester ihres Vaters Becky und deren Mann, Richard Anderson, beidseits von ihren zwei anderen Brüdern, Robert und Georg, flankiert. Sie vermisste Cathrine, Roberts Frau, die als Autorin für die Show arbeitete.

Robert begegnete ihrem Blick. »Sie wollte hier sein, Melody, aber unsere beiden Kinder sind krank. Windpocken. Geht schon die ganze Woche.«

Unwillkürlich musste sie über den Ausdruck lachen, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete.

»Ich weiß, was sie durchmacht. Zwei von Gabrielas Kindern hatten sie, während ich bei ihnen war, und es war eine ziemlich lehrreiche Erfahrung für mich.«

»Denkst du, dass du vielleicht …«, setzte Robert mit einem Lächeln in seinen Augen und seiner Stimme an.

Über den Tisch hinweg ergriff sie die Hand ihres jüngeren Bruders. »Ich würde dir und Cathrine gerne helfen. Da die Vorstellungen in New York beendet sind habe ich ein wenig Zeit … Und ich habe entdeckt, wie sehr ich Kinder liebe, sogar kranke.«

»Das wundert mich nicht im Geringsten, da du dich ohnehin schon immer wie ein Kind verhalten hast«, meldete sich aus der schattigen Ecke des Zimmers darauf eine Stimme, die sie seit neun Jahren nicht mehr gehört hatte.

»Stuart, bitte ...«, mahnte Geena.

Als er in das Licht des Raumes trat, sah Melody ihren Ex-Verlobten – den Mann ihrer mädchenhaften Fantasien, der sie nach dem Feuer einfach sitzengelassen hatte, nachdem er wusste, welch hässliche Narben sie zurückbehalten würde. Oh ja, dachte sie bei sich, du hast alles: Aussehen, Talent und jetzt sogar Geld. Dein kohlschwarzes Haar, deine Größe und dein schlanker, durchtrainierter Körper haben ausgereicht, um dich zur Nummer eins zu machen. Ich bin überrascht, dass du so lange bei der Show geblieben bist. Immerhin ist es ein offenes Geheimnis, dass du dir eine Wunschliste für quasi jede andere Seifenoper schreiben kannst. Sie schmunzelte in sich hinein. Aber eines ist dir dann doch versagt geblieben: Der Erfolg in der Filmindustrie, den du so verzweifelt wolltest! Sie lächelte, als sie sich des einzigen Films erinnerte, den er je gedreht hatte. Sie war sich absolut sicher, dass die beiden, die damals zwei Reihen von ihr saßen, die einzigen waren, die das Stück am Premierentag im Kino ganz in der Nähe ihres Hauses überhaupt gesehen hatten.

Wenn sie ihn bereits vor fünfzehn Jahren, als er zum ersten Mal in der Show auftrat, für verheerend attraktiv gehalten hatte, so war das heute mehr denn je der Fall. Aber das Bemerkenswerte war, dass sie davon nichts spürte. Vielleicht sollte ich für all die jahrelangen Therapien doch dankbar sein, dachte sie, als Stuart in den Raum vortrat. In diesen hatte sie entdeckt, wer sie wirklich, wer ihre Freunde waren und wie grausam die Welt sein konnte.

Trotz ihrer Narben, der vielen Hauttransplantationen, der immensen Schmerzen und der Einsamkeit, erkannte sie, dass sie mit dem kleinen Mädchen, das sie vor dem Feuer gewesen war, nichts mehr gemein hatte – das kleine Mädchen war für immer verschwunden. Jetzt war sie stärker und selbstbewusster wie nie zuvor. Sie war erwachsen geworden, hatte ihre eigenen Freunde, ihren eigenen Erfolg und vielleicht würde sie eines Tages auch wieder lieben.

Als sie seinen stürmischen blauen Augen begegnete, atmete sie tief ein, lächelte ihn an und fühlte sich ausgeglichen und stark. »Wie recht du doch hast, Stuart«, erwiderte sie kühl, wobei sich ihre Mundwinkel leicht nach oben zogen. »Ich war ein sehr verzogenes Kind, nicht wahr? Ganz die kleine Prinzessin, immer darauf aus, dass Dinge auf meine Art und Weise erledigt wurden oder gar nicht.« Sie wandte sich wieder ihren Eltern zu, denen die Fassungslosigkeit infolge dieses Zugeständnisses ins Gesicht geschrieben stand. »Ich beschuldige euch gar nicht, etwas falsch gemacht zu haben ... Es war einfach so, dass alle einen unheimlichen Wirbel um mich als Kind gemacht haben, dass ich einfach alles als mein Recht angesehen habe.« Melody spürte eine wohlige Wärme in ihrem Herzen, als sie die Worte laut aussprach. Es ist alles so wahr, dachte sie bei sich, und jetzt kann ich endlich die Vergangenheit hinter mir lassen. Sie ergriff die Hände ihrer Eltern. »Was geschehen ist, ist geschehen, und wir können es nicht mehr ändern. Alles was wir können, ist nach vorne zu schauen … in die Zukunft und abzuwarten, was passieren wird. Also machen wir uns an die Arbeit.«

*

Stuart beobachtete, wie Melody alle am Tisch Sitzenden manipulierte und nach ihrem Willen lenkte. Dabei stellte er ironisch fest, dass der einzige freie Platz genau gegenüber ihrem Vater lag, der am Kopfende des Tisches saß. Trotz allem, was sie vortrug, glaubte er ihr nicht ein einzelnes Wort. Schon im Vorfeld hatte er Nein gesagt und darauf aufmerksam gemacht, dass es falsch sei, sie dazu zu bewegen zurückzukommen. Er hatte darauf bestanden, dass sie auch einen anderen Weg finden könnten, um die sinkenden Einschaltquoten der Show wiederzubeleben und erklärt, dass es ein Fehler sei, ihr nachzulaufen, wo sie doch jetzt ›Everybody's Darling‹ beim Film und Theater war. Obwohl sie seit dem Verlassen der Show vor neun Jahren nicht mehr fürs Fernsehen gearbeitet hatte, gab es niemanden, der ihren Namen oder ihr Gesicht nicht kannte.

Als er vor fünfzehn Jahren seinen ersten Auftritt in der Show hatte, war sie eine Wucht gewesen. Er hatte schnell festgestellt, dass, wenn er mehr als nur ein x-beliebiger Schauspieler sein und nicht auf der Strecke bleiben wollte, in die Familie einheiraten musste. Aber da ihre ältere Schwester Veronica bereits verheiratet war, blieb ihm nur sie. Selbst jetzt, wo er seine Blicke über ihre glatten, fast perfekten Gesichtszüge huschen ließ, musste er sich eingestehen, dass sie noch immer eine Wucht war, obwohl ihre Kleidung all die Narben bedeckte, von denen er wusste, dass sie immer noch vorhanden waren.

Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte er von Melodys Ärzten recht anschaulich erfahren, wie die Narben aussehen würden und was ihm noch wichtiger war, was durch plastische Chirurgie rekonstruiert werden konnte und was nicht. Und obwohl ihn der Gedanke an die Narben auch heute noch abstieß, musste er zugeben, dass ihr Körper das Versprechen seiner Jugend erfüllt hatte.

Mit fünf Fuß sechs war Melody die kleinste im Raum, aber sie machte ihren Mangel an Größe mit einem fast perfekten Körper mehr als wett. Ihre langen, glänzendroten Haare fielen ihr wie ein Wasserfall fast bis zur Taille. Ihr Gesicht war als klassisch schön zu bezeichnen und ihre katzenhaften Augen deuteten in ihrer grüngoldenen Intensität und Form, auf ein tiefes unberührtes, leidenschaftliches Naturell hin. Im Gegensatz zu all den magersüchtigen Frauen ähnelte sie einem ›Peter Paul Rubens-Gemälde‹. Sie war eine prachtvolle Frau mit vollen Brüsten, schmaler Taille und göttlich abgerundeten, gebärfreudigen Hüften – eine Frau, der Gott alles geschenkt hatte, um sie zu einer liebreizenden Erscheinung zu machen.

Stuart spürte einen schmerzhaften Schlag in seinem Unterleib, als er feststellte, dass er sie immer noch begehrte. Für ihn repräsentierte sie so viele Dinge, und nicht nur seine ehemalige Verlobte. Sie war seine feste Verbindung zur Familie und zur Show gewesen. Und jetzt, wo sie ausgezeichnete Verbindungen in die Filmwelt hatte, wäre sie noch sehr viel wertvoller für ihn geworden. Auch ihre neuentdeckte Reife und das Selbstvertrauen, von dem sie nie etwas gezeigt hatte, als er sie zum letzten Mal sah, faszinierten ihn. Dennoch konnte er sich nicht helfen. Er traute ihr nicht und hätte sich nicht einmal darüber gewundert, wenn sie hier allen etwas vormachte. Vielleicht war sie noch immer wütend darüber, wie er und ihre Familie sie behandelt hatten und plante eine Art von Rachefeldzug.

»Setz' dich, Stuart, damit wir anfangen können!«, brachte ihn Owens Stimme mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. »Wir wollen Melodys Ideen hören.«

Unbeholfen schritt Stuart zu seinem Stuhl.

»Ich weiß nicht genau, wer unsere Vorstellungen präsentieren soll«, fuhr Owen an Melody gewandt fort. »Traditionell wären es Georg und Richard, unsere ausführenden Produzenten, und natürlich Robert, auf dessen Schultern jetzt der Großteil der verantwortlichen Leitung liegt. Es wäre wohl an ihm, dir den Handlungsstrang vorzustellen und den Deal abzuschließen … Aber ich möchte zuvor einräumen, dass es von Anfang an meine Idee war, … und wenn du auf jemanden böse sein willst, sollte das wohl ich sein.« Erwartungsvoll hielt er inne, sah seiner Frau in die Augen und wandte sich dann wieder seiner Tochter zu. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir Familie und Geschäft wirklich voneinander trennen können, wie es wahrscheinlich richtig wäre, aber ich möchte, dass du dauerhaft zur Show zurückkehrst.« Er hob abwehrend seine Hände, als es darauf ein tumultartiges Stimmengewirr aufkam. »Lasst mich doch erst einmal aussprechen! … Du musst wissen, dass wir uns nicht einig waren, als es darum ging, dich zu bitten, wieder zurückzukommen, Melody. Ich denke nicht, dass wir uns mit der Vergangenheit beschäftigten sollten, aber deine Mutter und ich wollen dich zurück. Und wir wollen, dass du das weißt, ehe es hier weitergeht.«

Melody war fassungslos.

Für einen Augenblick herrschte absolute Stille im Konferenzraum.

Es fiel ihr schwer zu verarbeiten, was ihr Vater da gerade angekündigt hatte, und konnte an einigen verblüfften Gesichtern erkennen, dass dies keineswegs dem ursprünglichen Plan entsprang. Es war offensichtlich, dass er ihnen damit einen Strich durch die Rechnung machte und abwarten wollte, wie es sich weiterentwickelte.

Sie holte tief Luft und ließ sie langsam durch ihre leicht gespitzten Lippen heraus, während sie ihre Gedanken sammelte und Gefühle ordnete. Für einen Moment fühlte es sich für sie an, als sei sie einen Marathon gelaufen, so sprachlos machten sie seine Worte. Die ganze Situation verlief nicht so, wie sie sie sich ursprünglich ausgemalt hatte. Sie schloss kurz die Augen und wünschte sich Ryan an ihre Seite. Die Empfindungen, die gerade ihren Körper durchströmten, waren kaum zu verkraften und erstaunten sie. Allein an Ryan zu denken ließ sie lächeln und machte es ihr leichter ihre durcheinander geratenen Gedanken zu sortieren.

»Daddy …« Unbewusst war sie zu dieser Anrede zurückgekehrt, die sie seit ihrem achten oder neunten Lebensjahr nicht mehr gewählt hatte. Sie sah, wie sich seine braunen Augen augenblicklich mit Tränen füllten, legte ihre behandschuhte Hand auf die seinen, die geballt auf dem Tisch lagen. »Du hast mich mehr als überrascht, und ich muss gestehen, dass ich dich und alle hier niedermachen wollte! … Nein, lass' mich bitte ausreden …«, bat sie ihn, als er sich anschickte sie zu unterbrechen. »Zwischen uns ist viel geschehen und es sind neun Jahre vergangen. Ich werde meine Meinung noch einmal ändern … Das ist ja wohl das Vorrecht einer erwachsenen Frau, richtig, Mom?« Sie grinste ihre zustimmend nickende Mutter an. »Also werde ich nicht um den heißen Brei herumreden! Ich verstehe, dass die Show einen Aufschwung braucht. Gut. Ich werde für die ursprünglich vorgeschlagenen zwölf Wochen zurücckommen.« Sie wandte sich an ihre Agentin. »Mir ist klar, dass du um die Details feilschen willst, Maisie, aber das Geld steht augenblicklich im Hintergrund. Das kannst du im Anschluss regeln. Aber, und ich betone das ausdrücklich: Es ist nur für diese zwölf Wochen!« Als sie den Ausdruck ihres Onkels Richard bemerkte, fügte sie hinzu: »Und ich werde zum üblichen Tarif arbeiten …«

»Du bist völlig verrückt, Melody!«, unterbrach Maisie sie sanft. »Du bist eine mehrfach ausgezeichnete Preisträgerin und kannst deine Dienste nicht einfach für eine Seifenoper verschleudern!«

»Du solltest mich besser kennen, meine Liebe.« Melody lächelte ihre langjährige Freundin an. »Natürlich zahle ich dir deine volle Provision«, fügte sie scherzhaft hinzu.

»Es geht nicht um die Provision, Melody«, widersprach ihre Agentin. »Ich habe bei dieser Sache einfach ein schlechtes Gefühl!«

»Ich weiß, dass es dir nicht darum geht. Aber du bekommst sie trotzdem«, erwiderte Melody. »So haben wir es immer gehalten. Außerdem habe ich vorher schon für sehr viel weniger gearbeitet, und ich bin mir sicher, dass ich es wieder tun werde, wenn mich ein Filmdrehbuch richtig anspricht. Aber wenn ich damit dazu beitrage, dass deine beiden wildgewordenen Söhne weiterhin an dieser Privatschule bleiben können, dann soll das so sein. Ich möchte auch dieses Jahr wieder zum Elterntag eingeladen werden, hörst du? Schließlich habe ich jedesmal so viel Spaß dabei …« Sie verstummte und schaute in die Runde. »Und nun genug von diesem Thema! … Maisie und Onkel Richard besprechen die verbleibenden Details. Ich bestehe nicht darauf, die Skripts zu genehmigen. Ihr könnt mich in diesen zwölf Wochen auf jede bekannte, grausame Art und Weise töten, die euch gefällt. Aber ich werde mich nicht überreden lassen auch nur einen Tag länger zu bleiben! … Ich bin andere Verpflichtungen eingegangen und werde niemanden im Stich lassen. Bis zu meinem nächsten Filmdreh ist es eh noch ein Vierteljahr hin. Es scheint also vorbestimmt zu sein.« Sie nahm einen Schluck Wasser zu sich, als die Gespräche um sie herum wiederaufkamen. Dabei waren ihr die hier und da geflüsterten Kommentare nicht entgangen.

»Sie hat ja vielleicht Nerven! Tut so, als wäre sie hier die langersehnte Königin und behauptet, dass ihr Geld nichts bedeutet …«

»Wir könnten noch heute die erforderlichen Korrekturen am Skript vornehmen. Ich gehe jetzt nach Hause, damit Cathrine herkommen kann, damit sie mit den anderen Autoren so schnell wie möglich den Rohentwurf verfassen kann …«

»Owen, Liebes, sei einfach glücklich, dass sie für diese zwölf Wochen zurückkommt. Der Rest, na ja, wir lassen die Zukunft für uns arbeiten ...«

»Ich bestehe aber darauf, dass Melody ihr privates Ankleidezimmer bekommt, jeden Tag ein Mittagessen nach ihren Wünschen und ihr für die Zeit ein Chauffeur zur Verfügung gestellt wird …«, brachte sich Maisie mit Nachdruck ein.

Letztlich war es Veronicas Frage, die Melody schließlich an den Tisch zurückbrachte. »Wo wirst du die drei Monate bleiben, Melody? Ich weiß, dass du hier deine Wohnung aufgegeben hast.«

»Na, das ist doch ganz einfach«, meldete sich Michelle schnell, ehe jemand anders einen Vorschlag machen konnte. »Sie wird natürlich bei uns im Penthouse wohnen. So kann sie auch jeden Tag mit uns fahren …«

Vehement schüttelte Maisie den Kopf. »Das wird sie auf keinen Fall! Definitiv: Nein! … Wir mieten eine Suite und sie bekommt einen Chauffeur für die Hin- und Rückfahrten!«

»Ich glaube nicht, dass wir uns eine Suite und einen Chauffeur leisten können, Mrs. Swanbeck«, unterbrach Richard sie an dieser Stelle. »Zumal im Penthouse mehrere leere Zimmer vorhanden sind.«

»Das ich nicht lache! Sie würden keinem anderen Gast, den Sie mehr als dringend brauchen, dergleichen vorenthalten!«, sträubte sich Maisie, vehement für ihre Klientin argumentierend.

»Nun verstehen Sie doch, …«, versuchte es Richard erneut.

»Nichts da!«, echauffierte sich Maisie. »Seien Sie froh, dass sie ihren Entschluss überhaupt geändert hat! Sie ist eine mehrfache Preisträgerin und kein dahergelaufenes Starlett! Sehen Sie denn nicht, welches Opfer sie zu bringen bereit ist?«

»Wie oft wollen Sie mir das noch auf die Nase binden?«, polterte Richard. »Meinen Sie denn, ich wüsste das nicht?!«

»Dann sollte Ihnen auch bewusst sein, dass es für Melody einen Karriereknick bedeuten kann in dieser Schmierenkomödie mitzuspielen, nicht wahr?« Maisie war aufgesprungen. Sie wandte sich ihrer Mandantin zu. »Ich empfehle dir dringend jetzt mit mir zu gehen!«

»Aber Maisie, sie ist unsere Tochter, und Owen und ich würden uns freuen, wenn sie bei uns wohnen würde, ganz abgesehen von den finanziellen Überlegungen«, bemühte sich Geena, die aufgeheizte Situation zu entschärfen.

Melody hatte genug gehört und bereits selbst eine Lösung gefunden. Alles was es brauchte, war Ryans Zustimmung. »Ich bin euch für das Angebot sehr dankbar, aber ein guter Freund von mir hat hier eine Wohnung, die ich sicher nutzen kann. Und in seiner Tiefgarage steht ein Wagen. Mit dem kann ich jeden Tag hin- und herpendeln.«

»Och, Melody, wir möchten lieber, dass du bei uns bleibst, damit du dich nicht mit der Fahrt herumärgern musst.« Michelle griff nach der Hand ihrer Tochter.

»Wenn die Fahrten für mich zu viel werden sollten, nehme ich einfach ein Taxi. Das ist wirklich kein Problem.« Melody drückte sanft ihre Hand.

»Sagtest du gerade ›guter Freund‹, liebste Melody?«, stellte Geena die Frage, die wohl allen auf der Seele brannte. »Verrätst du uns, wer dieser großzügige Mann ist, der so bereitwillig seine Wohnung mit dir teilt? Ist er verheiratet, ledig … homosexuell? Was werden die Leute nur davon halten, wenn sie das mitbekommen?«

»Geena, wirklich!«, tadelte Leslie seine Frau.

Melody hätte auf diese Bemerkung gar nicht reagiert, wäre da nicht Stuart gewesen, der seinen Mund höhnisch verzog. »Nein, liebste Geena. Auch wenn es dich nicht das Geringste angeht: Er ist nicht verheiratet und ganz gewiss nicht homosexuell«, antwortete sie mit einem vielsagenden Grinsen, das offen ließ, ob sie letzteres selbst in Erfahrung gebracht hatte. »Abgesehen davon ist er der beste Freund, den Maisie und ich uns nur vorstellen können.«

Diesmal unterbrach sie die strenge Stimme ihres Vaters. »Auch ich bin der Meinung, dass es am besten wäre, wenn du bei deiner Mutter und mir bleiben würdest. Es gibt keinen Grund den Klatschtanten mehr als nötig zum Tratschen zu liefern, als unbedingt nötig.«

»Ich werde mit ihm reden. Anschließend lass' ich euch wissen, wo ich solange bleibe«, beharrte Melody. Sie richtete sich an ihre Freundin. »Ich brauche definitiv keinen Fahrer und auch kein eigens für mich gemachtes Mittagessen, Maisie. Ich kann gut mit den anderen in der Cafeteria essen, … oder ich bringe mir jeden Tag einige Sandwiches mit.« Mit einer Geste des stummen Dankes drückte sie die Hand ihrer Agentin, aber auch als Erinnerung daran, dass sie normalerweise niemals darauf bestand irgendeinen Einfluss auf ihre Verträge zu nehmen. Sie hatte immer hart daran gearbeitet, ihr Leben so unkompliziert wie irgend möglich zu gestalten, und wollte, dass es auch weiterhin so blieb. »Das Leben ist zu kurz, um wegen derlei unwichtiger Sachen einen Aufstand zu machen, Maisie. Ich glaube, dass am Ende alles gut wird.«

Sie wunderte sich über sich selbst, als sie plötzlich das Bedürfnis verspürte, mit Ryan über alles zu reden, was heute Morgen passiert war. Er dürfte sicher überrascht sein, wenn man bedenkt, wie aufgebracht ich vor zwei Nächte auf dieses Angebot reagiert habe. Wieder einmal lächelte sie still in sich hinein. Als sie aufstehen wollte, vernahm sie Stuarts Stimme, der sie etwas fragte.

»Geena hatte bereits gefragt. Du bist es einfach übergangen. Darf man erfahren, wer dieser ach so großzügige Freund von dir ist?« Der Spott in seiner Stimme war für jeden unüberhörbar.

Seine Unverschämtheit ließ Veronica durchatmen. Sie fragte sich auch, wer dieser geheimnisvolle Mann war, schaffte es aber ihre Neugierde zu zügeln.

Melody verharrte für einen Moment in ihrer Bewegung, um ihren feinen Wildlederrock an ihren Hüften zu glätten. »Das geht dich zum Teufel nicht das Geringste an, Stuart! Aber damit deine Neugierde gestillt ist: Er heißt Ryan Sutherland! Ich bin mir sicher, dass du seinen Namen schon das eine oder andere Mal gehört hast.« Sein offenstehender Mund zeigte ihr, dass er mit dem Namen durchaus etwas anzufangen wusste. »Wie ich sehe, ist er dir nicht unbekannt, nicht wahr?« Mit einem zufriedenen Lächeln verließ sie den Besprechungsraum.

*

Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, kam lautes Gerede auf.

Es war Geenas Stimme, die am Ende alle um sich herum verstummen ließ. »Ryan Sutherland also … Wow, wer hätte das für möglich gehalten? Unsere kleine Melody hat sich einen der begehrtesten Junggesellen und größten Fische an Land gezogen. Der ist einige Millionen schwer!« Sie machte eine Pause und sog an ihrer Zigarette, die sie sich gerade angezündet hatte. Immer wieder schüttelte sie ungläubig leicht den Kopf. »Ich fass' es nicht.«

Es war Maisie, die auf Geenas krasse Bemerkung antwortete. »Um es etwas zu präzisieren, meine Beste«, lächelte sie böse, »es handelt sich um rund sechshundert Millionen!« Sie machte eine bewusste Pause, wissend, dass alle in ihren Köpfen über Melodys Beziehung zu dem wohlhabenden Finanzier und Produzenten spekulierten. Sie konnte an ihren Gesichtern sehen, wie es in ihnen arbeitete. Bei Owen und Michelle war sie sich sicher, dass es Besorgnis war, ihre Tochter könne ein weiteres Mal verletzt werden, während Richard sich überlegte, welche wirtschaftlichen Vorteile daraus erwachsen würden, wenn dieser wohlhabende Investor zu ihrem strauchelnden TV-Format hinzustieße, wo eine kraftvolle Kapitalspritze doch noch nie geschadet hatte. Georg und Robert hatten offenbar ihre Probleme damit, sich zwischen brüderlichen Sorgen und denen als Produzenten der Show zu entscheiden. Möglicherweise dachten sie an die gleichen Vorteile wie Richard. Nur über das, was Stuart dachte, wagte sie nicht zu spekulieren.

Nur Veronica machte einen glücklichen Eindruck. Sie schien sich darüber zu freuen, dass ihre Schwester sich mit diesem Mann verbunden fühlte. Es war ja allgemein bekannt, dass sie sich nicht irgendwelchen gedankenlosen Affären hingegeben hatte wie so viele andere in ›Hollywood‹.

Es war eindeutig Geenas Ausdruck, der ihr am besten gefiel. Sie schaut drein wie eine Katze, die gerade an der Sahne schlecken will und feststellen muss, dass diese zu Essig geworden ist!, lächelte Maisie in sich hinein.

***

Melody - Das Erwachen

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