Читать книгу Melody - Das Erwachen - Violett McKenzie - Страница 12
Kapitel 6
ОглавлениеMelody nahm sich ein ›Yellow Cab‹ und fuhr direkt zu Ryans Büro im Finanzdistrikt von Manhattan. Schon lange ehe sie ihn zum ersten Mal traf, wusste sie mit seinem Namen etwas anzufangen, wenngleich sie nie ein Bild von ihm gesehen hatte.
Er hatte seine ersten hundert Millionen bereits verdient, als er die Nachfolge seines Vaters übernahm, der in den wohlverdienten vorzeitigen Ruhestand ging, und das erfolgreiche Investmentbanking-Unternehmen global gemacht. Dann hatte er sich entschieden, eine neue Herausforderung zu suchen und sich auf Filmproduktionen zu konzentrieren. Auch in diesem Bereich schien es, als hätte er die Fähigkeit, alles was er anpackte in Gold zu verwandeln. In den letzten sechs Jahren war er die treibende Kraft hinter weltweit unglaublich erfolgreichen Action- und Abenteuerfilmen gewesen. Diesmal lag sein Fokus auf einem anderen Genre, wissend, dass es immer riskant war, unabhängige Filme zu produzieren. Aber er hatte zwei Trümpfe in der Hinterhand: den besten ausländischen Regisseur der Welt und Melody. Oft hatte er ihr gesagt, wie sehr er auf ihre schauspielerischen Fähigkeiten vertraute.
Noch nie zuvor war sie in seinem Büro gewesen, wenngleich sie immer wieder an den beeindruckenden Turm aus Stahl, Glas und Chrom gedacht hatte, den Ryan mit einer eisernen Faust im Samthandschuh zu führen verstand. In dem Gebäude, das eine erstklassige Ecke des Finanzviertels einnahm, waren seine Ostküsten-Unternehmungen untergebracht, während sich seine persönlichen Büros im obersten Stockwerk befanden. Interessiert schaute sie sich um, als sie durch die Lobby schritt und langsam auf einen der sechs Hochgeschwindigkeitslifte zuging. Alles war geschmackvoll dekoriert und es herrschte ein geschäftiges Treiben. Sie registrierte die gedämpften Farbtöne von Pflaume, Grau und Creme und die riesigen Gemälde, die die Wände schmückten.
Als sie in der fünfundvierzigsten Etage den Fahrstuhl verließ, versanken ihre Absätze in einem plüschigen, anthrazitfarbenen Teppich. Eine gut gekleidete Frau, die eine Anstecknadel mit dem Hinweis ›Kundenservice‹ trug, zeigte ihr die Richtung zu Ryans Büro. Auf dem Weg dorthin, empfand Melody mit jedem Schritt mehr Respekt ihm gegenüber – einen Respekt, der nichts mit Geld zu tun hatte.
Bei ihrem ersten Treffen, hatte sie keine Ahnung, wer er war oder dass er über mehr Geld verfügte, als alle Leute im Krankenhaus zusammen – sowohl Patienten als auch Mitarbeiter. Sie hatte sich einer weiteren rekonstruktiven Operation unterziehen müssen, als sie aus Versehen mit ihm zusammengestoßen war. Langsam und offensichtlich unter heftigen Schmerzen war er ihr im Korridor entgegengekommen. Sie erinnerte sich an seine Grimasse, als sie ihn am Arm packte, damit er nicht fiel, nachdem er heftig taumelte. Sie hatte versucht sich bei ihm zu entschuldigen, aber er war mehr mit den Schmerzen beschäftigt die durch seinen Körper jagten, als sie tatsächlich bewusst wahrzunehmen. Ihr war aufgefallen, wie er seine linke Hand gegen seinen Unterleib gepresst hielt, um die Wellen der Schmerzen einigermaßen abzumildern.
Genau diese Schmerzen hatten sie später bewogen ihn in seinem privaten Zimmer aufzusuchen. Mit einem frechen Lächeln und nach einer kleinen Bestechung der diensthabenden Krankenschwester am Tresen des Operationsflügels, hatte sie die kurze Strecke bis zu seinem Krankenzimmer hinter sich gebracht. Später hatte sie oft das Gefühl, dass sich die signierte Ausgabe ihres neuesten Buches, die sie der Nachtschwester geschenkt hatte, definitiv gelohnt hatte.
Aus dem Raum war eine tiefe Stimme gedrungen, als sie zaghaft angeklopft hatte. Es war ein kräftiges, gebieterisches »Herein!«, kein deutlich freundlicheres »Treten Sie ein!«, gewesen und für sie ein klarer Beweis, dass dieser Mann daran gewöhnt war, Menschen zu befehligen und Macht auszuüben.
Behutsam hatte sie es gewagt die Tür zu öffnen und die Umgebung gemustert. Es war eines der teuren, exklusiven Zimmer, die sich im privaten Flügel des Krankenhauses befanden. Eines von denen sie schon gehört hatte, weil andere Patienten immer wieder darüber sprachen.
»Wer sind Sie?!«, hatte Ryan, der aufrecht im Bett saß und von überraschender Größe war, sie prompt mit rauer Stimme gefragt.
Sie lachte in sich hinein, als sie daran dachte, dass sie ihn in diesem Augenblick für einen großen Grizzlybären gehalten hatte – nur dass er blondes Haar und klare blaue Augen aufwies, die sie an das blaue Gewand einer Madonna auf einem Gemälde erinnerten, das ihr im Gedächtnis geblieben war.
»Ich bin diejenige, die heute Morgen im Flur so tollpatschig in Sie hineingelaufen ist … Ich wollte mich nur in aller Form für die Schmerzen entschuldigen, die ich verursacht habe und Sie fast in die Knie zwangen. Ich hasse die Vorstellung, jemandem Schmerzen bereitet zu haben.«
*
Melody brachte sich in die Gegenwart zurück und lächelte die ziemlich streng dreinblickende Frau an, die hinter dem Schreibtisch vor den Flügeltüren saß, die Ryans Namen trugen.
»Guten Morgen. Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Miss …?« Ihre Stimme war so frostig wie ihr Gesicht.
Melody wusste, dass sie diesen bissigen Wachhund nicht so leicht umgehen konnte. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie sich fragte, ob eine Bestechung bei ihr ebenso gut funktionieren würde wie bei der Nachtschwester – kam aber zu dem Schluss, dass sie wohl gegen jede Art der Zuwendung immun war.
»Ist Mr. Sutherland schon in seinem Büro. Ich hatte gehofft ihn …« ›hier zu treffen‹, wollte sie eigentlich noch hinzugefügt haben, als sich der Rücken der Frau bereits versteifte und die Raumtemperatur gefühlte fünfzig Grad Fahrenheit in den Keller abrutschte.
»Haben Sie einen Termin, Miss?«, erkundigte sie sich eisig. »Kein Treffen mit Mr. Sutherland ohne vorherige Terminabsprache!«
Erneut sank die Raumtemperatur. Sie stand jetzt kurz vor dem absoluten Nullpunkt.
Melody gab sich selbst die Schuld daran, dass hier niemand etwas von ihrer Freundschaft zu Ryan wusste. Er hatte ihr mehrfach angeboten, ihr sein Büro zu zeigen. Aber um hierher zu kommen, hätte sie zuvor an den Studios vorbeifahren müssen – den Platz, den sie bis heute wie die Pest gemieden hatte. »Wenn Sie ihn bitte stören würden und mitteilen, dass ich hier bin, …« Sie unterbrach sich, um das Namensschild auf dem Tisch der Sekretärin zu lesen, »Mrs. Jones. Ich bin sicher, er wird mich sehen wollen, wenn er Zeit hat. Wir sind befreundet. Sehen sie …« Ihre Stimme versagte, als sie den Ausdruck sah, den ihr die Frau in diesem Augenblick entgegenbrachte. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie versucht, sich umzudrehen und davonzulaufen. Nur der Adrenalinrausch, den sie zuvor verspürt hatte und der noch nicht völlig abgeklungen war, ließ sie auf der Stelle verharren.
»Nun gut«, bestätigte Mrs. Jones unerwartet. Sie nahm den Hörer zur Hand und drückte mit einem Finger der anderen auf eine der zahlreichen Tasten der Telefonanlage, die Melody nicht sehen konnte. »Es tut mir leid Sie stören zu müssen, Mr. Sutherland«, sprach sie eine Sekunde darauf mit leiser Stimme, »aber hier ist eine Dame, eine Miss …« Sie deckte die Muschel des Telefons ab und schaute Melody abwartend an.
»Entschuldigen Sie, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Tyrrell, Melody Tyrrell«, gab Melody schnell die gewünschte Auskunft.
»Aha! Die Oscar-Preisträgerin also. Nun gut.« Die Sekretärin sah sie kühl an, ehe sie fortfuhr: »Eine Miss Melody Tyrrell. Sie sagt, dass sie … Mr. Sutherland … Mr. Sutherland? Sind Sie noch da, Sir?!«
Sie und Melody drehten sich überrascht herum, als die rechte Flügeltür geöffnet wurde.
Mit schnellen Schritten kam Ryan auf sie zu und schlang seine starken Arme um ihren schlanken Körper.
Melody war verblüfft über die Gefühle, die seine kraftvolle Umarmung in ihr auslösten. Für Sekundenbruchteile schien sich ihr Atem in ihren Lungen zu verfangen, als sie sich ihren Empfindungen hingab, während er sie so innig an sich presste. Im gleichen Moment nahm sie seinen wunderbaren männlichen Duft war. Es war dasselbe Aftershave, dass er immer trug – und doch schien es in diesem Augenblick ganz anders zu sein. Warum ist es jetzt nur so anders?, fragte sie sich, seinen Geruch tief einatmend.
Ryan löste die Umarmung, trat einen halben Schritt zurück und gewahrte ihre geschlossen Augen und dass sie den Atem einhielt. »Was ist los, Melody?«
Ein weiches, sanftes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie die Luft ganz langsam aus ihren Lungen entweichen ließ. »Es ist alles gut, Ryan … Ich schaffe gerade eine Erinnerung.«
Verwirrt schaute er sie an. »Wovon redest du? Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
Melody fühlte sich gezwungen einen Schritt auf ihn zuzumachen, sich zurück in seine Umarmung zu lehnen und ihre Nase erneut in seiner Jacke zu vergraben, um ihn ein weiteres Mal einzuatmen. Sie genoss das Gefühl und seinen Geruch. »Ich habe es einmal in einem Film gesehen, Ryan«, flüsterte sie, während sie langsam einatmete.
»Was? … Was hast du gesehen?«
»Ein junges Mädchen, das davon sprach für sich eine Erinnerung zu schaffen. Mir ist gerade erst bewusst geworden, wovon sie gesprochen hat.«
»Melody, meine Liebe, da komme ich nicht mehr mit ... Ich denke, du musst dich hinsetzen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass ich dich wohl zu sehr unter Druck gesetzt habe, und vielleicht war das heutige Treffen mehr, als du bewältigen konntest.« Mit ernsthafter Besorgnis schaute er sie an.
»Nein, wirklich, mir geht es gut. Ich möchte mich nur für immer daran erinnern, wie du für mich riechen wirst.« Sie lächelte, als sie den Anflug von Befangenheit auf seinem Gesicht wahrnahm, während er die beeindruckend unterkühlte Mrs. Jones anblickte. »Oh, Ryan, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen … Vielleicht hast du recht. Mir wurde heute bereits gesagt, dass ich ziemlich seltsam handle. Nichts lief so, wie ich es mir vorgestellt habe.«
»Nun, ich bin jedenfalls froh, dass du hierhergekommen bist. Ich muss gestehen, dass ich den größten Teil des Vormittags in meinem Büro gesessen und an dich gedacht habe … Komm rein und erzähl' mir, was passiert ist.« Er legte ihr einen Arm um ihre Schultern und führte sie ins Büro. Sie waren fast drinnen, als er sich umdrehte, um seiner verblüfften Sekretärin zu sagen, sie solle keine Anrufe durchstellen.
Melody lachte, als er die Tür hinter sich schloss. »Mrs. Jones ist perfekt für dich. Ich bin sicher, dass sie dich über alles auf dem Laufenden hält.«
Ryan lächelte schüchtern über ihre genaue Einschätzung. »Sie arbeitete schon für meinen Vater. Es gibt Zeiten, in denen ich das Gefühl nicht loswerde, dass sie weit mehr über meine geschäftlichen Aktivitäten weiß als ich.« Er goss ihr ein Glas Wasser ohne Eis ein und reichte es ihr.
»Offensichtlich ist sie nicht die Einzige, die gewisse Dinge weiß.« Melody hielt das Glas hoch.
Er kannte ihre Vorlieben so gut, dass er nicht mehr fragen musste.
»Und muss eine gute Sekretärin nicht immer mehr als ihr Boss wissen?«, fuhr sie fort. »Schließlich ist sie doch diejenige, die all deine Anrufe und Post bearbeitet. Wer also sollte die Abläufe deines Unternehmens besser kennen? … Vielleicht solltest du sie zu deiner persönlichen Assistentin befördern.
»So habe ich dich ja noch nie erlebt … Ehrlich.« Abwartend schaute er sie an.
Sie wusste, dass er ihr angeboten hatte, sie zum Meeting zu begleiten. Sein verwirrter Gesichtsausdruck ließ sie vermuten, dass er unsicher war, ob er wirklich wissen wollte, was passiert war und sie so verändert hatte.
Für einen Moment rieb sich Ryan die Stelle zwischen den Augen. Es schien, als denke er über etwas nach und sei noch unentschlossen, sie etwas zu fragen. »War Chapman auch dort?«, erkundigte er sich plötzlich.
Sie nickte überrascht. »Ja. Außer Cathrine waren alle da. Er hat aber nicht viel gesagt. Gesprochen hat zumeist mein Vater.« Sie wartete nicht darauf, dass er jetzt etwas erwiderte und fügte direkt hinzu: »Du hattest recht, Ryan.«
*
Ihre Worte durchbrachen sein augenblickliches, vorherrschendes Gedankenwirrwarr. Für einen Moment fühlte er einen heftigen Stich in seinem Herzen. Er wusste, dass seine Tage als altruistischer Freund und Ritter in der glänzenden Rüstung gezählt waren. Er hatte gewusst, dass auch Stuart Chapman der Konferenz beiwohnen würde. In den einsamen Stunden der letzten Nacht hatte er sich eingestehen müssen, dass er den Gedanken hasste, Melody könne Stuart möglicherweise vergeben und zu ihm zurückkehren. Bei Gott, er hasste es diese Eifersucht zugeben zu müssen. Aber genau das war er: eifersüchtig! Er liebte sie von ganzem Herzen, und er wollte sicherstellen, dass es für Chapman keine Chance gab, sie zurückzugewinnen. Als er sie so verändert sah, befürchtete er, dass seine tiefgehende Angst – sein schlimmster Albtraum – vielleicht wahr geworden war.
»Ich bin so froh, dass du vorgeschlagen hast, einen Tag zu warten«, sprach sie weiter. »Ich bin gestern noch durch den Park gelaufen. Es war wirklich schweinekalt, weißt du? … Ich ging stundenlang spazieren gegangen und dachte noch einmal über all das nach, was in meinem Leben seit dem Feuer passiert ist. Und … ich schäme mich fast, das zuzugeben, aber Dr. Smith, … du weißt, er ist mein langjähriger Psychiater, der letztes Jahr in den Ruhestand gegangen ist, die ganze Zeit über recht hatte.« Sie legte eine Pause ein, um einen Schluck Wasser zu trinken. Dabei bemerkte sie den seltsamen Ausdruck in seinem Gesicht. »Verzeih', Ryan, aber ich scheine heute in einer seltsamen Stimmung zu sein. Ich schweife ab. Ich habe mich heute nicht wie ein verwöhntes kleines Mädchen verhalten, zu dem noch nie jemand ›Nein‹ gesagt hat …« Sie lächelte still. »Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich rebelliert!« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe heute verstanden, dass meine Eltern vom Unfall genauso betroffen waren wie ich, und dass ich einfach keinen Platz in meinem Herzen hatte, um ihnen oder irgendjemandem zu vergeben. Bis heute Morgen war das so.« Sie pausierte, um ihre Beine zu überkreuzen und einen weiteren Schluck Wasser zu sich zu nehmen.
»Und das bedeutet, meine Süße?«, fragte er. »Wirst du die Show machen? Wird alles so weitergehen wie früher?« Er versuchte seine Anspannung und jede Verärgerung aus seiner Stimme zu nehmen, scheiterte aber damit.
»Ja, ich werde die Show machen. Aber nur für diese zwölf Wochen, danach sind sie wieder auf sich allein gestellt ...«
Er fühlte sich gezwungen, sie erneut zu unterbrechen. »Du meinst, sie wollten, dass du länger in der Show auftrittst?«
Melody lächelte und streckte ihre Hand aus, um ihn neben sich auf das Ledersofa zu ziehen. »Mein Vater wollte, dass ich für immer zurückkomme ... Nein, warte eine Sekunde und lass mich ausreden!« Sie schaute ihm stolz in die Augen. »Ich habe Nein gesagt, und dass ich andere Verpflichtungen eingegangen bin … Deinen Film zum Beispiel.«
»Ist der denn für dich eine Verpflichtung?« Wieder konnte er seinen Unmut nicht aus seiner Stimme und seinen Worten heraushalten.
Überrascht sah sie ihn an. »Nein, das bedeutet mir viel mehr als das. Es ist mir wichtig, was du mit diesem Film über unsere sich verändernde Welt sagen willst und wie wir sie so herzlos zerstören …« Sie senkte ihre Augen und blickte auf ihre behandschuhten Hände. »Aber ich … ich … interessiere mich auch für dich. Du bist mir der beste Freund, den ich je hatte. Du weißt so viel mehr über mich als alle anderen.«
»Nicht einmal Stuart Chapman?« Die Worte waren aus seinem Mund, ehe er sie zurückhalten konnte.
»Ich habe Stuart nie erzählt, was ich mit dir geteilt habe. Als ich mit ihm verlobt war, war ich wie ein Kind. Das kann ich jetzt sehen ... Du und ich … Wir haben unsere Gedanken, unsere Hoffnungen und unsere Träume geteilt, um zu versuchen, in dieser Welt etwas zu bewirken.« Sie beugte sich vor, um ihm einen sanften Kuss auf die Wange zu drücken. »Ich möchte mich nicht mit dir streiten. Das ist nicht der Grund, warum ich hergekommen bin.«
Ryan spürte das Kribbeln, das ihr Kuss bis zum empfindlichsten Teil seiner Anatomie verursacht hatte. Manchmal konnten selbst ihre leichtesten Berührungen ihn innerhalb von Sekunden mehr erregen als es jede andere Frau nackt und in seinem Bett hätte tun können. Er lehnte sich ins Sofa zurück. »Okay, das ist also nicht der Grund, warum du zu mir gekommen bist«, wiederholte er. »Sagst du mir, warum du mich mitten am Tag in meinem Büro aufsuchst, … einem Ort, den du in den letzten Jahren immer gemieden hast, wenn wir zur gleichen Zeit in der Stadt waren?«
»Und da habe ich gedacht, ich wäre schlau«, gab sie mit einem kindlichen Schmollmund zu. »Also gut. In Ordnung. Frei heraus …« Sie lächelte ihn gewinnend an. »Ich möchte in den nächsten zwölf Wochen in deinem Apartment wohnen.«
Wäre er ein Spieler gewesen, hätte er sein ganzes Geld auf alles oder nichts gesetzt, dass es eher einen Börsencrash geben würde, als sie fragen zu hören, ob er mit ihr seine Wohnung teilen wollte. Nie hatte er sie dazu gedrängt, ihre Beziehung auf einer körperlichen Ebene zu vertiefen. Aber ahnte, dass sie sich schon seit einiger Zeit seiner Sehnsucht nach ihr bewusst war. Ihr dann am gestrigen Abend seine Liebe einzugestehen, hatte ihn selbst ebenso überrascht wie sie. Er fragte sich, ob sie damit gerechnet hatte, dass sie sich die Wohnung teilen würden oder davon ausgegangen war, dass er bald nach Kalifornien zurückkehren würde – was auch keinen großen Unterschied machte. Auf keinen Fall würde er sie im Penthouse allein lassen und das freie Feld möglicherweise Stuart Chapman überlassen – schon gar nicht in seiner Wohnung.
Er hegte keinerlei Zweifel daran, dass Chapman es bereits sehr bereute, die Verlobung mit ihr vor all diesen Jahren aufgelöst zu haben. Denn obgleich er immer noch in der Show auftrat, war er immer noch ein Außenseiter. Er würde niemals Teil des Familienunternehmens werden, wenn er nicht in dieses Unternehmen einheiratete. Und wenn Veronica die bereits zehn Jahre lang andauernde Ehe zu ihrem Mann auflöste, gab es für ihn keinen anderen Weg in die Familie als durch Melody. Er wäre verdammt, würde er es Chapman leicht machen.
»Also, was denkst du, Ryan? Bist du bereit, mich für zwölf Wochen als deine Mitbewohnerin aufzunehmen? Ich verspreche dir auch, mein eigenes Bett zu machen und hinter mir aufzuräumen«, fügte sie schüchtern hinzu, ohne zu wissen, wie weit sich Ryans Gedanken inzwischen vom eigentlichen Thema entfernt hatten. »Deshalb bin ich hierhergekommen ... Ich konnte damit einfach nicht bis zum Abendessen warten.«
»Die Situation könnte vielleicht recht kompliziert werden, Melody, meine Süße, wenn wir unter einem Dach zusammenleben.« Er fühlte sich dazu gezwungen, sie so taktvoll wie nur irgend möglich darauf hinzuweisen, dass sich ihre Beziehung in eine Richtung entwickeln könnte, die sie vielleicht nicht vollständig in Betracht gezogen hatte. Es war der Teil von ihm, der ihr deutlich machen wollte, dass es gut möglich war, dass er die Kontrolle über sich verlor, wenn er sie halb nackt zu Gesicht bekam.
*
Wie die meisten Männer hatte Ryan noch viel über Frauen zu lernen. Melody schlief vielleicht nicht mit jedem X-Beliebigen, aber sie wusste um die Fakten des Lebens und hatte sehr darauf geachtet, dass er nicht merkte, wie sehr er sie körperlich anzog. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn liebte oder nicht, aber sie wusste, dass sie ihn mehr liebte, als sie jemals jemanden zuvor geliebt hatte. Und sie hatte sich dazu entschlossen, die Dinge zwischen ihnen körperlicher werden zu lassen, sobald sie wieder in Kalifornien waren.
Ihr war bewusst, dass er ihr vielleicht nicht glauben würde, und ihre Entscheidung wieder an der Show mitzuwirken damit in Zusammenhang brachte, dass sie Stuart wiedersehen wollte. Wie hätte er auch nur ahnen können, dass sie heute bei Stuarts Anblick nicht vor Angst oder Lust ohnmächtig geworden war. Das wenige, was er zu ihr gesagt hatte, hatte sie nur darin bestärkt, dass es das Beste von ihm gewesen war die Verlobung aufzulösen. Zwar war er immer noch einer der schönsten Männer, die sie je gesehen hatte, aber sie hatte seit gestern viel nachgedacht. Und nachdem sie ihre Erinnerungen an ihn aus den Augen einer Erwachsenen betrachtet hatte, waren sie bei weitem nicht mehr so süß gewesen, wie sie diese im Gedächtnis hatte. Sie entschied, dass es ein wenig Draufgängertum erforderte, die Dinge auf Kurs zu bringen.
»Wenn es dir Angst macht, dein Zuhause mit mir zu teilen, sage es einfach. Ich bin sicher, ich kann ein einsames, unpersönliches Hotelzimmer für die zwölf langen, unendlichen Wochen mieten.« Durch ihre leicht gesenkten Wimpern blickte sie zu ihm auf, ihre Unterlippe nach unten gezogen und schmollend.
»Du kannst gerne bei mir wohnen, wenn du das möchtest … Aber ich habe nicht vor, so schnell nach Kalifornien zurückzukehren«, fügte er entschieden hinzu.
»Ich bin froh, das zu hören, Ryan«, erwiderte sie lächelnd. »Natürlich werde ich lange Arbeitstage haben, aber wir werden dennoch Zeit miteinander verbringen können, wenn du da bist.« Und das Teufelchen auf ihrer Schulter reizte sie dazu, hinzufügen: »Immerhin leben wir dann ja zusammen, praktisch gesehen.«
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