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LeXuS: Lucrèce, die Verdammten

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Artikel M-5367 - Absatz 39

Die Einwohner Belgrames, die dem Distrikt X zugeordnet werden, haben keinerlei körperliche oder moralische Rechte. Dies gilt für alle Einwohner, egal welche Straftat sie begangen haben oder wie hoch ihre Strafe ist.

Der Rechtstaat garantiert einen gerechten Prozess für alle angeklagten Einwohner Belgrames. Nur ein Funktionär kann unter gewissen Umständen um den Transfer oder die Resozialisierung eines Gefangenen bitten.

Kennziffer: X3517

Alias: Lucrèce Verona

Geschlecht: Weiblich, identifiziert

Zuordnung: Distrikt X

Tibalt, mein Mithäftling, mein Freund, mein Geliebter, wird seit heute Morgen als vermisst gemeldet. Im Distrikt X ist „vermisst“ ein Synonym für tot, oder noch schlimmer. Ich möchte es gar nicht wissen. Meine Trauer umhüllt mich, so fest, dass es mir unmöglich ist mein Bett zu verlassen. Dieses Bett mit automatisierten Spanngurten, in dieser sterilen Zelle mit gepolsterten Wänden. Die Verdammten haben bessere Wohnbedingungen als die meisten Konsumenten des Distrikt III, aus dem ich komme. Aber sie haben über den Freiheitsentzug hinaus auch kein Recht auf Sexualität. Wir werden gechippt, festgeschnürt und überwacht. Unser Zeitplan ist strikt und im Sekundentakt geplant. Ich hatte mich an dieses mechanische Regime gewöhnt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, mich vom Verlust Tibalts jemals zu erholen.

Am Vortag noch hatte ich ihm versichert, dass ich niemals entlassen würde. Warum? Weil niemand den Distrikt X verlässt. Früher an diesem Tag hatte ich erfahren, dass ein Treffen mit einem Anwalt des Distrikt O, einem hochrangigen Funktionär, anstand. Der Gedanke, die Freiheit wiederzuerlangen, ist in einem totalitären Staat eine Illusion. Dennoch zählte ich auf dieses Treffen, das vielleicht ehrlicher und fairer als der Prozess sein würde, der mir gemacht wurde. Diesen hatte ich schon vor Beginn verloren. Drei Anklagepunkte und einer davon inoffiziell. Tibalt hatte besorgt ausgesehen, hatte mich aber beruhigt, indem er mir gesagt hatte, es sei nicht wegen mir. Was mich wiederum noch besorgter gemacht hatte. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass er eine Vorahnung gehabt hatte, dass er etwas gewusst hatte. Er hatte mich nicht eingeweiht.

Und dennoch, heute ist es mit lieber für den Rest meines Lebens hinter Gittern zu sein, als noch einmal den Blick des Mannes zu treffen, wegen dem ich hier bin. Ich bleibe lieber im Distrikt X eingesperrt, ohne Rechte – nicht ohne Privilegien, da es diese in Belgrame gar nicht gab – als diese Konfrontation zu riskieren. Meine Albträume dünnten aus. Mein Schlaf ist über die letzten Monate hinweg wieder erholsam geworden. Nicht zu vergleichen mit früher, aber dennoch ein Fortschritt. Auch wenn ich nichts vergesse, ich es nie vergessen würde, erholt sich mein Körper Stück für Stück. Und das dank Tibalt. Ich schulde ihm vieles. Wie kann ich nur lernen mit seiner Abwesenheit zu leben?

Als Vorbereitung auf das Meeting mit dem Anwalt habe ich mir eher eine Anklage als ein Plädoyer zurechtgelegt. Ich möchte, dass er meine Wahrheit erfährt, dass ich niemals verteidigt oder freigesprochen wurde. Für die Anwälte würde der LeXuS immer die Referenz sein, und sie würden immer die vorgeschriebenen Strafen verhängen, ich hatte keine Chance. Ich muss Hartnäckigkeit, aber auch Demut beweisen.

Auf meinem Halsband stehen die wichtigen Daten meiner Strafe. Alle Gefangenen tragen so ein Halsband, darüber empfangen wir mittels Elektroschocks die Nachrichten der Gefängnisleitung. Ich habe keinen Kontakt zur Außenwelt mehr, ich bekomme keine Besucher. In Belgrame zerbrechen Freundschaften, sobald man als straffällig gilt. Die Einwohner besitzen eine Gleichgültigkeit, die mich immer verwundern wird. Sie sind Roboter. Als würde ihr Gedächtnis zurückgesetzt. Es ist eisig. Ich sollte sie nachahmen, um Tibalt zu vergessen.

Der Anwalt hat mich um einen Lebenslauf gebeten. Von meiner Zuordnung bis zum heutigen Tag. Er möchte sich ein genaues Bild machen, stelle ich mir zumindest vor. Eine Erlösung? Eine Entschuldigung für mein Verhalten? Bei meiner Ankunft hatte mich Tibalt dazu gebracht meine Erinnerungen aufzuschreiben. Kurz, da ich noch keine 30 war, aber prägnant. Ich dachte, ich hätte nur die wichtigsten aufgeschrieben, aber beim erneuten Durchlesen bemerkte ich Anekdoten, unwichtige Details. Ich war mir sicher, dass kein Richter, egal wie menschlich und entgegenkommend er auch seien möge, diesen Erinnerungen einen Wert zuschreiben würde. So sollte es wohl sein. Ich musste mich also auf die drei letzten Jahre konzentrieren. Mir wieder angewöhnen zu erzählen, ein Detail finden, das mir entgangen war. Es war mit Sicherheit meine letzte Chance. Und ich fragte mich, ob die nächsten Jahrzehnte, oder zumindest das nächste Jahrzehnt ohne Tibalt es wirklich wert wären. Im Distrikt X sah man selten Menschen über 40. Auch sie wurden vermisst. Und mich an diese Geschichte zu erinnern, unsere Geschichte, ermöglicht meinen Gedanken kurz der Wirklichkeit zu entkommen. Ich würde darüber nach dem Treffen nachdenken. Ich würde über eine Möglichkeit nachdenken, Tibalt wiederzufinden oder ihn zu vergessen.

*

Auf dem Rücken liegend, auf dieser perfekten Matratze, versuchte ich die Kontrolle über meinen Körper wiederzufinden. Die Arbeiterin, die man mir geschickt hatte, war natürlich eine Expertin, aber ihr Können warf mich dennoch um. Als sie an meiner Tür klopfte, geriet ich in Panik. Ich wusste, dass ich da durchmusste, aber ich hatte mir nie wirklich die Frage gestellt. Ich erinnere mich nicht wirklich an ihren Namen, er klang wie alle Namen aus dem Distrikt I, er endete sicherlich mit „A“. Sie gab mir eine Einverständniserklärung und eine Bescheinigung über meine Jungfräulichkeit auf ihrem Tablet zum Unterschreiben. Ich hatte davor noch nie Geschlechtsverkehr gehabt und deswegen gab es genaue Vorschriften vom LeXuS. Da es mein erstes Mal war, und ich dafür eine Arbeiterin angefragt hatte, die von meiner Versicherung bezahlt wurde, musste ich dem Protokoll genau folgen. Eine einzige Stellung, eine Penetration und ein Orgasmus. Das Ganze in genau 15 Minuten. Wenn es länger dauerte, müsste ich selber für die Leistung bezahlen. Ich hatte kein Riesengehalt, da ich gerade erst meine Stelle angetreten hatte, aber ich war wie gelähmt und hatte keine Ahnung, wie lange es brauchen würde damit ich komme. Ich war dazu bereit, einen Zuschlag zu zahlen, um die Erfahrung voll zu genießen.

Die Arbeiterin trug ihre klassische Uniform. Einen blauen Overall mit einer weißen Bluse. Ihre Haare waren zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden und am Handgelenk trug sie ein metallenes Armband, das mit Diamanten verziert war. In unserer Ausbildung lernen wir schon im ersten Kapitel, welche die Eigenschaften von jedem Distrikt sind. Man kann nicht Arbeiter sein ohne dieses Armband zu tragen. Naiv wie ich war kontrollierte ich dies gleich bei ihrer Ankunft. Sie schien mir weder wohlwollend noch autoritär. Ich hätte auf neutral getippt. Sie bemerkte meine Unsicherheit und befragte mich über meine Sexualität. Ich errötete, aber mein Verlangen nahm die Überhand. Ich verstand, was mich erwartete und schaffte es nicht mehr die Lust zu kontrollieren, die sich in meinem unteren Bauchbereich ausbreitete. Die Ansagen der Arbeiterin klangen wie Befehle, denen ich wiederum nachging. Sie bat mich meine Kleidung auszuziehen und mich aufs Bett zu legen. Mit einer zitternden Hand öffnete ich den Reißverschluss meines Bustierkleids, das ich für den Anlass angezogen hatte. Mir war heiß und ich hatte große Lust ein Fenster zu öffnen. Ich hatte mich selber nie ganz nackt gesehen. Ich hatte meinen Körper nie wirklich betrachtet. Ich hielt ihn für voll und gut proportioniert. Meine weiße Haut stand im Kontrast zu meiner pechschwarzen Haarpracht und dem Grün meiner Augen. Ich begab mich, wie gebeten, auf das Bett, auch wenn ich bei jeder Bewegung zögerte. Sie näherte sich mir mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und erklärte mir kurz, was sie mit mir vorhatte, worauf ich ein Recht hatte, und was die Grenzen des LeXuS waren. Ich war eingeschüchtert, aber mein Begehren blieb stark. Weder die Angst noch die Verlegenheit vertrieben es. Die Arbeiterin beharrte auf Einhaltung dieser Regelungen, während sie ihre Uniform auszog. Sie zog ihren BH aus und fuhr mit ihrer Rede fort. Sie war ein Profi. Ihre zwei riesigen Brüste waren frei. Sie schienen schwer und ich hatte große Lust sie zu berühren. Sie beendete ihre Erklärungen. Die Haare über ihrer Vulva waren perfekt gepflegt, im Gegensatz zu meinen. Wie sie nackt vor mit stand, bemerkte ich ihre unfassbar langen Beine und ihre spektakuläre Figur. Sie war wunderschön. Sie hockte sich über meinen regungslosen Körper und vertiefte ihre Augen in meine. Einen Moment lang dachte ich, sie wolle mich beruhigen. Sie küsste mich flüchtig am Hals, da es ihr verboten war, mich auf den Mund zu küssen. Dennoch wünschte ich es mir sehnlichst. Ich fühlte die Wärme ihres Atems auf meiner zitternden Haut. Ich spürte ihren gebeugten Körper der so nah an meinem war. Ihre Brüste streiften die meinen. Ihre Nippel neckten mich bei jeder Bewegung. War es alles inszeniert? War es eine vorprogrammierte Reihenfolge an Gesten? Eine Prozedur, die Lust hervorrufen sollte? Ich wusste nicht was ihre Intentionen waren bis eine ihrer Hände meine rechte Brust packte. Ich zuckte zusammen. Immer noch ein paar Zentimeter von mir entfernt, hielt die Arbeiterin ein Seufzen zurück. Sie streichelte den Bereich um meinen Nippel, bis dieser hart wurde und kniff ihn. Zwischen meinen Beinen wurde ich schon feucht und ich konnte meine Schenkel nicht schließen, ohne dass es die Arbeiterin merken würde. Sie verfolgte ihre Reise über mein Dekolleté bis zu meiner Brust, die sie flüchtig küsste. Ich bebte vor Lust, eine meiner Hände auf meine anschwellende Vulva zu legen. Ich bewegte mich nicht und wartete. Die Arbeiterin fing an, an meinem Nippel zu lutschen, sie leckte geschickt den Umriss. Ich ließ ein Stöhnen entkommen, was sie dazu animierte weiterzumachen. Ihre Brüste prallten gegen die meinen, während sie eine nach der anderen mit Achtsamkeit leckte. Ich verlor den Verstand, so stark war mein Verlangen. Instinktiv wölbte sich meine Hüfte nach oben, sodass mein Venushügel den ihren berührte. Sie lächelte im Dämmerlicht des Zimmers, ich erkannte es deutlich. Sie streifte mit einer Hand über meinen Bauch, ich erzitterte. Ich wusste, dass sie jetzt nicht aufhören würde und öffnete meine Beine, in einem stillen Flehen. Ich wusste, dass alles dort passieren würde. Ich war bereit. Ich spürte wie ihre Finger in mich eindrangen, wie sie durch meine geschwollenen, feuchten Venuslippen ihren Weg fanden. Das Blut strömte in meine Scheide und machte diese neue Erfahrung zu einem sensationellen Gefühl. Die Arbeiterin erkundete meinen Intimbereich mit Zärtlichkeit. Ich wollte ihr dabei zuschauen, sie anspornen. Ohne zu überlegen ahmte ich ihre Bewegung nach und drang mit meinem Finger in ihre Vagina ein, die enger war als die meine. Sie zuckte leicht. Ich hatte sie aus der Fassung gebracht und bereute meine Geste. Wie als würde ich auf ihre Erlaubnis warten, stoppte ich meine Bewegung. Sie schloss subtil ihre Schenkel auf meiner Hand, und fuhr mit ihren Bewegungen zwischen den meinen fort. Ich war mir sicher, dass dies nicht die Standardprozedur war. Na und? Ich wollte mit ihr im Einklang sein. Ich erwiderte ihre Streicheleien und stellte mir vor, was sie spürte. Die Arbeiterin drang mit einem Finger in mich ein, und dann mit zwei. Ich stöhnte, nicht aus Überraschung, sondern aus purem Genuss. Ich wollte sie noch tiefer in mir spüren, ihre ganze Hand, sogar ihre Faust. Ich krümmte mich, um ihr dabei zu helfen. Es geschah langsam, aber die Arbeiterin ging meinem Willen nach. Ich ahmte sie auf ihrer eigenen Vulva nach. Meine Finger erforschten ihre feuchte Vagina. Sie zog sich langsam zurück, um sich auf den kleinen Kitzler am oberen Teil meiner Vulva zu konzentrieren. Meine Klitoris. Ich kannte ihren Namen, hatte sie jedoch nie angefasst. Sobald die Arbeiterin sie streifte zog ich meine Beine zusammen. Es war ein Reflex. Sie spielte damit und hielt meine Schenkel fest, um meine Vulva sehen zu können. Es war schwer, in dieser Stellung zu bleiben. Sie fummelte weiter an meinem Kitzler und wich ihm aus, wenn sie merkte, dass ich kurz vorm explodieren war. Ich wollte ihr das gleiche Gefühl bescheren und suchte zwischen ihren Lippen nach ihrer Perle. Sie war sichtbar, auch sie angeschwollen. Sie konnte Erregung empfinden, egal was sie behauptete! Ich schloss die Augen und versuchte ihre Bewegungen nachzuahmen. Die Arbeiterin schrie auf. Wir waren beide überrascht. Ich hörte nicht auf, ihre Klitoris zu massieren, Auf- und Ab-Bewegungen zu machen, meine Finger feucht von ihrem Ausfluss. Sie bewegten sich im gleichen Rhythmus wie die ihren. Wir gaben uns voll und ganz dieser plötzlich geteilten Lust hin. Es stand außer Frage damit aufzuhören, es war ein leibliches Verlangen. Ich krümmte mich immer mehr, sie spannte ihre Vulva an. Wie ein elektrischer Schock durchflutete es meinen Körper, ich bebte und kam kurz vor der Arbeiterin zum Höhepunkt. Ich sah, dass sie die Fassung bewahren würde, aber ohne sich von mir freizukämpfen. Sie kämpfte gegen meine spielende Hand und für ihre Pflicht, sich zurückzuhalten. Ich spürte noch ihre vom Orgasmus überkommene Vagina. Anschließend sah ich das Schuldgefühl meiner Arbeiterin in ihren Augen, während sie aus dem Bett kroch. Sie murmelte ein paar Floskeln. Ich erfuhr dann, dass sie kein Recht darauf hatte, bei der Arbeit zu kommen. Es war einer ihrer ersten Aufträge seit dem Abschluss. Ich wollte sie beruhigen, aber sie hörte mir nicht zu und verließ meine Wohnung. Ich war wie gelähmt auf meinem Bett und hatte ein starkes Verlangen danach, von neuem zu beginnen. Nochmals. Nie einen Tag ohne diese Ekstase zu erleben. Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass sie Myrtha hieß.

Es war meine erste echte Erinnerung seit ich den Distrikt III verlassen hatte. Mit 21 Jahren wurde ich dem Distrikt III zugeordnet und war also eine Konsumentin, die dem LeXuS, den man uns eingetrichtert hatte, treu war. Meine Partner hatten viel Respekt vor Belgrame, ihren Gründern und den Behörden. Ich hatte keine Erwartungen gehabt, als ich das Hochhaus des Distrikts I verließ. Als man mir durch den STRAP ankündigte, dass ich nun zu den sexuell und intellektuell freisten Bürgern Belgrames gehörte, war ich schon gut darauf vorbereitet, was folgen würde. Als erstes musste ich meine sexuelle Orientierung angeben, dazu hatte ich nach Ankunft und Einquartierung in eine provisorische Wohnung meines Viertels sieben Tage Zeit. Ich entschied mich für Homosexualität. Es war für mich offensichtlich. Seit meiner Jugend und den dazu gehörenden Hormonen, hatte ich mich immer zu meinen „Schwestern“, den Frauen, die bei denselben Partnern wie ich aufwuchsen, hingezogen gefühlt. Ich glaube, dass ich mir die Frage nie wirklich gestellt hatte. Ich war mir sicher, meine Sexualität mit Frauen erleben zu wollen.

Und Myrtha, die Arbeiterin, die mir geschickt wurde, hatte dies bestätigt, obwohl es keine Bestätigung brauchte. Als ich mit ihr - und nicht dank ihr wie es der LeXuS und die Gesetze der Arbeiter vorschrieben - gekommen war, bereute ich es plötzlich, keine Arbeiterin zu sein. Genuss zu geben, ihn zu kontrollieren, die sexuellen Bedürfnisse von Individuen auszugleichen, zu befriedigen und zu begleiten, das schien mir eine faszinierende Aufgabe zu sein. Ein Teil der Elite zu sein. Eine Repräsentantin der Gedanken von Belgrame zu sein. Es war aufregend. Ich informierte mich über die Möglichkeiten, den Distrikt zu wechseln, aber außer dem Praegressus gab es keine Möglichkeit. Ich dachte manchmal an den Praegressus, diese Arena, in der sich Orgie mit Gewalt verband. Wo die Kandidaten bereit waren, für die Chance auf sozialen Aufstieg zu sterben. Ich fand den Gedanken nicht gut. Schlimmer sogar, er beängstigte mich. Ich profitierte von meiner Stelle und der Normalität, die sie umgab.

Dennoch hatte ich nach Myrthas Besuch eine Besessenheit entwickelte. Eine, die der LeXuS verbot, vor der er Angst hatte. Die Wollust. Die Lust. Sex, großgeschrieben, ohne Schönmalerei. Ich musste dennoch meinen Trieb im Schach halten. Dieses brennende Verlangen, das mich seit der ersten Nacht quälte. Den LeXuS mit meiner Lust zu kombinieren, schien mir unmöglich, ich musste nach Alternativen suchen, um mir Leistungen und Zuschläge der Arbeiterinnen leisten zu können.

Im Distrikt III haben wir das Recht auf einen Arbeiter für eine klassische Stellung ohne Vorspiel und mit Orgasmus des Kunden. Der Konsument zahlt nicht für diese Leistung, die von der Leitung des Viertels und der Krankenversicherung Belgrames übernommen wird. Zusatzleistungen musste man sich aus einem Katalog, der uns bei unserer Zuordnung ausgehändigt wurde, aussuchen. Wir konnten nichts außerhalb dieses Kataloges erfragen, wie zum Beispiel Analsex, Sadomaso-Spielchen oder Zoophilie. Manchmal war es gefährlich und kompliziert. Diese Zusatzleistungen wurden uns von unserem Gehalt abgezogen und waren sehr teuer. Zwei Sachen musste man beachten: der Verantwortliche des Viertels konnte uns für zu hohen Konsum an Sexgütern anklagen oder man konnte abhängig werden. Vor beidem hatte ich Angst. Ich wagte es jedoch mit Myrtha und versuchte anschließend eine andere Arbeiterin zu finden. Abzuwechseln. Bei meiner ersten Zusatzleistung war ich sehr nervös, ich wagte es nicht, sie zu erfragen. Dabei hatte ich sie bezahlt.

Ich erinnere mich an einen sehr speziellen Abend. Ich wollte eine Vulva kosten. Der LeXuS hatte strikte Regelungen, was Oralsex anging, es ging nur mit einer Ausnahmegenehmigung. Es war selten und die Einwohner baten nur selten danach. Nur die Arbeiter hatten ein Recht darauf. Aber dieses Mal brach ich das Protokoll und meine Arbeiterin erlaubte mir diese Eskapade. Ich gab ihr ein gutes Trinkgeld. Sobald sie in meiner Wohnung ankam, näherte ich mich ihr. Ich unterschrieb ihr Formular und kniete mich vor sie hin. Sie schien verwirrt aber wehrte sich nicht. Ich half ihr dabei, sich auf den Tisch des Esszimmers zu setzen, und zog ihr zur gleichen Zeit den unteren Teil ihrer zweiteiligen Uniform aus. Ich sah ein, dass diese praktisch waren. Sobald ihre Scheide frei von ihrer Unterwäsche war, untersuchte ich sie. Ich begehrte sie, spürte wie der Stoff meiner Unterhose feucht wurde. Ich musste mich konzentrieren. Mit einer sicheren Bewegung, spreizte ich die Beine der Arbeiterin, die ihren Kopf in den Nacken warf. Ich vergrub meinen Kopf, oder besser gesagt meinen Mund, in ihrer feucht schimmernden Vulva. Der Schrei der Arbeiterin spornte mich an. Ich ließ meine Zunge über alle Teile ihres feuchten Intimbereiches streifen. Ich kostete den Saft dieser Frau, ich genoss jeden Moment dieser lustvollen Erfahrung. Durch diese Entdeckung verlor ich fast das Gleichgewicht. Ich hielt mich am Tisch und dann an ihren Beinen fest. Sie bewegte sich nicht. Ich verfolgte meine Erkundung ihrer tiefsten Wollust. Ich sah, wie sie sich wandte und krümmte, damit ich sie noch mehr verzehren konnte. Ich drang leicht mit meiner Zunge in ihre Öffnung. Meine Zunge entdeckte die Vorzüglichkeit ihres geschwollenen Inneren. Sie war mir unterworfen. Ich leckte ihre Vulva mit großem Genuss, als würde mein Leben daran hängen. Ich fand ihre Klitoris, ich neckte sie, und passte mich dem Rhythmus ihres Stöhnens an. Der Arbeiterin war es unmöglich, zu widerstehen. Ich spürte es. Ihre abrupten Zuckungen zeigten mir, dass sie kommen würde. Das tat sie auch, während meine Zunge weiterhin zwischen ihren Lippen spielte. Die junge Frau atmete stoßweise, ihr Körper bebte. Ich träumte davon, es auch von ihr zu verlangen, aber meine Lust war mittlerweile eine andere. Ich hatte das Verbotene gekostet. Mein Begehren war erneut unstillbar.

Zwei Leistungen pro Monat schienen mir ungenügend. Ich beneidete die Konsumenten, die das Recht auf Lebenspartnerschaft bekommen hatten und täglich ihr erotisches Begehren stillen konnten, ohne sich dabei strafbar zu machen. Ich schaffte es nicht mehr, meine Lust zu kontrollieren. Ich überlegte lange, mich der Masturbation hinzugeben. Selbstbefriedigung als Ausweg, als Erwartung. Aber ich hatte Zweifel bei dem Gedanken, da man mir Onanieren nie beigebracht hatte. Ich hatte im Distrikt II gelernt, dass viele es praktizierten. Aber ich gehörte zu denen, die immer durchs Schlüsselloch schauten ohne zu wagen, durch die Tür zu gehen, die trotz feuchter Unterhosen und plötzlicher Lust die Schenkel aneinanderpressten. Lange war mir dieses mangelnde Wissen peinlich, bewusst dessen, dass manche Distrikte nur dies lernten.

Ich schaffte es, zwei Arbeiterinnen zu bekommen und manche Daten herumzuschieben. Dann bestellte ich noch andere Zusatzleistungen. Mein Lohn von meiner Arbeit als Lehrerin schien wegzuschmelzen und hinten und vorne nicht auszureichen. Ich riskierte sogar zu hungern. So sollte es wohl sein, mir was es lieber zu hungern als sexuell frustriert zu sein. Als ich im Distrikt III ankam, gab es eine große Auswahl an Stellen, aber für mich war schon klar: Ich wollte die Kinder Belgrames unterrichten. So wurde ich dem Distrikt II zugeordnet, um den Kindern im Alter von fünf bis vierzehn Jahren Lesen, Schreiben und Mathematik beizubringen. Sobald sie vierzehn wurden, bekamen sie spezialisierteren Unterricht, der sie auf ihren Werdegang in der Stadt vorbereitete. Die Geschichte des LeXuS, der Gründer, des Praegressus wurden ihnen von anderen Kollegen beigebracht, die eine passendere Ausbildung hatten. Und auch besser bezahlt wurden.

Ein Konsument mit Schulden war eine leichte Beute für Kriminelle. Manche von uns prostituierten sich, gezwungenermaßen, um Nahrung und Wohnung bezahlen zu können. In manchen Distrikten gab es eine große Anfrage für diese Prostituierten. Sie wurden in mysteriösen Praktiken und obskuren Riten eingesetzt. Man nutzte sie wie Gegenstände und sie brachen alle Vorschriften des LeXuS. Das Dahintreiben der Verbote. Und niemand verfolgte sie jemals. Es geschah im Geheimen, im Verborgenen. Die hohen Tiere von Belgrame sprachen nie darüber. Ich hatte Angst um meine Zukunft, aber ich schaffte es nicht, aufzuhören die Arbeiterinnen zu treffen. Es war für mich lebensnotwendig. Ich konnte kaum noch schlafen und da ich mich vehement dagegen wehrte zu masturbieren, wuchsen mein Verlangen und meine Ungeduld noch mehr. Ich liebte es: mich selber quälen bis sie mir gutes taten.

Während ich weiterhin die Kinder unterrichtete, die mich an meine eigene Kindheit erinnerten, suchte ich nach einer Lebenspartnerin. Ich verbrachte meine Tage mit diesen Kindern, die in einem verschlossenen Distrikt lebten und keine Herkunft, keine Wurzeln hatten, die dem LeXuS ausgeliefert waren. Sie waren Experimente der Naturwissenschaften. Ich war glücklich, Distrikt II verlassen zu haben und war jetzt auf der Suche nach einer langfristigen sexuellen Partnerschaft. Ich hatte genug von den Leistungen der Arbeiterinnen. Ich hatte kaum noch Ersparnisse. Aber ich fand niemanden. Meine Eroberungen wollten alle sesshaft werden und hatten sehr präzise Vorstellungen. Ich fand sie zu anspruchsvoll. Einen Monat lang ließ ich mich noch von Myrtha uns Axah befriedigen, und versprach mir dabei, dass ich mein leeres Konto wieder füllen würde. Anschließend würde ich mich bei der Lebenspartneragentur meines Viertels melden. Ich würde das notwendige Formular dem Verantwortlichen übergeben, auch wenn ich mich etwas schämte, dass mir die Verwaltung helfen musste, um meine Bedürfnisse zu stillen.

Ich traf dann manche Seelen, die in der gleichen Lage waren wie ich. Ich hörte von einem Netzwerk von Konsumenten in Not, also einer Hilfsgruppe. Die Mitglieder waren an einem Punkt angelangt, an dem sie zu allem fähig waren. Interessanterweise waren sie nicht wegen Sex pleite, sondern wegen ihres Drogenkonsums. Sie konsumierten aus Trauer, oder aus Angst, oder aus Langeweile. Drogen waren ihre einzige Beschäftigung geworden, sie gaben ihren ganzen Lohn, manchmal sogar schon den vom nächsten Monat dafür aus. Eine dieser Konsumentinnen hatte mir einen Vorschlag gemacht: sie würde meine persönliche Arbeiterin sein, und ich würde sie dafür bezahlen. Es war billiger, als die Leistungen von Myrtha oder Axah. Das Angebot war verlockend, aber auch illegal. Ich zögerte, aber versprach darüber nachzudenken. Ich fühlte ihre Not, ihre Geldgier, ihre Bereitschaft, ihren Körper gegen Geld einzutauschen. Sie sah mich gewiss als Beute und Retterin zur selben Zeit. Dies bekräftigte meine Lust, muss ich zugeben.

An einem Feierabend verließ ich Distrikt II, erschöpft und dazu entschlossen, das schamlose Angebot der ein paar Tage zuvor getroffenen Frau anzunehmen. Welche andere Perspektive gab es? Ich brauchte Gleichgewicht. Sollte ich betteln und riskieren, kein Geld und keine Wohnung mehr zu haben? Oder Drogen verkaufen? Die zwei größten Branchen der Kriminalität in Belgrame waren Sex und Drogen. In der Tat riskierte man durch die Herstellung, den Verkauf und den Konsum von Drogen eine lebenslange Freiheitsstrafe in Distrikt X. Eine sexuelle Praktik, die nicht vom LeXuS erlaubt war, zog dieselben Konsequenzen nach sich. Ich dachte nur selten daran, dass mein Alltag unspektakulär war, mit Ausnahme meiner Abhängigkeit für Erotik.

In einer eisigen Nacht ging ich zwischen den Hochhäusern entlang. Ich erkannte kaum diejenigen an denen ich vorbeiging. Ich hatte Angst mich in einem Distrikt zu verirren, der nicht der meine war. Ich hörte plötzlich Schritte hinter mir. Es war kaum ein Atemzug, aber auf jeden Fall ein Tempo, ein Rhythmus. Ich behielt mein Tempo bei, die Straßen Belgrames waren die sichersten der Welt. Der LeXuS beschützte sie, und die Gründer hatten ihn genau zu diesem Zweck erschaffen. Ich war nicht besorgt. Doch dann bemerkte ich, dass die Schritte mir folgten, bei jedem Richtungswechsel, auf jedem Gehweg. Ich wollte prüfen, ob die Person sich verlaufen hatte, oder etwas von mir wollte. Es war möglich, auch wenn unwahrscheinlich bei der hohen Zahl von Einwohnern in Belgrame. Wir hatten nur Angst vor einer Sache: den Abtrünnigen. Nicht davor, dass sie eindrangen, Belgrame war eine sichere Festung, aber vor Manipulation, Entführungen, Einsperrungen und den Schandtaten dieser Abgeschiedenen. Sie waren die Angst unserer Kindheit und unser Problem als Erwachsene. Sie waren eine Fantasie von Dekadenz, die uns dazu zwang gesetzestreu zu bleiben und zu überwachen, dass keine Dysfunktion dem System und also unserem Alltag schadete.

Ich drehte mich um, und der Umriss blieb stehen. Ich versuchte, seine Haltung zu beobachten, zu erkennen, ob die Person eine spezielle Uniform trug, oder ein Symbol der Zugehörigkeit, wenn sie nicht zu Distrikt III gehörte. Nichts. Schwarz, von oben bis unten, sogar im Gesicht. Eine Maske ließ nur unbekannte und undurchdringliche Augen erkennen. Sein Körperbau ließ mich denken, es sei ein Mann. In diesem Moment wusste ich, dass ich in Gefahr war. Ich ging weiter, zitternd. Er holte mich prompt ein. Ich wollte vermeiden, in die nächste Straße einzubiegen. Sie war vielleicht eine Sackgasse. Ich konnte es nicht wissen und das Risiko war zu groß.

Ich spürte Druck auf meinem Arm. Flink. Schmerzvoll. Mir entwich ein Schrei, der sich in der Dunkelheit verlor. Man packte mich, warf mich in eine Gasse und schubste mich gegen die Wand. Man hielt mich an den Schultern fest. Ich sage „man“, aber es war nur er. Ich schwankte. Ich wehrte mich. Ich rief nach Hilfe. Er hatte viel mehr Kraft als ich. Ich hatte das Gefühl, dass er stärker wurde, je mehr ich mich wehrte. Ich erkannte seine Bewegungen dank der Straßenbeleuchtung, sie waren flink und präzise. Der Mann sagte kein Wort und versuchte, mir meinen Mantel auszuziehen. Er schlug mich sobald ich mich bewegte. Er schlug so stark, dass ich das Gleichgewicht verlor. Er fing mich auf.

Ich wusste, was er von mir wollte, und trotz meines Flehens und meiner Rufe kam niemand zu Hilfe. Das Viertel war menschenleer, ich hatte keine Fluchtmöglichkeit Ich versuchte, zu entkommen, indem ich meinen Mantel am Boden aufgab, aber er zog schon an meinem Hemd und am Gürtel meiner Hose. Ich würde nackt im Kalten sein. Er gab mir eine Ohrfeige und rollte mich auf dem kalten Boden. Ich verlor das Bewusstsein. Ich würde die Stunden und die Tage, die folgten, vergessen.

*

Auf der Anklagebank erinnerte ich mich allmählich. Meine Erinnerungen waren vage und von Angst erfüllt. Mein Gedächtnis hatte mich aufgegeben, seitdem ich in einem Bett eines Gesundheitszentrum Belgrames aufgewacht war. Der Raum war steril. Das Piepen der Reanimationshilfe klang in meinen Ohren. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf würde explodieren, als hätte ich eine ganze Flasche sehr starken Alkohols auf ex getrunken. Ich wusste nicht, was mich mehr störte: die brummelnde Stille oder die grummelnden Heiler. Man hatte mir eine Infusion in den rechten Arm gelegt und ich musste deswegen liegenbleiben. Ich spürte den Schmerz in meinen Beinen, an meinem Hals und auf meinem geschwollenen Gesicht. Ich wusste nicht, was passiert war. Wie lange war ich schon hier? Wer hatte mich hergebracht? Warum?

Für den Beginn meines Prozesses kehrte ich zum Gericht zurück. Sie wollten meinen Fall durchgehen und ich erinnerte mich, einen Anwalt getroffen zu haben, für eine Strafftat, von der ich nichts wusste. Oder vielleicht war es, um meinen Angreifer anzuklagen. Ich hoffte es…

Eine Frau in schwarzem Kleid, eine Rechtsanwältin, stand vor drei Mitgliedern des Rechtsrats. Dieser bestand aus einem Richter, vom Staat ausgewählt, einem Sekretär und einem Geschworenen. Zu dritt würden sie eine Entscheidung treffen, ein Urteil: schuldig oder unschuldig. Die Frau, die aufgestanden war, begann einen Monolog, den ich kaum verstand. Es wunderte mich, dass die zweite Partei fehlte. In einem Verfahren gab es immer Angeklagten und Ankläger. Wo war die Person, die mich hierhergeführt hatte? Ich war allein. Die Entscheidung folgte dem Plädoyer und ich erfuhr, was geschehen war.

Man hatte mich ich in einer Straße des Vester-Viertels gefunden. Ich war schon in diesem Viertel gewesen, als man anfing mich zu verfolgen. Dann waren die Schritte nähergekommen, der Überfall, die Schläge und meine Bewusstlosigkeit. Ein Verantwortlicher des Viertels wurde durch meine Schreie alarmiert. Er hatte um Hilfe gerufen, und dann bei meiner Anblick die Rechtsgarde. Ich war halb nackt auf dem Gehweg gewesen. Das war eine Straftat in Belgrame. Mein Angreifer hatte die Flucht ergriffen. Ich wurde heute also in drei Angelegenheiten angeklagt: Exhibitionismus in der Öffentlichkeit, Geschlechtsverkehr, der nicht vom LeXuS genehmigt war, und heterosexueller Geschlechtsverkehr, wie es die Analysen bewiesen. Ich war vergewaltigt worden, von einem Mann, den Belgrame nicht angeklagt hatte. Ich war schuldig. Da ich eine homosexuelle Konsumentin war, hatte ich bei meiner Vergewaltigung eine Straftat begangen, da ich keine Ausnahmeerlaubnis meines Verantwortlichen und eines Funktionärs bekommen hatte.

Ich schaffte es nicht zu weinen, so geschockt war ich, von all meinen Erinnerungen und unter der Last der Ungerechtigkeit. Ich war verprügelt und vergewaltigt worden. Mein Körper würde sich nie von allen Verletzungen erholen, die auch wenn sie heilen würden, immer eine Erinnerung an das Geschehene wären. Aber Gesetz ist Gesetz, und der LeXuS hat klare Paragraphen: Ich hatte diese gebrochen. Ob ich sie freiwillig gebrochen hatte oder nicht, das Ergebnis war dasselbe. Es gab keine Ausnahmeregelung für meinen Fall, da es in Belgrame keine sexuellen Straftaten gab. Die Gründer hatten den LeXuS geschaffen, um sie zu vermeiden. Es gab keine Geschichte, die der meinen ähnelte, und meine musste vertuscht werden, damit sich keine Panik verbreitete, oder schlimmer, eine Rebellion entfacht würde.

Meiner Anwältin schien es leid zu tun. Es gab keine Zeugen, die irgendwas beweisen könnten, außer der Person, die mich verprügelt auf dem Gehweg gefunden hatte. Aber die war verschwunden und hatte so entschieden, nicht Teil dieser Geschichte zu sein.

„Sie an jenem Abend zu retten, sollte genügen“, hatte sie gesagt.

Ich wusste, dass der Staat den Vergewaltiger hätte wiederfinden können, dank der Informationen, die ich ihnen geliefert hatte und dank der Beweise, die an meinem Körper gefunden worden waren. Warum es also vertuschen? Ich wurde einfach in den Distrikt X abgeschoben. Meine Freiheitsstrafe musste ich bei den Verdammten absitzen. Unverständlich. Ein paar Minuten hatten genügt, um mein sogenanntes Leben zu zerstören. Es war ein Scheinprozess gewesen.

Bei meiner Ankunft in Distrikt X musste ich in Quarantäne, damit das Personal, häufig Konsumenten, die den Weg der Strafverwaltung gewählt hatten, sich nicht mit Krankheiten aus dem Ursprungsdistrikt des Häftlings ansteckten. Aber es war vor allem ein Mittel der Isolierung des Sträflings. Es machte einem klar, dass man ab dem Moment, in dem man das große Gitter zur Festung des Distrikts X durchquerte, nicht mehr existierte. Ich wurde von meiner eigentlichen Zuordnung und allen dazugehörigen Rechten beraubt. Wenn man davon ausging, dass ich jemals welche gehabt hatte. Ich verlor ebenfalls meine Identität und mir wurde ein Chip in den Oberarm eingeführt. Außerdem wurde ich mit einer engen Halskette ausgestattet, die man unmöglich ausziehen konnte. Auf ihr stand meine neue Kennziffer: X3517. Wenn man einen Einwohner traf, dessen Kennziffer mit X begann, war man meist vorsichtig. Resozialisierung war für manche Verdammten möglich, es gab spezifische Abteilungen für leichtere Strafen, die zeitlich begrenzt waren. Aber die Sträflinge, und nicht die Verbrecher, würden für immer die Spur ihres Aufenthaltes im Distrikt X tragen. Trotz ihrer Resozialisierung verloren sie einen Großteil ihrer Rechte und bekamen eine niedrigere Stellung in der Gesellschaft. In Wahrheit konnte man den Distrikt nicht verlassen, weder körperlich noch rechtlich. Ich hatte es verstanden und hatte keine Lust, zu entkommen, jetzt da ich gespürt hatte, wie schlecht mich meine Stadt behandelte. Ich hatte nichts mehr zu verlieren.

Die Gefängniswache, ein Mann mit einem ausgemergelten und hübschen Gesicht, befahl mir, meine Kleider auszuziehen und in die Desinfektionskabine zu gehen. Ich war nackt und fing an zu zittern. Das Gefühl, dass mich jemand so verletzbar sah und der Gedanke, dass es mir wieder passieren könnte, lähmten mich vor Angst. Ich hasste meinen Körper, er war dafür verantwortlich, dass ich hier war. Und dabei war ich zu allem bereit gewesen, um ihm Gutes zu tun, seine Lust zu stillen, ihm Orgasmen zu geben. Er hatte mich verraten. Man duschte mich wie eine Verpestete und gab mir anschließend meine knallblaue Uniform. Ich würde sie bis zu meinem letzten Atemzug tragen. Ich blieb in dieser Zelle, zur Isolation, vier Tage lang. Die Wächter wechselten sich damit ab, mir Nahrung zu bringen und mich Formulare unterschreiben zu lassen. Ich hatte keine Wahl mehr, ich musste die Zuordnung der neuen Kennziffer unterschreiben. Es schien mir sinnlos.

Am fünften Tag brachten sie mich in das Hauptquartier der Verdammten, die lebenslänglich bekommen hatten. Das war bei mehr als der Hälfte der Verurteilten der Fall. Meine Zellengenossinnen waren eine Frau in ihren Vierzigern, die ihre Strafe seit sechs Jahren absaß, und eine jüngere Frau, die schon die Hälfte ihres Lebens hinter Gittern verbracht hatte. Wie alt war sie? Vielleicht 30? Welche Straftat hätte sie so jung schon begehen können? Unsere Schlafkuhlen waren dicht aneinander, in diesem kargen, aber sehr sauberen Raum. Aus praktischen Gründen teilten wir das Gemeinschaftsbadezimmer. Die Speisen wurden im Hauptspeisesaal eingenommen oder bei Ausnahmen in der Zelle. Wir waren seit der Implantation der Chips mit dem System verbunden. Kleine Elektroschocks teilten uns Änderungen in der Tagesplanung oder Mitteilungen von außen mit. Wir hatten festgelegte Uhrzeiten und Aktivitäten. Wir würden für den Rest unserer Tage eingesperrt sein, man musste für uns einen Nutzen finden. Ich wurde dem Quartier für Sexualdelikte zugeteilt. Ich hatte weder jemanden umgebracht, noch die Drogengesetze verletzt, letzteres wäre mir jedoch fast passiert. Ich stellte keine Gefahr für meine Mitmenschen dar und ich war in der Lage, mich sozial zu integrieren. Das war einer meiner Vorteile. Meine ältere Zellengenossin hieß Mucha, sie erzählte mir ihre Geschichte ohne viel Enthusiasmus. Sie versuchte, sich nicht als Heldin darzustellen und sprach auch nicht von Ungerechtigkeit. Sie ging einfach davon aus, dass ich, wie sie, nicht mit dem LeXuS einverstanden war. Und sie hatte Recht. Ihr Gedankengang überraschte mich:

„Ich habe mich der Rechtsgarde ergeben“, erzählte sie mir. „Es war der Moment in meinem Leben an dem ich mich zwischen Liebe und Resignation entscheiden musste. Es war meine Art zu kämpfen. Ich habe mich für die Liebe entschieden.“

– „Wer war es?“

– „Wer waren sie, meinst du? Sie wurden einem anderen Quartier zugeteilt.“

Sie erzählte mir mehr über ihre Dreier-Beziehung, die sie die Freiheit gekostet hatte. Aber scheinbar ohne Reue. Mucha versicherte mir, dass Dimitri, ihr Lebenspartner, und Lux, ihre Liebhaberin, an Belgrame verraten wurden dafür, dass sie Sex hatten ohne davor um Erlaubnis zu bitten. Ihre Erzählweise ließ verstehen, dass sie nichts davon bereuten. Man konnte dennoch eine Spur Hoffnung heraushören, die jedoch verebbte, als ich ihr meine Geschichte beichtete. Lynch nutzte diesen Moment, um uns von ihrer Verhaftung zu erzählen. Es war verstörend und schien unmöglich.

„Es war als ich noch bei den Partnern wohnte, bei Ild und Legassov, ich war noch eine Paidi. Die Rechtsgarde kam mich im Distrikt II abholen, um mich hier einzuquartieren, bei den Verdammten. Es gab nicht einmal einen Prozess. Ich verschwand einfach, meine Brüder und Schwestern bekamen nie eine Erklärung. Belgrame erklärte mir damals, dass die Liebesspiele, die wir praktiziert hatten verboten waren, da wir noch keine Zuordnung hatten. Wir hatten für den Staat noch keine Identität. Es war freier Sex, der nicht den Regeln des LeXuS unterworfen war.“

–„ Und die anderen?“, fragte ich. „Wo sind sie?“

– „Sie wollten nur den Verantwortlichen der Gruppe bestrafen. Den Leiter, das störende Element. Sie haben unsere Geburtsakten verglichen und unser genetisches Erbmaterial evaluiert. Ich war die schlechteste von uns, ich hätte eh außerhalb des Distrikts II versagt. Deswegen haben sie mich ausgesucht… Als ich hier ankam, war es das erste Mal, dass ein Paidi eingesperrt wurde. Ich war überrascht. Der Staat existiert immerhin schon mehrere Jahrzehnte… Ich bin mir sicher, dass es nicht wirklich darum ging. Sie haben mich aus anderen Gründen transferiert.“

– „Hast du nie probiert herauszufinden, wieso?“

– „In Belgrame ist das ganze Wissen im LeXuS. Der Rest ist ein Mysterium. Es gibt keine Einzelfälle, du bist der Beweis davon. Sexualität ist der Baustein.“

Mucha, jetzt X8289, und Lynch, jetzt X6597, erklärten mir, wie Sexualität im Distrikt X gehandhabt wurde. Ich akzeptierte dies. Ich hatte alles verloren, um meine Lust zu stillen und wollte mich jetzt davon befreien, sie nie wieder erleben. Hier war Sexualität komplett abwesend. Ich genoss diese Abstinenz. Wie konnte der Staat sie hier so sehr kontrollieren, sogar mehr als in den anderen Distrikten? Unser Chip wurde nicht nur zur Lokalisierung und zum Empfang von Nachrichten genutzt. Es wurden uns damit auch Medikamente verabreicht, die unsere Libido schwächten. Es war eine chemische Kastration, um die Gefangenen still zu halten. Es war eine perverse Prozedur: wenn man sich als Verdammter gut verhielt oder dem Staat einen Dienst erfüllte, wurde man damit belohnt, dass die Dosis verringert wurde, und man wieder körperliche Lust verspüren konnte. Normalerweise war dies vor allem für die Sträflinge und nicht für die Verbrecher. Alle drei Wochen kamen die Ärzte, die für mein Quartier, das Quartier 14, verantwortlich waren vorbei und überprüften, dass der Chip richtig funktionierte und programmierten einen neuen Zyklus.

Aber die Verdammten hatten gelernt, diese Regelungen zu umgehen. Sie hatten wieder angefangen im Geheimen und mit Komplizen zum Höhepunkt zu kommen. Die einzige Möglichkeit war es, den Chip zu entfernen. Das ermöglichte, die Regelungen zu umgehen und eine Art Menschlichkeit zurückzubekommen: das Recht auf Ekstase. Man musste jedoch vorsichtig sein, da er täglich kontrolliert wurde.

Der einzig sichere Weg war es, den Chefarzt zu besteschen, wenn man ihm denn vertraute. Manche Verdammten hatten Geld zur Seite gelegt und investierten es in die Ärzte und Wächter. Man musste scharfsinnig sein. Der Gedanke, verbotenen Sex zu haben, ohne verraten zu werden, war aufregend. Es übertraf meine Fantasien. Ein Code genügte, um den Chip und somit die Behandlung zu deaktivieren. Wir konnten also entscheiden, die Kastration zu umgehen, um uns wieder den körperlichen Lüsten hinzugeben. Man konnte es mit Komplizen sogar in einer Gruppe machen. Ein Arzt hatte die Macht, die Behandlung eines ganzen Quartiers aufzuheben, was sie manchmal taten, wenn ihre Lieblingshäftlinge auf all ihre Wünsche eingingen. Was sie natürlich machten. Es war ein ehrlicher Marktplatz. Durch den Entzug und die Frustration waren die Häftlinge zu allen Sünden und allen Praktiken bereit. Ärzte und Wachen genossen dies in den Zellen oder in bestimmten Verstecken, wo die Kameras nicht aufnahmen und sie vor der Leitung geschützt waren. Wenn es einen Verdacht gab, wurden die Chips reaktiviert. Es war ein Teufelskreis: Frustration, Verlangen und Orgasmus. Ich betrachtete es aus der Ferne und war noch nie ausgewählt worden, um eine ihrer Lüste zu befriedigen. Außerdem barg es ein großes Risiko für mich, falls ich entdeckt würde oder schlimmer, wenn ich ihre Lüste nicht befriedigen könnte. Ich war nicht neidisch. Ich hatte Angst „vermisst“ gemeldet zu werden.

Bei langen Strafen, aber vor allem wiederholten Brüchen der Regelungen des Distrikts X, konnten Gefangene verschwinden. Es war die Angst, gemischt mit der Faszination, nicht mehr zu existieren und keine Spur zur hinterlassen. Offiziell wusste keiner wohin die Vermissten verschwanden. Inoffiziell wurde gemunkelt, dass die alten leeren Gebäude zur Exekution genutzt wurden. Es war eine interessante Frage. Was sollte man mit den Gefangenen machen, in einem Distrikt, in dem sie nichts mehr zu verlieren hatten? Sie riskierten, die anderen anzustacheln, vor allem die, die Strafen für Sicherheitsdelikte erhalten hatten.

Ich verbrachte mehrere Monate im Quartier 4, dem für lebenslängliche Strafen. Dann wurde ich in das Quartier 9 transferiert. Ohne meine Zellengenossinnen, die ich sehr gemocht hatte. Die Verdammten zeigten viel Menschlichkeit, mehr als die Anderen. Es war ein Paradox. Man versicherte mir, dass ich den Rest meiner Strafe, also meines Lebens, hier verbringen würde. Ich lernte Tibalt kennen. Zuerst war ich misstrauisch, doch dann erschien es mir offensichtlich. Ich hatte mein Leben lang Frauen geliebt, und jetzt würde ich mich in einen Mann verlieben.

Er stellte mich dem Rest der Einheit vor. Wir waren insgesamt fünf und jeweils zwei, also er und ich, teilten sich eine Zelle. Ich wollte sie nicht mehr verlassen. Er wagte es, mir die Hand zu reichen, um mich zu begrüßen. Sogar diese Geste war intim, in diesem Ort, wo körperlicher Kontakt auf das mindeste reduziert war. Wir fühlten uns sofort miteinander verbunden. Das Trauma meiner Vergewaltigung und meiner Verhaftung brannte in mir. Ich erzählte es ihm am Folgetag. Er schloss mich in die Arme, so fest, dass ich hätte zerbrechen können. Seine Umarmung überwältigte mich. Ich hatte keine Angst mehr, ich war in Sicherheit und spürte es deutlich. Ich würde mich durchbeißen, auch wenn ich bis zu meinem letzten Atemzug eingesperrt sein würde. Ich war mir sicher, dass Tibalt und ich zusammen sterben würden. Wir sprachen lange über unsere jeweiligen Strafen. Seine war das Ergebnis einer finanziellen Spekulation, in der Zeit, in der er Funktionär gewesen war. Ich war beeindruckt. Er kam aus der oberen Schicht Belgrames. Die Straftaten, die im Distrikt O geschahen, wurden entweder mit der Höchststrafe sanktioniert oder unter den Teppich gekehrt, wenn dies möglich war. Tibalt war wegen Steuerhinterziehung und für Missbrauch der Sexualität der Arbeiter angeklagt worden. Die Geschichte war düster und war aus mindestens zehn Kompromissen entstanden. Tibalt zahlte den Preis für die seinen und nahm dies auf sich. Ich fragte mich manchmal, ob seine Festnahme eine Erleichterung für ihn gewesen war.

Wir planten dann zu fliehen. Aber nur einen kurzen Moment lang. Es war nicht realistisch und wir hatten nicht die Kraft der Rechtsgarde entgegenzutreten und riskierten somit zu verschwinden. Unter diesen Umständen war es unmöglich. Tibalt ermutigte mich, meine restlichen Erinnerungen aufzuschreiben. Nicht über diese tragische Nacht, sondern über die restlichen Jahre in Belgrame, die zwar nicht schöner aber freier gewesen waren als die jetzigen. Er war der Überzeugung, dass es einen neuen Prozess geben sollte. Das erste Mal, dass er es erwähnte, musste ich lachen. Aber sein Vertrauen, sein Selbstbewusstsein und seine Güte brachten mich zum Überlegen. Tibalt war mein Freund, er verstand mich. Er hatte keine Angst vor Tragödien und hatte kein Mitleid mit meinem Schicksal. Im Gegenteil, er war sich sicher, dass es sich um einen Irrtum handelte, und dass ich um Resozialisierung bitten konnte. Um ehrlich zu sein, war das Einzige, was ich wollte, dass man mir meinen Körper zurückgab. Im Distrikt X war er Einschränkungen unterworfen. Der Chip wurde immer aktualisiert und meine Libido kontrolliert. Dies war für mich bisher okay gewesen. Aber jetzt wo Tibalt mich umarmte und mir erlaubte, meinen Kopf auf seine Schultern oder seinen Schoß zu legen, fand ich es manchmal schade, dass es nicht weiterging. Meine Lust, die vergraben gewesen war, versuchte sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen. Aber es waren Blitzerinnerungen, die mich mitten in der Nacht aufweckten. Die Rechtsgarde zwang mich mehrmals aus meiner Zelle wegen Ruhestörung und drohte mir. Ich war unfähig, mich zu kontrollieren: waren es die Überreste von dem, was mir passiert war, aber an die ich mich nicht erinnern konnte?

Aus Zweifel heraus schrieb ich alles auf. Es wurde zur Gewohnheit. Tibalt brachte mich dazu, meine Wut auszuleben und liebkoste mich häufig. Ich musste mich an ihn drücken, seinen Geruch aufnehmen, den eines Menschen, den viele hier verloren hatten. Ich liebte es an seiner Seite zu sein, und wir hatten eine Lösung gefunden, um nach der Ausgangssperre unsere Betten zu verlassen. Unsere Mitgefangenen aus den benachbarten Zellen hatten einen Präsenzsimulator erstellt, den wir anmachten, sobald das Licht aus war. So konnte ich mich in Tibalts Bett schleichen, mich an ihn kuscheln und spüren, wie er seine Arme um meinen kaputten Körper legte. Es dauerte Wochen, oder vielleicht länger. Wir waren eins und der Gedanke, sie könnten uns trennen, schmerzte.

Eines Abends, an dem Zärtlichkeit und Lust mich überfielen, strebte ich danach, das zu spüren, was ich für immer verloren geglaubt hatte. Was man mir gestohlen hatte. Wie würde er reagieren? Wozu war er in der Lage? Mir war die Orientierung, die ich anfangs gesucht hatte, egal. Ich wollte ihn. Auf der Stelle. Es war stockfinster und die Stille in der Zelle führte uns dazu, das unvergessliche zu tun. Ich suchte seinen Mund, um dort einen flüchtigen Kuss zu platzieren. Instinktiv schob er seine Hand in meinen Nacken und zwang mich dazu, den Kuss zu wiederholen. Er hatte es sich ersehnt, das war offensichtlich. Meine Sinne übertrumpften meine Klarheit und meine Angst. Ich fand mich rittlings auf ihm wieder, und wölbte die Decke über unsere Körper. Meine Nase streifte seinen Hals, ich inhalierte seinen sinnlichen Geruch. Ich wollte ihn so nah an mir spüren wie nur möglich. Ich spürte seinen Steifen durch seine Uniform, die ich versuchte ihm auszuziehen. Ich hielt mein seit Wochen angestautes Verlangen nicht länger zurück. Trotz der chemischen Kastration gewann meine Lust, die mich nie richtig verlassen hatte, wieder die Überhand. Ich stürzte mich auf ihn. Ich bekämpfte mit Erfolg mein Trauma, ihn in meinem Anfall von ehrlichem Begehren zu ersticken. Tibalt umschloss mich, ich bebte von dem Gefühl seiner Hände auf meiner nackten Haut. Ich wagte es nicht, seinen anschwellenden Penis anzuschauen. Ich spürte ihn an meiner Vulva. Er war zart, viel rücksichtsvoller als meine bisherigen Geliebten. Ich würde zum ersten Mal mit einem Mann schlafen und ich war überwältigt. Die Vergewaltigung zählte nicht. Ich brauchte Tibalt, damit er alle ihre Spuren verwischte, er sollte mein erster Proberitt sein. Ich wusste nicht, ob ich die Oberhand behalten sollte, aber es war notwendig für mich. Mit meiner Hand streichelte ich seine muskulöse Brust, blind, sodass alle meine Sinne intensiviert wurden. Meine Finger wurden gieriger je mehr ich den wundervollen Körper meines Partners erkundete. Das Verlangen kroch durch meinen Körper, sodass ich leicht schwankte. Tibalt packte plötzlich meinen Hintern und streichelte seine Konturen, von meinem Rücken bis in die Innenseite meiner Schenkel. Seine langen Finger flogen über meine brennende Haut. Das Fehlen von Wörtern war aufregend. Sein Zeigefinger näherte sich meiner Öffnung, die feuchter war als je zuvor. Er hatte nichts vergessen. Er war bereit. Ich richtete mich vor ihm auf, streckte meine Brüste für ihn aus, eine Show, die er nicht sehen konnte. Er vergrub seinen Mund in meinem Hals und ließ dabei einen Seufzer entkommen. Er hob sich leicht an, um einen meiner Nippel, und schließlich den anderen zu küssen. Seine Zunge streifte jede Seite. Meine Klitoris schwoll an. Seine gekonnten Bewegungen hätten mich zum Höhepunkt führen können. Es wäre leicht gewesen, aber es war nicht sein Ziel. Ich wollte ihn in mir spüren. Ich wollte einen Neuanfang. Ich ergriff seinen steifen Penis, und ging mit meiner Hand auf und ab. Ich hielt mich davon ab, ihn in den Mund zu nehmen. Mit einem Ruck ließ ich ihn in mich eindringen. Das Gefühl berauschte mich und ich hielt meinen Schrei nicht zurück. Ich wölbte mich und bewegte mein Becken im Rhythmus meiner Gelüste. Tibalt begleitete meine Bewegungen, umfasste meinen Hintern, und drang tiefer in mich ein. Sein Kuss überraschte mich. Er war leidenschaftlicher, tröstlicher als der erste. Er heilte mich. Das Gefühl benebelte mich. Die Angst und der Schmerz quollen ab. Tibalt streichelte meinen Bauch, meinen Rücken, er suchte wieder meinen Mund, während ich meinen Körper wieder mit der Ekstase versöhnte. Meine Vagina rieb gegen Tibalts Erektion, und meine Klitoris schwoll immer weiter an. Ich war kurz davor zu kommen, ich spürte, wie sich meine Vagina fester um den Phallus meines Partners schloss. Sein Stöhnen kam mit meinem überein. Ich hatte kaum Zeit seinen letzten Stoß willkommen zu heißen, da ergriff mich der Orgasmus, und ich wusste, dass auch er gekommen war. Er griff nach meinen Haaren und hauchte einen Kuss auf meinen Schädel. Ich brach über ihm zusammen, Tränen, die er nicht sah, rollten über meine Wangen.

Ich hatte nie wieder Angst vor der Dunkelheit. Ich erwartete sie jetzt sogar mit Ungeduld. Je mehr wir uns einander hergaben, desto schneller hatte ich das Gefühl zu heilen. Tibalt gab mir Kraft und befriedigte mich. Sex im Distrikt X zu haben, schien mir früher unmöglich, aber die Möglichkeit, Ärzte zu schmieren und das Mitgefühl mancher Wachen machten es möglich. Wir blieben vorsichtig aber hatten unsere Angewohnheiten. Wir hatten uns dazu entschieden, die Programmierung unserer Chips zu ändern und somit die chemische Kastration, die im Distrikt X Pflicht war, zu verhindern. Wir hatten den verantwortlichen Arzt mit ein paar sexuellen Dienstleistungen bestochen. Tibalt und ich waren nicht nach seinem Geschmack und so nutzte er andere Gefangene des Quartiers, die nach Orgasmen strebten. So lange alle damit glücklich waren, konnten wir friedlich unsere Liebesspielchen treiben. Zum ersten Mal war ich glücklich, dass auch er lebenslänglich hatte. Der Gedanke, ohne ihn aufwachen zu müssen, in einem leeren Bett einschlafen zu müssen, beängstigte mich.

Mir ging es besser, ich hatte mich noch nie so munter gefühlt. Ich fühlte mich schön. Ich fand mein sexuelles Verlangen wieder, das ich verloren geglaubt hatte. Die Spuren der Schläge und der Gewalt heilten langsam. Ich glaubte nicht, dass sie verschwinden würde, aber ich würde sie heilen lassen. Ich hatte erneut den Drang nach Wollust. Ich wollte mein Begehren voll ausleben.

Im Laufe unserer Zeit wurden wir Zeugen mancher Entlassungen. Man hatte mich als Verwalter für den Papierkram des Quartier 9 eingestellt. Ich musste eine Stelle haben, damit sie rechtfertigen konnten, mich zu ernähren und zu beherbergen. Die Gefangenen lebten nicht vom Geld des Staates. Tibalt hatte eine Stelle als Buchhalter. Es schien absurd, wenn man an seine Straftat dachte. Aber er war eben begabt. Ich kümmerte mich also um die Resozialisierungsanfragen mancher Verdammten. Ein Jahr, drei Jahre, zehn Jahre Haft. Ich bemerkte, dass es für jeden von ihnen einen Ausweg gab. Sie verließen immer den Distrikt X. Anfangs interessierte es mich nicht, doch dann wurde ich neugieriger. Ich fragte mich, wo sie hingingen und wie sie es schafften. Schließlich gewann mein Neid die Oberhand. Auch wenn ich nicht vorhatte, Tibalt zu verlassen, deprimierte mich der Gedanke, dass ich niemals hätte hier landen sollen. Das Gefühl von Ungerechtigkeit kam zurück. Sie waren verteidigt worden, man hatte sie vor dem System geschützt. Und sie hatten sogar eine Straftat, vielleicht sogar ein Verbrechen begangen! Ich hatte gar nichts getan. Ich war das Opfer.

Meine Albträume kamen zurück, beängstigender als zuvor. Ich verlor meinen Appetit, auch den sexuellen. Ich hatte das Gefühl zu fallen. Tibalt bemerkte es und ermutigte mich dazu aufzuschreiben woran ich mich erinnerte. Er war davon überzeugt es würde von Nutzen sein. Er wollte, dass ich einen neuen Prozess bekam. Mit einem guten Anwalt. Er war der Meinung, ich wäre einfach blind verurteilt worden. Auch er war blind, aus Liebe zu mir.

„Du kommst raus! Ich verspreche es dir!“

– „Ohne dich? Das ist doch lächerlich.“

– „Es geht nicht um mich, es geht um deine Freiheit. Ich wäre glücklicher, dich frei zu wissen. Du bist keine Verdammte. Du wirst es nie sein.“

Seine Worte zeigten, dass er besorgt war. Ich beachtete es nicht und fuhr mit meiner Arbeit fort. Ich versuchte meine Gefühle zu ignorieren. Und eines Morgens, obwohl ich den Gedanken, den verrückten Gedanken, jemals frei zu sein, in eine Ecke meines Hirns gezwängt hatte, kündigte mir Tibalt an, dass ein Anwalt kommen würde, um mich anzuhören. Mehr sagte er nicht und ich musste ihm versprechen, es niemanden zu verraten. Ein Anwalt würde zu mir kommen. Eines Abends schlug Tibalt vor, das Abendessen auszulassen und stattdessen ins Kontrolllabor zu gehen. Wir trafen uns häufig dort. Die Atmosphäre war merkwürdig. Angespannt. Tibalt war hektisch und verrückt vor Verlangen. Er wollte mich. Es erfasste mich ebenfalls und ich begleitete ihn in seinem Wahnsinn. Es war intensiv und melancholisch zugleich.

Ich erinnere mich, wie ich spürte, dass es der Anfang der Katastrophe war, ohne etwas dagegen tun zu können. Ich erinnere mich an diese unzähmbare Lust, die mich dazu führte, Tibalt in die Isolationsräume zu führen, die eigentlich für unruhige Häftlinge waren. Wir hatten die Schlüssel geklaut, um uns dort einzuschließen. Ich war gierig, ich wollte, dass er mich nahm. Es war ein wildes, fast tierisches Verlangen, das ich mir nicht erklären konnte. Er begriff es in dem Augenblick, in dem ich meine Uniform auszog und nackt vor ihm stand. Er lächelte und ich stürzte mich auf ihn, küsste seine Lippen, umschlang seinen Hals. Ich wollte ihn spüren wie beim ersten Mal. Ich fühlte wie er hart wurde. Ich öffnete seinen Reisverschluss und führte seinen erigierten Phallus bis zu meiner feuchten Vulva. Er drang mit einem harten Stoß in mich ein und Tibalt packte meine Hüfte. Ich drückte mich an ihn, um ihm zu zeigen, dass ich ihn noch tiefer wollte. Ich wollte voll genießen wie er in mich rein und raus glitt, mich hart rannahm. Ich musste ihn spüren. Er seufzte vor Anstrengung, ich stöhnte vor Lust. Meine Klitoris rieb an seinem Schambein. Sie schwoll an, war kurz vor der Explosion. Unsere Orgasmen kamen zur gleichen Zeit. Plötzlich. Ich ließ ihn in mir kommen, genoss sein Sperma in mir, das ich nicht sah, aber das mir so viel bedeutete. Wir nahmen uns in die Arme. Tibalt war noch immer in mir und ich wollte ihn so lange dortbehalten wie ich konnte. Unsere Verbundenheit war unerschütterlich. Sie würde es immer sein.

*

Es war nach dieser Nacht, dass ich von seinem Verschwinden erfuhr. Die Tränen hatten meine Wut gehemmt. Ich war am Ende. Ich hatte die ganze darauffolgende Nacht geweint, und auch die Nacht danach. Der Anwalt sollte in zwei Tagen kommen. Ich war vorbereitet, aber nicht bereit. Die letzten Jahre meines Lebens wieder zu erleben war die Hölle gewesen.

Ich war mir sicher, dass Tibalt sein Verschwinden verhandelt hatte. Ich hatte nicht vergessen, dass er früher ein hohes Tier gewesen war. Alles war möglich in Belgrame. Eine meiner Mithäftlinge hatte meine Vorahnung bestätigt, ohne jedoch Klartext zu sprechen. Sie hatte mir auch gezeigt, dass wir zu harmonisch waren und wir so dem Distrikt X einen schlechten Ruf gaben. Wir waren glücklich gewesen in einer Welt, in der Elend herrschen sollte. Und das ohne Bestrafung. Wir waren Störelemente.

Wenige Stunden vor dem Treffen gewann ich meine Kräfte zurück. Die Jahre als Gefangene hatten mir beigebracht, meine Wut zu kontrollieren. Sie war echt, aber vom Restlichen war ich geheilt. Tibalt hatte mir meine Menschlichkeit zurückgegeben, und obwohl ich ihn nie wiedersehen würde, würde ich dieses Geschenk immer bei mir haben. Als der Wächter meine Zelle öffnet und mich in das Besuchszimmer führt, fühle ich wie mein Blatt sich wendet. Warum würde der Anwalt sonst kommen? Anschließend würde ich Tibalt finden.

Man setzt mich auf einen weißen Metallstuhl, mit derselben herablassenden Art wie am Tag meines Prozesses. Aber es gibt einen Unterschied, heute darf ich meine Version erzählen. Man hat mir eine Stimme gegeben. Eine Chance. Alle meine Sinne sind bei mir.

Das glaube ich zumindest, bis der Mann in einer Uniform des Distrikts O gekleidet, den überwachten Raum betritt. Ich spüre einen Knoten in meinem Hals, mein Herz schlägt immer schneller. Ich zittere und lasse den Inhalt meiner Akte auf den Tisch fallen. Ich hatte egal wen erwartet, aber nicht ihn. Ich war wie gelähmt, unfähig aufzustehen. Ich kriege keine Luft mehr, als sich die Tür hinter ihm schließt.

Ich erkenne diesen Blick. Ich würde ihn immer erkennen, obwohl ich dachte, ich hätte ihn dank der Liebe vergessen. Es war derselbe, ob in der Finsternis einer ausgestorbenen Straße oder im Neonlicht dieses Sprechzimmers. Angst würde mich nicht retten, das wusste ich. Wie sollte ich diesem Anwalt erklären, wenn er so tat als würde er sich nicht daran erinnern, dass er es ist, gegen den ich mich verteidigen möchte?

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