Читать книгу Zehn Bücher über Architektur - Vitruv - Страница 36
ZWEITES BUCH Vorrede
Оглавление1. Als Alexander die Welt eroberte, machte sich der Architekt Deino- krates im Vertrauen auf seine Ideen und seine Kunstfertigkeit von Makedonien zum Heer auf, eifrig darauf bedacht, beim König empfohlen zu werden. Aus seiner Heimat brachte er von seinen Verwandten und Freunden Briefe für die hohen Offiziere und Höflinge mit, um leichter (zum König) Zutritt zu bekommen. Freundlich von ihnen empfangen bat er, man solle ihn so schnell wie möglich vor den König führen. Trotz ihrer Zusage zögerten sie, weil sie einen geeigneten Zeitpunkt abwarten wollten. Daher suchte Deinokrates im Glauben, man halte ihn zum Besten, Hilfe bei sich selbst. Er war nämlich sehr groß, hatte ein angenehmes Äußeres, eine sehr schöne Gestalt und ein sehr würdevolles Aussehen. Im Vertrauen also auf diese Gaben der Natur legte er in seiner Herberge seine Kleidung ab, salbte seinen Körper mit Öl und bekränzte sein Haupt mit Pappellaub. Seine linke Schulter bedeckte er mit einem Löwenfell. In seiner Rechten hielt er eine Keule. So ging er auf den Hochsitz des Königs zu, der gerade Recht sprach. 2. Da der ungewöhnliche Auftritt das Volk (von Alexander) abgelenkt und Deinokrates zugewandt hatte, erblickte ihn auch Alexander. Voller Verwunderung befahl er, ihm Platz zu machen, damit er herankäme, und er fragte ihn, wer er sei. Jener aber sagte: „Ich bin Deinokrates, ein Architekt aus Makedonien. Ich bringe Dir Pläne und Entwürfe, die Deiner, erlauchter Herrscher, würdig sind. Ich habe nämlich dem Berg Athos die Form einer männlichen Statue gegeben, in deren linker Hand ich die Mauern einer sehr umfangreichen Stadt dargestellt habe, in deren Rechten ich eine Schale angebracht habe, die das Wasser aller Flüsse, die an diesem Berge fließen, auffangen soll, damit es sich von dort ins Meer ergieße“67. 3. Beeindruckt von der Eigenart des Entwurfs, fragte Alexander sofort, ob denn da auch ringsherum Ländereien wären, die die Bürgerschaft mit Feldfrüchten ernähren könnten. Als er dann herausgefunden hatte, daß das nur durch überseeische Zufuhr möglieh sei, sagte er: „Deinokrates! Der hervorragenden Gestaltung Deines Entwurfs widme ich meine volle Aufmerksamkeit, und ich bin von ihr beeindruckt. Aber ich bemerke, daß, wenn jemand dorthin eine Pflanzstadt führen würde, seine Urteilskraft eine schlechte Note erhalten würde. Wie nämlich ein neugeborenes Kind ohne die Milch seiner Amme nicht ernährt und die Stufenleiter des Wachstums emporgeführt werden kann, so kann eine Bürgerschaft nicht ohne Ländereien und deren Früchte, die in ihren Mauern zusammenströmen, wachsen, und sie kann ohne Überfluß an Nahrungsmitteln nicht eine große Einwohnerschaft haben und die Bevölkerung nicht ohne Vorräte ernähren. Wie ich daher glaube, daß man Deinen Entwurf anerkennen muß, so muß man m. E. die Wahl des Ortes mißbilligen. Jedoch ist es mein Wille, daß Du um mich bist, weil ich mich Deiner Hilfe bedienen will.“ 4. Seit dieser Zeit wich Deinokrates nicht von der Seite des Königs und folgte ihm nach Ägypten. Als Alexander dort einen auf natürliche Weise geschützten Hafen, einen hervorragenden Handelsplatz, fruchttragende Äcker in ganz Ägypten ringsum und die großen Vorteile des gewaltigen Nilflusses bemerkt hatte, beauftragte er ihn, die nach ihm benannte Stadt Alexandria62 anzulegen. So kam Deinokrates, empfohlen von seiner Schönheit und seiner würdevollen Gestalt, zu solchem Ansehen. Mir aber, Imperator, versagte die Natur körperliche Größe, das Alter hat mein Gesicht entstellt, Krankheit hat mir meine Kräfte genommen. Da mir nun diese Hilfsmittel versagt sind, werde ich mich, wie ich hoffe, mit Hilfe meiner Wissenschaft und meiner Schriften bei Dir empfehlen. 5. Ich habe im ersten Buch die Aufgabe der Architektur und den Umfang der Baukunst genau beschrieben, ebenso die (Anlage der) Stadtmauern und die Einteilung der Bauplätze innerhalb der Stadtmauern. Als natürliche Reihenfolge sollte nun folgen, daß dargelegt wird, welche Proportionen und Symmetrien die heiligen und öffentlichen Gebäude und ebenso die privaten Häuser haben müssen. Jedoch glaubte ich, das erst behandeln zu sollen, nachdem ich vorher hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Baustoffe, durch deren Zusammenfügung mit Mauer- und Zimmerwerk Gebäude errichtet werden, auseinandergesetzt habe, welche guten Eigenschaften sie bei der Verwendung haben, und gesagt habe, aus welchen natürlichen Grundstoffen sie zusammengesetzt sind. Bevor ich aber beginne, die von der Natur geschaffenen Dinge zu behandeln, will ich vorausschicken, wie man überhaupt ursprünglich zum Bau von Gebäuden gekommen ist und wie man sie, nachdem man sie erfunden hatte, vervollkommnet hat, und ich +68 werde den Forschungsergebnissen derjenigen Schriftsteller folgen, die die Anfänge der Dinge in der Vorzeit und die Anfänge menschlicher Gesittung erforscht und in ihren Lehrschriften dargelegt haben. Und ich werde es so darstellen, wie ich es von ihnen gelernt habe.
5. Cum autem primo volumine de officio architecturae terminatio- nibusque artis perscripsi, item de moenibus et |33| intra moenia arearum divisionibus, insequatur ordo de aedibus sacris et publicis aedificiis itemque privatis, quibus proportionibus et symmetriis debeant esse uti explicentur, non putavi ante ponendum, nisi prius de materiae 5 copiis, e I quibus conlatis aedificia structuris et materiationibus perficiuntur, quas habeant in usu virtutes, exposuissem, quibusque rerum naturae principiis essent temperatae, dixissem. Sed antequam naturales res incipiam explicare, de aedificiorum rationibus, unde initia ceperint et uti creverint eorum inven|10|tiones, ante ponam et insequar + 68 inventiones perquisitas eorum scriptorum, qui ingressus antiquitatis rerum naturae et initia humanitatis praeceptis dedicaverunt. Itaque quemadmodum ab his sum institutus, exponam.