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Оглавление17. April 1947
Pawel lag auf Esthers Bett, rauchte und verlor sich in Tagträumen. Aus dem Bad drang das Plätschern der Dusche. Als er in den Baumweg gekommen war, hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, sich zu verlieben. Viel zu sehr war er damit beschäftigt gewesen, seinen leeren Magen zu füllen und den Rachedurst seines Herzens zu stillen. Esther las nicht nur in seiner geschundenen Seele wie in einem offenen Buch, sie zeigte ihm auch bereitwillig, dass das Leben mehr zu bieten hatte als den Wunsch nach Vergeltung. Pawel hatte völlig vergessen, wie es war, mit einer Frau zusammen zu sein.
Seit zwei Wochen teilte er Tisch und Bett mit ihr. Esther liebte das Leben und genoss jeden Tag, als wäre es der letzte. Sie weckte in ihm Gefühle, von denen er angenommen hatte, sie wären in den Krematorien der Lager längst zu Asche verbrannt. Bald stellte er verwundert fest, dass er Esthers Zuneigung aufrichtig erwiderte und sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen konnte.
Dass er sich endlich satt essen konnte und ein Dach über dem Kopf hatte, war hingegen auch nicht zu verachten. Er rekelte sich wohlig unter der warmen Decke, blies genießerisch den Tabakrauch durch die Nasenlöcher und dachte an die rothaarige Wildkatze, die nebenan duschte. Wer hätte gedacht, dass sich sein Leben so plötzlich ändern würde? Esther war nicht nur die perfekte Partnerin, die er brauchte, um sein Versprechen einzulösen. Sie war zugleich die Frau, die alle seine Sehnsüchte erfüllte, ihn verstand, redete und zuhörte, mit ihm litt und liebte; und sie entfachte auch in ihm wieder das Feuer, lieben zu können.
In den ersten drei Nächten nach dem Mord hatte er von Mitschke geträumt, tagsüber hatte ihn die Angst geplagt. Die Polizei suchte intensiv nach dem Mörder. In einem Nachruf war der Schrotthändler als freigiebiger Gönner und angesehener Bürger von Wiesbaden beschrieben worden. Kein Wort verlor der Verfasser über Mitschkes SS-Vergangenheit und die Verbrechen, die er mit Sicherheit begangen hatte.
Das quälende Gefühl, einen Menschen getötet zu haben, wich allmählich der Befriedigung, die Welt von einem Scheusal befreit zu haben. Nicht zuletzt die langen Gespräche mit Esther trugen dazu bei, Pawels Gewissen zu beruhigen. Den Wachmannschaften in Sachsenhausen war das Töten leichtgefallen, als würden sie ein lästiges Insekt zertreten. Pawel fragte sich, ob es ihm irgendwann genauso gehen würde. Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, bis man sich daran gewöhnte. Zögernd gestand er sich ein, dass er sich nach dem rauschartigen Zustand zu sehnen begann. Wie ein Opiumsüchtiger, der einmal die Wirkung der Droge gekostet hatte, wollte er mehr. Und schließlich führte er nur aus, was Esther ihm aus der Thora zitierte. Die unschuldigen Opfer des Massenmords schrien nach Rache und Pawel fühlte sich als Gottes Werkzeug; als ein Heilsbringer, der durch seine Vergeltung die Schuld des Überlebens von den Schultern der Opfer und seinen eigenen nahm.
Er sprach indessen mit niemandem darüber. Weder Esther noch Jaron oder Ari wussten, was in ihm vorging. Seine Geliebte bewunderte ihn dafür, dass er Mitschke kaltblütig erschlagen hatte, und er beließ sie in dem Glauben, dass ihm das Töten nichts ausmachte. Dass ihn sein Gewissen durchaus quälte, behielt er für sich.
Jaron und Ari waren nach wie vor nicht begeistert von ihm, taten jedoch, was Esther anordnete, und sie ließ sich von Pawel leiten.
Er drückte die Kippe im Aschenbecher aus und schaute blinzelnd in die Abendsonne, die rotgolden durch die Ritzen des Rollos schien. Welch seltsame Kapriolen das Schicksal manchmal schlug. Vor knapp zwei Wochen hatte er das Leben eines hungernden Streuners geführt. Nun hatte er eine starke Frau an seiner Seite und Einfluss auf eine gewaltbereite Truppe, dessen Kämpfer das Gleiche wollten wie er: Rache.
Esther kehrte mit einem Schwall feuchtwarmer Luft im Schlepptau ins Zimmer zurück und kroch nackt unter die Bettdecke. Sie kuschelte sich an ihn und seufzte zufrieden.
»Haben die beiden Hasenfüße alles organisiert?«, fragte er.
Esther boxte ihn gegen den Arm.
»Du sollst nicht so abfällig über sie reden. Sie sind nicht so wie du oder ich, trotzdem verfolgen sie dasselbe Ziel.«
Pawel brummte eine Antwort und fuhr spielerisch durch ihr herrliches, gelocktes Haar.
»Dann schlagen wir heute Nacht zu«, sagte er.
»Endlich«, bestätigte Esther. »Wenn du mich fragst, bist du übervorsichtig.«
»Besser, vorsichtig zu sein, als in einer Gefängniszelle zu landen«, antwortete er. »Wenn noch ein Mord bekannt wird, zählt die Polizei eins und eins zusammen.«
»Na und? Niemand kann dich mit Mitschkes Tod in Verbindung bringen.«
»Du vergisst, dass Gomulka mich erkannt hat. Sie suchen alle Männer, die sich auf die Stelle bei Mitschke beworben hatten.«
Sie küsste ihn auf die Brust. »Und wenn schon. Die Stadt ist groß.«
»Lass uns aufstehen. Wir müssen los«, drängte er.
Sie fuhr mit ihren schlanken Fingern an seinem Bauch entlang. »Eine halbe Stunde haben wir noch.«
Das sah Pawel ein.
Die Dämmerung war einer mondlosen Nacht gewichen, als sie sich mit vier anderen Mitgliedern der Gruppe trafen, die sich auf Esthers Vorschlag hin Sikarier nannten. Die Messermänner hatten während der römischen Besetzung Palästinas zum Terroristenkader der gewaltbereiten Zeloten gehört, die sich mit allen Mitteln gegen die verhassten Eroberer gewehrt hatten. Wie die zum Widerstand gegen die Römer bereiten Juden einten die Mitglieder der Gruppe zwei starke Gefühle: der Hass auf die Deutschen und das Verlangen nach Vergeltung.
Anfangs hatte sich Pawel unwohl unter all den Juden gefühlt. Er gab sich zwar als solcher aus, besaß aber überhaupt keine Kenntnisse über die jüdische Kultur. Als Esther ihm auf den Zahn gefühlt hatte und misstrauisch geworden war, gestand er kleinlaut, dass seine Eltern zwar polnische Juden gewesen seien, ihren Glauben jedoch nicht praktiziert hätten. Aus diesem Grund sei er auch nicht beschnitten. Er verstand es geschickt, in ihr Mitleid zu wecken über seine Unkenntnis, der er sich vorgab zu schämen. Noch am selben Abend begann sie, ihn zu unterrichten. Und zwar nicht nur in den religiösen Gepflogenheiten ihres Volkes, sondern auch in der Praxis der jüdischen Liebeskunst.
Nun saß er auf einem der Sofas im Gemeinschaftsraum, studierte die Gesichter der anderen und lauschte Esthers mitreißenden Worten. Ari war bleich wie ein Toter. Er hat Angst, dachte Pawel. Am liebsten würde er sich in ein Loch verkriechen, doch der Druck der Gruppe ist zu stark.
Dabei war der neue Plan geradezu narrensicher. Drei Tage lang hatte er Bolkow beschattet. Da Esther ein Zimmer unter dem Dach bewohnte und der frühere Kapo als Hausmeister im Gemeindezentrum ein und aus ging, musste Pawel höllisch aufpassen, ihm nicht über den Weg zu laufen. Eine Begegnung mit ihm hätte ihr Vorhaben zunichtegemacht.
»Hast du ihm aufgetragen, was ich gesagt habe?«, fragte er.
»Isaak wird Bolkow gleich bitten, wegen des anstehenden Gottesdienstes für heute Schluss zu machen«, antwortete Esther. »Wenn er sich auf den Weg gemacht hat, warten wir zehn Minuten, dann fahren wir ihm nach.«
Pawel nickte zufrieden.
»Wer verkündet das Urteil?«, fragte ein hagerer Mann mit abstehenden Ohren, dessen Namen Pawel vergessen hatte.
»Ich bin das Opfer und darum klage ich auch an«, antwortete Pawel. »Wen habt ihr zum Vollstrecker gewählt?«
»Das Los ist auf Ari gefallen«, sagte Jaron.
Darum ist er so blass, wurde Pawel klar.
»Weiß jeder, was er zu tun hat?«, rief Esther in die Runde.
Alle nickten, einige unmerklich, andere mit grimmiger Entschlossenheit.
»Gut. Ich sage Isaak Bescheid.«
Esther verließ den Raum. Niemand sprach ein Wort. Ari starrte auf einen Fleck auf dem Fußboden.
Der Feigling wird kneifen, dachte Pawel, und uns irgendwann alle auffliegen lassen.
Esther kam zurück und blickte die Männer der Reihe nach an. »Was macht ihr denn für Gesichter? Ihr seid ein Haufen Zauderer und Feiglinge.«
Jaron wollte widersprechen, doch Pawel schnitt ihm das Wort ab.
»Was wir vorhaben, fällt keinem von uns leicht. Aber wir tun, was wir tun müssen, weil uns sonst keine Gerechtigkeit widerfährt. Denkt an eure Familien, an eure Väter, Mütter und Kinder, die die Nazis ermordet haben. Ihre Seelen schreien nach Rache.«
Zunächst noch verhalten, stimmten sie ihm nach und nach lautstark zu.
»Es geht los«, sagte Esther.
Jaron fuhr den Laster, den sie bei dem Überfall auf Mitschke benutzt hatten. Pawel nahm auf dem Beifahrersitz Platz und drückte seine schwarze Mütze tief in die Stirn. Esther und die anderen hockten unter der Plane auf der Ladefläche.
Sie fuhren langsam durch die leeren Straßen, Regen fiel lautlos auf das nasse Kopfsteinpflaster. Die Scheinwerfer erfassten eine Gestalt, die über den Gehweg eilte und Schuttbergen auswich, die in die Fahrbahn ragten. Jaron fuhr langsam weiter, bis er Bolkow eingeholt hatte. Pawel kurbelte das Seitenfenster herunter und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen.
»He, Kumpel. Haste mal Feuer?«
Bolkow blieb stehen, klopfte die Taschen seiner Jacke ab und zog ein Zündholzbriefchen hervor.
»Klar«, sagte er, »wart mal ’ne Sekunde.«
Er riss ein Streichholz an und schützte es mit den hohlen Händen. Pawel beugte sich aus dem Fenster, die winzige Flamme beleuchtete flackernd seine Züge.
»Kowna!«
Bolkow riss erschrocken die Augen auf und ließ das Streichholz fallen. Bevor er Fersengeld geben konnte, waren Esther und die anderen von der Ladefläche gesprungen, stülpten ihm einen Sack über den Kopf und fesselten ihn. Eine Minute später jagte der Lastwagen aus der Stadt hinaus.
»Glaubst du, dass es richtig ist, was wir tun?«, fragte Jaron.
Pawel warf die Kippe aus dem Fenster. »Du etwa nicht? Wie viele Mitglieder deiner Familie sind im KZ umgekommen?«
»Alle. Die Schweine müssen bestraft werden, trotzdem will ich kein Mörder sein.«
»Das sind wir nicht. Wir nehmen unser Recht in die eigenen Hände und setzen es durch, das ist kein Verbrechen.«
»Viele Wege führen nach Rom.«
»Den Nazis war jedes Mittel recht, um uns auszulöschen. Mir ist jedes Mittel recht, um Gerechtigkeit zu erlangen«, antwortete Pawel.
Jaron schwieg und steuerte den Lastwagen durch die Nacht.
Auf ihn muss ich aufpassen, ermahnte sich Pawel, er ist genauso weich wie Ari.
Nachdem sie die Randbezirke der Stadt hinter sich gelassen hatten, bogen sie in einem Waldstück auf einen Feldweg ab, der zu einem kleinen See führte. Pawel hatte sich die Gegend vor ein paar Tagen genau angesehen, sie war perfekt geeignet für ihr Vorhaben.
Der Wagen hielt auf einer Lichtung, Jaron stellte den Motor ab. Pawel hörte, wie Esther und die anderen von der Ladefläche kletterten. Das Licht einer Taschenlampe huschte über Baumstämme und dichtes Buschwerk. Das schwarze Wasser des Sees glitzerte wie flüssiges Pech.
Pawel nahm eine Lampe aus dem Handschuhfach und stieg aus. Ari und der Kerl mit den abstehenden Ohren hatten ihre Pistolen gezogen, Esther zog Bolkow den Sack vom Kopf und verpasste ihm einen Tritt. Er stolperte und landete in einer Schlammpfütze. Hastig drehte er sich auf den Rücken und unternahm einen hilflosen Versuch davonzukriechen. Sie hatten seine Beine zusammengebunden, darum konnte er nur unbeholfen strampeln.
Pawel schaltete die Lampe ein und richtete sie auf das kreideweiße Gesicht des ehemaligen Kapos. »Ich habe nicht vergessen, was du mir angetan hast, Bolkow.«
»Das waren andere Zeiten, Kowna. Jeder hat ums Überleben gekämpft.«
»Um dir Vorteile zu verschaffen, hast du gemeinsame Sache mit den Nazis gemacht. Ich habe gesehen, wie du Wozniak, Michalsky und den alten Dudek totgeschlagen hast. Gestehst du deine Verbrechen?«
»Hätte ich nicht gehorcht, hätten sie mich umgebracht. Du weißt doch, wie es in Sachsenhausen zuging, Kowna.« Gehetzt blickte er von einem zum anderen. »Was habt ihr mit mir vor?«
Esther drängte sich nach vorn. »Schluss mit dem Gequatsche. Die Sikarier verurteilen dich zum Tod. Hast du noch etwas zu sagen?«
»Das dürft ihr nicht! Das ist Mord!«
Bolkow kreischte und bemühte sich ungeschickt, auf die Füße zu kommen, aber es gelang ihm nicht. Er rutschte aus und fiel in den Matsch. Jaron zerrte ihn hoch und zwang ihn, sich hinzuknien.
»Ari, komm her!«, rief Esther.
»Einen Augenblick«, sagte Pawel. Er ging vor Bolkow in die Hocke. »Wir können es schnell machen … oder es in die Länge ziehen. Das liegt ganz bei dir.«
»Scher dich zur Hölle, Kowna!«
»Du hast geglaubt, ich wäre in der Scheune verbrannt, so wie die anderen Zeugen, die ihr beseitigt habt, damit niemand gegen euch aussagen kann. Aber ich lebe, Bolkow. Und ich habe jeden Tag und jede Nacht an dich und Theissen gedacht. Ich habe gesehen, wie du mit ihm abgehauen bist. Ich will wissen, wo er ist.« Er drehte sich zu den anderen um, die stumm im Kreis um Bolkow herumstanden. »Vielleicht kann ich dann noch etwas für dich tun.«
»Ich weiß nicht, wo er ist. Wir haben uns gleich am nächsten Tag getrennt.«
»Du brauchst ihn nicht mehr zu schützen«, sagte Pawel.
»Ich weiß es wirklich nicht.«
»Pech für dich.«
Esther gab Ari einen Wink, doch der näherte sich Bolkow nur zögernd. Er war genauso bleich wie der Mann, den er erschießen sollte.
»Mach schon, Ari!«, rief Esther.
»Knall ihn ab!«, forderte ein anderer. »Wir haben uns geschworen, Rache zu üben.«
Ari hob die Pistole, sein Finger krümmte sich um den Abzug. Er zitterte so stark, dass er die Waffe mit beiden Händen fassen musste.
Bolkow spuckte aus. »Es war richtig, euch ins KZ zu stecken, ihr Feiglinge seid nicht mal in der Lage, einen Wehrlosen zu töten.« Er hob den Kopf. »Was ist los? Wer von euch traut sich? Erbärmliches Judenpack!«
Esther drehte sich im Kreis. »Lasst ihr euch das gefallen? Immer noch?«
Niemand rührte sich. Pawel stieß Ari zur Seite und nahm ihm die Pistole ab. Er presste Bolkow die Mündung auf die Stirn und drückte ab. Der Kapo kippte ohne einen Laut zur Seite. Er war tot bevor sein Gesicht auf dem Boden aufschlug.
Pawel sah Esther an. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie atmete stoßweise, als wäre sie um ihr Leben gerannt.
Ich habe es getan, schoss es Pawel durch den Kopf. Ich habe es wieder getan. Es macht mir nichts mehr aus, ich empfinde nur Befriedigung. Ojciec, ich löse mein Versprechen ein, sprach er stumm zu seinem Vater.
»Holt das Seil!«, befahl er.
Keiner reagierte, alle starrten paralysiert auf den Toten.
»Na los!«, schrie Esther. »Oder wollt ihr, dass die Polizei ihn findet?«
Endlich kam Bewegung in die Männer. Sie schleiften die Leiche zum See hinunter. Pawel hatte bereits überprüft, ob er an dieser Stelle tief genug war. Ari und Jaron schleppten einen Mauerbrocken herbei, den sie aus einem zerbombten Haus gestohlen hatten, banden ihn mit einem Strick an Bolkows Füße und warfen den Toten ins Wasser. Das Gewicht zog ihn augenblicklich nach unten. Ein paar Luftblasen waren alles, was von dem früheren Kapo übrig blieb.
Sie verwischten schweigend die Spuren und stiegen in den Laster. Während der Fahrt in die Stadt zurück sprach niemand ein Wort.
Drei Stunden später kroch Pawel zu Esther ins Bett und tastete unter der Decke nach ihrem warmen Körper, aber sie rückte von ihm ab.
»Lass das.«
»Stimmt etwas nicht?«
Er sah in der Dunkelheit ihre Augen leuchten.
»Was hast du gefühlt, als du ihn erschossen hast?«, fragte sie.
»Nichts. Es musste eben erledigt werden, so wie man den Müll runterträgt.«
Er wusste, dass es nicht so war, denn sein Körper bebte und fühlte sich an, als müsse er zerreißen von der ungeheuren Anstrengung. Esther dagegen sollte glauben, dass er stark war und dass es ihm nichts ausmachte, einen Menschen zu töten, der es tausendmal verdient hatte. Er barg sein Gesicht an ihrer Schulter und knabberte an ihrem Ohrläppchen. Esther fauchte wütend und brachte ihm zwei tiefe Kratzer auf dem Handrücken bei. Dann rollte sie sich herum und drehte ihm den Rücken zu.
Pawel lauschte auf ihren Atem und lächelte. Es ging ihr genauso, wie es ihm nach dem Mord an Mitschke gegangen war. Für diese Erkenntnis liebte er sie umso mehr. Sie brauchte nur ein bisschen Zeit, das war alles.
Seine Gedanken kehrten zu Bolkow zurück. Er sann darüber nach, was er wirklich gefühlt hatte, als er abdrückte, und forschte nach einer Spur von Bedauern oder gar Schuld. Unter all den Stimmen der Toten, die ihm zuzujubeln schienen, erhob sich eine, die ihn tadelte. Es war seine Schwester Milena.
»Was ist aus dir geworden, Pawel? Ich erkenne dich nicht wieder.«
Verärgert wälzte er sich herum und versuchte krampfhaft, die störende Stimme zum Schweigen zu bringen. Ganz gelang es ihm nicht, obwohl er sich unentwegt einredete, die Welt von einem Scheusal befreit zu haben. Mit einem Gefühl trügerischer Zufriedenheit schlief er ein. Er träumte von Blut, Gewalt und sinnlosem Tod in dieser Nacht.