Читать книгу Kritik der reinen Verleugnung - Volker Kulessa - Страница 9

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1. Bultmanns Verleugnungen NT Texte

1.1 Als „erledigt“ bezeichneten Texte des NT

„Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches. “ 73

Die nachfolgenden neutestamentlichen Texte sind nach Bultmann daher als erledigt74 anzusehen:

1. „Dem mythischen Weltbild entspricht die Darstellung des Heilsgeschehens, […] In mythologischer Sprache redet die Verkündigung: Jetzt ist die Endzeit gekommen; >als die Zeit erfüllt war< sandte Gott seinen Sohn.“ (Gal 4,4).

2. „Dieser, ein präexsistentes Gotteswesen, erscheint auf Erden als ein Mensch.“ (Gal4,4; Phil.2,6ff; 2.Kor.8,9; Joh.1,14; usw.) usw = konkordant zu den angegebenen Stellen sind: Mk 1,15; Eph 1,10; Joh 1,1-2; 17,5; Jes 53,3; Mt 20,28; 2. Kor 8,9; b) Hebr 2,14; 2,17; Lk 14,11; Hebr 12,2; b) Hebr 5,8; Apg 2,33; Eph 1,21; Hebr 1,3-4; Jes 45,23; Joh 5,23; Offb 5,12-13; Offb 5,13; Mt 8,20; Phil 2,7; 1. Tim 3,16; 2. Mos. 33,18; Jes 60,1; 2. Petr 1,16-17;

3. „Sein Tod am Kreuz, den er wie ein Sünder erleidet, (2.Kor. 5,21; Röm.8, 3) schafft Sühne für die Sünden der Menschen“ (Röm.3, 23-26; 4,25; 8,3; 2 Kor. 5,14 und 19; Joh. 1,29; 1.Joh. 2,2; usw.) usw. = Joh 8,46; Jes 53,4-6; Gal 3,13; Röm 1,17; 1 Kor 1,30; Apg 13,38; 15,10; Hebr 2,17; Röm 5,1; 2. Kor 5,19; Eph 2,8; Mt 26,28; Kol 1,20; Hebr 9,26-28; Röm 8,32; 8,34; Jes 53,4-6; Röm 14,7-8; Röm 3,24-25; Kol 1,19-20; 1 Joh 4,10; Kol 1,20; Joh 11,51-52

4. „Seine Auferstehung ist der Beginn der kosmischen Katastrophe, durch die der Tod, der durch Adam in die Welt gebracht wurde, zunichte gemacht wird.“ (1Kor 15,21f; Röm 5,12ff)

5. „Die dämonischen Weltmächte haben ihre Macht verloren“ (1 Kor 2,6; Kl. 2,15; Apk. 12,7 ff; usw.) usw.= Mt 11,25; Röm 16,25; Apk 20,2; 1. Mose 3,1; Lk 10,18; Apk 11,15; Apk 7,14; Apk 6,9

6. „Der Auferstandene ist zum Himmel erhöht worden zur Rechten Gottes.“ (Act. 1,6ff; 2,33; Röm. 8,34; usw.) usw. = Lk 19,11; 24,21; Mt 24,36; Lk 24,48; Apg 8,1; Mk 16,19; Lk 24,51; Lk 24,4; Lk 21,27; Lk 6,13-16; Joh 7,3

7. „Er ist zum Herrn und König gemacht worden.“ (1 Kor 15,25)

8. „Er wird wiederkommen auf den Wolken des Himmels um das Heilswerk zu vollenden; dann wird die Totenauferstehung und das Gericht stattfinden.“ 1 Kor. 15,23f und 50ff; usw.) usw.= 1. Thess 4,16-17, Röm 8,38, Psalm 110,1, Mt 22,44, Offb 20,14; 21,4; 1. Thess 4,15-17; Mt 24,31; 2. Kor. 5,4; Röm 7,8; 7,11; 7,13; 1. Joh 5,4

9. „Dann werden Sünde, Tod und alles Leid vernichtet sein.“ (Apk. 21,4; usw.) usw. = Apk 7,17; Jes 25,8; Jes 35,10; 65,19

10. „Und zwar wird dies in Bälde geschehen; Paulus meint dieses Ereignis selbst noch zu erleben.“ (1.Thess. 4,15ff; 1. Kor. 15,51f; vgl. Mk. 9,1)

11. „Wer zur Gemeinde Christi gehört, ist durch Taufe und Herrenmahl mit dem Herrn verbunden und ist, wenn er sich nicht unwürdig verhält, seiner Auferstehung zum Heil sicher. (Röm. 5,12ff; 1.Kor. 15,21 ff und 44b ff)

12. „Die Glaubenden haben schon das >Angeld<, nämlich den Geist. “ (Röm. 8,23; 2.Kor. 1,22 und 5,5)

13. „der in ihnen wirkt und ihre Gotteskindschaft bezeugt“ (Röm. 8,15; Gal. 4,6)

14. „und ihre Auferstehung garantiert. “ (Röm. 8,11)

Bultmann zu diesen für das Christentum zentralen Texten: „Das alles ist mythologische Rede, und die einzelnen Motive lassen sich leicht auf die zeitgeschichtliche Mythologie der jüdischen Apokalyptik und des gnostischen Erlösungsmythos zurückführen. Sofern es nun mythologische Rede ist, ist es für den Menschen von heute unglaubhaft.“75

1.1.1 Gegenrede: Gegen die Verleugnung der Substanz

Einen Nachweis für diese Behauptungen hat Bultmann weder mit diesem Aufsatz, und soweit ich überblicke, noch an anderer Stelle vorgelegt, obwohl es doch „leicht“ wäre, wie Bultmanns behauptet. Seine weitreichenden Schlussfolgerungen aus den unbelegten und daher unbegründeten Behauptungen stehen daher auf sehr dünnem Eis und wackeligem Boden. Diese sind daher wissenschaftlich fragwürdig.

Bultmanns Wissenschaftlichkeit muss man deshalb ersten Zweifeln unterziehen. Im Verlauf der Arbeit wird der Nachweis erbracht werden, dass Bultmanns Behauptungen wissenschaftlich nicht zu halten sind.

Schon hier geht es um Alles. Es geht es um den Kern der neutestamentlichen Botschaft, um die Substanz, die alles Christliche ausmacht. Es geht um Gottes Wort, um die apostolischen Texte. Es geht um das Evangelium. Es geht um Tod oder Leben, um das Heil der Welt, um versöhnte Gottesgemeinschaft oder ewiges Verlorensein. Es geht um Wahrheit oder Unwahrheit, um Treue oder Verrat, um Bekenntnis oder Verleugnung.

„Gottes Wort“ heißt: Gott redet. Das bedeutet zweitens seine Persönlichkeit. Gottes Wort ist kein Ding, das zu beschreiben, es ist aber auch kein Begriff, der zu definieren wäre. Es ist weder ein Sachverhalt noch eine Idee. Es ist nicht „eine”, auch nicht die höchste „Wahrheit”. Es ist die Wahrheit, indem es Gottes sprechende Person ist, Dei loquentis persona. Es ist nicht ein Objektives. Es ist das Objektive, indem es das Subjektive, nämlich das Subjektive Gottes ist. Gottes Wort heißt: der redende Gott. Gewiss, Gottes Wort ist nicht etwa bloß die formale Möglichkeit, sondern die gefüllte Wirklichkeit göttlicher Rede. Es hat immer einen ganz bestimmten objektiven Inhalt. Gott redet immer ein concretissimum. Aber dieses götttliche concretissimum ist als solches weder vorherzusagen noch nachzusprechen. Was Gott redet, das ist nie und nirgends abstrahiert von Gott selbst bekannt und wahr. Es wird bekannt und wahr dadurch und darin, daß er selbst es sagt, daß er in Person in und mit dem von ihm Gesagten gegenwärtig ist. “76

Wir meinen, wenn das alles nur m y t h o l o g i s c h e R e d e ist, von der dann noch ein ganz wesentlicher Teil zu streichen ist und ein anderer Teil ganz neu im Sinne Bultmanns gedeutet werden muss, wir meinen, wenn das so ist, d a n n b l e i b t n i c h t s m e h r v o n d e r e i g e n t l i c h e n S u b s t an z des Evangeliums übrig. “77

„Auf dem Spiel steht die Ehre Christi, der die unfehlbare Wahrheit selber ist. Ja, ja – oder nein, nein (Mt 5,37). Verrat oder Treue, Christus-Treue. “ 78

„Wenn das alles so gesagt wird [gemeint sind die vorher aufgezeigten 14 neutestamentlichen Stellen, die von Bultmann als erledigt bezeichnet wurden], was bleibt dann noch übrig? Ein Trümmerhaufen menschlicher Philosophie! Man kann doch nicht eine Erklärung der Schrift für den modernen

Menschen schaffen wollen, mit Hilfe der Unterschlagung wirklichster Wirklichkeiten der Schrift.79

„Nach dem traditionellen Bibelverständnis kann überhaupt keine ernste Parallelisierung zwischen der christlichen Erlösung und der Gnosis gezogen werden. Gnostische Züge wie „trochotomische Konstitution“ des Menschen, „Präexistenz“ eines menschlichen „Funkens“, „schuldlose“ von Dämonen „gefesselt“, „dualistischen“ Konstitution des Menschen mit seinem hylischen und pneumatischen „Ich“, präexistente „Lichtgestalt“ des Erlösers, der sich aus Furcht vor den Dämonen in eine menschliche Natur „verhüllt“ und die „zerfetzten“ Seinen in die ursprüngliche Gestalt zurückkomponiert usw. usw., sind in der christlichen Heilsgeschichte, wie diese von jeher in der traditionellen Exegese interpretiert wird, nicht nur nicht parallel – wie Bultmann feststellen möchte – sondern absurd und ihr diametral entgegengesetzt. “80

„Einige Lehrer der theologischen Wissenschaft […] sind in der Gefahr, bei ihrem Bemühen um eine „Entmythologisierung des Neuen Testaments“; […] den Inhalt der Verkündigung zu vermindern oder gar zu verlieren. […] wir müssen sie fragen, ob sie darüber nicht die Tatsachen verleugnen, die die Schrift bezeugt.“ 81

„die in der Kundgebung gestellte Frage, ob sie [Bultmann und seine Freunde] nicht die Tatsachen verleugnen, die die Schrift bezeugt, war keine Frage, sondern eine in die Form einer rhetorischen Frage gekleidete

Behauptung.“ 82

„Gegenüber den Grundpositionen dieser [Bultmannscher] Theologie erhebt sich für uns die Frage, ob sie mit der evangelischen Lehre und dem Bekenntnis der christlichen Kirche übereinstimmen. […] Wir würden ‘Bedenken gegen die Lehre‘ nicht geltend machen, wenn wir nicht der Überzeugung wären, dass die Lehre, die sich in der theologischen Arbeit dieses Mannes ausspricht, mit der Heiligen Schrift und der Lehre der altkirchlichen wie reformatorischen Bekenntnisse nicht vereinbar ist, da sie die Grundlagen des biblischen Zeugnisses von dem Heilshandeln Gottes in Christus antastet und ihrer Substanz beraubt, indem sie das Heilsgeschehen nicht als Gottes Handeln in der Geschichte mit dem Menschen von Gott her versteht, sondern es mit den Begriffen der Existenz-philosophie vom Menschen her zu interpretieren sucht und es damit grundlegend verwandelt. “83

„Daß unser Glaube auf einem Hineingreifen Gottes, ja einem Hineinkommen Gottes in die Geschichte beruht, an ihm seinen Gegenstand und in ihm seinen Grund hat, kann nur der leugnen, der schon bereits das Evangelium im Sinn seiner zeitlosen Metaphysik – oder was auf dasselbe hinauskommt, im Sinn einer idealistischen Geschichtsphilosophie – versteht und damit missversteht. Gerade das ist ja da spezifisch biblische: die Heilsgeschichte, Gottes Hineingehen in die Geschichte. “84

„Alle Inhalte des christlichen Glaubens haben definitive und Heil schaffende Bedeutung letztlich nur, sofern sie als Offenbarung oder als Handeln Gottes angesehen werden können. Derartige Selbstverständlichkeiten müssen hier wohl kaum ausführlich belegt werden. Als Beispiel sei nur kurz hingewiesen auf Auseinandersetzungen über das Verständnis Jesu Christi. Schon für Athanasius ist der entscheidende Grund dafür, an der Gottheit des Logos festzuhalten, dieser, daß allein Gott die Macht zur Erlösung besitzen kann. Oder Luther erklärt gegen Zwingli: »Dahin führet ihn sein Dünkel und die verdammte Alleosis, daß er die Person Christi zertrennet und läßt uns keinen andern Christum bleiben, denn einen lautern Menschen, der für uns gestorben und uns erlöset habe. Welchs christlich Herz kann doch solchs hören oder leiden? Ist doch damit der ganze christliche Glaube und aller Welt Seligkeit gänzlich weggenommen und verdammt. Denn wer allein durch Menschheit erlöset ist, der ist freilich noch nicht erlöset, wird auch nimmermehr erlöset. »“85

„Wie die angesprochenen Texte [hier vor allem der Römerbrief] zur Genüge zeigen, ist das Evangelium im strengen Sinne >Gottes eigenes Wort<. Es ist deshalb keineswegs einfach mit der apostolischen Predigt identisch, sondern dieser vielmehr prinzipiell verbindlich von Gott her vorgegeben. Von daher muss entschieden dem Urteil R. Bultmanns widersprochen werden, daß das >Evangelium< >technische Bezeichnung für die christliche Verkündigung< sei und schlicht die Bedeutung >Botschaft<,

>Kunde<, >Predigt< habe. (Bei Hofius, Verweis auf R. Bultmann Theologie des NT, 1961, 89; vgl. 275.528).“86

„Ob es aber Gottes eigentliches Wort wirklich ist, […] kann selbstverständlich kein menschliches Kriterium entscheiden. […] Die Antwort aber gibt Gott selbst, in dem er im Evangelium sich selbst als der bezeugt, der in dem Versöhnungshandeln zwischen sich und Christus sein opus proprium hat offenbar werden lassen.[…] Gibt sich Gott durch sein Wort in seinem Selbstsein zu erkennen, so haben wir keine Grund, diese existentielle Begegnung mit dem Wort auf das zu beschränken, was uns zu der Eigentlichkeit unserer Existenz verhilft.87

„Umso gewichtiger aber wird eine Stellungnahme, da es sich bei den von Bultmann aufgeworfenen Fragen um keine peripheren Gesichtspunkte handelt, sondern vielmehr das Zentrum der kirchlichen Verkündigung und Lehre in Frage gestellt wird. Damit ist, den Rahmen theologischer Spezialwissenschaft sprengend, ein „status confessiones“ entstanden und Thielicke Recht zu geben, daß Bultmanns Theologie an die „Fundamente der Kirche rührt. “88

„Die Wahrheit und die Lehre muss jederzeit, öffentlich, beständig gepredigt werden, niemals darf sie gebeugt oder verschwiegen werden, denn in ihr ist kein Ärgernis.“ 89

Die außerordentlich ungewöhnlich erscheinende Art, mit den Texten des Neuen Testaments zu verfahren, wie dies Bultmann in seinem Aufsatz vorschlägt, erzwingt die Frage, was Bultmann bewogen haben könnte, in einer derart zerstörerischen Weise zu verfahren, wie er in diesem hier behandelten Aufsatz beispielhaft verfahren ist. Seine eigene Erklärung, man müsse dem modernen Menschen wieder ermöglichen, das Neue Testament zu verstehen, da er es nicht mehr verstehen könne,90 ist mehr als unglaubwürdig, fadenscheinig und meins Erachtens offensichtlich nur vorgeschoben. Denn:

1. Die These Bultmanns, der Mensch von heute könne das Neue Testament nicht verstehen und an die dort gemachten Heilsaussagen glauben ist allein schon dadurch widerlegt, dass Millionen Christen in aller Welt heute glauben. Den Berichten zufolge werden es ständig mehr in der Welt, auch heute noch.91

2. Und zum anderen, wie zu zeigen sein wird, kann von „Verstehen“ des Neuen Testaments durch Bultmanns Methode keine Rede sein. Dass das genaue Gegenteil der Fall ist, werde ich aufzeigen.

1. ist wissenschaftstheoretisch festzuhalten, dass man soteriologische Fragen nicht nach Maßgabe rezeptionstheoretischer Hypothesen entscheiden kann, da auf diese Weise der zu entfaltende Sachverhalt dem Verständnis oder Unverständnis der jeweiligen Zeit und der jeweiligen Zuhörer unterworfen und damit beliebig manipuliert und entstellt werden könnte.’92 4.

Bei Bultmann, wie gezeigt werden wird, ein Vorverständnis und Annahmen zugrunde liegen, die das Verstehen des Neuen Testaments unmöglich machen. Vgl. hier insbesondere die Kapitel 6.2 und 6.5 und 6.4.3

5. Statt eine dem Neuen Testament angemessenen Hermeneutik zugrunde zu legen, vgl. Kapitel 6, ist Bultmann ganz offensichtlich in der Begrifflichkeit Martin Heideggers „gefangen“, und hat von daher in erster Linie oder sogar ausschließlich das Neue Testament nur danach befragt, ob sie dem Erkennen des Selbstverständnisses des Menschen dienen oder ihm ein neues Selbstverständnis vermitteln können. Das neue Selbstverständnis, ist das Heilsgeschehen für Bultmann, Selbstverständnis, sonst nichts.93 Das nenne ich mit Trowitzsch, eine „angemaßte Ich-Letztlichkeit.“ Selbstbefangen tötet man sich für Gott ab.94

Wir verwerfen die falsche Lehre […], als gehe es bei der Erlösung des Menschen lediglich um Verstehen und Erkennen und sei ein neues Selbstverständnis bereits rettender Glaube. “95

„aber weil sie sich nur an sich selbst messen und mit sich selbst vergleichen, verstehen sie nichts.“ (2 Kor 10,12b)

Es verbietet sich, über Motive, Zielsetzungen und Intention Bultmanns zu spekulieren. Offensichtlich aber ist, dass Bultmann mit einem unübersehbaren philosophischen Vorverständnis vorschlägt, mit wissenschaftlich äußerst fragwürdigen Methoden, wenn nicht gar mit als unwissenschaftlich zu bezeichnenden Methoden, wie ich weiter zeigen werde, an die Texte des Neuen Testaments heranzugehen. Bultmann kommt dabei zu Ergebnissen, die mit dem neutestamentlichen und mit evangelischem Verständnis des Heilswerks Gottes in Jesus Christus für uns Menschen auch nicht entfernt in Übereinstimmung zu bringen sind. Und darin stimmt eine Fülle namhafter Theologen mit mir überein, wie ich mit zahlreichen Zitaten in dieser Arbeit nachweise.

„Im Medium des Heideggerschen Verständnisbegriffs meldet sich zugleich die Herrschaft eines im Grunde intellektuellen Weltbildes an, das für die entscheidenden biblischen Wirklichkeiten einfach keine Antenne mehr haben kann. “96

„Es ist ferner so, daß ich einen tiefen Abscheu in mich aufgenommen habe angesichts des Schauspiels, wie die Theologie es immer wieder vor Allem der Philosophie ihrer Zeit recht machen wollte und daneben ihr eigenes Thema vernachlässigte. “97

Und Bultmann selbst bestätigt diese Vermutung in dem er schreibt: „Vor allem scheint Martin Heideggers existentiale Analyse des Daseins nur eine profane philosophische Darstellung der neutestamentlichen Anschauungen vom menschlichen Dasein zu sein: der Mensch, geschichtlich existierend in der Sorge um sich selbst auf dem Grunde der Angst, jeweils im Augenblick der Entscheidung zwischen Vergangenheit und der Zukunft, ob er sich verlieren will an die Welt des Vorhandenen, des >man<, oder ob er seine Eigentlichkeit gewinnen will. Ist nicht so auch im Neuen Testament der Mensch verstanden?“98

Mit dieser rhetorischen Frage, auf die Bultmann selbst ja nur mit „Ja“ antworten würde, zeigt sich das ganz fundamentale Unverständnis Bultmanns über Charakter und Substanz und Inhalt des Neuen Testaments. Ebenso tritt das Missverständnis über Grund und Ziel aller soteriologischen Aussagen in Bultmanns Aufsatz unübersehbar zutage. Und zu fragen ist, ob das Neue Testament nur vom Menschen redet, wie Bultmann meint, oder stattdessen von Jesus Christus, Gottes Sohn, unseren Herrn die Rede ist und über seine liebende und rettende Beziehung zu uns Menschen, zu seiner ganzen Schöpfung?

Es stellt sich bereits jetzt, schon nach nur den Eingangsthesen seines hier untersuchten Aufsatzes, die Frage, ob von Bultmann, theologisch noch irgendetwas substantiell Christliches zu erwarten ist. Bultmann scheint nämlich hier geradewegs auf nicht mehr als auf die Selbsterlösung des Menschen zuzusteuern.

Daß aber unser Heil ganz und gar „extra nos“ liegt, scheint Bultmann vollkommen fremd, so wie göttliches Eingreifen in die Geschichte ihm völlig unverständlich bleiben muss und auch geblieben ist, was hier gezeigt werden wird. Die in dieser Arbeit versammelte große Fülle an eindeutigen, höchst kritischen, den Ansatz Bultmanns begründet vollständig widerlegende, und daher ablehnende Stimmen aus der theologischen Wissenschaft und Kirche, bestätigen meine Auffassung dahingehend eindrücklich und nachdrücklich, und unabweisbar.

„Wenn ich aber, [wie Bultmann] von der in Jesus Christus mir gewährten Gnade Gottes „absehe“, dann freilich werde ich kaum etwas anderes in Sicht nehmen können als jene ontologische Schichtenanalyse.[…] Und warum soll ich dann nicht existenzphilosophisch sagen, daß der Mensch seine Eigentlichkeit an das „Man“ verloren habe, sie aber in einem Durchbruch nach vorn zurückgewinnen kann? -- Gerade in der deutlich ans Licht tretenden methodischen (und nicht bloß methodischen) Außerachtlassung der freien Gnade aber, d.h. zugleich gerade in der Selbstrechfertigung, die dann unweigerlich unternommen werden muss, liegt die tiefste, die religiöse Gestalt der Sünde, die Sünde, in der der Mensch seiner selbst in einer letzten Tiefe habhaft und in der gleichen Tiefe Gottes_mächtig sein will. […] Wir bekommen die Wirklichkeit des

Menschen nur dadurch in Sicht, daß wir das für den Menschen bestimmte >Evangelium< vernehmen. “99

Ganz entgegen der Denkschrift der Ev. Theologischen Fakultät der Universität Tübingen von 1952, halte ich das Vorgehen Bultmanns für „frivole Überheblichkeit.“100

Das werde ich im Verlaufe der Arbeit weiter begründen. Bultmann beginnt in seinem Aufsatz gleich mit seinem aus meiner Sicht alles Christliche zerstörenden „Werk“ und erklärt zunächst die Substanz des Neuen Testaments für „erledigt“.101

Damit erbringt Bultmann gleich den ersten Erweis einer grandiosen Überheblichkeit. Bultmann wagt, nein, erdreistet sich, Gottes Wort in seinen wesentlichen Teilen für „erledigt“ zu erklären. Welch eine Hybris! Und das ohne haltbare Begründungen. Welch eine eklatante Unwissenschaftlichkeit.

„Jede wirkliche Ketzerei hat […] mit der Substanz unseres Glaubens zu tun, je nachdem ob wir die Schrift nach menschlichen Maßstäben oder nach Gottes Maßstäben auslegen, nämlich als Menschen, die „im Fleisch“ leben, oder als Menschen, die „in Christo“ leben. “102

„Weiter ist zu bedenken, daß wir ausführlichere Nachrichten über die eigentlichen <orientalischen> Mysteriengötter bzw. ihre Mysterienkulte erst ab dem 2. und 3. Jh. n. Chr. besitzen. “103

„[…] so handelt es sich hier [bei Bultmann bei seiner Behauptung der Abhängigkeit des Paulus von gnostischen Gemeinden] um eine phantastische Konstruktion, die den religionsgeschichtlichen Hintergrund der frühen syrischen Gemeinden nicht erhellt, sondern verdunkelt. “104

1.2 Die Verleugnungen im Einzelnen

1.2.1 Gottes Sohnschaft Jesu Christi

1.2.1.1 Bultmann

„Dem mythischen Weltbild entspricht die Darstellung des Heilsgeschehens.“105 […]. In der Anmerkung 1, S 15: Gal 4, 4; Phil. 2, 6ff.; 2. Kor. 8,9; Joh. 1, 14 usw. […]„Sofern es nun mythologische Rede ist, ist es >für den Menschen von heute unglaubhaft<. “106

„Die Legende von der Jungfrauengeburt […] begegnet nur vereinzelt. “107

„Es ist nun keine Frage, daß das Neue Testament das Christusgeschehen als ein mythisches Geschehen vorstellt. “108

„Auch die >Inkarnation< ist als eschatologisches Ereignis nicht ein datierbares Ereignis der Vergangenheit, sondern jeweils Ereignis im Ereignis der Verkündigung. “109

„Bultmann befindet […]: “Die Formel 'Christus ist Gott' ist falsch in jedem Sinn, in dem Gott als eine objektivierbare

Größe verstanden wird, mag sie nun arianisch oder nizäisch oder liberal verstanden sein.“ (R. Bultmann, GV II, S 258).“110

‘Mit der Christologie ist uns nichts anderes gegeben als die Explikation des glaubenden Verständnisses des neuen Seins.’111

„Merkwürdigerweise zitiert Bultmann […] widerholt den Satz Joh 1,14: „Das Wort ward Fleisch“, obschon die Negation dieses Satzes der Angelpunkt seiner Theologie ist. Er „interpretieret“ diesen Satz freilich so, daß er einem dem Wortlaut gerade entgegengesetzten Sinn bekommt. Während nach dem Evangelium der, welcher schon Wort war, Fleisch geworden ist, besagt der Satz nach Bultmann, daß Gott gerade nicht Fleisch geworden ist, sondern Wort blieb.“112

„Das Wesentliche [der religionsgeschichtlichen Schule, mit der Bultmann weitgehend übereinstimmt] ist das religiöse Leben, dessen Höhepunkt eine Mystik ist, die sich mit Christus, in dem Gott symbolhaft Gestalt genommen hat, eins weiß.“113

„Allerdings ist Jesus als reiner Mensch aufgetreten wie ein Prophet und Lehrer. Er trägt keine Lehre über seine Person vor,114 […] Seine Lehre ist nicht neu durch ihren Gehalt an Gedanken; denn in ihrem Gehalt ist sie nichts anderes als reines Judentum, reiner Prophetismus.“115

Thielicke interpretiert Bultmann: „Das Wort ward Fleisch bezeichnet […] [bei Bultmann] nicht das historische Faktum im Stall zu Bethlehem, sondern es bezeichnet den Umwandlungsakt meines Selbstverständnisses, der von diesem historischen Ort ausgeht. […] Das geschichtlich Berichtete des N. T. ist […] nicht selber Ereignis, sondern nur Prolegomenon eines Ereignisses: nämlich des Ereignisses meines Bewußtseinswandels.“116

1.2.1.2 Das verleugnete Wort der Sohnschaft im NT

„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. (Gal 4,4+5)

„Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. “

(Phil 2,6ff)

„Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet. “ (2 Kor 8,9)

„Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit:“ (Joh 1,14)

1.2.1.3 Gegenrede: Gottessohnschaft, das Fundament des Christentums

Für keine seiner Behauptungen liefert Bultmann nachvollziehbare, der Sache angemessene Begründungen oder Belege. An diesen unbegründeten Behauptungen werden die Auswirkungen der unhaltbaren Vornahmen und dogmatischen Fehlurteile Bultmanns schon erkennbar. – vgl. vor allem Kapitel 6.2 und 6.5 – Mit diesen dogmatischen Vorannahmen kommt es zu solchen und anderen gravierenden theologischen Fehlurteilen bei Bultmann, denen ich hier ganz entschieden widerspreche. Im Gegensatz zu Bultmanns unbegründeter Behauptung, Jesus trage keine Lehre über seine Person vor,117 verweise ich auf die über 200 „Ich bin“ Aussagen Jesu über sich und den Sinn seines Kommens und seines Wirkens und seiner Person. Ebenso widerspreche ich Bultmanns falscher Behauptung, Jesu Lehre sei nicht neu – das ist die reine Verleugnung des Evangeliums -- sie sei nichts anderes als reines Judentum, reiner Prophetismus [sic]118

Das genaue Gegenteil ist der Fall. Jesu Person, Werk und Lehre sind analogielos. Es ist hier nicht der Ort, ausführlich über die große Fülle, insbesondere der soteriologischen Differenzen zwischen dem Judentum und dem Christentum einzugehen. Es kann hier wegen der Komplexität und des Umfangs der Differenzen nicht gezeigt werden, daß das Kommen und Wirken Jesu Christi in jeder Hinsicht die Überbietung der jüdischen Erwartungen darstellt. Deshalb nur ein einziges Beispiel aus der Fülle neutestamentlicher Aussagen der Lehre Jesu. Gegen Bultmann: Nie zuvor konnte jemand von sich sagen, oder hat von sich gesagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.

Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer so lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. (Joh 11,25;26)

„An der Sohnschaft Christi im Sinne eines Gegenüber Christi zum Vater scheitert Bultmanns >Christologie des letzten Propheten< (Wiesner).“119Gal 4,4-5120 ist wie Phil 2,6-11121 und 2. Kor 8,9122 [von Bultmann allesamt als „erledigt“ bezeichnet] ein Schriftbeleg für die Zusammengehörigkeit von christologischem und soteriologischem Zeugnis. Die Grundbestandteile dieses Christuszeugnisses sind von Anfang an gegeben: Die Einheit Gottes mit seinem Sohn, der diesen aus der Gemeinschaft mit sich entsendet. “123

„Die Titel „Sohn Gottes“, Christus“, “Kyrios“ gebraucht Paulus absolut oder stellt sie – zumeist zwei von ihnen – nebeneinander. Wie in Röm 1,3-4 finden sich in 1. Kor 1,9 alle drei Titel.“124

„R. Bultmann, ruft falsche Assoziationen hervor, wenn er bei der Exegese von Joh 1,14 auf gnostische „Gottwesen“ hinweist, die vorübergehend Menschengestalt annahmen und sich in Fleisch und Blut „kleideten“ Darin liegt nicht nur keine Sachparallele zu Joh 1,14 vor, damit wird vielmehr das Gegenteil dessen beleuchtet, was im Johannesprolog gemeint ist. Denn nach dem Prolog wie nach dem Evangelium trug der Fleischgewordene die Menschengestalt nicht als Verkleidung, die er auch wieder hätte ablegen können, sondern sie war Bestandteil seiner Identität und hat ihm schließlich den Tod am Kreuz eingebracht.“125

„>Das Wort ward Fleisch<. Dies Wort, in dem die Welt geschaffen ist, das bei Gott ist und selbst Gott ist. Ist mitten unter uns, bekommt sein (eigene) Geschichte. […] Es ist sich und durch sich, was es ist: Wahrheit, Weg und Leben. […] nur das Wort kann uns Eingang in diese Geschichte vermitteln.[…] >Das Wort ward Fleisch< […] heißt […] daß dieses Wort, hinter das zurückzugehen hieße, hinter Gott selbst zurückzugehen, das Subjekt der Geschichte ist, daß also diese Geschichte nur als A und O aller Geschichten gehört, begriffen und ausgelegt werden kann.“ 126

Bultmanns Einlassungen zur Gottes-Sohnschaft Jesu Christi verkennen in eklatanter Weise, daß mit der Inkarnation die Weltenwende vollzogen ist. Dort wird die Identifikation Gottes mit den Menschen sichtbar und wirksam.127

„So sehen wir fur augen, das der herr Christus, der das ewige Leben gibt, wahrer gott ist, und ehr gott ist persönlich da, den ehr ist mensch geboren von der jungckfrauen Maria, ist gott wohl da verborgen, aber gleichwohl gegenwärtig. Der Arttickel macht nun Christen undt sonst keiner undt, wen dieser verloren wirdt, so helffen die anderen alle nicht. Undt mit dem Artickle werden wir auch von allen falschen Christen und heiligen abgesondert.“128

Gegen Bultmanns Verleugnung von Phil 2,6ff:

„Es ist festzustellen, dass ein Einfluss gnostischer Vorstellungen auf den Inhalt des Hymnus [Phil 2] nicht besteht.“129

„Unsachgerecht ist die Interpretation, es werde in Phil 2,7 gesagt, daß Christus seine Gestalt gewandelt und eine Erscheinung angenommen hat, die ihn den Menschen gleichmachte. “130

„An den Gestaltwandel der Götter zu denken, wie er aus der griechischen Mythologie und Literatur bekannt ist, kommt auf alttestamentlich-jüdischem Boden nicht ernsthaft in Betracht.“ 131

„Der Christushymnus Phil 2,6-11 besingt die Offenbarung der eschatologischen Königsherrschaft Gottes in der Erhöhung des gekreuzigten Jesus Christus […] Mit der Erhöhung hat sich nicht die Macht und Herrlichkeit dessen verändert, der als der Präexistente bereits Gott gleich war; es ist vielmehr die Situation der Welt und des Menschen in ihr, die durch Jesu Tod und Erhöhung eine totale und radikale Veränderung erfahren hat. Die Welt ist deshalb nicht mehr die gleiche, die sie vorher war, weil im Ereignis von Kreuz und Auferweckung Jesu endgültig und unwiderruflich entschieden ist, daß alle Geschöpfe anbetend bekennen werden: „Herr ist Jesus Christus.“ 132

Gegen Bultmanns Verleugnung von 2 Kor 8,9:

„In 2. Kor 8,9 liegt eine kurzgefasste Variation der Präexistenz-, Entäußerungs-, Inkarnations- und Erniedrigungsaussage von Phil 2,6-8 vor. Während Paulus in Phil 2,611 einen urchristlichen Hymnus als vorgeprägtes Gut an führt, variiert er in 2. Kor 8,9 christologische Kernaussagen der ersten Strophe des Hymnus in eigener Formulierung.“133

„Die Gnade als der offene Zugang zu Gott kann effektiv zugesprochen werden, weil sie Tat ist. Sie beruht darauf, dass Jesus Christus aus freiem Entschluss initiativ wurde und auf das verzichtete, was ihm zu eigen war. […] Die Gnadentat, in welcher der gottesdienstliche Zuspruch der Gnade gründet, besteht in dem Geschehen, dass Christus, obwohl er doch reich war, arm geworden ist, also in der Inkarnation.“ 134

„Die Menschwerdung […] ist […] der Anfang, Mitte und Ziel einer großen, alles umfassenden Ordnung, die eben nur von der Inkarnation her denkbar und nur aus sie hin verwirklicht ist. Es ist jene göttlich e Ordnung die zwischen Vater, Sohn und Heiligen Geist das innergöttliche Leben ausmacht du die im Augenblick der Erschaffung der Welt auch mach außen gewendet worden ist. […] Er ist […] der Anfang aller Wege Gottes, der Grundstein des Himmels und der Erde, der Zielpunkt des gesamten Universums. “ 135

„Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. “ (Lk2,9-11)

„ Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen. [Joh 1,51] Von nun an wird etwas Wirklichkeit werden, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist: Der Sohn Gottes ist mitten unter uns. Das Undenkbare ist geschehen. Das, nicht weniger als das ist Wirklichkeit geworden. Es ist etwas geschehen, das der Mensch nicht einmal in seinen Gedanken vorwegzunehmen vermocht hat. […] Das ganze Verhältnis zwischen Oben und Unten, zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch hat sich umgedreht. Die Ewigkeit ist mitten in der Zeit und das nicht einmal mit unserem Geist Fassbare will sich mit Händen greifen lassen. […] wenn die Menschen vor ihn treten und wenn er sie ruft, heißt es immer >Heute<. … Anders als im Heute kann man Gott nicht finden. […] Dahinein zieht er uns, in das Heute einer letzten Gewißheit, in das Heute einer letzten Seligkeit. Wer in dies Heute eintritt, der weiß, uns kann nichts mehr trennen von Gott. […] Von nun an hat die >Gnade< Gottes in Jesus Christus das erste und das letzte Wort. Jesus ist Gottes Heute.“136

„Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Der Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“ (Mk 15,38-39)

1.2.1.4 Gegen die Verleugnung Sohnes

„Mit dem Akt der Entsendung setzt Gott etwas, was die Schöpfung aus sich heraus nicht hervorbringen kann; wodurch er in die Geschichte eingreift, ohne dass es aus dem geschichtlichen Kausalzusammenhang ableitbar wäre. […] Gott sandte seinen Sohn“, also den, der an seinem Gottsein partizipiert und wesenhaft und ursprünglich zu ihm gehört, der sich aber doch dadurch, dass er gesandt wird, von dem, der ihn sendet, unterscheidet. In Gal 4,4-5 ist von einem innergöttlichen Sendungsgeschehen die Rede, für das es keine Analogie gibt. Der in 4b gebrauchte Sohnestitel bezeichnet den Menschgewordenen, umfasst aber den ganzen Christus: seine Präexistenz, Menschwerdung, Kreuzigung, Auferstehung und Erhöhung. Gottes Sohn war, bevor er Mensch wurde. Wo war er? Bei Gott. […] Die ganze Wahrheit ist, dass es der Sohn Gottes ist, der Mensch wird und dass dieser durch seine Menschwerdung nicht aufhört, der Sohn Gottes zu sein.“137

Weiter ganz gegen Bultmann: Das Unerhörte jedoch ist: ER, der göttliche Logos, er IST Gott. Auch wenn er wird, was er vorher nicht war, ganz Mensch, so bleibt er was er von Ewigkeit her war, er bleibt Gott. D.h. seine Geschichte unterscheidet sich prinzipiell von ALLEN anderen Menschen. Der Logos ist Person, die von Ewigkeit her, vor aller Schöpfung, vor aller Geschichte, existiert. Er ist nicht Geschöpf, nicht Kreatur. Er ist in vollkommener Weseneinheit mit Gott. (Joh 12,45)138

Der Logos ist in untrennbarer Zusammengehörigkeit und personaler Gemeinschaft mit Gott. (Mt 11,27)139, Joh 3,35140. Er, Jesus Christus, er allein, ist in seiner Person und seinem Werk der, in dem der verborgene unzugängliche Gott redet, in ihm allein erschließt sich Gott. (Joh 6,46).141

Jesus Christus ist die Gegenwart des sich selbst erschließenden Vaters unter uns Menschen, (Joh 14,9 c)142 das uns ansprechende Wort Gottes. (Joh 1,18)143 In anbetendem Bekenntnis spricht 1,14 vom Logos, der selbst Gott ist (Joh 17, 1,2)144, daß dieser wird, was er vorher nicht war: nämlich er wird Fleisch, ganzer Mensch, sterbliches Wesen, ganz Mensch, ohne sein Wesen als Gott zu verlieren. Wie jedem Fleisch ist ihm ist bestimmt zu sterben. Dadurch wird hier schon seine Passion angesprochen. Und seine Auferstehung erscheint schon ebenso. Denn: wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herr-lichkeit, die er besitzt als der eine und einzige Sohn des Vaters, zu dessen Rechten er sitzt.145

„Gerade im Kampf wider solche Verführung [daß Jesus Christus nicht Gottes Sohn sei] ist immer wieder die Lehre der Kirche gereift. […] Hättet ihr nur […] widerstanden, euch wäre reiche und tiefe Erkenntnisse zuteil geworden, einfach aus dem Festhalten an dem einen Satz: Dieser ist Gottes Sohn.“146

„Alles Predigen, Lehren, Missionieren schwingt darum, daß wir erkennen und glauben: „daß derselbe Gottes Sohn sei“ (Act 9,20)“147

„Fleisch ist die konkrete Gestalt der menschlichen Natur unter dem Zeichen von Adams Fall, die konkrete Gestalt jener ganzen Welt, die vom Kreuzestod Christi her als die alte und schon vergangene gesehen werden muss, die Gestalt des zerstörten, erst wieder mit Gott zu versöhnenden Menschenwesens und Menschendaseins. Das Wort ward Fleisch in diesem präzisen Sinn heißt: das göttliche Wort schlägt sich auf die Seite seiner eigenen Widersacher. Sein Verhältnis zu dem ihm als seinem Schöpfer unbegreiflicherweise widerstehenden Kosmos ist freilich ein gegensätzliches (Joh. 1, 5), aber eben nicht nur ein gegensätzliches. Der durch die unbegreifliche Gegenwart seiner Gottheit als des Offenbarungslichtes und die unbegreifliche Finsternis, die Aufnahmeunwilligkeit des Kosmos geschaffene Gegensatz ist überwunden – und das ist noch unbegreiflicher als beides! – schon dadurch, daß der Logos eben da ist, wo die Menschen sind. Er kam in sein Eigentum (Joh. 1, 11) – und die Seinen – sein Eigentum liegt in der Finsternis – nahmen ihn nicht auf, dennoch kam er in sein Eigentum. Das wahrhaftige Licht kam in die Welt (Joh. 1, 9), und so scheint es in der Finsternis (Joh. 1, 5). So kann es wirklichen, in der Welt und in der Finsternis lebenden Menschen die Fähigkeit (ἐξουσία) geben, die sie an sich nicht haben, Gottes Kinder zu sein (Joh 1, 12 f.).“148

„Es ist die Menschwerdung des präexistenten Sohnes Gottes, durch die der Weg in das Sanctissimum des wahren Heiligtums aufgetan wurde. “149

„Es ist nicht erst, wie man vielleicht meinen möchte, der Opfertod Jesu, der die Wende bringt, sondern seine Inkarnation. […] Der Eintritt Jesu in die Welt (Hebr 10,5) ist das entscheidende Ereignis, mit dem das erste, d.h. die zum alten Äon gehörende alttestamentliche Gesetzesordnung aufgehoben und das Zweite, d.h. die „bessere Ordnung“

des neuen Äons in Geltung gesetzt wird (Hebr 10,9; vgl. Hebr 9,9 f!). Daß die Inkarnation die Weltenwende bedeutet, ist schließlich auch in 1,2 und 9,26 ausgesprochen. […] denn nun ist die Heilszeit da, das himmlische Allerheiligste offen, der Weg durch den einst trennenden Vorhang hindurch erschlossen.“150

„Die Menschwerdung des Sohnes Gottes […] ist Handeln Gottes >pro nobis<, aber sie geschieht gänzlich >extra nos<. Im Kreuzestod Jesu ist in göttlichem Zuvorkommen und deshalb ohne jedes Dazutun des Menschen die Entscheidung über seine >Rechtfertigung< und seine Versöhnung mit Gott gefallen. Christus – so heißt es eindringlich in Röm 5,6-11 – ist „für uns“ gestorben, als wir noch „Gottlose“ […] >Sünder< […] und „Feinde Gottes“ […] waren.“151

„Die >extra nos< in Christo geschehene Heilstat Gottes ist nach dem Urteil des Paulis ein Nicht-Auszudenkendes, das alle menschliche Vorstellungen und Erwartungen unendlich übersteigt. “152

„Der Sohn Gottes ist [deshalb] der Inhalt des Evangeliums. Der Titel impliziert die Präexistenz des Sohnes. [die Bultmann ja ebenso verleugnet, vgl. 1.2.5] Nicht ein Sohn, der einfachen Ursprungs wäre, göttlichen oder davidischen, sondern vielmehr der Sohn, der doppelten Ursprungs ist, nämlich aus Gott und aus Israel stammt, ist der Inhalt des Evangeliums. Das ist nicht von Paulus erdacht, sondern von ihm übernommen worden und bildet das christologische Fundament der Lehre, die er im Römerbrief entfaltet. Mit der Sendung seines präexistenten Sohnes und mit dessen Menschwerdung zielte Gott von vornherein auf die stellvertretende Sühnung der Schuld der Sünde und das endzeitliche Gericht über die Sünde durch den Vollzug des Verdammungsurteils über die Sünde im Tod des menschgewordenen Sohnes am Kreuz.“153

„Der ins Fleisch gekommene Christus, dieser bestimmte Jesus von Nazareth, ist die Offenbarung des lebendigen Gottes, und wer das leugnet (1. Joh 2,22; 4,2ff), wer an die Stelle dieses Menschen einen anderen Christus setzt, der „ist nicht von Gott“, ja der ist der „Antichrist. “154

„Die Leugner der Gottheit Christi verlieren schließlich das ganze Christentum. “155

„Wir werden uns fragen müssen, ob man tatsächlich noch dieselbe Rechtfertigungslehre in den Händen behält, wen man die Menschwerdung Gottes eingeklammert hat, […] Wer weiß, ob nicht hetzt bei gleichbleibenden Namen die Sache selbst eine total andere geworden ist?“156

„Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: Ein jeder Geist, der bekennt, daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott; und ein jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichrists, von dem ihr gehört habt, daß er kommen werde, und er ist jetzt schon in der Welt. “

(1Joh 4,2f)

„Wer nun bekennt, dass Jesus Gottes Sohn ist, in dem bleibt Gott und er in Gott. “ (1 Joh 4,15) „daß das ewige Wort Gottes ein menschliches Wesen und Dasein erwählt, geheiligt und angenommen hat zum Einssein mit sich selber, um so, als wahrer Gott und wahrer Mensch, das von Gott zu den Menschen gesprochene Wort der Versöhnung zu werden“ – bezeichnet das Geheimnis der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. “157

„Wir sagen darum: Es geht, wenn das Wort Fleisch wird, um eine Wundertat, eine Barmherzigkeitstat Gottes, es ereignet sich da in der geschaffenen Welt das Unvorhergesehene, das weder von der Welt noch auch von Gott her zu Konstruierende oder zu Postulierende, das Werk der Liebe Gottes zu der von ihm unterschiedenen, ja geschiedenen Welt, zu dem Geschöpf, dessen er nicht bedarf, das ihm nichts zu bieten hat, dem er nichts schuldig ist, das vielmehr ihm alles schuldig geblieben, das seine Existenz vor ihm verwirkt hat. Wenn es heißt, daß das Wort Fleisch ward, so bleibt doch das Wort auch in diesem Werden und Gewordensein das freie, souveräne Gotteswort. “158

„Das Wort ist, was es ist, auch bevor und ohne daß es Fleisch ist. Es hat auch als fleischgewordenes sein Sein in alle Ewigkeit vom Vater und aus sich selbst und nicht vom Fleische. Wogegen das Fleisch nicht nur nicht Wort sein könnte ohne das Wort, sondern ohne das Wort überhaupt kein Sein hätte, geschweige denn reden, handeln, siegen, offenbaren, versöhnen könnte. Und endlich: das Wort hört, indem es Fleisch wird, nicht auf, das Wort zu sein. Die Gleichung: „Wahrer Gott und wahrer Mensch“ muss immer als eine Gleichsetzung des Ungleichen verstanden werden. Die Inkarnation des Logos ist, wie wir schon früher feststellten, keine Verwandlung seines eigenen Wesens und seiner eigenen Seinsweise als das göttliche Wort in das Wesen und die Seinsweise einer Kreatur, und auch nicht die Entstehung eines Dritten zwischen Gott und Mensch. Das „Und“ (hier und hier vielleicht ganz allein hat dieses Wort seinen legitimen theologischen Gebrauch!) muss hier ganz streng erhalten bleiben und verstanden werden. […] Das Wort ist Jesus Christus. – Damit fällt als Gegenstand des uns und der Verkündigung jener „historische Jesus“ des modernen Protestantismus, der ja eigens dazu entdeckt bzw. erdacht worden ist, um einen Zugang zu Jesus Christus unter Umgehung seiner Gottheit, einen in Form menschlichen Urteils und Erlebnisses allgemein verständlichen und möglichen Zugang zu der Offenbarung aufzuweisen.“159

„Es geht um Jesu Ursprung. Mit der Lehre von der Jungfrauengeburt wird zunächst gesagt, daß Jesus ihn [den Geist] aus dem Empfangensein aus dem Heiligen Geist hat. Mit der Lehre von der Jungfrauengeburt aber ist vor allem ausgedrückt, daß Jesu Ursprung nicht allein in der einmaligen Geistbegabung zu suchen ist, sondern dass diese ihn in seinem Wesen bestimmt. […] Der Ursprung Jesu ist, im Geist, Gottes schöpferische Tat und das menschliche Geschöpf Maria ist dabei nichts als „des Herren Magd“(Lk 1,38) […] Es geht um Gott neue Schöpfung.“160

„Das Schöpfungswort wäre unausgesprochen geblieben, wenn nicht die Fleischwerdung des >Wortes< seit Ewigkeit im Heilsplan vorgesehen wäre. Das Schöpfungswort ist nur eine Vor-Wort zur Menschwerdung des >Wortes<. […] Die Mitte und zugleich die Aufgipfelung dieses Planes ist der Eintritt des Ewigen Wortes in die Geschichte der Welt. in diesem Ereignis wird die absolute Mitte alles Seins auch zum innerweltlichen Zentrum.“ 161

„Jesus spricht: Wer mich sieht, der sieht den Vater (aus Joh 14,9) Jesus spricht: Niemand kennt den Vater denn nur der Sohn und wem es der Sohn will offenbaren. (aus Mt. 11,27) Es muss daher die falsche Lehre verworfen werden, Jesus sei nur bloßer Mensch, und wir könnten auch ohne den Glauben an den Sohn Gottes wissen, wer Gott ist, und mit Gott Gemeinschaft haben. “162

„Die Bestimmung der Relation zwischen Gott, dem Vater, und dem Kyrios Jesus Christus ist die Mutter aller christlichen Theologie. Sie ist konstitutiv für die Gotteslehre, aber besonders für die Christologie, die es ohne sie gar nicht gäbe. Wie aus der Zusammengehörigkeit von Röm 1,3 f. und 1,16 f. deutlich wird, lässt sich ohne sie auch nicht herausstellen, worin der Inhalt des Evangeliums besteht. Ohne die Kenntnis des Evangeliums wiederum gibt es kein sachgerechtes Verständnis des Gesetzes, der Sünde, des Menschen und der Rechtfertigung aus Gnade allein. Ohne zu wissen, wer Christus ist, und zwar in seinem Bezug auf Gott, bleibt daher der Zugang zum christlichen Glauben verschlossen.“ 163

„Jener andere Erklärungsversuch Boussets, an dem er selbst wegen seiner Unwahrscheinlichkeit nicht festgehalten hat und den Bultmann nun merkwürdigerweise (übrigens ohne ihn zu begründen) wieder aufnimmt!), schwebt völlig in der Luft: “Maranatha“ sei eine Schwurformel, die sich an Gott richte. Von Christus sei hier ursprünglich gar nicht die Rede! In Wirklichkeit bildet “Maranatha“ den Übergang vom palästinensischen zum hellenistischen Glauben an Christus den Herrn. Die Behauptung Boussets und Bultmanns, es bestehe hier ein völliger Bruch zwischen der palästinensischen Urgemeinde und dem hellenistischen Christentum, ist eine bloße Konstruktion, die weder den aus der Urgemeinde überlieferten Elementen gerecht wird, noch die Entstehung des hellenistischen Glaubens an den Kyrios Christos erklären kann. Denn es ist doch deutlich, daß

Paulus überall, wo er das Bekenntnis “Kyrios Christos“ erwähnt, auf eine alte Überlieferung zurückgreift und deren Kenntnis als Grundlage aller Christusverkündigung voraussetzt. Freilich hat nun auf dem Boden des Hellenismus der heidnische Gebrauch des Kyriosnamens, seine Beziehung zum Herrscherkult und vor allem auch seine Verwendung als Gottesname in der LXX dazu beigetragen, daß die Bezeichnung “Kyrios“ geradezu zum Titel für Christus wurde. Aber diese Entwicklung wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht die Urgemeinde schon Christus als den Herrn angerufen hätte. Der Kyriostitel geht auf das gottesdienstliche Erleben zurück - darin hat Bousset recht -, aber auf das gottesdienstliche Erleben der Urgemeinde. Mit E. Lohmeyer speziell nur an Galiläa als Ort der Entstehung des Kyriosnamens für Jesus zu denken (vgl. Galiläa und Jerusalem, 1936, S. 17. 24), liegt keinerlei Anlass vor.“ 164

Wie Gott der Vater der Schöpfer des Alls und der Verursacher sowie das Ziel der Erlösung ist: so ist der Kyrios Jesus der, durch den das All geschaffen und die Erlösung heraufgeführt worden ist, also der Schöpfungsmittler und Erlösungsmittler. […] Der Kyrios Jesus ist […] nicht Mittler der Schöpfung und Erlösung als bloßes Instrument Gottes, des Vaters, sondern aufgrund der unlöslichen Einheit mit ihm. […] Präexistenzgedanke und Mittlerschaftsmotiv gehören zu den Grundlagen, auf denen der Kyriostitel steht. Ist Jesus doch nicht der Kyrios, weil die christliche Gemeinde ihn so nennt, sondern sie ruft ihn als den Kyrios an, weil er bereits vor der Schöpfung aufgrund der Einheit mit Gott, dem Vater, war und weil er sich in der durch ihn heraufgeführten neuen Schöpfung – „wir durch ihn“ – als der Kyrios erweist. “165

Es ist an dieser Stelle und in dieser Arbeit ganz unmöglich, eine umfassende oder auch nur repräsentative Darstellung der „Gottes Sohn“ Aussagen der Bibel und der theologisch wissenschaftlichen Literatur zu geben. Ich beschränke mich auf nur noch wenige, ganz und gar eineindeutige Stimmen, wie den vorhergegangenen, denen ich dadurch hier ganz besonderes Gewicht und einen großen Nachdruck verleihen möchte. Denn, mit der Antwort auf die Frage, ob Jesus Christus Gottes Sohn ist oder nicht, fällt die Vor-, nein, fällt die Entscheidung darüber, ob man das Neue Testament als Evangelium verstehen kann oder nicht. Eine möglicherweise nicht hinreichende, aber eine notwendige166 Bedingung im strengen logischen Sinne. Verneint man die Gottsohnschaft, sind alle Texte des gesamten Neuen Testaments ohne Sinn und Gehalt. Denn diese Texte sprechen über nichts anderes als über das Heilshandeln Gottes in seinem Sohn Jesus Christus. Verleugnet man die Sohnschaft, [wie Bultmann] muss man den Texten des Neuen Testaments konsequenterweise einen anderen Inhalt unterlegen. Das aber genau vollzieht Bultmann dadurch, zu behaupten, das Neue Testament enthielte nichts anderes als den Schlüssel für das (neue) Selbstverständnis des Menschen. Vgl. zum Thema „anderen Inhalt“ auch die Kapitel 6.2 und 6.5 Bultmanns Vorverständnis und Vorannahmen und Kapitel 3, Entleerung und Umdeutung zentraler christlicher Begriffe.

„Die Christologie ist der Prüfstein aller Gotteserkenntnis im christlichen Sinne, der Prüfstein aller Theologie. […]

H I E R gehen die Wege auseinander. “167

„Fragt man nach dem Erkenntnisgrund des Bekenntnisses zu Jesus Christus als dem einzigartigen – d.h. einziggeborenen – „Sohn Gottes“, so kann man die Erscheinungen des Auferstandenen in der Tat als die Geburtsstunde der umfassenden Christuserkenntnis angeben. Erst als der Auferstandene dem – sprichwörtlich – zweifelnden Thomas persönlich begegnet, kann dieser ihn als seinen „Herrn und Gott“ erkennen, anerkennen und bekennen (Joh 20,24-29). Und erst als der Auferstandene selbst den Emmausjüngern die Notwendigkeit seines Weges entfaltet und mit ihnen Tischgemeinschaft hat, kommt es zur umfassenden Christuserkenntnis (Lk 24,13-35).“ 168

„Entscheidend ist, daß in und mit Jesus Christus das Wort in sein Eigentum gekommen ist, daß in und mit diesem Wort Gott bei uns ist. “ 169

„Denn viele Verführer sind in die Welt ausgegangen, die nicht bekennen, daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist. Das ist der Verführer und der Antichrist“.

(2 Joh 7)

Mit der als ketzerisch zu bezeichnender Verleugnung der Gottessohnschaft Jesu Christi, gegen das einhellige Zeugnis des gesamten Neuen Testaments, untergräbt Bultmann das Fundament des gesamten Neuen Testaments, auf dem das Heilswerk Gottes gegründet ist. Er beseitigt auf diese Weise den Grund der Existenz des Neuen Testaments überhaupt, bestreitet seinen Sinn und ignoriert seinen Gehalt, entzieht ihm die alles tragende Substanz. Ob er das selbst erkannt hat? Ich halte seine Aussagen zur Gottessohnschaft für einen Gipfel der Verleugnung, eine unüberbietbare Häresie, gäbe es nicht Bultmann und seine Methode, der, in seinem hier behandelten Aufsatz, darüber hinaus, sich stetig steigernd, die gesamte christliche Botschaft für sinnlos erklärt, wie ich im Verlauf dieser Arbeit weiter nachweisen werde.

Die Gottessohnschaft aber ist der Grund aller Gründe.

„Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1 Kor 3,11).

Die Gottessohnschaft ist das Fundament des Christentums und gleichzeitig sein alles zusammenhaltender Eckstein. „Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden. Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist. “ (1 Petr 2,6f)

Ohne die Gottessohnschaft wäre Jesus Christus nur ein Mensch wie jeder von uns, vielleicht einer mit ein paar übernatürlichen Kräften ausgestattet, höchstens ein Lehrerund Prophet, wie Bultmann meint.170 Sein Tod wäre ein Tod, wie der Millionen anderer, ohne jede Bedeutung für die Welt und die Menschen. Seine Auferstehung und seine Erscheinungen wären gespenstisches Mirakel, wie Bultmann meint.171

Die Menschheit wäre verloren. Denn, kein Mensch kann uns versöhnen mit Gott und uns das ewige Heil schenken.

Das kann nur Gott. ER tat es in seinem Sohn, Jesus Christus in Person. Alles, wirklich ALLES Christliche hängt hiervon ab: Dass Jesus Christus Gottes Sohn ist. Wer das leugnet, wie Bultmann und andere, verleugnet das gesamte Evangelium, seine Heilsbotschaft für uns Menschen und für die Schöpfung. Diese Leugner haben das Evangelium ganz und gar nicht im Blick. Alle weiteren Verleugnungen sind konsequente Folge dieser Ur-Verleugnung.

Auf diesem Glaubensartikel – geboren von der Jungfrau Maria – steht und fällt auch das ganze Versöhnungswerk Gottes in Christo und das daraus hervorgehende Verherrlichungswerk in der ganzen Kreatur.“172

Karl Barth in unübertrefflicher Klarheit und Eindeutigkeit: „Entweder wir haben es in Jesus Christus mit Gott zu tun oder mit einer Kreatur. […] Wo es um die wichtige Sache geht, da darf man nicht kommen und >Friede, Friede, liebe Kindlein!< rufen, sondern da will der Streit mit aller Unerbittlichkeit zu Ende geführt sein. […]

Alle die Formeln sagen ja nur das Eine: der Eingeborene, vom Vater vor aller Zeit Gezeugte, der Sohn, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, also nicht Kreatur sondern Gott selbst, g l e i c h e n Wesens mit dem Vater nicht nur ähnlichen Wesens, G O T T i N P E R S O N. […] in diesem Bekenntnis zu Gottes Sohn unterscheidet sich ja der christliche Glaube von allem, was man Religion nennt. Wir haben es mit Gott selbst zu tun.“173

„Das Christentum […] verbindet mit seinem Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu einen eschatologischen Anspruch, der besagt, daß Gott sich in Jesus von Nazareth ein für alle Mal, einzigartig, unvertauschbar, endgültig und unüberbietbar geoffenbart und mitgeteilt hat. […] Mit dem Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes steht und fällt der christliche Glaube.“ 174

„Die Grundüberzeugung, daß das ewige Heil eines jeden Menschen einzig und allein in der Person und dem Werk Jesu Christi beschlossen liegt und dem Einzelnen im Glauben an ihn zugeeignet wird, teilt das Johannesevangelium mit dem gesamten Neuen Testament. Seine „Besonderheit“ besteht in christologischer Hinsicht darin, daß es die dieser Grundüberzeugung zugrunde liegende Prämisse, die auch von den synoptischen Evangelien, der Apostelgeschichte, der neutestamentlichen Briefliteratur und der Johannesoffenbarung geteilt wird, wie keine andere Schrift des Neuen Testaments programmatisch und eigens thematisiert: dass Christus, als der Sohn Gottes von Ewigkeit her auf die Seite Gottes, des Vaters, gehört und deshalb in gleicher Weise und mit gleichem Ernst wie diese „Gott“ genannt zu werden verdient. Aus diesem Grund eröffnet der Evangelist sein Evangelium mit dem christologischen Basis- und Spitzensatz:

>Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort<. Diesem Satz zufolge existierte der mit Jesus Christus identische Logos schon im Uranfang (V1a), also noch vor der Schöpfung, von der innerhalb des Prologs erst in V 3-5 die Rede ist, in personaler Gemeinschaft mit Gott dem Vater (V. 1b). Deshalb eignet ihm in gleicher Weise und Dignität wie dem Vater das Gottssein (V1c) (Verweis mit Nachweis für diese Lesart). Dieser Sachverhalt wird dann noch einmal im letzten Satz des Prologs aufgegriffen und nachdrücklich unterstrichen: „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eine und einzige, der selbst Gott ist, der in des Vaters Schoß ist, jener hat (ihn) offenbart“ (1,18) Auf diese Weise ergibt sich eine in christologischer Hinsicht bedeutsame, weil auf das >Gottsein< des Logos abhebende Inklusion, die den programmatischen Eröffnungstext des Evangeliums als sachliche Einheit bezeichnet. Das Bekenntnis der Gottheit Jesu rahmt aber nicht nur den Prolog. […] Dieses Bekenntnis rahmt vielmehr das Johannesevangelium als Ganzes. Denn die johanneische Ostergeschichte findet ihren narrativen christologischen Höhepunkt in dem Bekenntnis des Thomas: „Mein Herr und mein Gott“ (20,28) Mit ihm redet Thomas den Auferstandenen so an wie der Beter von Ps. 34,23 LXX den Gott Israels. Es vollzieht sich hier nicht weniger als die Anbetung des Auferstandenen, der als „Gott“ erkannt ist und als solcher gepriesen wird. […] Nur deshalb, weil Jesus seinem Wesen und Ursprung nach auf die Seite Gottes gehört und als der eine und einzige Sohn selbst „Gott“ ist, kann er tun, was einzige Gott zu tun vermag: sich im Akt freier, umgeschuldeter Liebe als Schöpfer mit seinem Geschöpf identifizieren und sein göttliches Leben für die vor Gott Verlorenen dahingeben, um diese durch seinen stellvertretenden Tod, in den sie eingeschlossen sind, zu heiligen und so zu Gott zu bringen. “175

Manche begründen ihre Auffassung, Jesus sei ja nur Josefs Sohn, mit dem Stammbaum Jesu im Matthäusevangelium. Aber damit behaupten sie etwas, was dort nicht geschrieben steht. Deshalb ist deren Interpretation ganz offensichtlich eine unhaltbare Exegese. Nämlich: In Mat 1.1-16 steht das genaue Gegenteil des Behaupteten. Dieser Stammbaum ist ganz unübersehbar ein Zeugnis für die Gottessohnschaft Jesu. Ganz auffällig steht in diesem Stammbaum nämlich entgegen aller vorhergehend genannten Abstammungen -- ohne jede Ausnahme -- (in Mat 1.2-16 steht gleich 39 Mal „zeugte“) eben gerade NICHT, „Josef zeugte Jesus“, sondern, und das ist ganz ungewöhnlich für die Antike, wird Josef nur als Mann der Maria genannt, und von Maria gesagt: “von der geboren ist Jesus, der da heißt Christus“. (Mat 1,16b). Und schon nur zwei Verse weiter wird von Maria gesagt: „daß sie schwanger war durch das Wirken des Heiligen Geistes.“ (Mat. 1, 18b).

Wie man Matthäus dennoch so entgegen seines geschriebenen Wortlautes und gegen seinen offensichtlichen Sinn auslegen und für die eigene Verleugnung missbrauchen kann, bleibt mir ein Rätsel. Ganz zu schweigen von allen übrigen Zeugnissen des Neuen Testaments. Die bisherige Widerlegung der falschen Behauptungen durch Bultmann und durch andere, nämlich die Verleugnung Jesu als Gottes Sohn, ist schon bis dahin zwingend. Gleich im Anschluss aber, macht Matthäus in Mt 1, in den Versen 20 bis 24176 darüber hinaus weiter deutlich – deutlicher geht es wohl meines Erachtens gar nicht: -- Jesus IST Gottes Sohn, mit Namen Jesus, das heißt JHWH rettet, der verheißene Immanuel, das ist „Gott mit uns“.

Und obendrein lassen die Synoptiker dazu Jesus selbst sprechen. Jesus erklärt in den Evangelien (Mat 22,41-46, Mk 12, 35-37177 und Lk 20,41-44) in sehr ähnlichen Worten, daß er nicht Davids Sohn sein könne, da David ihn ja schon in PS 110,1 seinen Herrn genannt habe. Damit wird noch einmal, durch Jesu eigenes Wort, eindeutig belegt, „Josef“ (aus dem >Geschlecht Davids<) war nicht der Vater Jesu. Wer das dennoch behauptet, hat das Neue Testament nicht im Ansatz verstanden oder verleugnet es. Und hierbei geht es nicht um „irgendeine“ Verleugnung, sondern um die Verleugnung aller Verleugnungen, um die Verleugnung an der alles entscheidenden Stelle.

„Wer dieser Jesus ist, das war die Erkenntnis aus der hernach Paulus seine ganze Theologie entfaltete. […] Was Saulus nicht wusste und nicht lernen konnte, das musste ihm offenbart werde: Jesus ist der Christus, der Sohn Gottes.“178

Ohne jeden Zweifel: Alle Evangelien und Paulus bekennen in einmütiger Eindeutigkeit: Jesus Christus unseren Herrn als Sohn Gottes.

„Empfangen vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria…Dieser Artikel muss bleiben in der Christenheit; denn es ist ein trefflicher, hoher Artikel, dawider sich stößt erstlich der Teufel, danach auch alle, die es mit dem Teufel halten. […] Das stößt zuerst aller Welt vor den Kopf. […] Und zwar wenn die Welt länger stehen soll, wird man wohl innewerden, was der Teufel durch die Rotten wider diesen Artikel aufbringen wird; sie beginnen bereits diesen Artikel anzustechen, und ihr Gift dawider zu säen. “179

„Denn wenn es einen Teufel gibt, so ist er identisch dem eines höchsten, allein sich selbst setzenden und wollenden, einsam selbstherrlichen und also ab-soluten Wesens.“180

„Er hat seinen Ursprung beim Vater. D.h. weder seine Taufe noch seine Auferstehung machen ihn erst zu dem, der er ist. Beide zeigen auf den Ursprung Jesu hin. Und der Ursprung Jesu ist Gottes schöpferische Tat.“181

„Der Hoheitstitel „Sohn Gottes“ kennzeichnet ihn als den, der seinem Ursprung und Wesen nach auf die Seite Gottes, seines Vaters, gehört; und wenn auf >ihn< die Gottesprädikation „der Herr der Herrlichkeit“ bezogen wird, dann liegt darin das Bekenntnis, daß Gott selbst in ihm gegenwärtig und er in Person die Gegenwart Gottes ist. Einzig aufgrund seines göttlichen Seins kann Jesus als der eschatologische Heilsbringer Gottes gedacht werden. “182

Weitere neutestamentliche Zeugnisse für die Gottessohnschaft und seine Präexistenz und das der Vater den „Sohn“ gesandt habe, finden sich im Neuen Testament an folgenden Stellen: Joh 1,1-3; 3,13; 3,17; 3,31; 3,34; 5,36; 5,38; 6,29; 6,57; 6,62; 7,29; 8,42; 8,58; 10,36; 11,42; 16,28; 17,4.5.24; 18.21.23.25; 4,34; 5,23f; 5,30; 5,37; 6,38f; 6,44; 7,16; 7,18; 7,28; 7,33; 8,16; 8,18; 8,29; 9,4; 12,44; 12,49; 14,24; 15,21; 16,5; 20,21 und Mt 15,24; Lk 4,21.26 oder Röm 1,3f.9; 5,10; 8,3.29.32; Gal 1,16; 2,20; 4,4.6; Gal 3,19; 1 Tim 1,15; 2 Kor 8,9; Phil 2,6-8; 1 Kor 1,9; 8,6; 15,28; 2 Kor 1,19; Kol 1,15-17; Eph 1,3-14; Hebr. 1,2f; 1 Thess 1,10

„Die christologischen Aussagen [des gesamten Johannes Evangeliums] bilden in sachlicher wie in argumentativer Hinsicht die Grundlage für die eschatologischen Aussagen. Das aber heißt: Der mit der johanneischen

Gegenwartseschatologie erhobene Wahrheitsanspruch steht und fällt mit der Wahrheit der christologischen Fundamentalbestimmung, daß Jesus als der Sohn Gottes seinem Wesen und Ursprung nach auf die Seite Gottes, seines Vaters, gehört und also selbst wahrer Gott ist. “ 183

Wer aber den Sohn nicht kennt, kann Gott nicht (erkennen. Wir erfahren und erkennen unseren Herrn, Gott den Vater, Schöpfer, Versöhner und Vollender, NUR, und einzig und allein, in seinem Sohn. Wer aber den Sohn nicht kennt, kennt den Vater nicht. In seinem Sohn Jesus Christus, den er gesandt hat, redet der verborgene Gott zu uns, erschließt sich Gott selbst für uns. Der Logos, Jesus Christus, der Präexistente, der Inkarnierte ist die Gegenwart des sich selbst erschließenden Vaters unter uns Menschen, das uns ansprechende Wort Gottes.

„Wer ist ein Lügner, wenn nicht der, der leugnet, dass Jesus der Christus ist? Das ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht; wer den Sohn bekennt, der hat auch den Vater. Was ihr gehört habt von Anfang an, das bleibe in euch. Wenn in euch bleibt, was ihr von Anfang an gehört habt, so werdet ihr auch im Sohn und im Vater bleiben. Und das ist die Verheißung, die er uns verheißen hat: das ewige Leben.“ (1 Joh 2,22ff)

Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat.“ (Joh 5,23b)

Das Zeugnis des Neuen Testaments ist auch dazu ganz eindeutig. Als Beispiel seien nachfolgende weitere ausgewählte neutestamentliche Texte angeführt:

„ihr seid von untenher, ich bin von obenher.“ (Joh 8,23)

„Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns. Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater! Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater?“ (Joh 14,6-9)

„Jesus aber rief: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat. Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. “

(Joh 12, 44-45)

„Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. “ (Mt 11,27)

Die Verleugner Jesu Gottessohnschaft können auch einen, in allen christlichen Kirchen zentralen liturgischen Teil, nämlich das seit frühester Christenheit gesprochene Credo, das apostolische Glaubensbekenntnis, nicht mitbeten, sie würden ja sonst mit diesem Gebet eine Lüge beten. Eine entsetzliche Vorstellung.184

„Die Identität des Christlichen wird im Bekenntnis des christlichen Glaubens formuliert. Der Glaube an Jesus Christus ist die Zusammenfassung des Bekenntnisses zu dem dreieinigen Gott als Schöpfer, Erlöser und Vollender der Welt. “185

„Daß Jesus Christus in seiner Person und in seinem Werk die „Mitte“ des Neuen Testaments ist, meint präzis: „Mitte“ ist das apostolische Christuszeugnis, das sich der

Selbsterschließung des Auferstandenen verdankt und das zwei unlöslich miteinander verbundenen Fundamentalaussagen konstitutiv sind: zum einen die >christliche< Aussage. Daß der Mensch Jesus von Nazareth der wahre und ewige „Sohn Gottes“ und somit Gott selbst als dieser Mensch zu uns gekommen ist; zum andern die darin gründende >soteriologische< Aussage, daß in Person und Werk dieses <einen> Menschen und hier >allein< das zeitliche und das ewige Heil eines jeden Menschen beschlossen liegt.186

„Man kann Bultmanns Thesen >dogmatisch< prüfen. Dann kommt man rasch und mühelos zu der Feststellung: Bultmanns Sätze stehen im Widerspruch zum Bekenntnis. Wir meinen damit das apostolische Glaubensbekenntnis und sämtliche Bekenntnisschriften und Erklärungen, die auf dem Apostolikum fußen. “187

Den Verleugnern der Gottessohnschaft muss man dann auch entgegenhalten:

„Geliebte, glaubet nicht jedem Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind! Denn es sind viele falsche Propheten hinausgegangen in die Welt. Daran erkennet ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der bekennt: «Jesus ist der im Fleisch gekommene Christus», der ist von Gott; und jeder Geist, der Jesus nicht so bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichrists, von welchem ihr gehört habt, daß er kommt; und jetzt schon ist er in der Welt.“ (1 Joh 4,1-3)

Alle vier Evangelien bezeugen in nicht überbietbarer Eindeutigkeit, die keinen Zweifel offenlassen, die Gottessohnschaft Jesu Christi. Das Gleiche gilt von den Paulusbriefen.

Dazu Martin Hengel: „Im Römerbrief fällt auf, daß der Titel sofort dreimal in der Einleitung erscheint und Paulus damit den Inhalt seines Evangeliums umschreibt Röm (1,3.4,9) von seinem Sohn Jesus Christus, unserm Herrn, der geboren ist aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, und nach dem Geist, der heiligt, eingesetzt ist als Sohn Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten. Denn Gott ist mein Zeuge, dem ich in meinem Geist diene am Evangelium von seinem Sohn, dass ich ohne Unterlass euer gedenke. Wieder dreimal begegnet er uns auf dem Höhepunkt des Briefes im 8. Kapitel, dessen Skopus man in dem einen Satz zusammenfassen könnte: „Der >Sohn Gottes< macht uns zu >Söhnen Gottes<, die an seiner himmlischen doxa partizipieren sollen (8,3.29.32).“188

Die von Hengel zitierten Textstellen des Neuen Testaments im Wortlaut:

„Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündige Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch. Röm 8,29: Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, daß sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Röm 8,32: Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,3)

Noch einmal Martin Hengel: „Daran zeigt sich, daß für Paulus nicht die spekulative, sondern die Heilsbedeutung des Begriffs im Vordergrund steht. Denselben Eindruck vermittelt der Galaterbrief. […] Damit bezeichnet Paulus zugleich den Gottessohn als den eigentlichen Inhalt seines Evangeliums (Verweis auf J. Blank op. cit. 222ff “Gegenstand der Offenbarung ist der Sohn Gottes, der von den Toten auferstandenen Jesus Christus“)

Analog dazu begegnet uns der Titel [Gottes Sohn] – ähnlich wie in Röm 8 – in der Spitzenaussage des Briefes überhaupt: Gal 4,4 f: [von Bultmann ebenfalls als erledigt erklärt] „Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe unter das Gesetz gestellt, damit er die unter dem Gesetz (Versklavten) loskaufte, damit wir die Sohnschaft empfingen […] Wieder ist der Skopus eindeutig soteriologisch: Der >Sohn Gottes< befreit uns dazu, <Gottes Söhne> zu werden.

Dieser Befund wird bestätigt durch einen ganz anderen Text zu Beginn des 2. Korintherbriefes (1,18f) „Gott ist mein Zeuge, daß unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Auch im ersten Korintherbrief erscheint der Sohn zunächst einmal am Anfang des Schreibens (1,9) und dann wieder an einem Höhepunkt 1 Kor 15,28: Am Ende aller Dinge, wenn durch die Parusie Christi und die allgemeine Auferstehung auch der Tod als letzte Macht besiegt ist, >dann wird auch >der Sohn> selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit sei Gott alles in allem“ (Verweis auf E. Schendel „Herrschaft und Unterwerfung Christi. BGE 12, 1971)

Paulus umschreibt so mit dem Begriff des Sohnes nicht nur den präexistenten und menschgewordenen Erlöser der Welt als Inhalt seiner Missionspredigt, sondern auch den Vollender von Schöpfung und Geschichte […]

Der Sohnestitel umschreibt die Einzigartigkeit des Heilsgeschehens, die Größe des Opfers um unseretwillen.“ 189

„Wollen wir den Beginn der Gottessohnschaft und des Herrseins Jesu benennen, so sollten wir gemäß dem Osterzeugnis der ersten Christen genau unterscheiden. Fragen wir nach dem Erkenntnisgrund – nach der ratio cognoscendi –, so antworten die neutestamentlichen Zeugen einmütig: Seit seiner Auferstehung wird Jesus im umfassenden Sinne als „Sohn Gottes“, als „Christus“ und „Kyrios“ – das heißt als Herr der Welt und der Geschichte – erkannt und bekannt. Fragen wir aber nach dem Seinsgrund dieser Erkenntnis – also nach der ratio essendi –, so ist das einmütige Zeugnis aller Evangelien, dass Gott sich schon lange vor Kreuz und Auferstehung zu Jesus von Nazareth als seinem Sohn bekannt und durch ihn gewirkt hat. Die Frage nach dem Erkenntnisgrund des Gottseins Jesu geht also von Ostern aus zurück, die Frage nach dem Seinsgrund führt von den Anfängen her auf Ostern hin. So fehlt es im Neuen Testament auch nicht an ausdrücklichen Zeugnissen dafür, dass Jesus Christus schon als Sohn bei seinem himmlischen Vater war, bevor er überhaupt als Mensch existierte – dass er also nicht etwa als Mensch Gott wurde, sondern vielmehr als Gott Mensch! […] s. Röm 1,3f; Phil 2,9ff, vgl. Apg 2,36; 13,32f. 4 S. Mk 1,11 3,11; 5,7; 9,7; 14,61f; 15,39; Mk 12,6; 12,35ff. (PS 110,1). 5 Zur „Schöpfungsmittlerschaft“ Jesu Christi s. Joh 1,3.10; 1. Kor 8,6; Kol 1,15-17; Hebr 1,2f. 6 S. zum „Jüngerunverständnis“ vor Ostern Mk 6,52; 7,18; 8,17.18 (vgl. Jer 5,21).21; 8,32f.; 9,6.19.32 (vgl. 14,18 – 16,8).190

„Während der menschliche Nachkomme Davids von Geburt Davidide ist und gemäß PS 2,7 am Tag seiner

Inthronisation von Gott zum „Sohn Gottes“ und Repräsentanten seiner Herrschaft in Israel adoptiert und eingesetzt wird, gilt von Jesus Christus in Aufnahme und einzigartiger Überbietung umgekehrt, dass er gemäß LK 1,32f.35191 „Sohn Gottes“ von Geburt ist und in die Linie der „Davididen“ erst und nur durch die Adoption seines Zieh vaters Joseph, den durch Stammbaum erwiesenen Davididen, aufgenommen wird. “192

Wo Jesus Christus aber, wie hier bei Bultmann, nicht als Sohn Gottes angesehen wird, bleibt nur, ihn als „purus homo“ anzusehen.

„Die Konsequenz, die sich hinsichtlich der Soteriologie ergibt, liegt auf der Hand: Wo die Geschichte Jesu als die Geschichte eines purus homo angesehen wird, da ist es gänzlich ausgeschlossen, in ihr die Geschichte der rettendem Zuwendung Gottes zu den Menschen und somit in Jesu Tod ein Gottesgeschehen zu erblicken, das alle Menschen betrifft und in dem über sie all entschieden ist. “ 193

Wo Jesus Christus nicht als der im gesamten Neuen Testament verkündete Sohn Gottes angesehen wird, wie hier bei Bultmann, dort ist und bleibt jede Rede von ihm, ebenso jede andere Rede über irgendeinen Text des Neuen Testaments, unvermeidlich, zwingend mit modallogischer Notwendigkeit194 nichts anderes als vollkommen leeres Geschwätz.

1.2.1.5 Gegenrede: Jesu Christus wahrer Gott und wahrer Mensch

Der Kapitelüberschrift könnte man nur dadurch gerecht werden, wenn man das „ganze“ Neue Testament „zitierte“. Denn Gottes unendliche Liebe und seine Gnade in seiner Selbstoffenbarung in Jesus Christus, die Person und das Heilswerk Jesu Christi für uns, ist ausschließlicher Inhalt des Neuen Testaments. Solch umfangreiche Zitate aber sind unmöglich, noch wären sie hier sinnvoll. Deshalb beschränke ich mich hier auf ganz wenige Worte dazu, vorwiegend in Zitaten meiner theologisch wissenschaftlichen Lehrer. Stellvertretend zitiere ich die Selbsterschließung Jesu im Johannesevangelium in der Anmerkung.195

„Die Antwort auf die Frage, wer Jesus Christus in Wahrheit ist, gibt nicht der ein Jesusbild rekonstruierende Exeget und Historiker, sondern einzig und allein das apostolische Christuszeugnis.“ 196

So beginnt das Markusevangelium gleich mit dem Satz: „Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. “ (Mk 1,1)

Weitere Nachweise zur Sohnschaft Jesu finden sich hier auch in den Ausführungen insbesondere in den Gegenreden gegen Bultmann in den Kapiteln 1.2.1.3 „Gegenrede“ und 1.2.2 „Eschatologie und Parusie“, 1.2.3 „Verleugnung der Sündenvergebung“ 1.2.4 „Verleugnung der Jungfräulichen Geburt“ und 1.2.5 „Verleugnung der Jesu Präexistenz“.

„Im Leben des Inkarnierten ist Gottes Offenbarung gleichsam “handgreiflich“ geworden: wir haben seine Doxa, die ja die Doxa Gottes selber ist, geschaut (Joh. 1, 14); mit allen menschlichen Sinnen konnte sie erfasst werden (1. Joh. 1, 1ff.). Wenn dieses menschliche Leben, wenn der Sühnetod Jesu, wenn jene Ereignisse, die sich historisch-chronologisch datieren lassen, die Offenbarung Gottes als sein entscheidendes Handeln darstellen, dann ist gerade auch mit diesem Offenbarungsbegriff die Notwendigkeit einer heilsgeschichtlichen Christologie gegeben; dann muss nach beiden Seiten hin alle Offenbarung Gottes auf diese Christusmitte bezogen werden, auf diesen irdischen Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Das Johannesevangelium, Paulus und der Hebräerbrief führen dieses Denken über die Offenbarung konsequent zu Ende: Jesus Christus ist Gott, insofern er sich offenbart. Das Johannesevangelium zieht diese letzte christologische Folgerung, indem es Jesus mit dem Offenbarungswort identifiziert, durch welches Gott sich schon in der Schöpfung mitgeteilt hat und in allem weiteren Heilsgeschehen mitteilt; Paulus, indem er Jesus als den “Kyrios“ ansieht, der das All beherrscht; der Hebräerbrief, indem er Jesus Christus den Namen “Gott“ gibt. “197

„Das geoffenbarte Mysterium ist der Gegenstand des hymnischen Bekenntnisses (1 Tim 3,16), und es ist wiederum nichts anders als DER, der „geoffenbart wurde im

Fleisch“. Offenbarung ist Kundmachung des Mysteriums. […] dieses Mysterium heißt „Christus“ (Eph 3,4; Kol 1,27; 2 2) “198

„Ich bin von Gott ausgegangen und komme von ihm“ (Joh 8,42b)

„Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich“ (Joh 8,58).

„Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.“ (Mt. 11,27)

„Die Evangelien bezeugen, daß mit dem Kommen Jesu die erhoffte Wiederkehr des Paradieses bereits angebrochen und die durch Adams Fall zerstörte Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt ist. “ 199

„So fehlt es im Neuen Testament auch nicht an ausdrücklichen Zeugnissen dafür, dass Jesus Christus schon als Sohn bei seinem himmlischen Vater war, bevor er überhaupt als Mensch existierte (S. zur „Präexistenz“ – d.h. dem „Vorher-Dasein“ – Jesu Christi bei Gott vor seiner Menschwerdung Joh 1,1-3; 8,58; 16,28; 17,5.24; 1. Kor 8,6; 2. Kor 8,9; Phil 2,6f.; Kol 1,15-17; Eph 1,3-14; Hebr 1,2f. (vgl. Röm 8,3; Gal 4,4; 1. Kor 10,3f.) – dass er also nicht etwa als Mensch Gott wurde, sondern vielmehr als Gott Mensch! (S. Joh 1,9-11.14.) Als der Mensch gewordene Sohn Gottes wird er von seinem Vater nach seinem hingebungsvollen Leben und Sterben auferweckt; und als der von seinem Vater Auferweckte wird er als der „einziggeborene“– d.h. in seinem Sein und Wesen einzigartige – Sohn Gottes erkannt. So beginnt das Johannesevangelium mit dem großen Christushymnus: „Im Anfang war das Wort; und das Wort war bei Gott; und Gott war das Wort …“ (Joh 1,1f; vgl. 1,14), und mündet nach

Menschwerdung, Wirken und Erhöhung Jesu in das Osterbekenntnis ein: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28).“200

„Wenn nun die Gottesprädikation von Jes 44,6 bzw. die ihr entsprechende Prädikation von Offb 1,8 und 21,6 auf Christus übertragen werden [wie das in der Johannesapokalypse geschieht], und also Christus – Jahwe selbst – „der Erste und der Letzte“, „das A und das O“, „der Anfang und das Ende“ genannt wird, so ist mir dieser Übertragung deutlich ausgesagt: Christus >ist< seinem Wesen nach >Gott<.“201

„Nur deshalb, weil Jesus seinem Wesen und Ursprung nach auf die Seite Gottes gehört und als der eine und einzige Sohn selbst „Gott“ ist, kann er tun, was einzig Gott zu tun vermag.“202

„Jesu Geschichte, wie sie uns im Neuen Testament bezeugt wird, ist analogielos, und sie ist es deshalb, weil er selbst analogielos ist. Jesus ist nämlich darin von allen anderen Menschen qualitativ unterschieden, daß er seinem Ursprung und Wesen nach auf die Seite Gottes gehört und Gott in ihm in der ganzen Fülle seiner Gottheit gegenwärtig ist. Die neutestamentlichen Zeugen sehen in dem, der den Weg an das Kreuz geht, „die einmalige Epiphanie Gottes“ (13), die „Gegenwart Gottes“ in Person (14). Wenn Jesus im Neuen Testament „der Sohn Gottes“ genannt wird, dann wird damit genau dies zum Ausdruck gebracht, daß in ihm Gott selbst erscheint, gegenwärtig ist, redet und handelt. Weil aber Jesus dieser „Sohn Gottes“ ist, deshalb ist seine Geschichte nicht eine im Zeichen des Todes stehende Menschengeschichte, sondern eine

Gottesgeschichte, an der die Macht des Todes zerbricht. Als der vom Tode Auferstandene ist der Gekreuzigte der lebendige Herr – „gestern und heute derselbe und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8). Wie nun der gekreuzigte Sohn Gottes nicht eine Gestalt der Vergangenheit ist, so ist auch seine Geschichte nicht eine vergangene Geschichte. Sie ist im Gegenteil „eine Geschichte, die die Grenzen von Einst und Jetzt durchbricht. (15). “ 203

„Also das ist die Wirklichkeit Jesu Christi: Gott selbst in Person ist handelnd gegenwärtig im Fleische. Gott selbst in Person ist Subjekt eines wirklichen menschlichen Seins und Handelns. Und so gerade, indem Gott sein Subjekt ist, so und nicht anders ist dieses Sein und Handeln wirklich. “ 204

„Für das neutestamentliche Christuszeugnis ist der Gedanke wesentlich, dass das Persongeheimnis des irdischen Jesus d.h. -- sein wahres Sein – dem menschlichen Erkenntnisvermögen schlechterdings entzogen ist und ausschließlich auf Grund göttlicher Offenbarung erkannt werden kann. Paulus legt das eingehend in den theologisch höchst gewichtigen Ausführungen von 1.Kor. 2,6-16 dar, und er weist an anderen Stellen seiner Briefe darauf hin, dass die Christusoffenbarung in grundlegender Weise den Aposteln Jesu Christi durch die Begegnung mit dem Auferstandenen Kyrios zuteil geworden ist.205

Hofius weiter: „Der Sicht des Paulus lässt sich diejenige der vier Evangelisten an die Seite stellen, der zufolge Jesu Persongeheimnis nicht nur den Zeitgenossen (Anmerkung bei Hofius: das wird durch Texte wie die folgenden signalisiert: Mk 6,1-6 par. Mt 13,53-58; Mk 6,14-16 par. Mk 8,27 f par. Lk 4,22(nicht als positive Reaktion zu deuten); Joh 6,42; 7,27-40.43.), sondern gerade auch den Jüngern vor Ostern verborgen war und erst den zu Aposteln berufenen Jüngern durch die Selbsterschließung des auferstandenen Herrn bzw. durch das offenbarende Wirken Gottes enthüllt worden ist. (längere Anmerkung bei Hofius hier nicht zitiert). Paulus und die Evangelisten bringen mit den angedeuteten Aussagen auf unterschiedliche Weise zur Sprache, dass die Antwort auf die Frage nach Person und Werk des irdischen Jesus nirgends anders als in dem Christuszeugnis der Apostel Jesu Christi zu finden ist, das sich der Erkenntnis und Glauben wirkenden Selbstoffenbarung des auferstandenen Herrn verdankt. Unverkennbar wird damit der Anspruch erhoben, dass das, was die apostolischen Zeugen über Jesus sagen, nicht das Ergebnis menschlichen Denkens und Deutens, sondern geoffenbarte göttliche Wahrheit ist. […] Bei den Evangelien handelt es sich weder um Biografien noch auch um eine bestimmte Form von Geschichtsschreibung, sondern um narratives Christuszeugnis und somit um eine völlig neue und analogielose literarische Gattung (es folgt eine Anmerkung bei Hofius in der näher gezeigt wird, daß das NT keine Biografie und Geschichtsschreibung darstellt) […]

Der Jesus der Evangelien ist der von den Aposteln bezeugte Christus, und das will bei der Exegese aller in ihnen berichteten Ereignisse und aller in ihnen mitgeteilten Worte bedacht sein. Das bedeutet: Jede Erzählung und jedes Wort ist im Lichte des Todes und der Auferstehung Jesu zu lesen und zu bedenken. “206

„Im Schrei der Geburt“, im Schrei am Kreuz, im Ja des Auferstandenen: so klingt Gottes Ja. […], als Gekreuzigter am Schandpfahl, und dann in der anderen Gestalt im Lichterglanz der himmlischen Heerscharen des Auferstandenen: so lässt Gott sich sehen. Und so erweist er die Macht menschlicher Liebe und Schwachheit als die einzig wahre göttliche und menschliche Macht. Gottes Ja: Ein wahrer Mensch! Aber eben: Gottes Ja! Und darum unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und unzerteilt, […] Wahrer Mensch und wahrer Gott. Gott spricht sein Ja zur Welt nicht so, dass er in diesem Ja aufhörte, Gott zu sein. Gott wurde Mensch, ohne sich darin als Gott, als Schöpfer und Herr der Welt aufzugeben. Das Wort ward Fleisch, ohne darin aufzuhören, das ewige Wort „das Ja vom ewigen Wurzelgrund“ (Wilfried Joest) zu sein. “207

Ganz offenbar ist Bultmanns Herangehen davon fundamental unterschieden. Er folgt unübersehbar einem eigenen Vorverständnis – vgl. insbesondere Kapitel 6.2 und 6.5 -- auch über den Charakter der neutestamentliche Texte, andernfalls könnte er wohl kaum davon sprechen, dass sich große Teile davon als erledigt erwiesen haben und den Glaubenden und dem neutestamentliche Texten „Primitivität“208 und der Predigt solcher Texte „Sinnlosigkeit“209 vorhalten. So muss man denn Bultmann vorhalten, was Trowitzsch so ausdrückt:’ In Anwesenheit Jesu Christi, der ja mitten unter uns ist, tut die Zeit so, als wäre er nicht da. Darin liegt Schlimmeres als Situationsblindheit und Vermeintlichkeit vor, nämlich Widerwille und Lüge. ’210

Ganz anders das Neue Testament. „Sohn Gottes“ ist zentraler Inhalt des christlichen Glaubens. Jesus Christus, seine Person und sein Heilswerk ist die Mitte der Schrift, ist Inhalt der Verkündigung, ist die alles entscheidende, end-gültige Wende im Gottesverhältnis des Menschen, eschatologisch verstanden.

‘Diese Mitte ist zugleich Wende, also nicht nur Begriff, sondern Ereignis.’211

Den neutestamentlichen Christuszeugnissen geht es um die Darstellung der Einmaligkeit, Unwiederholbarkeit, Geschichtlichkeit, Zeitlichkeit, Personalität < des > biblischen Christus<. Jesus Christus ist selbst Gottes versöhnende Tat. Gott setzt nichts Geringeres ein als sich selbst in Jesus Christus. Das alles aber kann einzig von der gottheitlichen Eigentlichkeit des Sohnes her verstanden werden. Jesus Christus ist der, der er ist, der er immer schon war, kraft seiner Sendung durch den Vater, kraft seines Ursprungs aus der Wirklichkeit Gottes, kraft seiner Stellung als Sohn. Das Wunder, von dem das Neue Testament Zeugnis gibt, ist nicht zunächst, daß Gott >Gott< ist, sondern daß er zum >Menschen< sich kehrt, >Mensch< wird. ’212

„Christus ist nicht nur einer von Millionen Lebenden, sondern alles geschaffene Leben gründet in ihm und hat an seinem Leben teil, so dass er selbst als „das Leben“ (Joh 1,3f; 11,25f; 14,6) verstanden wird. Er hat nicht nur erhellende Worte und ist nicht nur eine lichtreiche Persönlichkeit, sondern er ist selbst „das Licht“, in dem alles besteht und lebt (Joh 1,4; 8,12). Er spricht nicht nur die Wahrheit und lehrt nicht nur Verbindliches, sondern er ist selbst „die Wahrheit“ (Joh 14,6) und damit Maßstab und Kriterium der Wirklichkeit. Er ist nicht nur ein „Seiender“, sondern „das Sein“ selbst, nicht nur ein „Liebender, sondern die „Liebe in Person“, denn „Gott ist die Liebe!“ (1 Joh 4,8.16). “213

„So war „Gott in Christus“ (2. Kor. 5, 19), so war er das in die Welt kommende, wahrhaftige Licht (Joh. 1, 9): ἐφανερώθη ἐν σαρκί (1. Tim. 3, 6), ἐρχόμενος ἐν σαρκί (1. Joh. 4, 2; 2. Joh. 7). Wer das leugnet, der ist nach 2. Joh. 7 der Verführer und der Antichrist! Denn was die Bibel Offenbarung nennt, das steht und fällt mit diesem „Kommen im Fleische“. Jeder Vorbehalt: sei es dagegen, daß hier Gottes Wort in Person handelnd gegenwärtig ist – sei es dagegen, daß dieses handelnde Gegenwärtig Sein Gottes in Person wirklich hier, im Fleische, in Menschengleichheit stattfindet – jeder solchen Vorbehalt macht die Offenbarung und die Versöhnung unverständlich. Und umgekehrt: je bestimmter man beides zusammensieht als eines: das Wort Gottes – Fleisch, Gott selbst in Person – in Menschengleichheit, desto besser versteht man, was die Bibel Offenbarung nennt.“214

O. Hofius: „Unsere Überlegungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß die Johannesapokalypse in zentralen christologischen Aussagen die wesenhafte Gottheit Jesu Christi bezeugt. Im hieran anschließenden Verweis heißt es: „Damit hat sich voll bestätigt, was Wirkenhauser, Offenbarung über den „Messias der johanneischen Apokalypse“ sagt: „Er ist der Löwe aus dem Stamm Juda und der Sproß Davids (5,5; 22,16). Aber er ist nicht ein Mensch wie andere Menschen, sondern der ewige Gottessohn. [geboren als Sohn Gottes, als Davids Sohn adoptiert]. Er besitzt göttliches Wesen. Der Apokalyptiker gibt ihm die höchsten Prädikate, die nur Gott zukommen. Er ist das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende (1,17;22,13), der König der Könige und Herr der Herren (17,14;19,16), der ewig Lebende (1,18), der Allwissende (2,23), der Anbetungswürdige (1,6;5,8ff)…Im neuen Jerusalem ist er mit Gott die Quelle ewigen Lebens und Seligkeit für die Auserwählten (21,22f;22,1ff)215

„Der Glaube an Jesus Christus, der aus der Begegnung lebt, die Jesus Christus selber uns im Wort – und als das Wort – schenkt, schließt den unerhörten Satz in sich, daß Gott-selbst in Christus gehandelt hat und handelt. “ 216

„Gottes Wort ist wirklich in unsere Geschöpflichkeit und Geschichte eingegangen und nicht nur in unser Existenzverständnis! Und so ergeht von den „Geschichten“, die da geschehen sind, ein Wirklichkeitsanspruch sui generis, der nicht nur hierfür wie für einen ausgesparten Bezirk fromm zu respektieren ist, sondern von dem aus nun auch >alle< Wirklichkeit irgendwie anzugehen, jedenfalls in ihrem Absolutheitsanspruch zu erschüttern ist; denn was hier geschehen ist, will ja nicht nur auch Wirklichkeit sein, sondern es will die Wirklichkeit aller Wirklichkeiten sein.“217

„Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name. Der Sohn höher als die Engel. Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt (Psalm 2,7): »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum (2.Samuel 7,14): »Ich werde sein Vater sein und er wird mein Sohn sein«? Und wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt, spricht er (Psalm 97,7): »Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten. “ (Hebr 1,1-6)

O. Hofius in seiner Exegese des Hebräerbriefs: „V 20a besagt: Jesus hat uns einen neuen und lebendigen Weg eröffnet, einen Weg, der durch den Vorhang des himmlischen Allerheiligsten hindurch in die unmittelbare Nähe Gottes führt. […]. >Eröffnet< ist der Weg in das himmlische Allerheiligste durch das Kommen Jesu in die Welt, durch seine Inkarnation (V.20; vgl. 9,6-10; 10,5.9). Daß wir den Weg beschreiten dürfen und ihn am Tag der Heilsvollendung auch tatsächlich beschreiten werden und daß wir ferner dessen schon jetzt in freudiger Zuversicht gewiss sein können, das ist begründet in dem hohepriesterlichen Selbstopfer Jesu, der seinen Leib und sein Blut zu unserer vollkommenen Reinigung dahingegeben hat (V19; vgl. 19,19.14) (Im Verweis: Mit V19 stimmt 6,19f. überein.) Auch dort ist mit keinem Wort gesagt, dass Jesus den Weg zu Gott erst durch seinen Eintritt in das himmlische Sanctissimum eröffnet habe. Die Stelle spricht vielmehr davon, daß >unsere< Hoffnung am Tage der Heilsvollendung in Gottes Wohnung einzugehen, eine feste und gewisse Hoffnung sein darf, weil der ewige Hohepriester Jesus sein Selbstopfer als Vorläufer für uns bereits eingegangen ist. “218

In einer, dieses Kapitel abschließenden Überlegung, möchte ich zeigen, daß Jesus Christus im Neuen Testament immer wieder Gott als „Abba“, d.h. als „mein lieber Vater“ anspricht.

„Nicht weniger als 170mal begegnet in den Evangelien das Wort Vater für Gott im Munde Jesu. “ 219

Inder Gottesanrede „Abba“ äußert sich das letzte Geheimnis der Sendung Jesu. Er wußte sich bevollmächtigt, Gottes Offenbarung zu vermitteln, weil Gott sich ihm als Vater zu erkennen gegeben hatte. (Mt 11,27 par.). “220

Eine ausführliche Darstellung findet sich im Buch von Joachim Jeremias, „Abba“ aus dem ich hier einige wenige Gedanken dazu zitiere:

„Alle fünf Quellenschichten der Evangelienüberlieferung stimmen darin überein, daß Jesus Gott im Gebet als Vater angeredet hat. Diese Belege verteilen sich wie folgt:

Markus 26,39; Lk.22,421Mk 14,36 par. Mt
Mt und Lk gemeinsam 11,25.26 par. Lk 10, 21a.b3Mt 6,9 par. Lk 11,2;
Lukas darüber hinaus allein2Lk 23,34.46
Mt darüber hinaus allein 14,36; Mt 26,42; (Wiederhlg.)1Mt 26,39 par Mk
Johannes9Joh 11, 41; 12,27f; 17, 1.5.11.21.24.25

[…] Wir haben […] gesehen, daß die persönliche Gottesanrede „mein Vater in der Literatur des älteren palästinensischen Judentums nicht nachgewiesen ist (o. S. 31-33). Es ist also etwas Neues, daß Jesus Gott mit „mein Vater“ anredet. […] Damit stehen wir vor einem Tatbestand von allergrößter Bedeutung. Während es in der jüdischen Gebetsliteratur keinen einzigen Beleg für die Anrede Gottes mit Abba gibt, hat Jesus Gott (mit Ausnahme des Kreuzesrufes Mk. 15,34 par) immer so angeredet. Wir haben es also mit einemvöllig e i n d e u t i g e n K e n n z e i c h e n d e r i p s i s s i m a v o x J e s u zu tun. […] Die Abba Anrede Jesu ist […] keineswegs nur Ausdruck der Vertraulichkeit Jesu im Umgang mit Gott. in ihr liegt zugleich die völlige Hingabe des Sohnes im Gehorsam gegenüber dem Vater (Mk. 14,36; Mt. 11,25f). […] in dem Abba kommt ein besonderes Gottesverhältnis zum Ausdruck. […] in dem Abba Jesu kommt seine Gewißheit zum Ausdruck, im Besitz der Offenbarung zu sein, weil ihm der Vater die volle Gotteserkenntnis geschenkt hat. Auch in Jesu Gebeten ist Abba nicht nur Ausdruck des gehorsamen Vertrauens (Mk. 14,36 par), sondern zugleich Wort der Vollmacht. […] der Abba-Ruf liegt jenseits aller menschlichen Möglichkeiten und ist nur im Bereich des durch den Sohn geschenkten neuen Gottesverhältnisses möglich.“221

„Die Evangelien bezeugen, daß mit dem Kommen Jesu die erhoffte Wiederkehr des Paradieses bereits angebrochen und die durch Adams Fall zerstörte Gottesgemeinschaft mit Gott wiederhergestellt ist. (Verweis auf J. Jeremias ThW V (1954), 770f).“222

„>Große Freude – aller Welt! Der Heiland. Hier in Bethlehem< (Lk2). Wenn Gott geboren wird, der >Rein-Entsprungene<, in der Sternstunde des Himmels, im Morgensturz einer neuen Zeit. Wenn die Gesichter emporgerissen werden. Wenn ein als Mensch Geborener eine geheimnisvolle Freude ausstrahlt, beim Anbruch ungestümer Wahrheit, Hier – und nirgendwo anders. Das Glück der Wahrheit, der brennende Dornbusch, das flammende Zeichen

das ist hier. >Er heißt Jesus Christus, der Herr Zebaoth, und ist kein anderer Gott. < (EG 362,2) Christus ist hier (Röm 8,34). Gott ist nicht die Mutmaßung eines Eigentlichen. >Ich. Bin. Da.<, hört Mose aus dem Dornbusch. >Ich bin, der Ich bin. Ich werde sein, der Ich sein werde< (2 Mose 3,14): der nämlich einen Namen haben wird >über alle Namen< und der darin, in dem Namen Jesu Christi, sein wird, der er ist. “223

„die dynamis der Menschwerdung schon die Macht der Endvollendung, und die Macht der Auferweckung ist die Macht von Gottes Leben, schließlich alles in allem zu sein (I Kor 15,28). Die Kraft der Auferweckung ist daher auch schon die Kraft der endgültigen Wiederkunft Christi. Dergestalt ist die Macht der Neugeburt der Welt (Act 2,24; Röm 8,18ff.) nichts anderes als die Dynamik des Gottseins Gottes.“ 224

„Er allein, der Kyrios, ist Anfang und Ende, Mitte und Maßstab aller christlichen Theologie.“ 225

„Ich aber sage euch“, über 160 Mal finden wir im Neuen Testament diese Weisungen Jesu. Mit messianischem Hoheitsanspruch tritt er uns entgegen. Mit dem wiederholten “Ich aber sage euch” zeigt sich Jesus als der von Gott autorisierte Herr. Hier offenbart sich Jesus Christus, wer er in Wahrheit ist, nämlich der Messias, Jesus Christus.

Ausgewählte Zeugnisse der Gottessohnschaft aus dem Neuen Testament:

„Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

(Mt 3,17)

„Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!! (Mt 17,5)

„Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ (Mk 1,11)

„Und es kam eine Wolke, die überschattete sie. Und eine Stimme geschah aus der Wolke: Das ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören!“ (Mk 9,7)

„und der Heilige Geist fuhr hernieder auf ihn in leiblicher Gestalt wie eine Taube, und eine Stimme kam aus dem Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen. “ (Lk 3,22)

„Und es geschah eine Stimme aus der Wolke, die sprach: Dieser ist mein auserwählter Sohn; den sollt ihr hören!“ (Lk 9,35)

„Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt (Psalm 2,7): »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum (2.Samuel 7,14): »Ich werde sein Vater sein und er wird mein Sohn sein«? (Heb. 1,5)

„So hat auch Christus sich nicht selbst die Ehre beigelegt, Hoherpriester zu werden, sondern der, der zu ihm gesagt hat (Psalm 2,7): »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«“ (Hebr 5,5)

„Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ (2 Petr 1,17)

„Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. […] Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Joh 1,1.2.14)

1.2.2 Die Verleugnung der Eschatologie und der Parusie

1.2.2.1 Bultmann

„Die mythische Eschatologie ist im Grunde durch die einfache Tatsache erledigt, daß Christi Parusie nicht, wie das Neue Testament erwartet, alsbald stattgefunden hat, sondern die Weltgeschichte weiterlief und wie jeder Zurechnungsfähige überzeugt ist, -- weiterlaufen wird.“ 226

„Dem mythischen Weltbild entspricht“ 1 Thess. 4,15227 und hat sich damit erledigt:

„Erledigt ist die Erwartung des mit den Wolken des Himmels kommenden >Menschensohns< und des Entrafftwerdens der Gläubigen in die Luft, ihm entgegen.

(1 Thess 4,15ff)228

„die korrelative Vorstellung von der eigenen Versetzung in eine himmlische Lichtwelt, in der das Selbst himmlische Gewänder, einen pneumatischen Leib erhalten soll, ist für ihn [den modernen Menschen] nichtssagend, -- nicht nur rational unvorstellbar. “229

„Eschatologische Existenz ist entweltlichte Existenz innerhalb der Welt. “ 230

„Die Eschatologie […] fragt überhaupt nicht nach dem Sinn und Ziel der Weltgeschichte, […] sondern sie fragt nach dem Sinn und Ziel je meiner Geschichte. […] Und sieht den Sinn erfüllt und das Ziel erreicht, […] jeweils, wo das Wort des Kerygmas begegnet. “231

„Damit Jesus als eschatologische Phänomen verstanden werde […] bedarf es nur dessen, daß das Daß seines Gekommenseins verkündigt werde.“ 232

„Auch Bultmann hat seine präsentisch-existentielle Eschatologie schon frühzeitig entwickelt. Bereits in seinem Jesusbuch (1926) sieht er den Sinn der Reich-Gottesverkündigung Jesu allein darin, „daß der Mensch dies als sein eigentliches Wesen erfasse, in der Entscheidung zu stehen. Er vollzieht dort auch bereits die Umkehrung dieses Satzes, daß das Stehen in der Entscheidung das Eschatologische sei. “233

1.2.2.2 Das verleugnete Wort des NT

„Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit. “ (1 Thess 4,16ff) „Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind.“ (Mt 16,28; 24,30-31; 1.Kor 15,51-52; Joh 17,24)

1.2.2.3 Gegen die Verleugnung der Parusie

Bultmann behauptet, hier erneut völlig unbegründet und gegen das unübersehbare Zeugnis des gesamten Neuen Testaments, -- dort wird fast 300 Mal von der Wiederkunft des Herrn Jesus gesprochen --234 zentrale neutestamentliche Substanz, nämlich die Eschatologie und Parusie, ohne die Christentum gar nicht denkbar ist, sei erledigt.235

Die Wiederkunft Jesu Christi ist das Herzstück christlichen Glaubens. […] Es geht […] im Glauben an die Wiederkunft um die Vollendung, um das Ziel des Glaubens. […] Es gilt dagegen zu bedenken, daß das gesamte Denken Jesu von Parusievorstellungen durchtränkt ist. (Verweis auf Oepke ThWNT V, 863.: […] Die Lehre von der Wiederkunft Christi hängt […] mit den fundamentalen Artikeln des christlichen Glaubens unauflöslich zusammen. Sie ist somit ein notwendiger Bestandteil christlicher Verkündigung.“236

Wie zurechnungsfähig man hier, und an anderen Stellen, Bultmann nehmen muss, sei einmal dahingestellt, und soll hier nicht weiter behandelt werden, obwohl seine unerhörten Einlassungen in diesem Aufsatz reichlich Anlass dazu bieten würden, sich näher damit auseinanderzusetzen.

Hengel nennt das: Die scheinbar wissenschaftliche, in Wirklichkeit oft nur primitive >entmythologisierende< Abqualifikation derartiger Aussagen [der Substanz der christlichen Heilsbotschaft über Jesus Christus und die Liebe Gottes] könnte zuweilen auch ein Zeichen von geistiger Simplizität und Bequemlichkeit sein. “237

Karl Barth fragt sich: „ob man im gegebenen Fall bereit sein will, sich in seiner Borniertheit wenigstens ein bisschen erschüttern und ihre Grenzen gelegentlich erweitern zu lassen. […] Ich denke: ohne jene Bereitschaft kann ich irgendeinen anderen, irgendeinen Text, nicht nur nicht ganz, sondern gar nicht echt und recht, und also überhaupt nicht verstehen. [….] Ist die Lehre vom n o r m a t i v e n, gerade mit dem Heiligen Geist konkurrierenden, gerade ihm Schranken setzenden >Vorverständnis<,die der Hermeneutik Bultmanns zugrunde liegt, [vgl. Kapitel 6.2 und 6.5] nicht der Tod >a l l e s< echten und rechten Verstehens?“238

Nur da wo der Heilige Geist ist, ist die ganze Wahrheit. Und es ist immer wieder in Erinnerung zu rufen: Das Zeugnis hat sein Fundament im Wort Gottes, nirgends anders, nicht in mir, nicht in der Philosophie.

Und Konrad Hammann schreibt: „Ähnlich wie Asmussen lehnte Hans Joachim Iwand den Vortrag [Neues Testament und Mythologie] Bultmanns rundweg als <Erscheinung von Senilität> ab.“239

„Die Krise der Rationalität sind nicht die technischen Produkte, die sie auch hervorbringt, ihre Krise ist vielmehr die Zerstörung des Stoffs, der ihr den Raum der Nachdenklichkeit auftut. Ihre Krise ist die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen im Wahn, sie reproduzieren zu können. Ihre Krise ist die Kultur der Kritik, die sie an die Stelle der Kultur der Rezeption setzt.“ 240

Felix Flückiger schreibt, dass bei Bultmann sich „das Heilsgeschehen reduziert auf den je und je sich ereignenden Akt der Gottesbegegnung in der Existenz. Indem in der Predigt das neue Seinsverständnis der Existenz „zur Sprache kommt“, d.h. offenbar wird, wird auch in andern Menschen dieses Seinsverständnis wachgerufen. Das ALLEIN ist [bei Bultmann] das wirkliche Heilsergeignis, bzw. das was Bultmann das „eschatologisches Ereignis nennt. “241

„Die mit der Parusie Jesu Christi verbundene Heilsvorstellung bedeutet für die Glaubenden, daß sie die mit der „Gerechtigkeit“ [im Original in Griechisch] verbürgte „Umkehr“ [im Original in Griechisch] empfangen und in bleibender Gemeinschaft mit Christus des ewigen Lebens bei Gott teilhaftig werden. “242

„Für den christlichen Glauben ist die Wiederkunft Christi der Kern aller eschatologischen Erwartung. Wie die Eschatologie insgesamt, so kann auch die Wiederkunft Jesu als eine durchgehende Dimension des Neuen Testaments bezeichnet werden.“ 243

„Die Erwartung der baldigen, persönlichen und sichtbaren Ankunft […] von Jesus Christus, dem auferstandenen und erhöhten Herrn der Kirche, durchzieht das gesamte Neue Testament.“ […] Diese Zukunftserwartung hat ihre Wurzeln in Leben und Lehre Jesu; sie ist keine nachträgliche Konstruktion der Gemeinde. Jesus selbst sprach wiederholt vom Kommen des Menschensohns und vom Ende der Welt(zeit);“244 (Anmerkung bei Pöhler)245

„Der Übergang aus dem irdischen Dasein in die Ewigkeit ist ein Vorgang, der für alle, die davon betroffen werden, ein Sterben bedeutet. Darum bedeutet die Parusie Christi die Aufhebung der Bedingungen unserer menschlichen Existenz und die Offenbarung einer neuen Ordnung der Dinge, die das Ende der irdischen Zeit und Geschichte bedeutet. Dieser >Weltuntergang<, d.h. der Übergang in die neue Ordnung der Dinge, tritt für den Einzelnen im Moment des Sterbens ein. […] die Auferstehung bedeutet das Wiedererwecktwerden in einer anderen Welt. Die Parusie Christi aber bedeutet den Untergang der irdischen Welt als Ganzes, und dieser Untergang ist die Voraussetzung für das Wirklichwerden einer neuen Welt, „eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in welcher Gerechtigkeit wohnet (2 Petrus 3,13).“ 246

„Weit über das Vorkommen der Vokabel hinaus ist das gesamte Denken Jesu von Parusievorstellungen durchtränkt, und zwar gleichmäßig in allen Schichten der synoptischen Überlieferung…. Der Parusiegedanke gehört nach allem, was wir wissen, zum Urgestein der Überlieferung von Jesus. Mt 10,23; Mk 9,1par; Mk 13,30par; 14,62par. Nach Oepke handelt es sich dabei um nicht aus bloßer Gemeindetheologie ableitbare Herrnworte (ThWNT, 865).

12 Lk 17,22ff.; Apg 2,20; 1 Kor 1,7f.; 5,5; 2 Kor 1,14; Phil 1,6.10; 2,16, 1 Thss 5,2; 2 Thss 2,2; 2 Pe 3,10; Apk 1,10; 16,14.“ (Oepke, ThWNT, 864). “247

„Die Parusie ist das abschließende Offenbarwerden des als eschatologische Realität bereits Gesetzten.“ (Oepke, ThWNT, 866, 868.)“ 248

„Der Glaube an Jesus ohne die Erwartung seiner Parusie ist ein Gutschein, der nie eingelöst wird, ein Versprechen, das nicht ernst gemeint ist. Ein Christusglaube ohne Parusieerwartung ist wie eine Treppe, die nirgendwohin führt, sondern im Leeren endet…. Ohne das Kommen des Herrn in Herrlichkeit bleibt das neue Leben in der Verborgenheit, gibt es für die unerlöste Welt keine Vollendung. “ 249

„Streiche die Wiederkunft weg, und du hast das Kreuz durchgestrichen. Streiche die Wiederkunft weg, und es ist aus mit der Hoffnung auf den Sieg des Reiches des Vaters über alle Reiche dieser Welt. Streiche die Wiederkunft weg, und es ist auch mit der Auferstehung von den Toten nichts, es ist nichts mit der Vergebung der Sünden und dem ewigen Leben. “ 250

„Ohne Parusie bleibt der Heilsplan Gottes unvollendet. Gottes Heilsplan ist in Jesus Christus bereits erfüllt, aber noch nicht vollendet. Erst nach seiner Wiederkunft kommt er zum Abschluss.251

“Die Parusie Christi ist kein entbehrliches Anhängsel an die Geschichte Christi, sondern ihr Ziel, denn sie ist ihre Vollendung. Sie ist neutestamentlich nicht ein mythisch bestimmtes und darum zeitgeschichtlich bedingtes Gewand, das die Theologie beim Übergang in ein anderes Zeitalter ablegen könnte, sondern der tragende Schlussstein der ganzen Christologie und darum auch der Schlüssel zum Verständnis der Geschichte Christi. Die Wiederkunft Christi beendet die Menschheitsgeschichte und vollendet die Heilsgeschichte. Sie bringt die letzte Wende in der Zeit, mit der der alte Äon sein unwiderrufliches Ende findet. Erster und zweiter Advent Christi bilden den Höhepunkt bzw. Endpunkt des Heilsgeschehens. Von der Parusie Christi erwartet die Gemeinde die Vollendung der Heils- und die Beendigung der Unheilsgeschichte, die Vollendung der Befreiung und das Ende des Leidens. Darum gehören die Parusie Christi und das Ende dieser Weltzeit zusammen.“ 252

„Nur wer Jesus, den von Gott auferweckte Sohn des Vaters, als den Kommenden erwartet, vernimmt seine Botschaft im Heute der Gnade Gottes, wie sie der einst an die Gemeinde in Thessalonich ergangen ist. (1 Thess 1, 1-10) […] Dann wird ganz offenbar werden, daß wir nur in Ihm unser Heil, unser Leben und unsere Rettung haben. Das sola fide und das sola gratia und das solus Christus wird endgültig offenbar werden. “253

„In der Erwartung Christi und im Gebet um sein Kommen vollendet sich […] allein diejenige Hoffnung, die aus der Auferstehung Christi geboren wurde und in der Kraft seines Geistes lebendig ist. Die Parusie Christi ist zuerst die Vollendung des Weges Jesu: Der Christus auf dem Weg kommt zu seinem Ziel. Sein Heilswerk wird vollendet. Er wird in seiner eschatologischen Person vollkommen und in der Herrlichkeit Gottes universal offenbar. “254

„Sein Kommen ist gewiss, der Zeitpunkt bleibt uns jedoch verborgen. Er kommt überraschend und plötzlich wie ein Dieb, darum ist stete Wachsamkeit und geduldiges Ausharren erforderlich (Mt 10,22; 24,13.36-25,13par; Apg 1,7; Jak 5,7-9; Offb 13,10). Die Parusie und das mit ihr verbundene Endgericht bilden das eine entscheidende Ereignis des göttlichen Heilsplans, dessen Verwirklichung noch aussteht. Entscheidend ist jedoch nicht das ungewisse “wann“ (Mt 24,3), sondern das sichere “dann“ (Mt 24,14.30.40) der Wiederkunft Christi und der Vollendung. “255

“So wenig als der Anfang einer Rede Sinn hat, wenn sie nicht zu Ende kommt, sowenig hat der Glaube Sinn, wenn er nicht zu seinem Ziel kommt in der Volloffenbarung, in der Apokalypsis, die Parusia heißt, in der Parusia, die Apokalypsis heißt. Aus alledem wird deutlich, dass dieser Gedanke von der Zukunft alles andere als entbehrliche Mythologie ist. Was immer die Gestalt dieses Geschehens sein möge: an ihr, der Zukunft selbst, dass sie geschieht, liegt alles. An ihr rütteln zu wollen, hieße am Fundament des Glaubens rütteln, den Schluss-stein herausbrechen, in dem alles zusammengehalten wird und ohne den alles auseinanderfällt. Der Glaube an Jesus ohne die Erwartung seiner Parusie ist ein Gutschein, der nie eingelöst wird, ein Versprechen, das nicht ernst gemeint ist. Ein Christusglaube ohne Parusieerwartung ist wie eine Treppe, die nirgendwohin führt, sondern im Leeren endet. … Ohne das Kommen des Herrn in Herrlichkeit bleibt das neue Leben in der Verborgenheit, gibt es für die unerlöste Welt keine Vollendung…. Wir wissen, dass unser Erkennen Stückwerk ist, und wir sagen dies ganz besonders im Gedanken an unsere eschatologischen Vorstellungen. Aber wir wissen auch, dass der Glaube an das endgültige und alles vollendende Kommen des Offenbares und Erlösers notwendig zum Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen gehört, an den, der uns gemacht ist zur Gerechtigkeit und zum Leben, auch wenn wir dieses endgültig-offenbarende Kommen nur in der stammelnden Sprache der apokalyptischen Symbolik formulieren können. ”256

„Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.“ (1 Thess 4,16-17)

1.2.2.4 Gegen die Verleugnung der Eschatologie

„Bultmann kennt keine Eschatologie im biblischen Sinne mehr, vielmehr verbindet er mit dem Wort „Eschatologie“ einen anderen Sinn als das Neue Testament. “ 257

„Eschatologisch“ heißt [bei Bultmann] also nicht ein Geschehen, das vorwegnehmend schon Bezug hätte auf ein erst in endzeitlich-kosmischer Zukunft anbrechendes Gottesreich, ereignet sich das Eschatologische jetzt, in der Gegenwart, im Moment der Entscheidung, wo Existenz im Hören auf den Appell des Wortes frei wird von der Welt und sich dem Unverfügbaren öffnet. “258

„Es kommt noch ein neues Geschehen, das mehr ist als die Aufdeckung des schon Vorhandenen. Nur weil im Neuen Testament damit ernst gemacht wird, daß am ausstehenden Ende noch wichtige Dinge geschehen werden, ist alles Heilsgeschehen als solches in der >Gegenwart< Jesu und der Gemeinde restlos ernst genommen. Alles, was mit der Auferstehung unseres vom Geiste verwandelten Leibes (1 Kor 15) und mit der außermenschlichen Neuschöpfung (Röm 8) zusammenhängt >steht noch aus< ,obwohl es bereits >einen< Auferstehungsleib gibt, denjenigen des >Erstgeborenen von den Toten< (Apg1,5), obwohl deshalb auch unser Leib bereits erlöst ist und obwohl sich in Christi Gegenwart Vorwegnahmen der Erfassung auch des Leibes durch den Geist in allen Heilungswundern des Neuen Testaments ereignen. Aber es sind doch nur Vorwegnahmen. Einen vom Geist endgültig verwandelten Leib […] gibt es >für uns< erst in der zukünftigen Auferstehung, wenn der gleiche Geist die ganze Schöpfung neu schaffen wird. “259

„Jeder Versuch des Menschen, sich selbst zu rechtfertigen oder durch „Öffnung für das Unverfügbare“ die Möglichkeit der „eigentlichen Existenz“ zu ergreifen, muss an der Heiligkeit Gottes scheitern. Nur dadurch, daß Jesus uns durch Sein Leiden und Sterben mit Gott versöhnt hat, sind wir vor dem Zorn Gottes gerettet. “260

„Nach Bultmann will der Mythos keine kosmologischen, sondern vielmehr anthropologische Aussagen machen; er will nicht objektiv, sondern existential reden. “261

„Ohne eine kosmologische Eschatologie ist die eschatologische Existenz des Menschen nicht aussagbar.“ 262

„Eschatologie ist das Wort von der zukünftigen Welt, die in Jesu Worten und Taten Gegenwart geworden ist. Was eschatologische Existenz ist, […] kann richtig gesagt werden nur von Jesu her. “ 263

„Alle konkrete Eschatologie wird [bei Bultmann] existential interpretiert und damit in Wirklichkeit doch eliminiert. […] Was wird aber aus dieser Paradoxie der neutestamentlichen Botschaft, wenn das perfectum hier und das futurum dort in seiner göttlichen Wirklichkeit so interpretiert wird, das es praktisch eben doch eliminiert wird. “264

„Christentum, das nicht ganz und gar und restlos Eschatologie ist, hat mit Christus ganz und gar und restlos nichts zu tun. “265

„Beachtet man die Eigenart […] äonischen Denkens, dann ist es ein Irrtum, mit Rudolf Bultmann zu behaupten, die

Naherwartung sei Bestandteil der mythischen Eschatologie der Bibel. “ 266

„Der Augenblick der Verkündigung und das Gläubigwerden des Hörers sei das einzige Eschaton, das wir kennen, das eschatologische „Jetzt“ [nach Bultmann]. Diese Gedanken bedeuten wiederum eine Entleerung und Verkürzung des Neuen Testaments an entscheidender Stelle. In allen biblischen Büchern und in allen Ausprägungen des Kerygmas entspricht dem eschatologischen Jetzt im Leben Jesu, in der Gegenwart des Geistes, in der Tatsache der Verkündigung ein eschatologisches Ziel, das noch aussteht.“267

„Es gibt k e i n e Eschatologie, die nicht ihrem Wesen nach „Mythologisch“ wäre. Eine „entmythologisierte“ Verkündigung wird eschatologielos sein. Eine Theologie, welche die Eschatologie ernst nimmt, wird das „Mythologische“ anders differenzieren und demgemäß differenzierter beurteilen müssen als es bei Bultmann geschieht. “268

Rudolf Schnackenburg unmißverständlich gegen Bultmanns „mythische Eschatologie“ und gegen so viel Unwissenschaftlichkeit auf Seiten Bultmanns: „Hier hat wohl schon der Confessor eines eigenen Glaubensbekenntnisses den wissenschaftlichen Professor überwältigt; aber wir danken ihm wenigstens das eine, den ganzen Umfang des angeblich >mythischen Weltbildes< deutlich zu überblicken: Alle Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses sind nach Bultmann >mythologi- siert<. “269

Gegen Bultmanns „Eschatologie“, siehe auch Kapitel 2, auch Kapitel 3 und Kapitel 13.

„Nur wo es keine Hoffnung auf Erfüllung mehr gibt, gibt es Erinnerung an Verheißung als ein bloßes Märchen oder als an die historischen Umstände seiner Entstehung.“ 270

„Die in Gott beschlossene Hoffnung kann nicht ärmer sein als die hier und jetzt in der Begegnung mit Gott geschenkte Gemeinschaft. Die Paradoxie des simul iustus et peccator muß aufgehoben werden zum iustus in re. Der Glaube muß zum Schauen werden. Wäre es anders, dann wäre Gott nicht Gott, seine Gnade wäre nicht Gnade, seine hier sich offenbarende Liebe wäre nicht Liebe. Das folgt nicht aus dem unersättlichen Begehren des Menschen nach „Mehr“, sondern aus der Größe der Gnade Gottes. Der Verzicht der Hoffnung auf dieses „Mehr“ rührt an diese Gnade, genauso wie ein Anspruch an Gott diese Gnade antastet. Eine Theologie, [wie die Bultmanns] die an der Grenze des Todes haltmacht und sich verbietet, etwas zu sagen über das, was jenseits dieser Grenze sein wird, hört da auf, wo Gott nicht haltmachen kann, nicht primär um unsertwillen, sondern um seinetwillen nicht. “271

Auch Mundle nimmt ebenso unmissverständlich Stellung gegen Bultmann und schreibt dazu: „Eine Schriftauslegung, die in Christus den Mittelpunkt des neutestamentlichen Zeugnisses erblickt und von diesem Mittelpunkt aus alle Aussagen des neuen Testaments zu verstehen sucht, kann sich die Auseinandersetzung mit der neutestamentlichen Eschatologie nicht ganz so leicht machen wie R. Bultmann, für den die >mythische Eschatologie< durch die Tatsache erledigt ist, daß die Weltgeschichte weitergelaufen und die Parusie Christi nicht eingetroffen ist. “272

Wir sind Gottes Kinder, aber es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden (Joh 3,1f). Dieses „simul“ macht die geheimnisvolle Spannung der neutestamentlichen Eschatologie aus. Was wird aus diesem „simul“, wenn Eschatologie auf die Möglichkeit eines neuen Existenzverständnisses reduziert […] wird. [wie das bei Bultmann geschieht] Ist hier das Selbstverständnis nicht auf dem Wege, zum entscheidenden hermeneutischen Prinzip erhoben zu werden?“273

„Er selbst, er ganz persönlich, er, der uns ganz persönlich in seine uns bergende Gemeinschaft aufnimmt und uns persönlich begegnet. Können wir uns diese Gewißheit der ganz persönlichen Gemeinschaft Christi mit uns und unsere persönliche Verbundenheit mit ihm, in der Bultmann ein „pietistisches Mißverständnis des Offenbarers“ (Anmerkung bei Ellwein: Bultmann: „Das Johannesevangelium“, S 43) sieht, aus dem Zeugnis des Neuen Testaments wegdenken?“274

„Wo Eschatologie nur noch „Entweltlichung“ im Sinne der Existenztheologie ist [wie bei Bultmann] haben wir es überhaupt nicht mehr mit Eschatologie zu tun, und der Ausdruck selbst ist dann sinnlos geworden. Dann handelt es sich wirklich um eine „Eschatologie ohne Hoffnung“ (Verweis auf H. Grass, Das eschatologische Problem der Gegenwart (Dank an P. Althaus, 1958, S. 64)“275

„So ist es in der Tat: wo immer im Neue Testament vom Ende aller Dinge geredet wird, da sehen wir das „heilige Volk“ (1 Petr 2,9) an Schrecknissen, Leiden und Abgründen vorbeischreiten, als ob dies alles sie nicht aufhalten noch vom Wege abbringen könnte, dem Ziel entgegen, wo „der Seelen Seligkeit“ (1 Petr 1,9) als Preis dem Überwinder winkt. […] denn unter ihnen ist das Wort vom Anfang aller Dinge Gegenwart geworden. […] Damit sind sie selbst in den Lichtkreis der Offenbarung, in deren hellen Schein getreten. Offenbarung ist Ereignis „vom Himmel her (1 Petr 1,12), es nicht nur Mitte der geschichtlichen Zeit, sondern hier bricht etwas auf, das selbst den Engeln vorenthalten ist. Wenn darum die Christen vom „Ende aller Dinge“ reden, dann nicht, weil das Nichts seinen Abgrund öffnet, und der Kosmos im Feuer des Gerichts zu vergehen droht, sondern weil ein Ereignis von Gott her geschehen ist, in dem uns ein ewiges Erbe (1 Petr 1,4) gesetzt wurde, die „Auferstehung Jesu von den Toten“, die eben damit zugleich für alle, die an ihn glauben, zur „lebendigen Hoffnung“ (1 Petr 1,3) geworden ist. Ende aller Zeiten bedeutet also, daß wir in der Fülle der Zeit leben: die Geschichte der Propheten sind gerechtfertigt, Gott hat sein Wort eingelöst, die Vergebung der Sünden ist an uns zur Realität geworden (1 Petr 1,18; 2,24; 3,18) und die Lebenden und die Toten vernehmen das richtende und rettende Evangelium.276

„Unauflöslich ist im Evangelium das Jenseitige mit dem Diesseitigen verbunden, das Eschatologische mit dem Historischen, die Vergebung der Sünden mit dem kommenden, ewigen Reich Gottes. […] Gott schafft sich selbst, durch Vergebung der Sünden, ein heiliges Volk für sein Reich. Für den Menschen bedeutet die Gnade und das Reich eines, nämlich Heil. Und das Heil steht und fällt mit dem Auferstehungswunder. “ 277

„Aus der Fundamentalbedeutung der Auferstehung Jesu muss auch die eschatologische Folgerung gezogen werden. Nun wird deutlich, daß die wesenhafte Eschatologie des urchristlichen Kerygmas in der Auferstehung Jesu ihre Begründung findet und nicht von der Naherwartung der Parusie abhängt und auch nicht durch die

Parusieverzögerung „erledigt“ wird. […] Der von den Toten aufweckte und zum Herrn erhöhte Jesus von Nazareth ist identisch mit dem Anfang der Endzeit, ist die radikale Welten- und Zeitenwende, der Umbruch der Äonen, also selbst schlechthin eschatologisches Ereignis. “ 278

„In ihm ist etwas im Werden, das noch nicht ist, aber kommt, das unmittelbar vor der Tür steht, ein Heute das morgen kein Gestern sein wird. […] Es ist kein anderer Christus, den wir in dem Auferstandenen vor uns haben, als wie er mitten unter uns wandelte. Der Erhöhte reicht noch immer bis in diese Tiefe und diese Tiefe hat an jedem Punkt ihres Weges die identität mit dem, der den Tod hinter sich gelassen hat. “279

Eschatologie heißt nun: in Jesus Christus, und zwar dem Auferstandenen, ist der >letzte Mensch< (vgl. 1 Kor 15, 45) erschienen. Zwischen dem ersten und dem letzten Menschen schwingt die Menschheitsgeschichte, zwischen diesen beiden Polen liegt unser aller Existenz. “280

„Naherwartung ist die Erwartung des Endes dieses zeitlichen und in seiner Zeitlichkeit vergänglichen >Äon<, also die Erwartung des Zeitendes im Anbruch des neuen Äon, der in Ewigkeit bleibt. […] Naherwartung ist, […] auf die Geburt der neuen Welt ausgerichtet. “281

Otto Weber, den ich nun in einer längeren Passage zitieren möchte, beschreibt in seiner Dogmatik eindrucksvoll die Unverzichtbarkeit eschatologischer Vorstellungen für das Christsein und den christlichen Glauben. Das Heilswerk Jesu Christi, unsere Rechtfertigung und Versöhnung finden dort ihr Ziel und ihre endgültige Erfüllung. Für Bultmann und seine „existentiale Interpretation“ und seinem philosophischen, eng begrenzten Vorverständnis, - vgl. Kapiteln 6.2 und 6.5 - ist das allerdings nur etwas für Unzurechnungsfähige.282

Otto Weber: „Jede Interpretation des >Werkes< Jesu Christi führt uns notwendig in eschatologische Dimensionen […] „Die Tatsache, daß uns, gewiss in verschiedener Form und Dichtigkeit, die gesamte neutestamentliche Botschaft als von der Eschatologie entgegentritt, ist unverkennbar“ […] Gottes Entscheidung über uns und die Welt, nämlich die Verkündigung des anbrechenden Reiches Gottes zu uns zu bringen […] >Gegen< jede nicht-eschatologische Dogmatik spricht laut, vernehmlich und im Duktus einhellig das >gesamte< neutestamentliche Zeugnis, das doch primär zu interpretieren ist […] Der Mensch, dem das Eschaton fremd bleibt, dessen Dasein verliert den Horizont. Verschlossen ist ihm die Zukunft. Er geht auf ein nichts zu, sein Dasein ist daher ohne Richtung. So lebt er schließlich einzig in der Gegenwart, in jenem dimensionslosen Durchgangspunkt, der Zeit von Zeit scheidet. Und daher lebt er ohne Verantwortung. Der rein auf seine Gegenwart gestellte Mensch hat keine Instanz, mit der er sich auseinanderzusetzen hätte. Von daher ist u.a, die Tatsache zu verstehen, daß auch die Meinungsbildung der Kontinuität und damit der das Gestern, das Morgen und darin das Heute übergreifende Kontrolle entzogen wird. Die Meinung [wird so] manipulierbar, kann gleichsam fabrikmäßig hergestellt, durch Propaganda oder >Sprachregelung< erzeugt und ausgelöscht werden; […] Der nichteschatologische Mensch verliert sein Menschsein als bewußt ihm widerfahrende Macht. Er wird bis in sein Personzentrum hinein der Fremdleitung ausgesetzt“ (Verweis auf Davis Riesmann, Die einsame Masse, dtsch. 1956) […] Der Verlust des Horizonts führt zur Unbegrenztheit der Macht, die

Gesellschaft oder Staat oder öffentliche Meinung auf den Menschen ausüben. “283

Otto Weber beschreibt hier nicht nur die negativen Folgen des nicht-eschatologischen Menschen, wie ihn Bultmann in seinem Aufsatz sieht, sondern liefert hier zugleich schon 1961 eine, wie mir scheint, zutreffende Ursachenanalyse für manche untragbaren gesellschaftlichen Verhältnisse von heute.

„Gott selbst ist gegenwärtig – nicht nur ewig, wie er aller Zeit gegenwärtig ist, sondern in seiner Ewigkeit zeitlich im Akte der Epiphanie des Messias Jesus, aber auch in jedem Akte des Glaubens an diesen.“284

Künneth zu den größeren Zusammenhängen: „Solange der Angelpunkt und Wendepunkt aller christlichen Eschatologie, das Auferstehungsereignis, ausgeklammert bleibt [wie bei Bultmann], muss alles in Verwirrung geraten und das Ergebnis ist das Schlachtfeld der im Streit miteinander liegenden ungezählten Hypothesen. Steht jedoch die Auferstehungsmitte fest, dann wird einmal verständlich, daß sich das zentrale Interesse der Rückschau auf das schon eingetretene Osterereignis konzentriert, du sodann, daß der Akzent in gar keiner Weise mehr auf der Naherwartung der Parusie liegen kann, deren Zeitpunkt irrelevant geworden ist, da die elementare Entscheidung schon in der Auferweckung Jesu gefallen ist. Das, was noch kommt und erwartet werden muss, bringt jedoch keine neue Entscheidung, sondern stellt gleichsam ein Nachspiel des Ostergeschehens dar, in dem das sich in Vollkommenheit enthüllt, was sich in der Auferstehung prinzipiell und in Verborgenheit ereignet hat.

Wiederum erfährt hier nochmals die Schöpfungsrelation des „Sohnes“ ihr ausschlaggebendes Gewicht. Stellt die geschaffene Welt in der ursprünglichen Intention des Schöpfungsplanes Gottes einen christozentrischen Entwurf dar, das Angelegtsein der gesamten Kreatur im geheimen durch Christus auf Christus hin. (Kol 1,16f), dann ist das Geschick der Schöpfung abhängig vom Geschick des Sohnes. Dann reicht eine rein harmartiozentrische Deutung der Christologie (nur von Sünde und Urfall aus zu verstehen) nicht aus; denn die Schöpfungswelt ante lapsum (vor dem Fall) noch nicht an das Ziel gelangt, sondern ist auf den Kyrios hin ausgerichtet. Die Kreatur wartet schon in ihrer Grundstruktur nach auf die Auferstehung Jesus Christus, des Sohnes als dem Urmodell alles Seienden. So strebt die kreatürliche Welt post lapsum nicht nur nach der Aufhebung der Folgen des Unfalles, sondern auch nach der eschatologischen Sinnerfüllung der Schöpfungsanlage in der kommenden Christusherrschaft (Römer 8, 21ff). […] Die Parusie des Auferstandenen als eines unbestrittenen Triumphators ist die christologisch-eschatologisch notwendige Konsequenz der in der Auferstehung in Verborgenheit anhebenden Christokratie. “285

„Die Naherwartung ist […] im Neuen Testament eine Folge der Gewißheit, daß das kommende Reich in Christus schon da ist. “ 286

„Das Christentum steht und fällt mit der Überzeugung, daß Gottes Selbsterschließung in Christus in dem Sinne letztgültig ist, daß ihre Bedeutung für das Heil der Welt nicht durch irgendwelche anderen Ereignisse übertroffen werden wird. Das bedeutet nicht, daß es nach Christus nichts mehr zu hoffen gibt, sondern, daß alles, was es zu hoffen gibt, in Christus begründet ist. In diesem Sinne ist christliche Eschatologie christologisch bestimmt. […]

Wenn wir fragen, warum das Christusereignis letztgültig ist, muss die Antwort lauten, daß das Christusereignis die Erschließung und Erfüllung des uranfänglichen Willens des Schöpfers ist. Christus ist nicht ein absoluter Neubeginn in Gottes Geschichte mit seiner Schöpfung, sondern der entscheidende Schritt zur Erfüllung von Gottes ursprünglichem Willen, in Gemeinschaft mit der Schöpfung zu sein. […] Wenn das Eschaton die Vollendung des Willens Gottes des Schöpfers ist, in Gemeinschaft mit seiner versöhnten Schöpfung zu sein, dann kann der Ansatz zur Erfassung der Bedeutung des Eschaton nicht die Zeit, sondern nur Gott sein. Wie Gott der Grund alles geschaffenen Seienden ist, so ist Gott auch der Grund der Zeit der Welt und jedes Geschöpfs, indem er sie in ihrer Zeit sein lässt und sie zu Gottes eigener Zeit in die Gemeinschaft aufnimmt. “ 287

1.2.3 Die Verleugnung der Sündenvergebung

1.2.3.1 Bultmann

„Er ist das Opfer, dessen Blut unsere Sünde sühnt; er trägt stellvertretend die Sünde der Welt, und indem er die Strafe der Sünde, den Tod, übernimmt, befreit er uns vom Tod. Diese mythologische Interpretation, in der sich Opfervorstellungen und eine juristische Satisfaktionstheorie mischen, ist für uns nicht nachvollziehbar.“ 288

„Wie kann meine Schuld durch den Tod eines Schuldlosen (wenn man von einem solchen überhaupt sprechen darf) gesühnt werden? Welche primitiven Begriffe von Schuld und von Gerechtigkeit liegen solcher Vorstellung zugrunde? Welch primitiver Gottesbegriff? […] welch

primitive Mythologie, daß ein Mensch gewordenes Gotteswesen durch sein Blut die Sünden der Menschen sühnt!“289

Bultmann weiter:290 „Dem mythischen Weltbild entspricht:“ Sein Tod am Kreuz, den er wie ein Sünder erleidet, (2.Kor. 5,21; Röm. 8, 3) schafft Sühne für die Sünden der Menschen (Röm.3, 23-26; 4,25; 8,3; 2.Kor. 5,14 und 19; Joh. 1,29; 1.Joh. 2,2; usw.)

„Dem Mythischen Weltbild entspricht die Darstellung des Heilsgeschehens, das den eigentlichen Inhalt der neutestamentlichen Verkündigung bildet. “291

„Es ist nun keine Frage, daß das Neue Testament das Christusgeschehen als ein mythisches Geschehen vorstellt. “292

Bultmann darüber hinaus: „Eben deshalb (weil der Mensch Bultmanns Sünde nicht verstehen kann) kann er auch >die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Tod Christi< nicht verstehen.

Bultmann in völliger Verkennung des Kreuzesgeschehens weiter: „Nicht weil es das Kreuz Christi ist, ist es das Heilsgeschehen, sondern weil es das Heilsereignis ist, ist es das Kreuz Christi. Abgesehen davon ist es das tragische Ende eines edlen Menschen“293

Bultmann: „Daß ein präexistentes Gotteswesen durch seinen Tod am Kreuz Erlösung schafft, ist aus diesem Grunde [weil gemäß Bultmann Gott nicht als Ursache gedacht werden kann] undenkbar und ist Mythologie. (vgl. km, I, s 15f).“294

[Nur] „Im Erklingen des Wortes werden Kreuz und Auferstehung Gegenwart, ereignet sich das eschatologische Jetzt.“295

1.2.3.2 Die verleugneten Worte des NT

„denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“ (2. Kor. 5,21)

„Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch.“ (Röm. 8,3)

„sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.“ (Röm. 3,23-26)

„welcher ist um unsrer Sünden willen dahingegeben und um unsrer Rechtfertigung willen auferweckt.“ (Röm. 4,25)

„Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, daß, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ (2 Kor 5,14 +19)

„Am nächsten Tag sieht Johannes, daß Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Joh. 1,29)

„Und er ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.“ (1 Joh. 2,2)

1.2.3.3 Gegenrede: Unsere Erlösungsbedürftigkeit

Welch ein absurdes Sündenverständnis bei Bultmann -- in der Begrifflichkeit Heideggerschen Philosophie -- das doch nichts mit dem neutestamentlichen Verständnis zu tun hat. Welch ein Verkennen der Bedeutung des Todes Jesu am Kreuz. Die Behauptungen, das sei alles Mythologie, sind auch hier nicht belegt. Und ob die neutestamentliche Sündenvergebung durch Gottes Selbstopfer „nachvollziehbar“ ist oder nicht, sagt allenfalls etwas über den aus, der behauptet, sie sei es nicht, sagt aber nichts darüber aus, ob es hier nicht gerade um die Wahrheit des Evangeliums geht. Bultmanns unbegründeten Vorurteile über die Sündenvergebung, die er bezeichnet als „undenkbar“, „nicht verstehbar“, „nicht nachvollziehbar“, und seine verleumderische Herabsetzung der an die Sündenvergebung Glaubender mit: „primitive Gottesvorstellung“, sagen nichts über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt des neutestamentlichen Texte aus.

Zum Verständnis der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen von seiner Sünde wird aber ein Sündenverständnis vorausgesetzt, „das in der Sünde entschieden viel mehr sieht als bloß die einzelne sündige >Tat< und die durch sie hervorgerufene, den Sünder tödlich bedrohende Last. Die Sünde ist vielmehr die Größe, die den Sünder in seinem >Sein< betrifft und zeichnet. Sie ist die vom Menschen her vollzogenen Zerstörung der personalen Verbundenheit mit dem ihm zugewandten Gott und als solche die fundamentale Verfehlung der Daseinsbestimmung, von Gott her und für Gott zu leben. Die Sünde greift deshalb ins Zentrum der >Person< des Sünders. Weil die Zerstörung des Gottesverhältnisses vom Sünder her eine totale und irreparable ist und weil das Sein des Sünders gottfernes Sein ist, deshalb hat der Sünder sein [ewiges] Leben definitiv verwirkt. “296

„Die Übertretung des Gebotes Gottes durch den Vollzug des Ungehorsams in der Tat ist die Abwendung von Gott aufgrund der Missachtung seines Wortes im Unglauben. Diese Abwendung von Gott (aversio a Deo) ist die Sünde als solche. Sie besteht in der mutwilligen Zerstörung der Relation zu Gott durch die Preisgabe seines Wortes im Unglauben. Nicht insuffizienz, biologische oder moralische, sondern die Weigerung, auf den zu hören, dem der Mensch gehört, weil er ihn erschaffen hat; die in nichts begründete Verweigerung des Vertrauens und der Liebe durch den Unglauben, der in der Tat des Ungehorsams manifest geworden ist: das ist die Sünde, die durch den einen Menschen in die Welt hineingekommen ist; das ist die Ursache des Übels und des Unheils, das in der Verfallenheit an den Tod sichtbar wird. Mit der Tat des Ungehorsams […] sind Adam und Eva aus dem Vertrauensverhältnis zu Gott herausgetreten und in ein Verhältnis der Feindschaft gegen Gott eingetreten (Röm 8,7).177 Damit hat der Mensch seine Bestimmung irreparabel verfehlt; die Absicht, die Gott mit der Schöpfung hatte, ist dadurch durchkreuzt worden. “ 297

„Die Sünde aber ist kein partieller Bruch einer sonst bestehenbleibenden Ordnung, sondern allumfassende Zerstörung des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf. […] Der Tod ist das, was in der Sünde bereits enthalten ist. […] die Sünde wirkt den Tod, indem sie die Entfremdung des Geschöpfs vom Schöpfer ist, von der „Quelle des Lebens“. Sie empfängt, was sie ist. “298

„Die Wirklichkeit der Sünde ist die Dislokation des Menschen in seinem Verhältnis zu Gott“ […] Der Widerspruch gegen Gott, der dort vollzogen wird, wo der Mensch mehr als ein Mensch sein will, durchzieht alle Beziehungen des Menschen, sein Selbstverhältnis und sein Weltverhältnis. Der Widerspruch gegen Gott ist immer auch Selbstwiderspruch […] Sünde als Widerspruch gegen Gott den Schöpfer wird dort vollzogen, wo der Mensch dem Evangelium der Schlange >eritis sicut deus< folgt, und sich selbst an die Stelle Gottes im Beziehungsnetz der Schöpfung stellt. Die Erhebung des Menschen über sich selbst in dem Versuch, die Stelle Gottes zu usurpieren, ist darum immer zugleich der Aufstand des Menschen gegen sein Geschöpflichkeit, der Mißbrauch der geschöpflichen Freiheit als radikal schöpferische Freiheit. Im Horizont des Glaubens erweist sich die Sünde so als >hybris< oder als >superbia<. An die Stelle des Glaubens an Gott den Schöpfer tritt der Glaube an die eigene schöpferischen Möglichkeiten der menschlichen Freiheit.[…] Ist der Glaube an Gott den Schöpfer durch den Glauben an die eigene Freiheit ersetzt, gibt es keinen anderen Grund der Rechtfertigung als die Selbstrechfertigung.“299 vgl. Kapitel 1.3 und 3 und 4 und 6.5 über die Selbstfertigung durch das neue Selbstverständnis bei Bultmann.

„Im Licht des Evangeliums wird erkennbar, dass alle Menschen unter dem Gesetz stehen […] Letztlich und eigentlich wird das Menschsein vor Gott dadurch bestimmt, dass der Mensch unter dem Gesetz steht und gegenüber Gott eine verlorene Position einnimmt. Die Verlorenheit des

Menschen wird im Urteil des Gesetzes über die Schuld der Sünde vor Gott rechtskräftig. […] Gott vollzieht jedoch das Urteil nicht, das alle, Juden und Heiden, auf sich gezogen haben. Vielmehr verwahrt er die, die unter die Sünde eingeschlossen sind (Gal 3,22),88 unter dem Gesetz auf den Glauben hin (3,23), bis die Verheißung erfüllt ist. Die Befreiung von dem Fluch ist durch Christus erfolgt. Sie ist die Erfüllung der Verheißung. “300

„Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss. Erst da, wo der Mensch, der wir sind, am Ende ist, wo er n den Tod und Untergang gegeben wird, da beginnt Gottes Reich und Gottes Wahrheit.“ 301

„Der >usus theologicus< des Gesetzes weist auf, daß der Mensch in der Situation des Widerspruchs sich nicht nur im Selbstwiderspruch und im Widerspruch gegen die Welt der Schöpfung befindet, sondern daß er in dieser Situation den Grund seines Seins und das Ziel seiner Bestimmung negiert. Das Gesetz erweist insofern die Situation des Menschen im Widerspruch gegen Gott als der Todesverfallenheit.[…] Zur Erkenntnis der Sünde kann es erst aus der Perspektive ihrer Überwindung, aus der Relokation des Menschen in der Beziehung zu Gott kommen, in der im Licht der Christusoffenbarung auch die Offenbarung Gottes in der Schöpfung wieder sichtbar wird und damit die Situation der Dislokation des Menschen in der cognitio peccati< als das erkannt werden kann, was sie ist: Widerspruch gegen Gott. “ 302

1.2.3.4 Gegenrede: Dass heilige Ereignis finde nur im Bewusstsein statt

„Das „heilige Ereignis“ ist, wie Bultmann feststellt, völlig unabhängig von der zeitlichen Geschichte. Es ereignet sich nur als eschatologisches „Nun“, und zwar ausschließlich im Bewusstsein des einzelnen Existierenden. (Verweis auf Bultmann Theologie, S 295-301, Kerygma und Mythos, Bd. 1, S 47ff. (44ff.) Bd. 2, S 204ff).“303

„Kreuz und Auferstehung werden [bei Bultmann] zu gegenwärtigen Phänomenen (Ich sterbe und stehe auf mit Christus 42f), ja man kann sagen: zu Momenten meines Selbstverständnisses.“304

Muss man jetzt diesen Menschen, dem das „heilige Ereignis“ „ausschließlich im Bewusstsein ereignet“, den „eingebildeten“ Erlösten nennen?

„Nicht der Mensch selbst kann sich retten und befreien, nicht die Weltentwicklung, auch wenn sie auf den Gipfelpunkt der Technik und des Wohlstandes führt, ist in der Lage, die Erlösung, die Versöhnung, den Frieden des Herzens zu schenken. Vielmehr sagt der Gekreuzigte: Es ist durch mich am Kreuz schon alles, aber auch alles für dich geschehen. Und sonst: sola gratia – allein aus Gnaden, ohne unser Verdienst, du brauchst dir nur deine leeren Hände füllen lassen, dieses Versöhntsein anzunehmen, die Rettung dir gefallen zu lassen. “ 305

„Nein, die Form, die Gott geschaffen hat, um diese seine Versöhnung fassbar zu machen, ist nicht der Mensch, nicht der Mensch in seinem Neu-Geworden-Sein, ist nicht die Gemeinde […] die Form, in der Gott selbst diese seine Offenbarung gefasst hat, ist der Logos = Jesus Christus.

Das heißt Offenbarung und das bedeutet, daß im Logos nun die >großen Taten Gottes< ihren Weg machen durch die Welt.“ 306

„Versöhnung ist Gottes >Grenzüberschreitung< zum Menschen hin – ein triumphaler Souveränitätsakt Gottes, der in der Existenz des Menschen Jesu stattgefunden hat.“ 307

„Wir erschrecken … über die Selbstverständlichkeit, mit welcher sich Bultmann bei der Deutung des Kreuzes Christi über die kirchliche Versöhnungslehre (von Anselm bis Luther) hinwegsetzt und sich die flachen Gegenargumente (von den Sozinianern bis Ritschl) zu eigen macht … Seine positiven Aussagen über das Geschehen des Karfreitags sind … dürftig und unbestimmt“, und offenbar soll „die Entstehung des Osterglaubens der Jünger als ein Surrogat für das Faktum der Auferstehung Christi von den Toten fungieren.“308

„Der Mensch der Moderne ist eine Art höchstes, allein sich selbst setzendes und wollendes, einsam selbstherrliches absolutes Wesen. Der aufgeklärte Mensch, der sich nach Gott und nach Kant seines Verstandes ohne der Leitung eines anderen bedient, macht von seiner Autonomie immer verbissener Gebrauch und gerät als absoluter Mensch schließlich zum Götzen seiner selbst. Auf diese Weise aber pervertiert er seine Gottesebenbildlichkeit. “309 „Bin >ich< dann nicht selber >das Heilige<, der allein Maßgebliche, die überlegene, unbezweifelbare Autorität? Menschlicher Anmaßung, Selbstgefälligkeit und Selbstherrlichkeit zum Opfer gefallen ist dann auch irgendeine

Verbindlichkeit der Heiligen Schrift als der Bezeugung des Wortes Gottes, als der Hüterin dessen, was allein >Wahrheit des Evangeliums< (Gal 2,5) heißen darf, die Unhintergehbarkeit eines Textes, aus dem uns, wann und wie Gott es will, der Geist der Auferstehung Christi entgegen- und zuvorkommt. Der Bibel soll dann der Heilige Geist, der Geist Gottes, ausgetrieben werden. […] Übrig bleibt […] die Selbstvergottung und Anrufung des Menschen. […] [Genau diese aber] ist zum Schweigen zu bringen.“310

„Kurz gesagt, im >pro me< ergreife ich meine praedestinatio salutis, aber eben die prae-destinatio.[…] Seit Ritschl aber wird daraus ein die Theologie unter die Wertwissenschaften einreihendes Methodenprinzip. Und >das< ist die tiefe Unfruchtbarkeit der heute unsere Fakultäten hier anfressenden methodisch exakten und geistig trostlosen Bultmannschen Schriftstellerei.“311

P. Althaus kleidet sein Urteil in eine rhetorische Frage: „Will B. mit seinen paar Sätzen über die Unmöglichkeit der Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Tod Christ […] den Tiefsinn der biblischen Kreuzestheologie […]einfach abtun?“312

„Es ist offenkundig, dass Bultmann dieses Urteil nicht durch Schriftauslegung gewonnen haben kann. Es ist vielmehr ein „dogmatisch“ vorgefasstes Urteil über Gottes Wort, aber ohne Gottes Wort und gegen Gottes Wort. Weder für die Tat am Kreuz noch für das Wort vom Kreuz gibt es eine Analogie. Daher fehlt jeder Maßstab und jedes Kriterium, das Kreuzesgeschehen von außen zu beurteilen. Bultmanns Urteil beruht auf vorgefasster Ablehnung.“ 313

„Die soteriologische Deutung des Todes Jesu im urchristlichen Kerygma (vgl. z.B. 1 K o r 1 5, 3 b - 5; Röm 4,25) entspringt nicht erst dem Interpretationswillen der nachösterlichen Gemeinde, die sich von Jes 43,3-4; 52,13-53,12 und der alttestamentlichen Sühnetradition her zu verdeutlichen suchte, was am Kreuz auf Golgatha geschah, sondern sie entspricht dem messianischen Sendungs- und Opferwillen Jesu, den er seinen Jüngern schon vor Ostern kundgetan hat.“314

„Und darum danken wir auch Gott ohne Unterlass dafür, dass ihr das Wort der göttlichen Predigt, das ihr von uns empfangen habt, nicht als Menschenwort aufgenommen habt, sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Gottes Wort, das in euch wirkt, die ihr glaubt.“ (1 Thess 2,13)

„Bei Bultmann entsteht das Problem, daß sich theologisch wohl eine formale Struktur des Wortes Gottes als individueller Anrede aufzeigen, jedoch kein konkreter Inhalt desselben angeben läßt. Auf der Ebene der theologischen Theoriebildung bleibt das behauptete Wort Gottes inhaltsleer. Bultmann bestimmt das Wort Gottes zwar näher als das Wort bzw. das Kerygma Christi. Da jedoch der historische Jesus und seine Verkündigung nicht der Inhalt, sondern die Voraussetzung des neutestamentlichen Kerygmas sind, reduziert sich dessen Inhalt auf das bloße Daß des Gekommenseins Christi. Sein Inhalt bleibt ebenso abstrakt wie derjenige der Verkündigung des johanneischen Christus. Diese offenbart nach Bultmanns Interpretation lediglich, daß er der Offenbarer ist. Was dies aber besagen soll, vermag nur der Einzelne je für sich zu sagen, wenn er sich im Ereignis der Verkündigung persönlich angeredet weiß. Insofern gilt - um mit Kierkegaard zu sprechen - für Bultmanns Theologie und ihren Begriff des Wortes Gottes, daß die Subjektivität die Wahrheit ist.“315 Was hat dieses Gerede Bultmanns nun noch mit dem Neuen Testament zu tun? Ich erkenne bei Bultmann nichts, aber wirklich gar nichts mehr vom Neuen Testament. Stattdessen Entleerung und Umdeutung neutestamentlicher Begriffe und Inhalte.

„Die menschliche Daseinswirklichkeit ist nun einmal nach dem Zeugnis der Offenbarungsquellen nicht so geplant, daß ihre Tiefen in einem aktualistisch gesehenen Nacheinander von Akten der Selbstverwirklichung erschöpften. Sie existiert nicht dem Entwurf Gottes entsprechend, wenn sie als bloße Folge von bewussten Entscheidungen zu verstehen wäre.316 Dem Heilsplan als dessen Grundlegung einbeschlossenen Erlösungswerk, das die wahre Inkarnation des Gottessohnes, seine Passion, seine Auferstehung und die Geistmitteilung umfasst, ist ein höheres Ziel zugewiesen, als den Menschen nur zur Glaubensantwort und zu einer Kette von psychologisch daran anschließenden Willens- und Gemütsbewegungen zu veranlassen. […] Vielmehr strebt alles hin auf die Umschaffung des Menschen zur neuen Kreatur (2 Kor 5,17), zur Anteilnahme am Erbe der Heiligen im Licht (Kol 1,13), zur Teilhabe an der göttlichen Natur (2 Petr 1,4).“317

„Nicht um seiner selbst, sondern um ihretwillen, um des Menschen an sich und als solchen willen ist er ja erwählt, nicht für sich, sondern für den Menschen an sich und als solchen verteidigt er ja die Güte der göttlichen Schöpfung und Bestimmung des Menschen. Die Abwehr und Besiegung des Satans, die Dieser, die der erwählte Mensch für alle «in ihm» Erwählten, die Kinder und Genossen Adams als die von Gott Geliebten, zu vollziehen bestimmt ist, muss darin bestehen, daß er die Gerechtigkeit Gottes an ihrer Stelle gegen sich selbst ihren Lauf nehmen lasse. Darum ist er «das geschlachtete Lamm» u. zw. von Anbeginn der Welt her. Darum ist der gekreuzigte Jesus das «Ebenbild des unsichtbaren Gottes.“318

„Um der Heilswirksamkeit des Sühnetodes willen war die Inkarnation des Präexistenten notwendig. Präexistenz und Inkarnation sind von Anfang an auf den Sühnetod bezogen. Sie erhalten von diesem her ihre Heilsbedeutung. Umgekehrt besäße aber auch der Sühnetod keine Heilsbedeutung, wenn er nicht der Tod des menschgewordenen Gottessohnes wäre, den Gott zur Sühne in die von der Sünde und dem Tod beherrschte Welt gesandt hat, um sie in ihm mit sich selbst zu versöhnen (2. Kor 5,19). Um des Ziels der Versöhnung willen musste diese der Sünde wegen in ihrem Vollzug ein sühnendes Handeln sein. “319

„Sämtliche Begriffe, wie Kerygma, Predigt, Jesus, Christus und vor allem auch >Geschichte< empfangen bei Bultmann einen völlig neuen Inhalt und anderen Stellenwert. “ 320

Die Begriffsumdeutung und terminologische Manipulation durch Bultmann gilt darüber hinaus auch für die Begriffe „Gott“ und „Offenbarung“ und „Heilsgeschehen“ und „Glauben“ und „Sünde“ und „Christusereignis“ und „Christusgeschehen“ und „Jesus Christus“. Vgl. dazu Kapitel 3.

Bultmann entwirft auch auf diese Weise, so sieht es für mich aus, in Anlehnung an die Philosophie Heideggers -- in der er ganz gefangen zu sein scheint -- wie wir später noch sehen werden -- ein mit neutestamentlichem Verständnis nicht nur schwer, sondern gar nicht mehr in Übereinstimmung zu bringendes Verständnis von Gott und Mensch und Welt, von Erlösung, Versöhnung, Vollendung, in der Tat von allem, was den Kern und die Substanz, des Evangeliums, des gesamten Neuen Testaments ausmacht.

‘Dem’ Kreuz ist durch Bultmann das Wesentliche entzogen, nämlich alles, was seine Hoheit angeht; geleugnet wird die Gottheit des Gekreuzigten ebenso wie die Sühne für uns. Es soll auch vom Kreuz nicht die Rede sein, von der Erlösung, die für die Glaubenden schon Realität ist.’321

Weil dem Menschen durch das gepredigte Wort zugeeignet wird, was ihm im Kreuzesgeschehen schon geschenkt ist, deshalb begreift Paulus die Heilszueignung als 'Offenbarung' des Heils und den Heilsempfang als 'Erkenntnis' des Heils. Mit beidem sind keineswegs bloß noetische Sachverhalte gemeint - als wäre das verkündigte Wort lediglich eine formale Information über Gottes Versöhnungstat […]. Die 'Offenbarung' der Versöhnungstat ist vielmehr als solche ein 'Erkenntnis' wirkendes Geschehen, und die 'Erkenntnis' selbst die das ganze Leben bestimmende Ausrichtung auf Gott, den Versöhner. In dem verkündigten Wort erschließt Gott selbst dem Menschen, was der 'in Christus' zu seinem Heil getan hat und wer er, der Mensch, aufgrund dieser Tat 'in Christus' ist […] In dieser Selbsterschließung Gottes im Wort vollzieht sich nicht erst die Versöhnung, sondern in ihr tritt sie zutage.“322

„Die christliche Lehre von der Versöhnung ist das Zentrum unseres Glaubens. […] wem diese Mitte fehlt, dem fehlt auch das Bewusstsein der Ganzheit, dem fehlt Anschaulichkeit und Einheitlichkeit des Glaubens. […] Es liegt nicht an uns, daß von Versöhnung die Rede ist, sondern an

Gott. […] es ist der Gott israels, der Gott Abrahams, isaks und Jakobs, der Gott des Alten und des Neuen Bundes. […] Da heißt es Jerusalem und Golgatha, da heißt es Jesus Christus der Herr. “323

„in der Bibel wird immer, auch im Alten Testament, von Gott im Blick und in Beziehung auf die Versöhnung geredet. Das ist anders bei der Philosophie, weithin auch anders bei unseren großen Dichtern, es ist anders überall da, wo man an ein immanentes Gottesbewußtsein anknüpft, das in der menschlichen Natur angelegt ist, und das man entfalten möchte.[…] Wer aber den wirklichen Gott findet, nicht einen erdachten oder erträumten, sondern den Gott, der uns mit sich versöhnte als wir noch Feinde waren, der uns rettet, wo wir verloren gehen, der frei und wunderbar auf dem Plan ist, um sich als Herr und Versöhner der Welt und der Menschen zu erweisen, eben der Welt, die von ihm her und auf ihn hin ist, der wird den Unterschied empfinden, der zwischen der Bibel und ihrem Reden von Gott auf der einen Seite und unserem Denken und Empfinden auf der anderen Seite besteht. […] Wer meint, der Versöhnung mit Gott entraten zu können, wer also den Gott sucht, mit dem er je schon eins ist, ehe denn Gott diese Einheit herstellt, dem wird darum immer wieder die Schrift leer erscheinen, er wird sich anderen, leichter eingänglichen Gedanken und Empfindungen über Gott und das Göttliche hingeben. Denn der Gott des Bundes, des Alten wie des Neuen, des Bundes von Sinai und des Bundes von Golgatha will als der erkannt und geglaubt sein, der als der Versöhner sich zu uns und uns zu sich ins Verhältnis setzt, der, wie es Karl Barth in seiner neuen groß angelegten Versöhnungslehre voranstellt: „Mit uns ist!“ […] Es geht aus 2 Kor 5,18-22 in Vers 17 hervor, daß es sich in der Versöhnung um eine neue Schöpfung handelt, nicht nur um eine Besserung und Restaurierung des alten Menschen. „Werin Christus ist, ist eine neue Kreatur. […] nun gelangen wir an das eigentliche Fundament der Versöhnungslehre: „Er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir würden die Gerechtigkeit Gottes in ihm. “ Das ist einer der Sätze, auf die man sterben kann, weil sie einen Trost bieten, der stärker ist als der Tod. […] Hier und so, in seinem Todesgang, wirklich in seinem Blute, hat Jesus Christus den Menschen auf die Seite der göttlichen Gerechtigkeit gezogen, hat ihn bekleidet mit dem Kleid eines neuen Seins. “324

„Dieser elementare Zusammenhang zwischen Jesu Gewährung der Sündenvergebung und seinem Kreuzestod kommt im Markusevangelium unübersehbar zum Ausdruck, wenn der in Mk 2,7 erhobene Vorwurf der Gotteslästerung in der Verhörszene Mk 14,55–64 erneut laut wird und dort das definitive Todesurteil über Jesus zur Folge hat (14,63f).(Verweis bei Hofius: Die Gotteslästerung liegt darin, daß Jesus mit den Worten von Mk 14,62 die eschatologische Richtermacht Gottes und eben damit eine gottgleiche Hoheit und Würde für sich in Anspruch nimmt.) Damit ist im Gesamtzusammenhang des Evangeliums narrativ gesagt: Die Sündenvergebung, die Jesus in eigener Macht gewährt, ist die in seinem Kreuzestod begründete Vergebung, und als solche ist sie zugleich die Gabe des kommenden Weltrichters, der denen das eschatologische Heil bringt, die seine Vergebung empfangen haben und sich in der Nachfolge zu ihm als dem Gekreuzigten bekennen.“ (Verweis bei Hofius: Mk 8,34- 38; 13,26f.) Nach dem Zeugnis des Markusevangeliums –

so kann abschließend gesagt werden – eignet Jesus in analogieloser Weise göttliche é&uoia, [eksu sia Macht] weil in ihm Gott selbst „auf Erden“ gegenwärtig und er mithin in Person „die einmalige Epiphanie Gottes“, die rettende praesentia Dei unter den Menschen, ist.“325

„Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft. “ (1 Kor 1,18)

„Dass über die Kreuzespredigt gefällte Urteil des >Glaubens< gründet in gar keiner Weise in einer Qualität oder Disposition des glaubenden Menschen, sondern verdankt sich einzig und allein dem Schöpferwort Gottes. Es ist mithin im strengen Sinn >voraussetzungslos<.“326

„Der Versöhner hat die stürzende Welt ins Leben zurückgelenkt, zurückgeliebt als hätte er die Liebe neu erfunden. Er nimmt mit auf eine Reise zum Anfang der Zukunft. Gott und Mensch gehen in Ewigkeit0 einander nicht mehr verloren.“ 327

Wo immer heute bei der Rede vom gekreuzigten Christus verschwiegen wird, „all Sünd’ hast du getragen, sonst müssten wir verzagen“, da herrscht eine falsche, eine verderbliche Lehre.“328

Von der ganzen Motivierung der Hoheit und Erlösungskraft der Kreuzestat, die Paulus so sehr unterstreicht, […] bleibt bei Bultmann überhaupt nichts mehr übrig.“329

Die Leugnung der Sündenvergebung durch Bultmann ist die nicht zu übertreffende Verleugnung des Sinns der Schöpfung Gottes und seines Heilsplans mit den Menschen, ist die Verleugnung des Evangeliums schlechthin. Siehe dazu wegen des engen Zusammenhangs auch die vorherigen Ausführungen zur Eschatologie im Kapitel 1.2.2

„Und die Dinge liegen so, daß der Begriff der Erlösung der Anschauung der Existentialisten vollkommen fremd ist, er ist ihnen unangemessen. Darum kann Bultmann trotz aller Anstrengungen innerhalb seiner existentialen Interpretation keinen Platz für das Heilsereignis finden. Das Heil, von dem er spricht, ist nicht das wahre Heil, es einfach ein Bestandteil der existentiellen Entscheidung des Menschen.“ 330

„Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. “ Ja, sein Blut, ganz real, nicht das Strafereignis und nicht das Wortgeschehen, für das man auch sagen kann: „Jesus von Nazareth“. Nein, das redet nicht, sondern sein Blut. Das ist das Zentrum der frohen Botschaft, die nicht den geringsten Abstrich duldet. Gott hat ja gerade den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, Gott hat durch ihn, Christus, die Welt mit sich versöhnt. Das ist die große Heilsrealität. Das allein ist der Sinn und Inhalt der fundamentalen Tatsache des Kreuzes Jesu. Alles andere stellt – ich kann es nicht anders sagen – so etwas wie einen irreführenden Mißbrauch derselben Worte dar. “ 331

„Gottes Versöhnungstat ist einmal und ein für allemal geschehen: in dem Ereignis des Kreuzestodes und der Auferstehung Jesu. In diesem Geschehen heiligender Sühne hat Gott von sich aus den Abgrund überbrückt, der zwischen ihm und dem gottlosen Menschen besteht, indem er den sündlosen Jesus mit den Sündern identifizierte und ihnen durch sein Sterben und Auferstehen den Zugang zu sich selbst eröffnete. Der stellvertretende Sühnetod des Sohnes Gottes ist als solcher die Versöhnung der ganzen gottfeindlichen Menschenwelt mit Gott, der Vollzug der Vergebung aller Sünden und Übertretungen, die Gewährung neuer, heilvoller Gottesgemeinschaft. Hier hat Gott in seiner freien, unverdienten Gnade de ganze Menschheit auf seine Seite gezogen und alle in den Raum seines Friedens gestellt. “332

„Es muss dabei bleiben, daß dieses Friedenhaben allein in Gott begründet und wirklich ist und nirgends sonst. Gottes Werk an uns ist es, vollzogen durch die Anschauung des gekreuzigten und auferstandenen Christus. […] durch ihn haben wir im Glauben den Zugang zu dieser Gnade. “ 333

„Bei dem Sühnetod Jesu handelt es sich um ein >eschatologisches< Ereignis, das ein für allemal geschehen ist, ausnahmslos alle Sünden aufhebt und in universaler Weise allen Menschen aller Zeiten gilt. “334

Auch Christoph Schwöbel in aller Entschiedenheit und Klarheit weist uns hin zum Verständnis der Heilstat Gottes: „Die Wirklichkeit der Gnade wird durch die Relokation des Menschen in seiner Beziehung zu Gott erschlossen. Die Gnade, daß Gott selbst in Jesus Christus das Todesurteil der Sünde auf sich nimmt und damit den Preis der Liebe zu seinen gefallenen Geschöpfen selbst zahlt, erscheint als Wahrheit der menschlichen Existenz. Gott erschließt sich in Christus als der, der den Menschen ‘ohn’all’ Verdienst und Würdigkeit< rechtfertigt und ihn als versöhnten wieder einsetzt in die Beziehung der Geschöpflichkeit. […] Diese Relokation ist nur dadurch möglich, daß der Sünder von seiner Sünde unterschieden wird und gerade dadurch nicht als das erscheint, durch was er durch seine Taten und ihren Motivzusammenhang in der angemaßten schöpferischen Freiheit qualifiziert wird, sondern als der, der um Christi willen von Gott angenommen ist. “335

„Jesu Tod am Kreuz ist den neutestamentlichen Zeugnissen zufolge ein von Gott gewolltes und von Jesus, dem ewigen Sohn Gottes, im Gehorsam bejahrtes Geschehen. […] In diesem Tod liegen […] der >Sinn< und das >Ziel< seines Daseins in der Welt, und seine Passion ist dementsprechend als solche seine eigene Aktion. […] Jesus ist nicht nur der >Verkünder< der Vergebung Gottes, sondern >er selbst< bringt und schenkt die Vergebung, indem er sie in eigener Autorität zuspricht. (S dazu Lk 5,17-26;736- 50). Und zum anderen: Jesus handelt dabei als der Sohn Gottes, der „gekommenen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“ (Lk 19,10 (vgl.1 Tim 1,15). […] Er ist gekommen, um sich selbst zu bringen – sich selbst als Gottes Heil und Gottes Vergebung in Person. (Verweis auf Schniewind: Die Freude der Buße 52-74) Die Gewährung der in seinem Tod begründeten Sündenvergebung ist der >Sinn< seines irdischen Lebens.[…] Jesu Tod als das die Sündenwirklichkeit aufhebende und vom Tod errettende Sühnopfer ist so wesenhaft >göttlicheres< Heilshandeln am Menschen.[…] Nirgends im Neuen Testament ist von einem satisfaktorischen und propitatorischen Sühnopfer die Rede […] Das Christusgeschehen als Geschehen der rettenden Identifikation Gottes bzw., Christi mit dem sündigen Menschen ist ausschließlich Tat und Erweis der >Liebe< Gottes, (Joh 3,16; Röm 5,8; 8,31ff; 1 Joh 4,10) die als solche zugleich die Liebe Jesu Christi ist. (Joh 13,1; 2 Kor

5,14; Gal 2,20; Eph 5,2.25: Offb 1,5b). […] So ist Jesu ganzes Leben >vom ersten bis zum letzten Tage< geprägt …. Durch das „für euch.“ (Verweis auf H. J. Iwand, Gesetz und Evangelium).“336

Ausführlicher als hier möglich, findet man über den Sühnegedanken und die Bedeutung und das Verständnis des Opfers Jesu im Neuen Testament – Bultmanns Auffassung auf ganzer Linie widersprechend – eine Darstellung des neutestamentlichen Verständnisses, bei O. Hofius.337

„Es muss daher die falsche Lehre verworfen werden, Jesus habe sich nicht bewusst für uns geopfert oder es sei der wirkliche Opfertod Jesu Christi zur Versöhnung der Welt nicht notwendig gewesen und es dürfe die Verkündigung vom Sühnetod als eine zeitgebundene Einkleidung der Heilsbotschaft verstanden werden. “338

Unsere end-gültige Versöhnung mit Gott durch Person und Werk Jesus Christus, Gottes Sohn, nach dem Willen des Vaters, ist das eigentliche Zentrum des Evangeliums, nein mehr noch, IST das Evangelium schlechthin.

„Jesu Kreuzestod und seine Auferstehung sind in ihrer Zusammengehörigkeit das >eine< göttliche Heilsgeschehen, in dem sich die Erlösung der vor Gott verlorenen

Menschheit ereignet hat und ohne dass es für niemanden die heilvolle Nähe Gottes gäbe. “ 339

„Die >Vergebung der Sünden< steht im Zentrum seines [Jesu Christi] Erdenwirkens. Alles ist ohne Ausnahme darauf bezogen. Die Vergebung der Sünden ist keine Tat Jesu neben anderen Taten, sie steht auch nicht neben seiner Auferstehung, sie ist nicht eine Seite seines Wirkens neben dem Wundertun oder neben seinen Reden, sondern sie ist das Werk, das er auf Erden vollzieht und vollzogen hat. Sie bleibt sein Werk in alle Ewigkeit, sie kennzeichnet noch den Auferstandenen mit den Nägelmalen und der Seitenwunde, sie kennzeichnet den Auferstandenen und zur Rechten Gottes Erhöhten als den >Hohenpriester in Ewigkeit<“ 340

„Einzig und allein <aufgrund< des Todes und der Auferstehung Jesu haben die sündigen Menschen einen Zugang zu dem heiligen Gott und zur Gemeinschaft mit ihm. Gottes vergebende Nähe und des Menschen Heil ist nirgends anders als in Jesu Person und Werk zu suchen und zu finden. Anders gesagt: Das Heil liegt in dem Gekreuzigten selbst und nicht etwa dahinter. “ 341

„Durch den Tod des Gottessohnes wurden wir, obwohl wir dich Gott gegenüber in Feindschaft lebten, mit Gott versöhnt. (Röm 5,10). Denn Christus starb „für uns“ – d.h. zu unseren Gunsten und an unserer Stelle --, so dass wir nun „in seinem Blut “Gerechtfertigte im Frieden mit Gott leben können (6,1.6.9). Da Christus diesen stellvertretenden Sühnetod für uns erlitt, als wir noch Gottlose und Sünder waren, ist sei Kreuz zugleich der überwältigende Erweis der einzigartigen Liebe Gottes zu uns Menschen (Röm 5,7f).“342

„Weil es Jesus Christus war, deshalb wurde er gekreuzigt, deshalb ist er auferstanden. “ 343

Und es gilt im Widerspruch zu Bultmann344: Weil es das Kreuz Christi ist, ist es das Heilsereignis. Das Kreuz ist der Sieg. Das Kreuz ist seine Erhöhung. Das Kreuz ist der Sieg über den Tod. Der Tod des Todes, der Sieg über unseren ewigen Tod. Das ist die Herrlichkeit des Todes Christi am Kreuz.

„Zwar wird die Schöpfungsoffenbarung […] erst durch die Offenbarung des inkarnierten Logos durch Jesus Christus im Geist als Offenbarung des dreieinigen Schöpfers erkannt, aber es ist dennoch daran festzuhalten, daß Gott nicht schafft, um sich in der Schöpfung zu verbergen, sondern um sich zu offenbaren.[…] Damit aber wird auch klar, daß die Christusoffenbarung gerade den unbedingten Willen des Schöpfers zur Gemeinschaft mit der Schöpfung zum Inhalt hat, der angesichts der Sünde des Menschen als unbedingter Wille zur Versöhnung realisiert wird, um so die Vollendung der Gemeinschaft Gottes mit seiner versöhnten Schöpfung ins Werk zu setzen. “ 345

„Die Grundüberzeugung, dass das ewige Heil eines jeden Menschen einzig und allein in der Person und dem Werk Jesu Christi beschlossen liegt und dem Einzelnen im

Glauben an ihn zugeeignet wird, teilt das Johannesevangelium mit dem gesamten Neuen Testament. “ 346

„So ist die im Kreuzestod Jesu vollzogene Sühne und Versöhnung >Gottes eigene Tat< -- die freie Tat seiner Liebe zu den Gottlosen (Röm 5,8), das Ereignis seiner gnädigen Zuwendung zu den Sündern (Röm 3,24) der Erweis seiner heilschaffenden >Gerechtigkeit< (Röm 3,25f). Weil Gott selbst in dem Gekreuzigten gegenwärtig war (2 Kor 5,19), deshalb ist der Sühnetod Jesu >als solcher< Gottes rettende Versöhnungstat und nicht nur die Voraussetzung für die Versöhnung.“ 347

„Die christliche Lehre von der Versöhnung ist das Zentrum unseres Glaubens. “ 348

Mit dieser Versöhnungstat versetzt Gott uns zurück in ein mit ihm versöhntes Verhältnis, dem Ziel und dem Sinn unseres geschöpflichen Daseins, unserer, des Menschen Bestimmung vom Anfang der Schöpfung an. Es geschieht uns eine Heiligung durch Neuschöpfung. Das genau besagen die nachfolgenden ausgewählten neutestamentlichen Texte:349

„Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ (2 Kor 15, 17ff)

„Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind. “ (Röm 5,10)

„Denn es hat Gott wohlgefallen, daß in ihm alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz. “ (Kol 1,19+20)

„und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß!“ (Offb. 21,4+5)

„Denn Christus ist nicht eingegangen in das Heiligtum, das mit Händen gemacht und nur ein Abbild des wahren Heiligtums ist, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen; auch nicht, um sich oftmals zu opfern, wie der Hohepriester alle Jahre mit fremdem Blut in das Heiligtum geht; sonst hätte er oft leiden müssen vom Anfang der Welt an. Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für alle Mal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.“ (Hebr 9,24-26)

Abschließend noch einmal Otfried Hofius: „Der mit dem Gekreuzigten identifizierte Mensch ist >in Christus< ein neues >Geschöpf< geworden – ein in seinem >Sein< durch Gottes rettende und heilschaffende >Gerechtigkeit< qualifizierter Mensch. “350

Kritik der reinen Verleugnung

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