Читать книгу Die Reformation - Volker Leppin - Страница 13
4. Der Lutherprozess
ОглавлениеSchon am 13. Dezember 1517 kündigte Erzbischof Albrecht von Mainz einen Prozess gegen Luther an. Im Januar traf die Anklage in Rom ein. Anfänglich bemühte man sich zwar von päpstlicher Seite, die Sache als eine Angelegenheit zwischen zwei Orden – Luthers Augustinereremiten und den Dominkanern, denen Tetzel angehörte – zu behandeln und setzte auf eine interne Klärung, wie sie die Augustinereremiten in Heidelberg ja auch anstrebten. Doch schon im März kam es, nun durch die Dominikaner, zu einer weiteren Anklage in Rom. Daraufhin wurden alle nötigen Schritte eingeleitet. Luther wurde nach Rom zitiert und ihm zugleich der Dialogus des Dominikaners Silvester Mazzolini (gest. 1523) aus Prierio, der daher Prierias genannt wurde, überreicht. Der Dialogus dürfte in etwa dem Gutachten entsprechen, das Prierias als Magister sacri Palatii im Zusammenhang des Lutherprozesses zu erstellen hatte. So wird erkennbar, dass nicht nur die Tatsache, dass hier ein Gutachter beauftragt wurde, der dem klagenden Orden angehörte, ein unglückliches Vorzeichen darstellte, sondern dass dessen theologische Vorstellungen zu einer folgenreichen Engführung des Prozesses führten: Der Dialogus befasste sich vornehmlich mit der Frage der Papstautorität. Diese hatte Luther in seinen Ablassthesen durchaus tangiert, freilich nicht grundsätzlich infrage gestellt. Prierias aber vertrat eine nach spätmittelalterlichen Maßstäben durchaus nicht konsensfähige gesteigert papalistische Position, wenn er erklärte: „Wer sich nicht an die Lehre der römischen Kirche und des Papstes hält als die unfehlbare Glaubensregel, von der auch die Heilige Schrift ihre Kraft und ihre Autorität bezieht, ist ein Häretiker“ (Dokumente zur Causa Lutheri [1517–1521]. Bd. 1, hg. v. Peter Fabisch und Erwin Iserloh. Münster 1988, 55). Dass er diese auch von anderen geteilte, dennoch aber nicht allgemein verbreitete Überzeugung in den Lutherprozess einbrachte, rückte die Papstfrage in den Mittelpunkt der rechtlichen Auseinandersetzungen. Entsprechend hat Luther sich in seiner rasch – nach eigener Aussage in nur zwei Tagen – niedergeschriebenen Antwort dieser Frage zugewandt und dargelegt, dass er sich mit dem spätmittelalterlichen Kanonisten Nicolaus de Tudeschis gen. Panormitanus (gest. 1445) einig wissen könne, wenn er die Irrtumsfähigkeit des Papstes (und des Konzils) behaupte (WA 1, S. 656, Z. 32). Dass er damit ausgerechnet einen Parteigänger des Basler Konzils als Kronzeugen heranzog, konnte allerdings neuen Verdacht schüren. So wie zuvor die Wittenberger Theologie ihre Stärke durch die Skizzierung klarer, in ihrer Zuspitzung vereinfachender Alternativen gewonnen hatte, wurde sie nun ihrerseits in das Räderwerk der Alternative von Häresie und rechtem Glauben eingezwängt und mit zunehmender Zielstrebigkeit auf die Seite antipäpstlicher Häresie gestellt. Angesichts der oben dargestellten spätmittelalterlichen Polaritäten bedeutet dies, dass die Polarität von innen und außen sich nun mit einer anderen verschränkt: der aus Zentralität und Dezentralität, und dies in einer sich verschärfenden Form: Luther wurde zunächst aus kurialer Sicht als Vertreter einer dezentralen Sicht im Sinne des Konziliarismus wahrgenommen, zunehmend aber, beschleunigt durch die Leipziger Disputation, die vor diesem Hintergrund ein eigenes, jenseits des Akademischen liegendes Gewicht gewann, als grundsätzlicher Bestreiter zentraler kirchlicher Leitung, wie sie in gewisser Weise auch durch das repräsentative Konzil ja noch gesichert war. Luther seinerseits nahm diese Entwicklung sehr genau wahr und kam selbst zu weiterreichenden Überzeugungen: Kurz nach der Leipziger Disputation wurde ihm zur Gewissheit, was er zuvor nur in Vermutungen zu äußern gewagt hatte: dass der Papst – und damit war nicht dieser oder jene einzelne Papst gemeint, sondern das Papsttum insgesamt – der Antichrist sei. Diese Wahrnehmung gab seinem Kampf eine neue Härte: Von nun an war er sich gewiss, dass das Ende nahe sei und er aufseiten des Evangeliums gegen den Widersacher Christi zu kämpfen hatte. Der endzeitliche Ton wurde von anderen geteilt: In Zürich pries Zwingli, sonst beileibe nicht zu apokalyptischen Tönen neigend, Luther aufgrund der Disputation von Leipzig als wiedergekehrten Elia – und arbeitete sich von nun an durch die Werke des Wittenbergers, soweit sie ihm greifbar waren, um Unterstützung für seine eigenen Bemühungen zu finden.
Königswahl
Dass überhaupt die Leipziger Disputation eine solch entscheidende Bedeutung gewonnen hatte, lag allerdings an einer Retardierung des Lutherprozesses, deren Ursache in einer zufälligen Verquickung mit der Reichspolitik lag. Der Logik des Prozesses folgend, hätte Luther eigentlich der Ladung nach Rom folgen müssen, welche im Sommer 1518 an ihn erging. Genau das aber tat er nicht, und der Grund dafür, dass er sich einstweilen zurückhalten konnte, lag relativ fern von Luthers eigenen Angelegenheiten: in der anstehenden Wahl eines neuen Königs. Maximilian I. (1486–1519) bereitete sich bewusst und weitsichtig auf seinen Tod vor. Hierzu gehörte auch, dass er sich bemühte, die Nachfolge für seinen Enkel, der seit 1516 als Karl I. über Spanien herrschte, zu sichern. Da dieser auch über beide Sizilien regierte, drohte so dem Papst beziehungsweise dem von diesem beherrschten Kirchenstaat in Mittelitalien eine gefährliche Umklammerung, die er zu vermeiden trachtete. In diesem Zusammenhang kam nun Luthers Landesherrn Friedrich dem Weisen nicht nur als Mitglied des für die Wahl zuständigen Kurfürstenkollegiums eine entscheidende Rolle zu. Seit 1507 trug er den Titel eines „Generalstatthalters des Reiches“, zudem war er für Zeiten der Königslosigkeit der designierte Stellvertreter der imperialen Macht. Diese besondere Stellung kam der von ihm verfolgten „Lutherschutzpolitik“ (Kohnle) zugute, deren Gründe im Einzelnen schwer zu erschließen sind. Sicherlich gab es bei ihm eine spirituelle Offenheit für die Anliegen der Reformation, auch wenn er sich erst 1525 auf dem Totenbett durch den Empfang des Abendmahls unter beiderlei Gestalt zu ihr bekannte. Zudem dürfte aber eine Rolle gespielt haben, dass der bekannte Professor den Ruhm der noch jungen Universität mehrte und so dem Wohl des Kurfürstentums diente. Jedenfalls gelang es dem Kurfürsten, Cajetan, den päpstlichen Legaten auf dem Augsburger Reichstag im Herbst 1518 dazu zu bringen, dass dieser, mit Erlaubnis aus Rom, die Befugnis erhielt, nach einem Verhör auf Reichsboden zu entscheiden, ob Luther zu verurteilen sei oder nicht. Das Verhör gestaltete sich freilich nicht so, wie es der versierte Theologe erhofft hatte: Während dieser Luther in väterlichem Gestus zu einem Widerruf bringen und auf künftiges Stillehalten verpflichten wollte, zwang Luther ihn zu einer Disputation über einzelne strittige Fragen, in deren Verlauf Cajetan, wenn man Luthers hierüber erstelltem Bericht glauben darf, keineswegs glücklich aussah. Nun war es Luther selbst, der durch öffentlichen Anschlag an den Augsburger Dom an den Papst (WA 2, S. 28–33), wenig später freilich an das Konzil appellierte (WA 2, S. 36–40). Cajetan seinerseits kündigte die Fortsetzung des römischen Prozesses an und forderte Luthers Auslieferung. Diese gewährte Friedrich der Weise nicht, stattdessen kam es zu einer eigenartigen Episode: Der diplomatische Akt, dem Kurfürsten als päpstliche Auszeichnung eine Goldene Rose zu überreichen, verquickte sich mit dem eigenmächtigen Bemühen des Überbringers, des päpstlichen Kammerherrn Karl von Miltitz (gest. 1529), die Angelegenheit zu befrieden. Anfang Januar traf er sich mit Luther in Altenburg und vereinbarte mit diesem einen vierstufigen Plan: 1. Luther solle in seiner Angelegenheit schweigen, „ßo fernn der widderpart auch schweyge“, wie Luther ausdrücklich hinzusetzte (WA.B 1, S. 290, Z. 12f. [Nr. 128]) – eine Vereinbarung, von der Luther sich bald durch seine Gegner dispensiert sah. 2. Luther werde ein Unterwerfungsschreiben an den Papst senden – das er tatsächlich verfasste (WA.B 1, S. 291–293 [Nr. 129]), aber nicht absandte. 3. Luther werde auch öffentlich dazu aufrufen, sich an die römische Kirche zu halten, und 4. ein deutscher Bischof, genannt wurde der Erzbischof von Salzburg, solle die Sache weiter behandeln. Der interessanteste und am längsten verfolgte Vorschlag war wohl dieser vierte Punkt, der auf Georg Spalatin (1484–1545), den Sekretär und Beichtvater des Kurfürsten, zurückging, hätte er doch eine Nationalisierung der Luthersache mit sich gebracht. Auch dieser Plan ging aber angesichts der Beschleunigung der Ereignisse in der Reichspolitik unter, so wie nun generell das römische Interesse am Lutherprozess erlahmte, der für das diplomatische Bemühen um den sächsischen Kurfürsten nur hinderlich sein konnte. Am 12. Januar 1519 starb Maximilian I., und als aussichtsreiche Kandidaten standen Karl von Spanien sowie Franz I. von Frankreich zur Verfügung (1515–1547). Bei der Wahl am 28. Januar 1519 setzte sich der Habsburger durch. Als Karl V. war er nun römischer König und Prätendent für die römische Kaiserkrone. Bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1556 herrschte er über das Reich – und scheiterte dann letztlich an der Reformation.
Mit der erfolgten Königswahl, die faktisch auch eine Kaiserwahl darstellte, wenn auch die Kaiserkrönung durch den Papst erst 1530 nach langen Verhandlungen stattfinden konnte, wurde in Rom nicht sofort der Lutherprozess wieder aufgenommen. Man hatte das Interesse offenbar nachhaltig verloren. Im Januar 1520 aber wurde die Luthersache aus nicht ganz geklärten Gründen wieder in Rom akut. Eck, der sich den Ruf als bester Kenner der neuen Häresie erworben hatte, wurde nach Rom beordert. In einer kleinen Kommission bereitete er mit drei anderen Theologen zusammen die Verurteilung Luthers vor, wobei ihm vor allem die Aufgabe zukam, die zu inkriminierenden Sätze Luthers – insgesamt 41 – zusammenzustellen. Am 15. Juni 1520 wurde die Bulle Exsurge Domine in Kraft gesetzt, am 24. Juli an der Peterskirche angeschlagen und so veröffentlicht. Eine Besonderheit der Bulle ist, dass in ihr Luther nicht sofort gebannt wurde, sondern ihm noch eine Gnadenfrist von 60 Tagen zum Widerruf gewährt wurde. Daher hat sich für sie der Kunstbegriff Bannandrohungsbulle (Gustav Kawerau) durchgesetzt.
Stichwort
Bann
Schon in der Alten Kirche konnte im Rahmen der Bußpraxis ein Ausschluss von den Sakramenten angeordnet werden. Im Zuge des Mittelalters entwickelten sich zwei Formen des Banns: Der kleine Bann schloss nur vom Sakramentenempfang aus, der dann über Luther verhängte großen Bann hingegen schloss darüber hinaus ganz aus der christlichen Gemeinschaft aus. Diese umfassende Exkommunikation zog üblicherweise die Acht, d.h. die Rechtlosigkeit auf Reichsebene nach sich.
Die Frist nutzte Luther nicht im päpstlichen Sinne – vielmehr verbrannte er am 10. Dezember 1520 die Bannandrohungsbulle und mit ihr zugleich mehrere Ausgaben des Kirchenrechts. Der Bruch mit Rom war vollzogen, die definitive Bannbulle Decet Romanum pontificem bestätigte dies am 3. Januar 1521 von römischer Seite.
Auf einen Blick
Das späte Mittelalter war von intensiven Spannungen in Kirche und Frömmigkeit geprägt. Kann man vor diesem Hintergrund die verschiedenen Ansätze der Reformation als Vereinseitigungen der Vielfalt des späten Mittelalters beschreiben?
Zwingli und Luther kamen wohl unabhängig voneinander auf Kritik- und Reformüberlegungen: Wie nah, wie fern stehen sie sich darin?
Welches Interesse hatten spätere Generationen daran, die Reformation vornehmlich im Sinne eines Bruchs mit dem Mittelalter zu beschreiben?
Wie verhält sich die Geschichte des theologischen Denkens, die sich bei Luther etwa anhand seiner Vorlesungen und Randnotizen nachzeichnen lässt, zu seiner öffentlichen Wirkung? Beginnt mit der Publizistik etwas Neues – oder setzt sich hier nur fort, was sich zuvor im Hörsaal entwickelt hat?
Der Lutherprozess führt am Ende – spätestens mit der Exkommunikation am 3. Januar 1521 – zur Spaltung zwischen der hergebrachten, päpstlich geleiteten Kirche und der reformatorischen Bewegung. Beruht er lediglich auf einem Missverständnis, stehen sich in ihm unterschiedliche Seiten der spätmittelalterlichen Polaritäten gegenüber – oder ist er Ausdruck des Umstands, dass sich in der Reformation eine ganz neue, nicht mehr zu integrierende Theologie äußert?