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PROLOG

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Robert G. Vallier erwachte aus einer Ohnmacht. Er öffnete die Augen und blickte in ein großes schwarzes Loch.

Schemenhaft nahm er schummrige Beleuchtung wahr, aus der sich diffuse Gegenstände schälten, ein Gesicht, welches sich über ihn beugte. Er stellte fest, dass er irgendwo auf dem Boden lag, im Halbdunkel. Um sich herum: Gestühl, Gestänge, Kabel, Holzpodeste.

Wo, um alles in der Welt, befand er sich? Er konnte sich nicht erinnern, wie er in diese Lage geraten war. Und überhaupt: wer war das, der ihm in einem fort „Herr Vallier! Herr Vallier!“ zurief, ihn vorsichtig schüttelte und ihm das Gesicht tätschelte?

Plötzlich erschien eine zweite Person, eine dritte. Er spürte, wie er auf die Seite gelegt wurde, ihm jemand eine Art Kopfkissen unterschob und ihn mit irgendetwas zudeckte. Dankbar zog er die Decke bis zum Hals, denn es fröstelte ihn.

Nun musste er feststellen, dass ihn eine plötzliche Welle von Übelkeit überkam. Sein Mageninhalt kam hoch und sprühte auf den Boden um ihn herum.

„Mein Gott, wie peinlich“ konnte er noch denken, dann war schon wieder schwarze Nacht um ihn.

Wenn irgendjemand Robert G. Vallier erzählt hätte, dass er ein paar Stunden später in diese Situation geraten würde, hätte der wohl ungläubig den Kopf geschüttelt, gänzlich ausgeschlossen jedoch hätte er es nicht. Denn allzu oft schon waren ihm Dinge im Leben widerfahren, die als komisch, peinlich, skurril, schräg, abwegig oder absurd und unangenehm bezeichnet werden mussten. Das hatte auch mit Valliers Begabung zu tun, oft in Fettnäpfchen zu treten, die seinen Lebensweg säumten.

Dadurch hatte sich Vallier im Laufe der Zeit einen gesunden Sarkasmus zugelegt, den Leute, die ihn nicht näher kannten, ihm als Flapsigkeit, Respektlosigkeit, Ignoranz oder gar Arroganz auslegten. Dabei hatte Vallier mit all diesen Eigenschaften nichts zu tun, er suchte und erkannte bloß das Humorvolle und Wunderliche in seinen Missgeschicken, ironisch und sarkastisch.

Valliers Leben war überreich von solchen Geschichten, die er oft zur Erheiterung fröhlicher Runden von sich gab, wobei es ihm seine gesunde Selbstironie erlaubte, sich selbst als Zentralfigur von schadenfroher Lust am Dilemma anderer darzustellen.

Hinzu trat eine gehörige Portion Selbstbewusstsein und die Laune am Schwadronieren, was er, wie man ihm immer wieder versicherte, ausgezeichnet beherrschte. Ab und an erlaubte er sich, der Wirksamkeit seiner Erzählungen durch Übertreibungen in die eine oder andere Richtung nachzuhelfen, wobei der Kern der erzählten Ereignisse jedoch immer wahrhaftig blieb.

Sich selbst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sehen, machte Vallier schon lange nichts mehr aus. Und das hatte mit seinem Beruf zu tun: Robert G. Vallier hatte nämlich den seltenen Beruf eines Theater- und Orchesterdirigenten.

Er war sogar ein gar nicht so unbekannter Dirigent, erfolgreich als Orchesterleiter und Theaterchef. Natürlich war sein Bekanntheitsgrad nicht zu vergleichen mit dem seiner großen Kollegen Bernstein, Muti, Abbado, Rattle, Thielemann oder gar Karajan, aber in Fachkreisen hatte er es doch zu einer bescheidenen Popularität gebracht, wobei diese Popularität allerdings in dem - in Klassik- Kreisen ungewöhnlichen - Umstand begründet lag, dass er nicht nur mit Leidenschaft Opern und Konzerte dirigierte, sondern mit eben derselben Emphase sich für gute Musicals einsetzte. Diese Tatsache rief bei so manchen Kollegen und Kritikern Naserümpfen hervor, galt doch die Gattung Musical als nicht der Hochkultur zugehörig, und jeder, der sich damit beschäftigte, setzte sich der Gefahr aus, dass sein seriöses Künstlertum fortan angezweifelt wurde. Auch in dieser Situation half Valliers Sarkasmus ungemein und wenn er erkennen musste, dass seine Popularität sich in Wahrheit darauf bezog, dass er in Fachkreisen als berüchtigt galt für seinen Einsatz für gewisse Musicals, war er sogar ein bisschen stolz darauf und nahm dies mit Hilfe eine seiner witzigen ironischen Bemerkungen zur Kenntnis.

Sarkasmus half ihm auch bei der leidigen Sache mit seinem Namen. Viele Leute sprachen seinen Nachnamen französisch aus. Das war aber falsch. Er und seine Familie hatten mit Frankreich nichts zu tun, außer, dass er immer wieder gerne dort Urlaub machte. Sein Name wurde "Walliir" ausgesprochen, mit langem "i". In der Gegend, aus der er stammte, gab es viele für fremde Ohren eigentümlich klingende Namen und Ortsbezeichnungen. Der Familienname eines seiner Schulkollegen lautete etwa Vergud, andere Mitschüler hießen Vonier, Valavier oder Vallaster. Auf Wegbeschilderungen konnte man lesen: Valluga oder Valschena oder Valschaviel, auf Orts- und Flurtafeln Vandans, Tschengla, Tschappina oder Tschalenga.

So eigentümlich fand Vallier seinen Nachnamen also nicht. Wohl aber seinen zweiten Vornamen. Das „G.“ bedeutete nämlich Giselher, was Vallier gerne verschwieg, denn er fand den Namen ziemlich unpassend. Nur im Notfall rückte er damit heraus. Er hatte es versäumt, seine Eltern je danach zu fragen, wie sie auf die Idee hatten verfallen können, ihn ausgerechnet mit diesem Nibelungen-Namen zu belegen. Mit Gunter oder Hagen, vielleicht noch mit Gernot oder Volker hätte er leben können, aber Giselher...

Seine Abneigung gegen seinen zweiten Vornamen konnte auch nicht mindern, dass die meisten Leute den Namen eben gerade nicht merkwürdig sondern im Gegenteil bemerkenswert und wegen seiner Rarität höchst originell und interessant fanden. Er aber blieb bei seiner negativen Meinung.

Nun ja, da war jetzt nichts mehr zu machen. Seinen Namen deshalb offiziell ändern zu lassen war ihm viel zu aufwändig und so beließ er es dabei, den Giselher wenigstens hinter dem neutralen „G.“ zu verbergen.

Dieser Pragmatismus saß Vallier tief in der Seele und bezog sich auf die meisten Bereiche seines Lebens, auch auf die Musik. So war er seit jeher zwischen den verschiedensten Musikgattungen hin und her gependelt. Nie hatte er sich entscheiden können, welche Art Musik für ihn wichtiger war oder ihm mehr Spaß oder Freude vermittelte. Und seine Faszination für die zahlreichen Theaterformen war viel zu groß, als dass er sich für lediglich ein oder zwei spezielle Genres hätte interessieren können. Oper, Operette, Musical, Tanztheater, Schauspiel mit oder ohne Musik, Revue, Kabarett, experimentelles Theater, für all dies konnte er sich begeistern und mit Kollegen endlose Fachgespräche führen.

Schon als Gymnasiast hatte er mit sieben Gleichaltrigen in einer Jazz-Rock-Gruppe mit dem einprägsamen Namen Petroleumlampe, die von ihm gegründet und geleitet worden war, das Keyboard gespielt. Außerdem hatte er für diese Formation voller Begeisterung im Stile der großen Vorbilder Blood Sweat & Tears, Colosseum und Emerson Lake & Palmer komponiert. Als es ein paar Jahre später das Schicksal fügte, dass er in einem Wiener Nachtlokal die Gelegenheit hatte, an einer Jamsession mit dem verehrten Keith Emerson teilzunehmen, zehrte er noch jahrelang von diesem Ereignis. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, weiterhin mit Begeisterung Musik von Gustav Mahler und Richard Wagner zu hören und sich an Melodien von Franz Lehár zu ergötzen, zu denen sich sein Vater, der ein passabler Sänger und Klavierspieler war, jeden Sonntagvormittag lautstark und voller Inbrunst selbst auf dem Klavier begleitete.

Später an der Hochschule wurde seine Neigung zum Schlendern zwischen den Musikgattungen im besten Falle amüsiert, im schlechtesten nicht gerne gesehen. Hier galt es, die hehre Kunst Schütz’scher Kantionalsätze, Bach’scher Fugentechnik und Beethoven’scher Formenbeherrschung zu studieren und nicht nach links oder rechts zu schauen.

Das störte Vallier außerordentlich und auf der Stelle machte er sich daran, eine Big-Band zu gründen, die sich jeden Samstag früh um neun zusammenfand, also zu einer Zeit, an der die allermeisten Studenten noch im letzten Tiefschlaf in ihren Betten lagen. Sie aber probten dann hingerissen Musik von Glenn Miller, Duke Ellington oder Sammy Nestico, um ab und an – besonders anlässlich diverser Hochschulfeste - zum Tanz oder zu Konzerten im Stadtpark aufzuspielen. All dies machte ihn innerhalb der Hochschule schnell bekannt und ein bisschen berüchtigt und es wurde nicht leicht für ihn, im Kreise seiner Kommilitonen zu bestehen. Die meisten gerierten sich als seriöse Künstler, deren todernstes Anliegen es war, große Musik hochvirtuos und makellos in Technik und Musikalität zu Gehör zu bringen.

Dagegen war auch nichts einzuwenden, wenn dies Vallier in dieser Ausschließlichkeit nicht so deprimierend freudlos und öde vorgekommen wäre. Er liebte die swingenden Einfälle eines Count Basie oder Cole Porter und das improvisatorische Element in deren Musik genauso wie die Brahms’sche Ernsthaftigkeit, die Tiefe Mozarts, die Makellosigkeit Beethovens, die Melancholie Schuberts, die dramatische Wucht Richard Wagners oder die rhythmische Vertracktheit Igor Strawinskys.

Sein Lieblingskomponist war und blieb jedoch Giacomo Puccini, an dessen suggestiven Melodiebögen und der raffinierten Orchestrierung er sich nicht satt hören konnte. Und auch die Eigenart Strauß’scher und Offenbach’scher Operetten oder die Innigkeit der Wiener Walzer liebte er sehr und er wurde nicht müde, diese seine Meinung immer wieder zu vertreten, was sein Ansehen bei Kommilitonen und den meisten Hochschullehrern nicht steigen ließ.

Dies ging so weit, dass der Konzertmeister des Hochschulorchesters, welches Vallier bei einer Probe zu Schuberts Unvollendeter dirigieren durfte, sich nicht zurückhalten konnte, spöttisch zu bemerken, er möge die Musik doch einfach bloß einschnippsen, das Orchester würde dann schon ohne ihn weiterspielen.

Diese Flapsigkeit empörte Vallier und er brach einen Streit vom Zaum. Leider schlossen seine Schimpfkanonaden die beiden anwesenden Hochschullehrer mit ein. Die Folge war eine Rüge der Hochschulleitung mit der Androhung des Hochschulverweises, sollte er vor dem Orchester und der Lehrerschaft noch einmal in dieser Weise ausfällig werden. Dies war aber nie mehr nötig, denn spätestens von diesem Moment an hatte Vallier seinen Ruf als Feuerkopf weg und man ließ ihn in Ruhe.

Der Klangwandler

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