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Einführung und Überblick Dieter Thomaschewski und Rainer Völker

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Einschneidende, von außen kommende Veränderungen bedingen normalerweise, dass interne Anpassungen vorgenommen werden müssen. Diese grundsätzliche Feststellung gilt auf vielen Betrachtungsebenen – für einzelne Individuen, für Organisationen wie Unternehmen oder schließlich für ganze Gesellschaften. Idealerweise erfolgen solche Anpassungen proaktiv, zumindest aber frühzeitig und nicht zu spät. Schon vor der durch Corona ausgelösten Krise zeichnete sich ab, dass am Wirtschaftsstandort Deutschland durch die Politik bzw. die Wirtschaft solche grundlegenden Anpassungen vorgenommen werden müssen: Mehrere Veränderungen gleichzeitig stellen die deutsche Wirtschaft seit einiger Zeit vor große Herausforderungen. Nachhaltigkeitsanforderungen und Klimawandel bedingen z. B. eine noch stärkere Abkehr vom reinen Shareholder-Value-Denken und immense Anstrengungen, um ökologischen und sozialen Zielen gerecht zu werden. Die Automobilindustrie, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, befindet sich in einer Situation großer Unsicherheit und radikaler Umbrüche. Bei der Digitalisierung bescheinigen Wirtschaftsexperten unisono vor allem der Politik große Versäumnisse und sehen den Wirtschaftsstandort gar schon »abgehängt«. Die Globalisierung mit vielen neuen Anbietern und der technologische Wandel verschärfen seit Jahren den Wettbewerb und erfordern agilere Unternehmen. Digitalisierung und neue Wettbewerbsdynamik stellen auch veränderte Anforderungen an die Quantität und vor allem an die Qualität von Mitarbeitern sowie an das Verständnis von Arbeit. Insofern scheinen hier ebenfalls neue Ansätze bei Unternehmen und Reformen seitens des Staates erforderlich. Auch wenn die jeweiligen Handlungsalternativen durchaus kontrovers diskutiert werden, so sind die meisten Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspraktiker der Überzeugung, dass grundlegende Veränderungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland unabdingbar sind.

Dieser Band versucht zum einen eine Bestandsaufnahme der Herausforderungen, die den Wirtschaftsstandort zentral tangieren. Nicht alle anstehenden Themenfelder können dabei behandelt werden. Digitalisierung, Klimawandel, internationaler Wettbewerb, notwendige Veränderungen der Arbeitswelt, des Bildungssektors und der Infrastruktur stehen in diesem Buch im Mittelpunkt. Zum anderen werden entsprechende Handlungsoptionen und Lösungswege dargestellt. Allzu einfache Antworten oder widerspruchsfreie Aussagen sind aufgrund der komplexen Thematiken nicht zu erwarten. Insofern wird versucht, bei jedem Themenkreis zentrale Fakten und – durchaus konträre – Meinungen abzubilden. Dabei kommen neben Wissenschaftlern vor allem Verantwortliche aus der Wirtschaft zu Wort: Führungskräfte, Vorstände von Verbänden und politische Mandatsträger, die natürlich ihre spezifische Sicht vertreten. Das ist zum einen legitim und zum anderen auch beabsichtigt. In vielen Fällen gibt es nicht die augenscheinliche Lösung, sondern es gibt Vorschläge, die idealerweise auf logischer Argumentation bzw. auf gesicherter Empirie basieren. Die verschiedenen Positionen und Argumentationen sollen bei der Lektüre des Buches deutlich werden und es dem Leser gestatten, sich selbst an der einen oder anderen Stelle sein Urteil über sinnvolle und passende Lösungsansätze zu bilden. Das Buch will – gemäß der Intention der Reihe, in der es als erster Titel erscheint – Denkanstöße geben.

Eine weitere Anmerkung an dieser Stelle: Das Buch betrachtet den Wirtschaftsstandort Deutschland. Es stellt also den Blickwinkel der deutschen Politik, von Unternehmen in Deutschland und auch entsprechender Verbände in den Mittelpunkt. Nun kann man sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass in einer immer mehr vernetzten Welt oder zumindest im Hinblick auf eine wie auch immer definierte europäische Einheit mit dem »Standort« Deutschland eine enge Perspektive eingenommen wird. Deutsche Unternehmen und deutsche Politik sollen ja schließlich auch für globalen Klimaschutz, generell für ökologisches und soziales Wirtschaften im Rahmen von weltweiten Lieferketten oder für ein wirtschaftlich starkes Europa Verantwortung übernehmen. Diese Aspekte entbinden aber weder Unternehmensverantwortliche noch Politik von der primären Anforderung die jeweiligen direkten Verantwortungsspielräume möglichst optimal zu nutzen. Mit Verweisen z. B. auf noch ausstehende Einigungen auf europäischer Ebene werden kaum Veränderungen erfolgen. Insofern sind eine gewisse nationale Sicht und das Streben nach einer vorteilhaften kompetitiven Situation im internationalen Wettbewerb notwendig. Zudem – so zeigen es entsprechende Erkenntnisse aus den Wirtschaftswissenschaften – ist der internationale Austausch von Waren und Dienstleistungen auf Basis kompetitiver Strukturen der globalen Wohlstandssteigerung grundsätzlich dienlich. Insofern ergibt es durchaus Sinn zu fragen, welche Veränderungen im nationalen Verantwortungsbereich vorgenommen werden können.

In den nachfolgenden Kapiteln greifen wir die eingangs genannten Handlungsfelder im Einzelnen auf. Wir beginnen in Kapitel 2 mit den Anforderungen, die sich durch neue Wettbewerbsdynamiken ergeben haben. Schon vor dem Pandemie-Schock stand das Thema »Start-ups« und die Notwendigkeit erhöhter Gründungsdynamik im Raum. Nadine Schön – Mitglied des Deutschen Bundestages und Herausgeberin des Buches »Neustaat« geht in ihrem Beitrag darauf ein. Eine wichtige Rolle spielen bei Wettbewerbsdynamiken auch Wertschöpfungsprozesse. Schon durch moderne 3D-Druckverfahren gab es teilweise einen Trend mehr »vor der Haustüre« zu produzieren. Durch Corona sehen viele Unternehmen aber auch die Notwendigkeit, ihre Lieferketten zu sichern und ihre Wertschöpfungsketten zu überdenken. Dago Dietrich von der Beratungsgesellschaft McKinsey & Company macht in seinem Beitrag auf diesen und andere Aspekte, die jetzt durch Corona ausgelöst oder verstärkt wurden, aufmerksam. Dynamik von außen kam und kommt zweifelsohne durch die politische und wirtschaftliche Weltmacht China. Jörg Wuttke – Präsident der Europäischen Handelskammer in China – als profunder Kenner des Landes und seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten zeigt uns, welche Chancen, aber auch Risiken im Wettbewerb mit China für den Standort Deutschland existieren.

Eine weitere zentrale Herausforderung existiert durch das Ziel »Klimaneutralität«. Das Kapitel 3 beleuchtet Möglichkeiten, die es aus Sicht verschiedener Branchen und generell in einer Marktwirtshaft gibt, Klimaschutz zu erreichen und gleichzeitig ökonomisch erfolgreich zu sein. Der Beitrag von Andreas Freytag und Matthias Menter – Professoren an der Universität Jena – versteht sich als Plädoyer für marktwirtschaftliche Lösungen der Klimaschutzproblematik. Solche Lösungen – so die Autoren – stimulieren letztlich Innovationen, die es einem Land wie Deutschland, dessen wesentliche Ressourcen Fachkräfte und Wissen sind, gestatten, Ökonomie und Ökologie sinnvoll zu verknüpfen. In den Beiträgen von Wolfgang Große Entrup – Hauptgeschäftsführer und Präsidiumsmitglied des Verband der Chemischen Industrie e. V. (VCI) –, von Dirk Flege – Geschäftsführer des Verkehrsbündnisses »Allianz pro Schiene« – und Hans-Heinrich Kleuker – ehemaliger Vorstand eines Energieunternehmens – werden zum Thema Klimaschutz die Branchen Chemie, Bahn sowie Energie adressiert. Auch hier geht es u. a. darum, die Möglichkeiten des Zusammenspiels von wirtschaftlichem Erfolg und Klimaschutz zu beleuchten. Holger Glockner – Managing Partner eines Beratungsunternehmens mit Schwerpunkt Zukunftsforschung – gibt schließlich eine Übersicht, wie unter der Zielsetzung Nachhaltigkeit Klima- aber eben auch Umweltschutz generell sowohl für einzelne Unternehmen als auch in Summe für den Wirtschaftsstandort Deutschland positiv genutzt werden kann.

Eine weitere Herausforderung wird unter dem Stichwort Digitalisierung kolportiert. Die Bandbreite aller diesbezüglichen Themen ist sehr groß – ebenso wie der entsprechende Bedarf an »digitalen Transformationen« in den verschiedenen Branchen sowie im öffentlichen Bereich. Florian Roth – Chief Information Officer der SAP SE – zeigt in einem ausführlichen Gespräch in Kapitel 4 wo Deutschland »hinterherhinkt«, aber auch wo wir durchaus im internationalen Vergleich führende Positionen haben. Für beide Bereiche erläutert er, wie wir ggf. wieder Anschluss finden bzw. wie wir führend bleiben. Das Thema künstliche Intelligenz (KI) ist ein zentraler Aspekt der Digitalisierungsdebatte. KI schafft in vielerlei Hinsicht hohe Potenziale: Bei den Wirkungen auf Verbesserungen des menschlichen Lebens (im Gesundheitsbereich, bei Freizeit und Konsum), aber eben auch bei der Vernichtung von Arbeitsplätzen oder bei der »Steuerung« von Bürgern und Konsumenten durch Politik bzw. Wirtschaft. In den Beiträgen von Claudia Bünte – Professorin für Marketing und Top-Management Beraterin – und Wolfgang Reuter – ehemaliger stellvertretender Chefredakteur des Focus, ausgewiesener KI-Experte und Strategieberater – werden diese und andere Perspektiven thematisiert. Digitalisierung erstreckt sich nicht nur auf die Überführung analoger Daten und Prozesse auf digitale Plattformen und Applikationen. Es gilt auch, die inhärenten Chancen vor allem durch neue digitale Geschäftsmodelle zu ergreifen. Hier sieht Dirk Ramhorst, CIO/CDO des Wacker-Konzerns, wie er in einem Interview darlegt, noch erhebliche Potenziale bei deutschen Unternehmen, insbesondere im Mittelstand.

Neue digitale Technologien, aber auch gesellschaftliche Veränderungen (z. B. neue Priorisierungen zwischen Arbeit und Privatleben durch jüngere Generationen) verändern die Arbeitswelt. Jutta Rump – Professorin für Personalmanagement und Organisationsentwicklung – gibt in ihrem Beitrag in Kapitel 5 »Die neue Normalität« einen Überblick über diese neue (Arbeits-)Welt. Carlos M. Frischmuth – Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Selbstständige Wissensarbeiter e. V. – fokussiert danach das Thema »Wissensarbeiter« in einer modernen Arbeitswelt. Gerade um den Standort Deutschland zu stärken und Innovationen voranzubringen, sieht er hier Anpassungsbedarf – insbesondere auch bei Vorschriften und gesetzlichen Regelungen. Michael Vassiliadis – Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) – beleuchtet schließlich die Veränderungen, die im Zusammenwirken der Sozialpartner wichtig erscheinen.

Eine konkurrenzfähige Wirtschaft benötigt in dem Land, dessen zentrale Ressource Wissen ist, ein hervorragendes Bildungssystem. In Kapitel 6 haben wir deswegen Autorinnen und Autoren gebeten, zu diesem Problemkreis Stellung zu nehmen. Volker Meyer-Guckel – stellvertretender Generalsekretär und Mitglied der Geschäftsleitung des Stifterverbandes – zeigt zunächst, welche Kompetenzen ein Bildungssystem in Deutschland vermitteln muss. Ulf Daniel Ehlers et. al. zeigen dazu Szenarien für eine revidierte Hochschulentwicklung. Sarah Henkelmann – Sprecherin des Netzwerks Digitale Bildung – erläutert schließlich, wie Bildung in 10 Jahren ausgestaltet sein muss.

Bei der aufgeführten Handlungsfeldern ist schließlich die Politik bzw. die staatliche Verwaltung gefordert. Im Rahmen der Digitalisierung gilt es z. B. die Versorgung mit IT-Infrastruktur voranzutreiben. Veränderungen der Schul- und Hochschullandschaft liegen ebenfalls in den Händen des Staates. Neben allen staatlichen Handlungsfeldern, die in den Kapiteln I bis V schon angesprochen sind, gibt es noch einige andere, die die Stärke des Wirtschaftsstandorts Deutschland tangieren. Im Kapitel 7 haben wir dazu einige Themenfelder aufgegriffen. Zunächst formuliert Reinhold von Eben-Worlée – Präsident des Verbands DIE FAMILIENUNTERNEHMER e. V. und geschäftsführender Gesellschafter bei der E. H. Worlée & Co. – in einem Interview Handlungsfelder des Staates aus Sicht eines mittelständischen Unternehmens. Volker Wissing – Wirtschaftsminister des Landes Rheinland-Pfalz und stellvertretender Ministerpräsident – zeigt die Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik, aber auch deren Grenzen aus seiner Sicht auf. Wirtschaftsentwicklung findet »vor Ort«, in Gemeinden und Städten statt. Boris Palmer – Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen – erläutert in seinem Interview die Leitlinien erfolgreicher kommunaler Wirtschaftsentwicklung. Wolfgang Scherf – Professor für Öffentliche Finanzen an der Universität Gießen – zeigt in seinem Beitrag, wie Staatsverschuldung die Wirtschaftsleistung und den Wohlstand beeinflussen kann; es gilt »gute« und »schlechte« Schulden zu unterscheiden. Für einen funktionierenden Standort unabdingbar ist eine entsprechende bauliche Infrastruktur. Stephan Weber – Mitglied im Bundesvorstand des Verbands Beratender Ingenieure (VBI) und selbst Unternehmer – zeigt in seinem Beitrag sowohl die entsprechenden immensen Defizite des Standorts Deutschland aber die auch Möglichkeiten wie durch veränderte Regulierungen und vorausschauende, umweltschonende Planungen Verbesserungen erzielt werden können. Am Ende des Buches findet sich ein kurzer Epilog der Herausgeber. Zum einen wird nochmal die erfahrungsgeleitete Sicht vieler Beiträge – und damit deren inhärente Vor- und Nachteile – betont. Zum anderen werden zusätzliche Aspekte zu den Themenfeldern aufgegriffen, die die Relevanz mancher vorgetragenen Ansätze untermauern bzw. ergänzen.

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