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Kontrolle über das Kapital zurückgewinnen

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Neben vielen Vorteilen zeigt der Vergleich von aktiver und passiver Kapitalanlage auch eine zentrale Schwäche: Die passive Kapitalanlage bietet vor allem bei der Aktienanlage noch weniger Steuerung und Kontrolle des angelegten Geldes als die aktive. Schon die hat das Problem der Steuerung und Kontrolle nicht gut gelöst. Die passive Kapitalanlage hat nicht einmal mehr den Anspruch, es zu lösen. Ihre Steuerung funktioniert über den Index, die Anlage erledigt der Computer. Der Index wiederum folgt der Marktentwicklung. Kontrolle findet nur weitgehend formell statt, soweit gesetzlich erforderlich. Mehr Kontrolle kostet nur Geld und das soll gerade zugunsten der privaten Anleger gespart werden. Im Ergebnis wird die endgültige Verwendung des angelegten Kapitals noch weniger überwacht als bei der aktiven Anlage. In der Praxis bedeutet dies, dass insbesondere die Vorstände der Aktiengesellschaften noch unkontrollierter mit dem Geld der Anleger arbeiten können. Steuerung und Kontrolle der Anlagen werden damit zum zentralen Zukunftsthema der neuen Kapitalanlage. Wenn ihre offenkundigen Vorteile für die Masse der privaten Anleger nicht gefährdet werden sollen, muss dieses Problem gelöst werden.

Der Finanzmarkt kannte bisher die zwei typischen Lösungswege: zum einen die Regulierung über Gesetze und Aufsichtsbehörden, zum anderen das Vertrauen in den Marktmechanismus. Im Ergebnis sind beide nicht besonders gut geeignet, die Rechte des privaten Anlegers zu schützen. Die staatliche Aufsicht führt häufig nur zu Compliance, der formellen Einhaltung von Vorschriften, ohne die Inhalte regeln zu können. Der Markt wird dominiert von den Finanzunternehmen. Ihr bisheriges Verständnis ihrer Rolle im Markt führt zu Rechtsverlusten der privaten Anleger, Interessenkonflikten und Machtzusammenballungen, die weder im Interesse des Einzelnen noch der Gesellschaft liegen.

In welcher Form haben die Finanzunternehmen bisher die Interessen der privaten Anleger wahrgenommen? In den vergangenen Jahrzehnten weitgehend durch das Unterstützen der Shareholdervalue-Philosophie. Die Vorstände der Aktiengesellschaften konnten mit Billigung und Unterstützung der Finanzindustrie und zum gemeinsamen Nutzen die Aktienkurse steigern, indem sie Wertschöpfungsanteile von den Beschäftigten zu den Aktionären verteilt, produktive Investitionsquoten gesenkt und vermehrt unproduktive Finanzgeschäfte getätigt haben. So sind bei geringem wirtschaftlichem Wachstum riesige Kursgewinne entstanden. Verminderte Steuern und Niedrigzinsen gaben den Kursen einen zusätzlichen Schub. Auf Dauer bleibt diese Entwicklung nicht ohne gesellschaftliche Konsequenzen. Ohne wirtschaftliches Wachstum lassen sich hohe Aktienrenditen nur durch weitere Umverteilung aufrechterhalten. Diese Umverteilung von den Beschäftigten zu den Aktionären ist nur noch zu Lasten der breiten Mittelschicht möglich. Das wird zu immer stärkeren sozialen Spannungen führen. Die Vorstände der Aktiengesellschaften, die eigentlich das wirtschaftliche Wachstum durch produktive Investitionen fördern sollen, werden so zu Agenten der Erosion der Mittelschicht ohne gesellschaftlichen Auftrag und Kontrolle.

Da der Staat und die Finanzunternehmen die Kontrolle nicht übernehmen können oder wollen, plädiert das Buch für eine stärkere Beteiligung der privaten Anleger an der Kontrolle ihres Kapitals. Nur wir kennen unsere Interessen, besser als jedes zwischengeschaltete Finanzunternehmen. Letztendlich sind wir die wirtschaftlichen Eigentümer des angelegten Kapitals. Daher sollten wir auch mehr Rechte bekommen, um unsere Kapitalanlagen kontrollieren zu können. Überall dort, wo Finanzunternehmen uns keine Rendite garantieren, sondern sie nur auf unser Risiko zu uns durchleiten, sollten sie auch die Rechte an uns weiterleiten. Insbesondere bei der Corporate Governance, der Kontrolle der Aktiengesellschaften, muss die Rolle der privaten Anleger gestärkt werden. In einem demokratischen Kapitalmarkt sollten die Kontrollrechte den Bürgern zustehen, die an diesem Markt teilnehmen. Die Entwicklung der Rechte der privaten Anleger hat bisher nicht mit der zunehmenden Bedeutung der Kapitalanlagen für unsere demokratischen Gesellschaften Schritt gehalten.

Letztendlich geht alles private Kapital vom Sparer aus. Dieser Sparer ist kein eindimensionales Gier- und Angstwesen, wie die alte aktive Investmenttheorie unterstellt hat. Er ist als Arbeitnehmer, Selbstständiger, Staatsbürger, Elternteil, Konsument und Steuerzahler vielfältig mit seinem gesellschaftlichen und natürlichen Umfeld vernetzt. Tatsächlich ignorieren die Angebote der Finanzunternehmen jedoch weitgehend seine Multidimensionalität. Für sein Finanzkapital bekommt er, in immer neuen Produktverpackungen, fast regelmäßig das Gleiche angeboten: den eindimensionalen globalen finanziellen Utilitarismus. Ob er damit übereinstimmt oder nicht, oder vielleicht auch nur weitgehend, aber nicht vollständig – er kann es kaum beeinflussen. Sein Humankapital, seine Arbeitskraft, setzt er als Beschäftigter auch meist utilitaristisch ein, aber der Nutzen ist nicht zwangsläufig nur finanziell definiert. Die Arbeitsinhalte stehen im Vordergrund und menschliche und soziale Mindeststandards setzen den Rahmen, wo immer er sie durchsetzen kann. Zukünftig sollte es nicht darum gehen, den Utilitarismus als Leitbild des Finanzmarkts abzuschaffen, sondern den Nutzen breiter zu definieren, indem die privaten Anleger ihre Vorstellungen durch ihre Beteiligung an der Steuerung und Kontrolle ihrer Kapitalanlagen einbringen können.

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