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2 Es ist unser Geld

Der Finanzmarkt bestimmt unser Leben. [1] Täglich überfluten uns meist dramatische Nachrichten über den Finanzmarkt: Bankenkrisen, Währungsschwankungen, Staatsbankrott. Wir sind den Ereignissen ausgeliefert, können nichts ändern, nur reagieren. Meist wissen wir noch nicht einmal wie. Hilflos sehen wir uns einem Mechanismus ausgeliefert, der völlig unserer Kontrolle entzogen ist. Das öffentliche Bild des Finanzmarkts bestimmen nicht wir, sondern Zentralbanken, internationale Bankkonzerne und weltweit agierende Fondsgesellschaften.

Dieses öffentliche Bild steht in einem seltsamen Kontrast zu den wirtschaftlichen Eigentumsverhältnissen an dem Geld, das auf dem Finanzmarkt bewegt wird. Denn dieses Geld gehört uns, den Bürgern, Sparern und Anlegern weltweit. Und es ist eine gigantische Summe. Rund 164 Billionen US-Dollar beträgt das private Geldvermögen der Weltbevölkerung. [2] Es gehört nicht etwa nur den Superreichen. Ungefähr 17 Millionen Haushalte besitzen mehr als 1 Million US-Dollar Geldvermögen. [3] Die Millionärshaushalte verfügen über rund 68 Billionen der erwähnten 164 Billionen US-Dollar. [4] Der Rest des Geldes, rund 96 Billionen US-Dollar, gehört Milliarden Bürgerinnen und Bürgern weltweit. Unser Geld stellt den größten Teil des Kapitals dar, das an den internationalen Finanzmärkten angelegt wird.

Wir sind der Finanzmarkt

Wir alle haben dieses gewaltige Kapital über Generationen angespart. Aber wir können es praktisch nicht allein investieren, wenn wir kein Haus bauen wollen oder kein eigenes Unternehmen besitzen. Um es anzulegen, benötigen wir die Hilfe der Finanzindustrie. Banken, Börsen, Versicherungen, Investmentgesellschaften, Pensionsfonds und Anlageberater – alle unterstützen uns bei der Anlage unseres Geldes. Ohne die Unterstützung eines Finanzunternehmens ist kaum noch eine Kapitalanlage denkbar. Der freundliche Finanzberater im seriösen Anzug öffnet unserem Geld die Tür zu den internationalen Finanzmärkten. Unsere bescheidenen Einzahlungen werden gemeinsam mit dem Geld anderer Kunden weitergereicht. Es geht an Unternehmen und Staaten, an Investmentfonds oder andere institutionelle Investoren. So formen sich gewaltige Finanzströme, die weltweit Investitionen ermöglichen, Aktienkurse in die Höhe treiben oder Währungen unter Druck bringen.

Ist unser Geld erst einmal Teil dieser Finanzströme, entzieht es sich weitgehend unserer Kontrolle. Die, die am Ende mit unserem Geld arbeiten, kennen uns nicht. Sie haben nie einen Vertrag mit uns geschlossen. Dabei ist es unser Geld, das ihnen von den Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften zur Verfügung gestellt wird. Die Märkte, die sich als anonyme Macht der Kontrolle der Politik immer mehr entzogen haben, arbeiten mit unseren Ersparnissen. Die weltweite Finanzkrise hat uns auf beeindruckende und bedrückende Weise vor Augen geführt, wie vernetzt die internationale Finanzwelt mittlerweile ist. Unser Geld spielt dabei, häufig ohne dass wir es wissen, die wichtigste Rolle. Wenn wir in der Presse von Hedgefonds auf den Niederländischen Antillen lesen, die mit ihren Spekulationen auf steigende Ölpreise setzen, denken wir spontan an millionenschwere Spekulanten, die versuchen, auf leichte und schnelle Art ihr Vermögen zu vermehren. Aber es könnte unsere eigene Altersvorsorge sein, die die Benzinpreise an der Zapfsäule hochtreibt. Wenn ein Private Equity-Fonds ein Unternehmen kauft und danach Arbeitsplätze abbaut, könnte dies mit Geld durchgeführt werden, das unsere Lebensversicherungsgesellschaft dem Fonds zur Verfügung gestellt hat. Wenn Zentralbanken und Politiker sich gegen spekulative Kräfte stemmen, die ganze Währungen und Länder in den Ruin treiben könnten, könnte es unser Geld sein, mit dem auf die Zahlungsunfähigkeit der Staaten gewettet wird.

Die Konsequenz: Wir sind der Finanzmarkt. Er betrifft uns alle. Die meisten von uns sind als Sparer, Versicherte oder Kapitalanleger direkt und indirekt in diesem Markt aktiv. Das Geld der großen institutionellen Anleger ist meistens unser Geld. So wie sie im Großen von den Bewegungen an den Finanzmärkten betroffen sind, sind wir es im Kleinen. Was am Finanzmarkt passiert, schlägt auf unseren kleinen Anteil durch. Letztendlich sind wir die Eigentümer, die überall beteiligt sind. Fast alles, was am Finanzmarkt passiert, hat in irgendeiner Form Auswirkungen auf uns selbst, unsere Familien und unsere Umwelt.

Wir kümmern uns nicht genug um unser Geld

Obwohl der Finanzmarkt für unser tägliches Leben und unsere Zukunft so wichtig ist, stehen wir ihm meist hilflos und passiv gegenüber. Das steht in völligem Kontrast zu unserer sonstigen Beteiligung am Wirtschaftsleben. Denn die besteht, vereinfacht gesagt, aus Geldverdienen, Geld ausgeben und Geld sparen. Einkommen, Konsum und Ersparnis sind die zentralen Bestimmungsfaktoren einer Volkswirtschaft.

Im Mittelpunkt unseres Interesses steht das Geldverdienen. Wir sind fast täglich damit beschäftigt. Für die meisten von uns ist es mit Arbeit verbunden. Wir machen Karriere innerhalb unseres Unternehmens, wechseln unseren Job oder machen uns selbstständig. Wir versuchen unser Einkommen zu verbessern, unsere Arbeitsbedingungen und unsere Arbeitsinhalte. Dazu organisieren wir uns in Gewerkschaften, Berufsverbänden oder Arbeitgebervereinigungen. Unsere berufliche Tätigkeit verschafft uns nicht nur ein Einkommen, sondern auch einen sozialen Status. Die meisten von uns engagieren sich für ihren beruflichen Erfolg, bilden sich fort oder qualifizieren sich für ihre Tätigkeit weiter.

Das Geld, das wir mit so viel Einsatz verdienen, geben wir weitgehend wieder aus. Dabei handeln wir meist planvoll. Vor größeren Anschaffungen informieren wir uns und vergleichen. Wenn wir uns informiert haben, kaufen wir selbst. Wir treten persönlich als Käufer am Markt auf und beauftragen nicht eine Firma, die unsere Einkäufe für uns erledigt. Obwohl wir das bei manchen Routinekäufen aus Zeitgründen vielleicht ganz praktisch fänden. Bei allen wichtigen Geldausgaben wollen wir selbst prüfen, selbst verhandeln, selbst entscheiden und das Kauferlebnis genießen. Viele Konsumentscheidungen dienen dazu, uns und unserer Umwelt unsere soziale Stellung zu zeigen.

In puncto Ersparnis verhalten wir uns völlig anders. Viele Menschen zeigen wenig Interesse daran, sich um ihre Ersparnisse zu kümmern. Während sie engagiert arbeiten und Geld ausgeben, sich informieren und kontrollieren, was in ihrem Umfeld passiert, reicht es dafür bei der Ersparnis meist nicht. Das Thema Geldanlage erscheint zu komplex: Man muss rechnen, sehr langfristig planen und aufpassen, dass man nichts falsch macht.

Im Gegensatz zu anderen Anschaffungen ist das Kauferlebnis meist unangenehm. Es bietet keine sinnliche oder menschliche Befriedigung, ein konkreter kurzfristiger Nutzen ist nicht spürbar. Sozialen Status kann man mit Finanzprodukten in der Regel nicht zeigen, es sei denn, man ist sehr reich und erwähnt nebenbei im Gespräch, in welchen Hedgefonds man investiert hat oder von welcher Privatbank das Vermögen verwaltet wird. Meist ist die Entscheidung für eine Finanzanlage einfach nur mit einer gewissen Erleichterung darüber verbunden, dass wir ein meist lange aufgeschobenes Problem gelöst haben. Je länger die Anlageentscheidung zurück liegt, desto mehr gerät sie in Vergessenheit. Wir werden erst wieder schmerzhaft an sie erinnert, wenn wir das Geld dringend benötigen, beispielsweise um unsere Rente aufzubessern und die erhoffte Rendite nicht erzielt ist.

Und so verhalten wir uns bei der Ersparnis völlig anders als bei unseren anderen Konsumentscheidungen: Weil wir uns durch die komplexen Informationen überfordert fühlen, vertrauen wir bei der Kaufentscheidung häufig auf Dritte, überlassen anderen die laufende Kontrolle und halten es nicht für notwendig uns für unser Kapital zu engagieren.

Finanzunternehmen nutzen unsere Schwäche

Genau an dieser Schwäche setzen die meisten Finanzunternehmen an. Sie bieten uns einen Ausweg aus unserer Entscheidungsschwäche. Damit erfüllen sie eine wichtige wirtschaftliche Aufgabe: Sie verwandeln unsere Ersparnisse in Investitionen. Nicht ausgegebenes Geld, zunächst nur eine Restgröße, kann so einer sinnvollen gesellschaftlichen Nutzung zugeführt werden. Sowie es nicht im Sparstrumpf oder unter der Matratze aufbewahrt wird, sondern auf irgendein Konto wandert, fließt es in den Finanzmarkt. Volkswirte setzen in ihren Rechnungen daher auch die Gesamtersparnis in der Wirtschaft mit der Summe an Investitionen gleich. Ersparnis und Investition sind wie die zwei Seiten einer Münze. Wir müssen uns immer darüber im Klaren sein, dass unsere Ersparnisse irgendwo im Wirtschaftssystem verwendet werden. Da wir dafür eine Rendite erhalten möchten, geht es nicht anders. Nur wenn jemand mit unserem Geld arbeiten kann, ist er bereit, dafür einen Zins oder eine Gewinnbeteiligung zu bezahlen.

Die Investition unserer Ersparnisse ist der Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit, um die wir uns meist nicht mehr selber kümmern. Dabei ist das, was mit unseren Ersparnissen passiert, von entscheidender Bedeutung für unser weiteres Wohlergehen. Es bestimmt unseren zukünftigen wirtschaftlichen Wohlstand und den unserer Kinder. Es beeinflusst die Aufteilung der Erträge zwischen Arbeitnehmern und Investoren und schafft die Voraussetzungen für die zukünftige Vermögensverteilung. Investitionen entscheiden, ob und wo neue Arbeitsplätze entstehen. Auch die Höhe und Sicherheit unserer Altersversorgung hängt von den Investitionen ab. Wem das zu abstrakt erscheint, der muss nur einmal Bilder von Detroit, dem Silicon Valley, dem Ruhrgebiet oder Shanghai vor 50 Jahren mit denen von heute vergleichen. Aufstieg und Fall durch Investitionen und fehlende Investitionen lassen sich an der Größe und dem Erscheinungsbild dieser Städte und Regionen ablesen. Im Grunde kann man sagen: Was wir heute verdienen, bestimmt unseren Konsum und unsere Ersparnisse. Was wir zukünftig verdienen und ausgeben können, hängt von der klugen Verwendung der Ersparnisse ab. Angesichts dieser ungeheuren Wichtigkeit ist es erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit wir auf unsere Ersparnisse verwenden. In anderen Bereichen sehen wir genauer hin.

Über einige unserer Konsumausgaben können wir nicht selbst entscheiden. So holt sich der Staat jedes Jahr einen Teil unseres Einkommens in Form von Steuern und gibt das Geld für uns aus. Was er damit macht, unterliegt in demokratischen Gesellschaften der permanenten öffentlichen Kontrolle. Es wird laufend in der Presse diskutiert. Die Rechnungshöfe versuchen, die korrekte Verwendung zu überprüfen, und die von uns gewählten Abgeordneten stimmen über die Verwendung des Geldes ab. Wir entscheiden in öffentlichen Wahlen unter anderem darüber, ob die Regierung unser Geld in unserem Sinne gut verwendet hat.

Mit unseren Ersparnissen sind wir nachlässiger. Wir verzichten weitgehend auf die Rechte von Mitbestimmung und Kontrolle, die uns in einer Demokratie selbstverständlich erscheinen. Trotz der immensen gesellschaftlichen Bedeutung der Investitionen kümmern wir uns kaum um sie. Alles was uns bei der Investition unserer Ersparnisse interessiert, sind Rendite und Risiko. Dabei ist beides nicht wirklich vorhersehbar. Viel wichtiger ist, was mit unseren Ersparnissen gemacht wird. Wenn wir uns für diesen Prozess interessieren und engagieren, ergibt sich der Rest von selbst. Rendite und Risiko können wir nicht beeinflussen. Sie sind Begleiterscheinung und Resultat des Investitionsprozesses. Bestimmen können wir, was mit unserem Geld passiert und seine Verwendung können wir kontrollieren. Für unser zukünftiges Wohlergehen ist das viel wichtiger als weiten Teilen der Finanzindustrie dabei zuzusehen, wie sie mit unserem Geld eine teure Lotterie um die höchste Rendite veranstalten.

Fazit: Geringes Interesse und Defizite in puncto Wirtschafts- und Finanzthemen kennzeichnen das Verhalten vieler Bürger, wenn es um ihre Ersparnisse geht. Angesichts der unübersichtlichen Marktlage überlassen sie wichtige Weichenstellungen für ihre Altersvorsorge lieber Dritten. Dabei hat gerade die jüngste Finanzkrise gezeigt, wie wichtig es wäre, sich für seine Geldanlage zu engagieren und die Kontrolle über sein Erspartes zurück zu gewinnen. Das folgende Kapitel erläutert, wie die in der Vergangenheit vorherrschende Finanzmarktideologie zu Nachteilen für die Masse der Anleger geführt hat, und zeigt Perspektiven für eine neue Form der Kapitalanlage auf.

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