Читать книгу Tage der Toten - Volker W. Noll - Страница 7
Los Peleones
ОглавлениеSieben Tage waren sie seit Caye Caulker aus noch zusammen gereist, hatten sich also gut verstanden, sonst wären sie nicht so lange zusammengeblieben. Für einen Backpacker sind sieben Tage enorm lang. Sie hatten weitere etliche Behausungen zusammen geteilt, da sie, wie bereits erwähnt, mit schmalem Budget unterwegs waren und er das mit ihr auch gut fand.
Sie hatten viel gelacht, waren auf Belize zusammen geschnorchelt, in Guatemalas Regenwald versunken und hatten später in Holbox, an der nördlichen Riviera Maya, also schon wieder in Mexiko, am Strand die letzten Tage gemeinsam verbracht.
Am letzten Abend, Bea musste zurück, da es einen wie sie sagte ungewöhnlichen Todesfall in der Familie gegeben hatte, aßen sie ihr Dinner im Restaurant `Los Peleones Holbox` an der Calle Tiburon Ballena in Holbox.
Das Lokal war benannt nach den mexikanischen Ringkämpfern, oder Wrestlern, die seiner Ansicht nach mit den Kopfmasken eher ulkig, denn gefährlich aussahen. Die Straße nach den riesigen Walhaien, die hier jedes Jahr auf der Suche nach Plankton durchzogen.
„Wirklich interessante Bräuche habt Ihr hier in Mexico“, meinte Javier, zeigte auf ein altes Peleones Plakat an der Wand und lachte dabei.
„Was macht denn dieser Mann in Stiefeln, Unterhose und Maske da auf dem Bild?“, fragte er eher vor sich hin und war verwundert, dass Bea ihm nun einen kleinen Vortrag dazu hielt.
Sie war wirklich sehr vertraut mit den Traditionen des Landes.
Was hatte sie gesagt, studierte sie genau?
Irgendwie waren das so viele verschiedene Nebenfächer gewesen. Er wusste es nicht mehr genau, aber mexikanische Geschichte schien sicher auch ein Teil zu sein.
„Das ist `El Santo`, Rodolfo Guzmán Huerta, ein Lucha Libre Kämpfer“, erklärte Bea, „den kennt in Mexiko jedes Kind“.
„Lucha Libre?“, fragte Javier.
„Unsere Art von Wrestling. Japaner haben ihr Sumo, die Yankees ihre Wrestler und wir eben unsere Luchadores libres!“
„Und wieso `El Santo`? Der Heilige?“
„Eben ein Künstlername. Er konnte damals wählen, als die Organisatoren der Kämpfe ein ganz neues Team aufbauten. Entweder, `Der Engel`, `Der Teufel` oder `Der Heilige`. Also nahm er den Namen `El Santo` an und die Manager entschieden nach seinem ersten Kampf, dass man so weitermachen wollte. Denn das Publikum war geradezu ausgerastet bei seiner ersten Vorstellung mit diesem Namen.
Kannst Du Dir vorstellen, 5000 johlende Mexikaner in einer Halle in Mexiko City?“
„Okay. Das muss ein Höllenlärm sein“.
„Und um dem Ganzen einen noch mysteriöseren Anstrich zu verleihen entschied sich Huerta dazu von nun an seine Kappe nicht mehr abzuziehen. Mit gerade einmal vierundzwanzig Jahren. Ich denke mal zuhause schon, aber eben in der Öffentlichkeit nicht mehr.
Das hat so gut funktioniert, dass er gleich auch noch zum Filmstar in Mexiko wurde.
Da hat der Heilige dann gegen jeden und alles gekämpft, was Du Dir vorstellen kannst. … Zombies, Werwölfe, Vampire, Spinnen.“
Sie lachte.
„Großes Kino halt, in Zeiten, wo sowas noch einfacher funktionieren konnte. Wo nicht jeder immer eine Handykamera oder einen social account zur Hand hat, um Dinge aufzunehmen oder der weiten Welt unnütze Dinge mitzuteilen.“
„Ich habe noch nie davon gehört.“
„Diese Filme waren so schräg aufgemacht, dass sie nie über die Grenzen von Mexiko bekannt wurden. Aber hier im Lande waren sie in den Fünfzigern Sechzigern wohl der Gassenfeger.“
„Endgültig geschafft hat man es dann ja auch wohl, wenn es ein eigenes Comicheft gibt. Da wurde der Heilige dann mit der Silbermaske über Jahrzehnte auch weiter in die Kinderhände gegeben. Jedes Kind von damals kennt ihn.“
„In Mexiko.“
„Ja klar... in Mexiko.“
„Der „Santo“ hatte im September 1982, nur eine Woche vor seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, seinen letzten Kampf in Mexico City. Dabei wurde sein jüngster Sohn Jorge als sein offizieller Nachfolger mit dem Namen `El Hijo del Santo` vorgestellt. `Der Sohn des Heiligen`.
Ich weiß aber nicht, wie der aufgetreten ist. Aber ich wette mal auch mit einer Maske.“, erzählte sie.
„Den Maskenkult hat er so weit vorangetrieben, dass heute unzählige Luchadores mit Maske auftreten und das meiste Geld bei Kämpfen zwischen zwei Maskierten fließt, bei dem der Verlierer dann am Ende demaskiert wird.“
„The Show must go on.“, erwiderte er.
„Ja, das geht noch weiter. Es gibt auch noch den Rückkampf, wo der Demaskierte dann im weiteren Fall einer Niederlage auch noch die Haare verliert,“.
Sie lachte laut.
„Beim dritten Kampf weiß ich dann nicht, was dann noch abgeschnitten werden könnte…“
„Haare abzuschneiden reicht ja auch erstmal als weitere Erniedrigung.“, meinte Javier.
„Also der Santo hat jedenfalls keinen Kampf auf diese Weise verloren. Und erst in einer Talkshow kurz vor seinem Tode die Maske einmal gelüftet. Eine Woche später ist er dann an einem Herzinfarkt gestorben, so sagt man. Quasi ein Abschiedsgruß an seine Fans“.
„Bei der Beerdigung hatte er sie dann wieder auf.“
„Schon erstaunlich die Geschichte, … es hätte bis dahin also fast jeder sein können, … da muss ich wirklich nochmal in Ruhe drüber nachdenken, was sein Motiv war sich so zu verhalten.“
„Ja, manche Geheimnisse sollten eben gewahrt bleiben. Das sagt auch immer mein Großvater. Es wird nicht alles besser, wenn man alles weiß.“
„Ein weiser Mann, wohl wahr.“
„Aber woher weißt Du das alles?“
„Du unterschätzt mich, Javi, ich kenne mich aus mit den Traditionen des Landes. Du solltest Dich auch mehr mit den Traditionen meines Landes vertraut machen, wenn Du mir weiterhin gefallen willst“, lächelte sie ihn vielsagend an.
„...und außerdem sammelt mein Großvater Esteban diese Masken. Es ist sozusagen eines seiner Fetisch“, lachte sie.
„Aber nicht die Echten, oder? Replikas?“
„Frag ihn doch demnächst selbst.“
Und dann stellte sie ihm die Frage, die ihn noch lange danach beschäftigen sollte.
„Warum kommst Du nicht bei uns vorbei und lernst noch eine andere große Tradition Mexikos kennen?“
„Den Dia de los muertos. Den Tag der Toten. Er ist immer Ende Oktober und da wirst Du so einiges erleben.“
Davon hatte er natürlich schon gehört.
Vom Tag der Toten, dem Dia de los muertos.
„Das wird Dir gefallen,“ fuhr Bea fort, wieder ganz in ihrem Element eine der Traditionen ihres Landes zu bewerben.
„Dann lernst du auch meinen Großvater kennen … und alles ganz ohne Maske.“
„Habe ich natürlich schon von gehört“, entgegnete Javier „steht neben Karneval in Rio und Mardi Gras in New Orleans ziemlich weit oben auf meiner To Do Liste. Also gerne.“
„Wir schicken Dir noch eine Einladung. Das ist so Brauch bei uns. Du hast nämlich das Glück in das Auge des Hurrikans …“ Sie lachte „Ich meine natürlich ins Zentrum der Feierlichkeiten zu kommen. Mein Großvater wohnt in Patzcuaro, da wurde das Ritual praktisch vor hunderten Jahren von den Azteken erfunden.“
„Aha.“
„Mein Großvater legt viel Wert auf Tradition.“
„Ich komme.“
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