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BÊTES – Tiere
ОглавлениеWie jämmerlich, wie armselig ist es doch, wenn behauptet wird, die Tiere seien Maschinen, des Erkenntnisvermögens und der Gefühle beraubt, die ihre Handlungen immer auf die gleiche Weise ausführen, nichts lernen, nichts vervollkommnen usw.*!
Was? Dieser Vogel, der sein Nest im Halbkreis baut, wenn er es an einer Mauer befestigt, und im Viertelkreis, wenn er es in einem Winkel baut, und kreisförmig auf einem Baum; macht dieser Vogel alles auf die gleiche Weise? Dieser Jagdhund, den du drei Monate lang abgerichtet hast, weiß er am Ende dieser Zeit nicht mehr, als er vor deinem Unterricht wusste? Der Kanarienvogel, dem du eine Melodie beibringst, wiederholt er diese etwa sofort? Verwendest du nicht eine beträchtliche Zeit darauf, sie ihn zu lehren? Hast du nicht bemerkt, dass er sich irrt und sich korrigiert?
Kommst du deshalb zu dem Urteil, dass ich Gefühle, ein Gedächtnis, Vorstellungen habe, weil ich mit dir spreche? Nun gut, ich rede nicht mit dir; du siehst mich bekümmert bei mir zu Hause eintreten, unruhig nach einem Schriftstück suchen, den Schreibtisch öffnen, wo ich es meiner Erinnerung nach eingeschlossen hatte, es finden, es mit Freude lesen. Daraus schließt du, dass ich das Gefühl des Kummers und das der Freude empfunden, dass ich ein Erinnerungs- und ein Erkenntnisvermögen habe.
Beurteile also genauso diesen Hund, der seinen Herrn verloren hat, der ihn winselnd auf allen Wegen sucht, der aufgeregt ins Haus kommt, unruhig ist, nach unten und nach oben läuft, von Raum zu Raum, der schließlich den Herrn, den er liebt, in seinem Arbeitszimmer findet und diesem durch sein sanftes Bellen, seine Sprünge, seine Liebkosungen, seine Freude bezeigt.
Barbaren bemächtigen sich dieses Hundes, der in seinen Freundschaftsbezeugungen dem Menschen so sehr überlegen ist, nageln ihn auf einem Tisch fest und sezieren ihn bei lebendigem Leibe, um dir die mesaraische Vene* zu zeigen. Du entdeckst in ihm alle die gleichen Organe, die auch dich zur Empfindung befähigen. Antworte mir, Maschinist!* Hat die Natur etwa alle Anlagen zur Empfindung in diesem Tier angelegt, damit es nichts fühlt? Hat es Nerven, um empfindungslos zu sein? Behaupte nun bloß nicht, dass in der Natur solch krasse Ungereimtheiten vorkommen!
Aber die Lehrer der Philosophenschulen fragen, was denn nun die Seele der Tiere ist. Ich verstehe diese Frage nicht. Ein Baum hat die Fähigkeit, in allen seinen Fasern seinen Saft zu empfangen, der darin zirkuliert, er kann die Knospen seiner Blätter und seiner Früchte entfalten. Werdet Ihr mich jetzt fragen, was die Seele dieses Baumes ist?* Er ist mit diesen Fähigkeiten ausgestattet; das Tier hat die der Empfindungsfähigkeit, des Erinnerungsvermögens und eine gewisse Denkfähigkeit erhalten. Wer hat alle diese Gaben geschaffen? Wer hat die Tiere mit allen diesen Fähigkeiten ausgestattet? Derjenige, der das Gras auf den Feldern wachsen und die Erde um die Sonne rotieren lässt.
Die Seelen der Tiere sind substantielle Formen, sagte Aristoteles*, und nach Aristoteles die arabische Schule, und nach der arabischen Schule sagten es die Thomisten, und nach den Thomisten die Sorbonne, und nach der Sorbonne niemand mehr auf der Welt.
Die Seelen der Tiere sind materiell, posaunen andere Philosophen.* Doch diese hatten auch nicht mehr Erfolg als die anderen. Man hat sie vergebens gefragt, was eine materielle Seele ist. Sie müssen zugeben, dass Materie empfindet, doch wer hat ihr diese Empfindungen eingegeben? Materielle Seele heißt, dass es Materie ist, die der Materie Empfindungen verleiht, sie kommen aus diesem Zirkel nicht heraus.
Hört anderen Dummköpfen zu, wie sie über die Tiere urteilen. Nach ihnen ist die tierische Seele ein spirituelles Wesen, das mit dem Körper stirbt. Aber welchen Beweis habt Ihr dafür? Welche Vorstellung habt Ihr von diesem spirituellen Wesen, das eigentlich über Empfindungsfähigkeit, Erinnerungsvermögen und sein Maß an Vorstellungen und deren Kombination verfügt, aber niemals das wissen kann, was ein Kind von sechs Jahren weiß. Womit begründet Ihr die Vorstellung, dass dieses Wesen, das kein Körper ist, mit dem Körper zugrundegeht? Die größten Dummköpfe sind diejenigen, die vorgebracht haben, dass diese Seele weder Körper noch Geist ist. Das ist mir ein schönes System. Wir können uns unter Geist nur etwas Unbekanntes vorstellen, das kein Körper ist. So läuft das System dieser Herren darauf hinaus, dass die Seele der Tiere eine Substanz ist, die weder ein Körper ist noch etwas, das kein Körper ist.
Wo können so viele einander widersprechende Irrtümer bloß herkommen? Doch wohl nur von der Gewohnheit, die die Menschen schon immer hatten, zuerst zu untersuchen, was eine Sache ist, bevor man weiß, ob sie überhaupt existiert. Man nennt das Zünglein, das Ventil eines Blasebalgs die Seele des Blasebalgs. Was ist nun diese Seele? Es ist ein Name, den ich diesem Ventil gegeben habe, das sich senkt, die Luft einlässt, sich wieder aufrichtet und die Luft durch ein Rohr presst, wenn ich den Blasebalg in Bewegung setze.
Dort gibt es überhaupt keine von der Maschine verschiedene Seele. Doch wer bewegt den Blasebalg der Tiere? Ich habe es Euch bereits gesagt, derjenige, der die Sterne sich bewegen lässt. Der Philosoph, der gesagt hat Deus est anima brutorum,* hatte recht: Doch hätte er dabei nicht stehenbleiben sollen.