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BIEN. SOUVERAIN BIEN – Das Gute. Das höchste Gut

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In der Antike hat man sehr viel über das höchste Gut gestritten; genauso gut hätte man fragen können, was das absolute Blau ist oder das ideale Ragout, die reinste Form des Gehens oder des Lesens usw.

Jeder sieht das Gute dort, wo er vermag, und bekommt so viel davon, wie er – auf seine Art – bekommen kann.

Quid dem, quid non dem, renuis tu quod jubet alter.

Castor gaudet equis, ovo prognatus eodem pugnis. *

Das höchste Gut ist das, was uns in solchem Ausmaß ergötzt, dass es uns vollständig unfähig macht, noch irgendetwas anderes zu empfinden, ganz so, wie das größte Übel dasjenige ist, das so weit geht, uns aller Gefühle zu berauben. Dies sind die beiden Extreme der menschlichen Natur, und beide dauern sie nur einen kurzen Augenblick.

Es gibt weder extreme Wonnen noch extreme Qualen, die das ganze Leben andauern können: Das höchste Gut und das größte Übel sind beides Trugbilder.

Wir haben dazu die schöne Fabel von Krantor; er lässt den Reichtum, die Wollust, die Gesundheit und die Tugend bei den Olympischen Spielen erscheinen, und sie alle wollen den Apfel* haben. Der Reichtum sagt: »Ich bin das höchste Gut, denn mit mir kauft man alle Güter.« Die Wollust sagt: »Der Apfel gehört mir, denn man will den Reichtum nur haben, um mich zu besitzen.« Die Gesundheit versichert, dass es ohne sie keine Wollust gibt und dass der Reichtum überflüssig ist. Schließlich stellt es die Tugend so dar, dass sie über den drei anderen stehe, denn trotz Gold, Vergnügungen und Gesundheit könne das Leben erbärmlich sein, wenn man sich schlecht verhalte. Die Tugend bekam den Apfel.

Die Fabel ist sehr sinnig, doch ist sie keineswegs eine Antwort auf die absurde Frage nach dem höchsten Gut. Die Tugend ist kein Gut, sie ist eine Pflicht, sie ist von anderer Art, gehört zu einer höheren Ordnung; sie hat nichts mit schmerzvollen oder angenehmen Empfindungen zu tun. Wird der tugendhafte Mensch, den seine Koliken und die Gicht plagen, ohne Unterstützung, ohne Freunde, von einem wollüstigen Tyrannen, dem es seinerseits gut geht, des Notwendigsten beraubt, verfolgt und in Ketten gelegt, so ist er sehr unglücklich. Der unverschämte Verfolger aber, der auf seinem purpurnen Bett seine neue Geliebte streichelt, ist sehr glücklich. Sagen Sie, dass der verfolgte Weise seinem unverschämten Verfolger vorzuziehen ist, dass Sie den einen schätzen und den anderen verabscheuen, aber geben Sie zu, dass der Weise in seinen Ketten rasend wird vor Wut. Wenn der Weise das nicht zugibt, täuscht er uns – und ist ein Schwindler.

Philosophisches Taschenwörterbuch

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