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CIRCONCISION – Beschneidung
ОглавлениеWenn Herodot erzählt, was er von den Barbaren, zu denen er gereist war, erfahren hat, erzählt er Albernheiten,* wie die meisten unserer Reisenden. So braucht man ihm nicht zu glauben, wenn er von den Abenteuern von Gyges und Kandaules spricht, von Arion auf dem Delphin und vom Orakel, das, befragt, was Krösus tun würde, antwortete, dieser koche eine Schildkröte im zugedecktem Topf – oder vom Pferd des Darius, das seinen Herrn zum König machte, indem es sich ihm als Erstem näherte, und von hundert anderen Märchen, die Kindern gefallen und die Rhetoriker sammeln.* Wenn er aber von den Dingen erzählt, die er gesehen hat, von den Sitten der Völker, die er untersucht, von ihrer Geschichte, die er zu Rate gezogen hat, spricht er doch zu Erwachsenen.
Es scheint, sagt er im Buch »Euterpe«, dass die Einwohner von Kolchis* ursprünglich aus Ägypten stammen, ich urteile aus eigener Anschauung und weniger vom Hörensagen, denn ich habe festgestellt, dass man sich in Kolchis wesentlich besser an die alten Ägypter erinnert, als man sich in Ägypten an die alten Gewohnheiten von Kolchis erinnert.
Die Bewohner der Ufer des Schwarzen Meeres behaupten, eine von Sesostris gegründete Kolonie zu sein, ich für meinen Teil vermute das ebenfalls, nicht nur, weil sie dunkelhäutig sind und gekräuselte Haare haben, sondern weil die Völker von Kolchis, Ägypten und Äthiopien die einzigen sind, die sich seit jeher haben beschneiden lassen; weil die Phönizier und die Bewohner von Palästina zugeben, dass sie die Beschneidung von den Ägyptern übernommen haben. Die Syrer, die heute die Ufer des Thermodon und Parthiens bewohnen, und ihre Nachbarn, die Makronen,* erklären, dass es noch nicht lange her ist, seit sie sich dieser ägyptischen Gewohnheit angepasst haben. Hauptsächlich deshalb hält man ihre Herkunft für ägyptisch. Was Äthiopien und Ägypten betrifft, bei denen diese Zeremonie jeweils sehr weit zurück reicht, wüsste ich nicht zu sagen, wer von beiden die Beschneidung vom anderen übernommen hätte, es ist indessen wahrscheinlich, dass die Äthiopier sie von den Ägyptern haben, wie umgekehrt die Phönizier den Brauch, die Neugeborenen zu beschneiden, abgeschafft haben, seit ihr Handel mit den Griechen zunahm.
Aus dieser Passage Herodots folgt klar, dass mehrere Völker die Beschneidung von Ägypten übernommen haben; aber keine Nation jemals behauptet hat, sie von den Juden erhalten zu haben. Wem kann man nun den Ursprung dieses Brauchs zuschreiben – der Nation, von der fünf oder sechs andere bekennen, ihn erhalten zu haben, oder einer anderen Nation, die weit weniger mächtig, weniger Handel treibend, weniger Krieg führend, versteckt in einem Winkel Arabiens lebend und niemals die geringste ihrer Gewohnheiten an irgendein anderes Volk weitergegeben hat?
Die Juden sagen, sie seien vormals aus Barmherzigkeit in Ägypten aufgenommen worden; ist es nicht wahrscheinlich, dass das kleine Volk einen Brauch des großen Volkes nachahmte und die Juden einige Sitten ihrer Herren annahmen?
Clemens von Alexandria berichtet, dass Pythagoras, als er durch Ägypten reiste, gezwungen war, sich beschneiden zu lassen, um zu ihren religiösen Mysterien zugelassen zu werden; man musste also unbedingt beschnitten sein, wollte man der Priesterschaft Ägyptens angehören. Diese Priester waren da, als Josef in Ägypten ankam, die Regierungsform bestand seit Langem, und man beachtete die antiken Zeremonien Ägyptens mit gewissenhafter Genauigkeit.
Die Juden geben zu, dass sie zweihundertfünf Jahre in Ägypten ansässig waren*, sie sagen, dass sie sich in diesem Zeitraum nicht beschneiden ließen; es ist folglich klar, dass die Ägypter während dieser zweihundertfünf Jahre die Beschneidung nicht von den Juden erhalten haben. Hätten sie diese von ihnen übernommen, nachdem ihnen die Juden alle Gefäße gestohlen hatten, die man ihnen geliehen hatte, und nach ihrem eigenen Zeugnis mit ihrer Beute in die Wüste entflohen? Übernimmt ein Herr das wichtigste Kennzeichen der Religion von seinem flüchtigen und diebischen Sklaven? Dies liegt nicht in der Natur des Menschen.
Es heißt im Buch Josua, dass die Juden in der Wüste beschnitten wurden: Ich habe euch von dem befreit, was bei den Ägyptern zu eurer Schande gereichte.* Nun, was könnte dieses Schandebringende sein für Leute, die sich unter den Völkern der Phönizier, Araber und Ägypter befanden, wenn nicht das, was sie für diese drei Nationen verachtenswert machte? Wie befreite man sie von dieser Schande? Indem man sie von einem Stück Vorhaut befreite. Liegt nicht darin der natürliche Sinn dieser Passage?
Die Genesis sagt,* dass Abraham schon vorher beschnitten worden war, doch Abraham reiste durch Ägypten, das seit Langem, von einem mächtigen König regiert, ein blühendes Königreich war. Nichts spricht dagegen, dass die Beschneidung in diesem so alten Königreich bereits lange in Gebrauch war, als sich die jüdische Nation bildete. Außerdem blieb die Beschneidung Abrahams ohne Nachahmung, seine Nachkommen wurden erst zur Zeit Josuas beschnitten.
Nun übernahmen die Israeliten vor Josua sogar nach ihrem eigenen Bekunden viele der Gewohnheiten der Ägypter: So entlehnten sie einige Opferbräuche, mehrere religiöse Rituale wie das Fasten, das man an den Tagen vor den Isisfesten praktizierte, die Reinigungshandlungen, den Brauch, die Köpfe der Priester zu rasieren, den Weihrauch, den Kandelaber, das Opfer der roten Kuh, die Reinigung mit Ysopbüscheln*, den Verzicht auf Schweinefleisch, die Abscheu vor Küchengeräten fremder Völker. All das belegt, dass das kleine hebräische Volk trotz seiner Abneigung gegen die große ägyptische Nation eine unendliche Vielzahl von Gebräuchen seiner früheren Herren übernommen hatte. Dieser Ziegenbock Asasel, dem man die Sünden des Volkes auflud und ihn in die Wüste jagte, war eine ersichtliche Kopie eines ägyptischen Brauches, die Rabbiner geben sogar zu, dass das Wort Asasel nicht-hebräischen Ursprungs ist. Nichts spricht also dagegen, dass die Hebräer die Ägypter bei der Beschneidung nachgeahmt haben, wie dies auch die Araber, ihre Nachbarn, taten.
Es ist keinesfalls verwunderlich, dass Gott, wenn er schon die Taufe – so lange gebräuchlich bei den Asiaten – heiligte, auch die Beschneidung guthieß, die nicht weniger lange bei den Afrikanern gebräuchlich war. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass es dem Herrn gegeben ist, die Merkmale seines Wohlgefallens auszuwählen.
Des weiteren hat das jüdische Volk, seitdem es unter Josua beschnitten wurde, diesen Brauch bis auf unsere Tage beibehalten, auch die Araber sind ihm fortwährend treu geblieben, während die Ägypter, die in der ersten Zeit Jungen und Mädchen beschnitten, mit der Zeit damit aufhörten, diese Operation an Mädchen vorzunehmen, und sie schließlich auf Priester, Astrologen und Propheten beschränkten. Das berichten uns Clemens von Alexandria und Origenes. Tatsächlich weiß man gar nicht, ob die Ptolemäer die Beschneidung jemals praktizierten.
Die lateinischen Autoren, welche die Juden mit so großer Verachtung behandeln, indem sie sie zum Beispiel spöttisch Curtus Apella, Credat Judaeus Apella, Curti Judaei* nennen, geben den Ägyptern keine derartigen Beinamen. Das ganze ägyptische Volk ist zwar heute beschnitten, aber aus einem anderen Grund, denn der mohammedanische Glaube hat die alte Beschneidung von den Arabern übernommen.
Es ist diese arabische Beschneidung, die zu den Äthiopiern kam, wo man Jungen und Mädchen noch heute beschneidet.
Man muss eingestehen, dass diese Beschneidungszeremonie zunächst sehr befremdlich erscheint; man muss aber beachten, dass sich die Priester des Morgenlandes zu allen Zeiten ihren Gottheiten durch besondere Kennzeichen weihten. Mit einem Stichel ritzte man den Bacchuspriestern ein Efeublatt ins Handgelenk. Lukian sagt uns, dass die Isisanbeter sich Buchstaben auf die Faust und auf den Hals tätowierten.* Die Priester der Kybele machten sich zu Eunuchen.
Allem Anschein nach stellten sich die Ägypter, die das Fortpflanzungsorgan sehr verehrten und sein Abbild bei ihren Prozessionen prunkvoll mitführten, vor, dass sie Isis und Osiris, von denen alles Leben auf der Erde abhing, einen kleinen Teil jenes Gliedes opferten, durch das sich das menschliche Geschlecht nach dem Willen dieser Gottheiten fortpflanzte. Die alten orientalischen Sitten sind so erstaunlich verschieden von den unseren, dass, wer ein wenig belesen ist, nichts für unmöglich halten wird. Ein Pariser ist ganz erstaunt, wenn man ihm sagt, dass die Hottentotten ihren männlichen Kindern eine Hode abschneiden lassen. Die Hottentotten sind vielleicht erstaunt, dass die Pariser davon zwei behalten.