Читать книгу Die Sennerin aus der Großstadt - Vroni Müller - Страница 11

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Im Spätherbst waren nämlich tiefschwarze Gewitterwolken über der schönen Brennbachalm aufgezogen. Das beliebte Ausflugsziel war stets ab den ersten warmen Frühlingstagen bewirtschaftet. Senner Peter hatte in einem beispiellosen Wutanfall gekündigt. Die Auseinandersetzung mit den unverschämten Wanderern, die ihn als Dienstleister aller Art missbrauchten, hatten bei ihm eine Art Almkoller ausgelöst.

Wütend warf er seine Schürze, die er trug, wenn er frisch gemolkene Ziegenmilch und kleine Gerichte wie eine selbstgemachte Brotzeit serviert hatte, seinem Dienstherren Sepp Kerner vor die Füße. So zornentbrannt war der grauhaarige Mann gewesen, dass er in einem Rutsch von der Alm auf den Hof der Kerners marschiert war. Sepp Kerner hatte sich gerade mit einer frisch gestopften Pfeife und einer Tasse Kaffee vor die von den letzten Sonnenstrahlen des Tages erhellte Fassade gesetzt, um etwas durchzuatmen. Doch statt des beruhigenden Anblicks des kleinen Kräutergartens vor der Eingangstür bot sich ihm nun das wutverzerrte Gesicht des Senners, der sich die Schürze von den Hüften zerrte. So erregt war Peter, dass er den Knoten des weiß-roten Ungetüms nicht richtig lösen konnte, was ihn aber noch wütender machte.

„Mach deinen Mist in Zukunft allein!“, brüllte Peter.

Sepp zog verwundert die linke Augenbraue nach oben und nahm schnell einen Schluck Kaffee. Vielleicht kam er sonst nicht mehr dazu. So wütend, wie der Senner war, musste man damit rechnen, dass er alles kurz und klein schlagen würde.

„Nun setz dich doch erst mal, und wir besprechen alles in Ruhe. Was ist denn passiert? Hat wieder einer deiner Gäste nicht ordentlich gegrüßt oder kein Trinkgeld gegeben?“, bemühte Sepp sich um einen sachlichen Ton und deutete bereitwillig auf den freien Platz neben sich auf der Holzbank.

„Deinen Sarkasmus kannst du dir sonstwohin stecken. Du glaubst nicht, was mir eben passiert ist. Kommen da zwei Senioren daher gewackelt, kurz bevor ich geschlossen hätte. Ich denke mir, ach, die machst du noch, kann ja kein großer Aufwand sein. Frage also höflich, was sie wollen, und sie bestellen zwei Becher Milch.“

Sepp nickte und konnte das Problem noch nicht wirklich erkennen. Bis jetzt klang alles nach Routine auf der Alm.

„Dann geht es ans Zahlen. Zücken die Deppen doch wirklich eine Kreditkarte. Glaubst du das? Kann man sich so was in seinen kühnsten Träumen vorstellen? Eine Kreditkarte auf der Alm! Keinen Pfennig Bargeld in der Tasche, und mich dann noch anblaffen, wie rückständig wir hier seien!“, brüllte Peter und zerrte immer noch an der albernen Schürze herum, die ihm mittlerweile fast in den Kniekehlen hing.

Sepp verzichtete um des lieben Friedens willen auf den Hinweis, dass es längst Euro und Cent hieß und Pfennige schon länger nicht mehr im Umlauf waren. Beschwichtigend hob er die Hände.

„Da hast du natürlich ausgerechnet zum Feierabend zwei besonders schwierige Exemplare erwischt. Aber die Saison ist bald zu Ende, und der Skibetrieb beginnt. Damit hast du ja nichts zu tun, denn mein Sohn Paul engagiert für den Betrieb als Skihütte immer extra Servicepersonal aus Österreich. Du kannst dich die nächsten Monate ganz entspannt in dein Haus in Himmelreich zurückziehen und dann im Frühjahr neu angreifen mit frischem Elan.“

Doch das erzürnte den leicht reizbaren Senner nur noch mehr.

„Im Leben nicht mehr! Du kannst dir im nächsten Jahr einen anderen Doofen suchen. Ich bin raus. Da melde ich mich lieber arbeitslos, als nochmal den ganzen Tag auf der Alm zu sitzen und mich quälen zu lassen.“

Großbauer Sepp hatte den Zorn, der sich wie ätzender Geifer aus dem Mund des Mannes ergoss, wie ein wahrer Philosoph an sich abperlen lassen.

„Der beruhigt sich schon wieder“, war stets seine ruhige Antwort auf besorgte Nachfragen seines Sohnes, wer denn nun im Frühjahr die Bewirtschaftung der Brennbachalm übernehmen sollte.

Zum Gelderwerb brauchte man die paar Kröten aus dem Verkauf von frischer Milch und ein paar Getränken nicht. In einem guten Winter, und das hieß in diesem Fall möglichst schneereich und kalt, war der familieneigene Skilift gut besucht. Dieses Gewerbe leitete bereits seit einigen Jahren Paul Kerner, der Juniorchef, der sich dort im Kleinen bewähren sollte, um dann mit einigen Erfahrungen im Gepäck das gesamte landwirtschaftliche Imperium mit allen Nebensträngen wie Alm, Skilift und Hofverkauf übernehmen sollte.

Als erste Idee hatte Paul die im Sommer so friedliche Alm im Winter zu einer gutgehenden Skihütte umfunktioniert. Wo im Sommer Ziegen und ein paar Kühe ihre Runden drehten und allenfalls noch das eintönige Läuten einer Kuhglocke zu hören war, schallten in den Wintermonaten moderne Klänge und heiße Rhythmen von den Holzwänden. Mit einer jungen Thekenmannschaft zog Paul die gut zahlende Kundschaft direkt aus dem Skilift in die Après-Ski-Location. Dort wurden dann statt Milch exotische Cocktails mit klangvollen Namen serviert. Der absolute Renner zum Beispiel waren der Gipfelstürmer mit reichlich Wodka und der Heididrink mit einer kräftigen Färbung in Pink. Ein DJ heizte der feierwilligen Menge an den Wochenenden lautstark mit Liedtiteln ein, die man sonst eher aus Stimmungsbars vom Ballermann kannte.

Oktoberfestfeeling in der Skihütte stand in großen Buchstaben auf den Plakaten, die das Lifthäuschen zierten. Sepp hatte das bunte Treiben zuerst mit Skepsis laufen lassen, als ihm sein Sohn das neue Konzept vorgestellt hatte. Sein persönlicher Geschmack war das sicher nicht. Aber es schien anzukommen und sich in klingender Münze auszuzahlen, und so ließ er dem strebsamen und ideenreichen Filius gern freie Hand. Er hätte sich gewünscht, sein Vater hätte damals so viel Vertrauen in ihn gehabt. Aber der alte Vitus Kerner hatte bis zu seinem letzten Atemzug die Zügel fest in der Hand gehalten. Nach Vitus' Sekundentod infolge eines Herzinfarkts mit 54 Jahren stand Sepp mit der Verantwortung für die Familie, viele Mitarbeiter und ein jahrhundertealtes Familiengut allein und unvorbereitet da. Er hatte zwar drei Schwestern, doch keine zeigte auch nur den Funken von Interesse an der harten Arbeit in der Landwirtschaft. Ganz im Gegenteil, alle drei hatten sich, so schnell es irgendwie ging, von Sepp ihren Erbanteil auszahlen lassen. Sepp hatte sich damals fest vorgenommen, seine Kinder besser an die große Last heran zu führen, die ein großer Besitz mit sich brachte. Paul interessierte sich zwar weniger für Tiere, aber Lilly, die jüngere Schwester, träumte von einem Tiermedizinstudium, für das sie im Frühjahr die Zusage erwartete. Das dritte Geschwisterkind, Marie, war erst fünfzehn und sah sich wie ihr Vater Sepp alles mit ruhiger Miene und aufmerksamen Augen an. Sepp war jedenfalls zuversichtlich, dass einer der drei oder am besten alle zusammen den Kernerhof in die Zukunft führen würden.

Nach dem Almabtrieb kam die turbulente Skisaison, und im neuen Jahr fand Sepp, das sei nun genug Zeit für den leicht erregbaren Senner gewesen, um sich abzureagieren. Doch der war unversöhnlich in seinem Ärger und schüttelte immer nur den Kopf, wenn Sepp ihn fragte, ob er seinen bewährten Job im Frühjahr wieder antreten wolle. Irgendwann verlor auch der gutmütige Bauer die Geduld. Er wollte sich ganz sicher nicht länger von dem griesgrämigen Senner Peter auf der Nase herumtanzen lassen. Da würde sich doch jemand anderes finden lassen für die Brennbachalm. Am besten jemand, der ein neues, frisches Aushängeschild der Alm sein würde. Denn Wandern war wieder in, wie man anhand der Zeitungsberichte und Fernsehbeiträge erkennen konnte. Die Outdoorbranche verzeichnete sensationelle Zuwächse. So kam es, dass nun der Aushang im Schaukasten der Gemeinde hing.

Die Sennerin aus der Großstadt

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