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Kapitel 7 – Der lebende Gott

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Eje musste sich nun eingestehen, dass ihm der junge Pharao allmählich entglitt. Als Tutanchamun noch ein Prinz war und er mit sieben Jahren zum Pharao gekrönt wurde, war es noch ein Leichtes gewesen, ihn zu kontrollieren. Der wortgewandte Mann, der zudem vier Fremdsprachen beherrschte, startete seine politische Karriere unter der Herrschaft des Amenophis III und diente dem Königsclan seither loyal und treu ergeben. Während seiner Laufbahn unterstand ihm Ober- und Unterägypten, er wurde sehr mächtig und übte einen großen Einfluss auf die Priester aus, was zu jener Zeit selbst für Pharaonen manches Mal schwierig war. Die Tempel waren Gotteshäuser und die Priester verwalteten deren Silos und Schatzkammern. Über die wertvollen Opfergaben durfte der Pharao nicht einfach entscheiden, diese Zeiten waren seit Beginn des Neuen Reichs lange vorbei. Diese Entscheidung verlangte immer das Einverständnis des zuständigen Hohepriesters. Korruption war eine Möglichkeit, die Priester zu überzeugen aber dafür benötigte man jedoch feinstes Fingerspitzengefühl.

Eje war äußerst begabt, geschickt im Verhandeln und erwies jedem einen Gefallen, der zugunsten des Königshauses und nach seinem Willen handelte. Außerdem stand seine Gemahlin Tij – eine ebenso angesehene sowie geschätzte Persönlichkeit des Königshauses – ihm mit Rat und Tat beiseite und sie war jederzeit bereit, für seine Machenschaften mit ihrem Leben zu bürgen. Die Eheleute genossen während Tutanchamuns Amtszeit den Rang eines Königspaares – Eje fungierte bis dato noch als der Vormund des Pharaos und das nun schon seit zehn Jahren. Der Wesir hielt die Krone praktisch in seinen Händen und das Volk war zufrieden. Die Tempelpriester in Ober- und Unterägypten zogen in Erwägung, falls Tutanchamun frühzeitig nach Westen gehen würde, dass Eje daraufhin den Horusthron besteigen könnte. Aber in Anbetracht des Altersunterschiedes war es äußerst unwahrscheinlich, dass Eje den jungen Pharao, der sich gerade in der Blüte seines Lebens befand, je überleben würde. Es sei denn, dem Pharao würde ein Unheil zustoßen oder ihn eine Krankheit heimsuchen. Dann wäre Eje zweifelsohne ein begehrter Anwärter auf die Krone, was ihn aber noch lange nicht zu einem Pharao legitimieren würde. Um zu einem Pharao gekrönt zu werden, bedurfte es der Vermählung mit der Großen königlichen Gemahlin. Allein nur Anchesenamun durfte dann entscheiden, falls sie sich mit einem Diener Kemets oder einem Ausländer vermählen würde, ob ihr neuer Gemahl zu einem Pharao oder nur zum König des Landes gekrönt würde. Die Möglichkeit, Pharao zu werden war für Eje also durchaus gegeben und Tij dürfte sich sogar die Große königliche Gemahlin nennen, falls auch die jetzige Große königliche Gemahlin Anchesenamun ebenfalls unverhofft sterben würde.

Königin Anchesenamun bereitete dem Wesir aber zusätzliche Probleme, anstatt über eventuelle Heiratsabsichten nachzudenken, falls Tutanchamun tatsächlich frühzeitig ableben sollte. Sie übte, genauso wie Eje, einen großen Einfluss auf den jungen Pharao aus, zumal sie sechs Jahre älter war als er und ihn aufrichtig liebte. Alle bisherigen Entscheidungen trafen sie gemeinsam und es war abzusehen, dass beide diese Abmachung weiterhin so beibehalten würden, worüber Eje nicht sehr erfreut war. Die Königin durchkreuzte in letzter Zeit zu oft Ejes Pläne, woraufhin er Tutanchamun erneut überzeugen musste und dies allmählich seine Nerven strapazierte. Zwar hatte Anchesenamun keinerlei Ahnung von Politik, dafür aber umso mehr über die Gegebenheiten eines Königpaares und so wusste sie, dass beide praktisch unantastbar waren. Seitdem die Kinder gekrönt worden waren, waren sie trotz des Altersunterschiedes unzertrennlich und täglich zusammen. Anchesenamuns Mutter, die ehemalige Königin Nofretete, hatte ihre zweitgeborene Tochter stets in ihre Obhut genommen und sie gelehrt, was es bedeutete, eine wahre Königin zu sein. Die Große königliche Gemahlin hat Opfer zu bringen und existiert lediglich, damit die Dynastie nicht ausstirbt, hatte Nofretete ihrer Tochter eingetrichtert. „Eines Tages“, hatte Nofretete mit erhobenem Zeigefinger prophezeit, „wird der Pharao nicht mehr dich begehren, sondern eine Nebenfrau, die er als die Königin des Nils verherrlichen wird. Sorge dafür, dass du Pharao rechtzeitig in dein Bett lockst, solange zwischen euch noch die Leidenschaft brennt. Um unsere Dynastie zu erhalten, brauchen wir mindestens einen Sohn!“

Zudem schätzte der Wesir die Königin als gefährlich ein, gefährlich in Bezug auf ihr störrisches und eigensinniges Verhalten. Als ihre Mutter, ihre starke Hand, die sie stets im Zaum gehalten hatte, verstarb, befand Anchesenamun sich inmitten der Pubertät. Sie war ohnehin ein schwieriges Kind gewesen. Täglich mussten die Zofen, und vor allem ihre Schwestern, die Launen und Schikanen eines Mädels ertragen, das eine Königin und somit unantastbar war. Nur in Gegenwart des kleinen Tutanchamuns fühlte sie sich wohl und geborgen, auch wenn klein Tut sie früher des Öfteren geärgert und ihr rasch aufbrausendes Gemüt leidenschaftlich gerne provoziert hatte. Täglich hatte sie ihn behütet und darauf geachtet, dass ihm nichts geschah. Sie hatte sich zu ihm an den Teich gesetzt und ihn gelobt, wenn er mit seinen Segelschiffen Krieg spielte und lautstark verkündete, dass er die Söhne Seths besiegte.

Anchesenamun steuerte jedenfalls einiges dazu bei, dass der Pharao dem Wesir schneller entglitt, als es ihm lieb war. Seine Macht über das Land drohte zu schrumpfen. In absehbarer Zeit würde Pharao Tutanchamun alleine regieren und Eje wieder nur noch wie ein gewöhnlicher Wesir walten dürfen. Die bevorstehende Nilreise war Anchesenamuns Meinung nach das Klügste, was ihr Gemahl bisher beabsichtigte. Endlich würde das Volk sehen, dass es von einem wahren Königspaar geführt wird. Ejes straffe Fäden würden unweigerlich reißen und seine persönliche Monarchie hätte ein endgültiges Ende.

Eje verbeugte sich lediglich mit einer angedeuteten Kopfbewegung, wünschte Tutanchamun eine angenehme Nachtruhe und verließ den Audienzsaal.

Es war spät geworden. Die Diener gingen wortlos umher und löschten jede zweite Fackel, die in Haltern an den Gemäuern hafteten, bis es im Audienzsaal nur noch rötlich schimmerte und die Schatten an den Kalksteinwänden tanzten. Tutanchamun lümmelte entspannt auf dem Horusthron, nahm die Doppelkrone von seinem Kopf und massierte seine Stirn. Unbarmherzige Kopfschmerzen plagten ihn, aber was konnte er schon dagegen unternehmen? Seinen Leibarzt noch in dieser späten Stunde einfach herbei befehligen, wäre wohl eine Möglichkeit. Aber dieser würde sofort in Begleitung von einigen Assistenten erscheinen und letztendlich würde das ganze Königshaus wiedermal in Aufruhr geraten, weil man befürchtete, dass der Pharao von einer Krankheit heimgesucht wurde. Auf diesen Trubel hatte er zu dieser späten Stunde wahrlich keine Lust. Er überlegte. Vielleicht war die Amunpriesterin Satamun noch wach. Meistens war sie im Besitz von irgendwelchen Heilkräutern und würde ihm rasch einen Trunk mixen.

Die Verhandlungen am Nachmittag waren anstrengend gewesen und nun wurde ihm klar, dass das unbekümmerte Leben, welches er und Anchesenamun bisher genossen hatten, für immer vorbei sein würde, sobald er am nächsten Tag das Bootsdeck der königlichen Barke betrat. Nichts würde mehr so sein, wie es einst war. Dann würden sie als das Königspaar im ganzen Land vor dem Volk erscheinen und er könnte sich nie wieder als der Steinmetzlehrling Imhotep unter die Menschen wagen. Wenn er von dieser Reise wieder zurückkehrte, wäre er nur noch ausschließlich der Pharao Tutanchamun. Er seufzte und schwelgte in Erinnerungen.

Tutanchamun schloss seine Augen und ließ gedanklich seine Kindheit Revue passieren. Ihm fiel ein, wie er damals als Achtjähriger im Palast ständig herumgeflitzt war und dabei manches Mal ungeschickt Götterstatuen umgeworfen hatte, die daraufhin auf dem Boden zerschellt waren. Ein normal sterblicher Bengel dürfte sich ein derartiges Missgeschick niemals erlauben. Mindestens fünf Hiebe mit einem Schilfrohr auf den blanken Hintern wären die angemessene Strafe für ein Kind.

Schmunzelnd erinnerte sich Tutanchamun, wie er einst heimlich in der Galerie von einer Säule zur nächsten geschlichen war und den ahnungslosen Zofen und Priestern aufgelauert hatte, um sie zu erschrecken. Die Zeit während der langweiligen Besprechungen im Audienzsaal, bei denen der Pharao trotz seines Kindesalter zwingend anwesend sein musste und er dabei immer unruhig auf dem Horusthron herumgezappelt war, hatte klein Tut damit überbrückt, dass er ein Schilfrohr mit Kichererbsen munitioniert und die Großen des Landes bespuckt hatte. Und wenn der Schatzmeister Maja völlig entrüstet aufgeblickt hatte, mit der Hand seinen Nacken reibend, war eine laute Kinderlache durch den Saal geschallt. So war es also geschehen, dass während politische Entscheidungen getroffen wurden, mancher Staatsmann ständig seinen Arm, Stirn, Wange oder gar sein Auge gerieben hatte.

Seine Schwester Anchesenamun dagegen hatte, als sie noch jugendlich war, auf jeden Anlass, der ihr widerstrebte, hochgradig zickig reagiert. Sie terrorisierte vorzugsweise ihre Schwestern und Cousinen, indem sie einfach in ihre Gemächer stürmte, die Duftöle auf ihren Schlafstätten auskippte und gehässig die Nasen ihrer Büsten abschlug. Vor ihr musste man sich in Acht nehmen und es war ratsam, die eigene Perücke niemals gedankenlos herumliegen zu lassen. Ani, wie sie als Kind immer gerufen wurde, nutzte jede Gelegenheit zum Schikanieren und was sie äußerst gerne machte, war, eine Perücke mit einem Dolch zu zerschnippeln. Meistens tat sie dies, wenn sie genau wusste, dass hoher Besuch erwartet wurde. Die Perücke galt in der gehobenen Gesellschaft als ein Schönheitsideal, weil oftmals das eigene Haar aufgrund einer Läuseplage abrasiert werden musste und eine kahlköpfige Prinzessin, der Eitelkeit wegen, niemals ohne diese Kopfbedeckung vor ranghohen Ehrenleuten erscheinen würde. Die geschädigten Mädchen verschwanden daraufhin in ihre Schlafgemächer, ließen sich nicht mehr blicken und die junge Ani, versteckt hinter Säulen, kicherte sich ins Fäustchen.

Ani schreckte auch nicht vor Handgreiflichkeiten zurück und wann immer ihr unbändiger Jähzorn sie heimsuchte, ließ sie ihren Dampf ab und prügelte grundlos auf die Zofen und Sklaven ein, die daraufhin in einer Ecke kauerten, ihre Köpfe schützten und die königliche Attacke wehrlos über sich ergehen ließen.

Eines Tages ging Tut wiedermal in Anis Schlafgemach und spielte mit ihren Katzen. Die Vierzehnjährige lag bäuchlings auf dem Bett, stützte ihren Kopf auf ihre Hände und reckte dabei abwechselnd die Beine in die Höhe, während sie klein Pharao beim Spielen beobachtete. Neben ihr lag eine Schüssel randvoll mit süßen Datteln, welche sie zuerst in einem Honignapf tunkte und dann genüsslich futterte. Plötzlich entkleidete sie ihr Gewand und rekelte sich im weichen Bettbezug. Sie war nackt, nur eine schulterlange Perücke überdeckte ihr kurzes Haar.

„Tut, komm sofort zu mir in mein Bett. Du machst mir jetzt auf der Stelle ein Kind und zwar einen Sohn!“, fuhr sie ihn herrisch an. Aber der kleine Tutanchamun presste stattdessen seine Hand vor dem Mund und prustete.

„Hörst du nicht? Du sollst mich begehren!“, schrie sie ihn wütend an. Aber anstatt seiner älteren Halbschwester zu gehorchen, was er sonst eigentlich immer tat, zeigte klein Tut mit dem Finger auf Ani und lachte sie laut aus: „AAAHAHAHAHA, deine Brüste sind bald so dick wie die von Zofe Bürsa. AAAHAHAHAHA!“

Anchesenamun tobte, schrie hysterisch, strampelte wild mit ihren Beinen und warf ihm wutschäumend ihre Perücke entgegen, woraufhin er sich duckte und die Haarpracht gegen eine Vase klatschte, die auf einen Schrein stand und zu Boden schmetterte. Mit zornverzehrtem Gesicht hechtete sie splitternackt aus dem Bett und bekam den Knirps am Bein zu packen, der augenblicklich wie ein Lausebengel aus ihrem Schlafgemach zu türmen versuchte. Sie rüttelte ihn und flennte dabei bitterlich, und Tut versuchte krampfhaft sein Lachen zu verbeißen.

„Du … Du bist also in der Tat ein lebender Gott und wurdest von den Göttern dazu auserkoren, das schwarze Land zu regieren? Bei der Göttin Bastet, ich sag dir, wer du wirklich bist, mein geliebter Gemahl. Du bist nichts weiter als ein Kindskopf, jawohl, ein alberner Kindskopf, der sich täglich freche Flausen ausdenkt. Lass dir das von mir gesagt sein. Deinetwegen wird unsere Dynastie noch aussterben, mein Großer Pharao Tut-anch-Amun!“, brüllte sie.

Das Geschrei blieb selbstverständlich nicht unbeachtet und sogleich erschien die Zofe Bürsa, die bereits für die Königin Nofretete gedient hatte und nun, nachdem diese längst gestorben war, hauptsächlich für ihre bevorzugte Tochter sorgte. Bürsa war die einzige Person, die Ani zu besänftigen vermochte. Sie war die einzige Zofe, der einzige Mensch auf der Welt, dessen Worte das jähzornige Kind akzeptierte. Bürsa stützte ihre Hände auf ihre wohlbeleibten Hüften und blickte das Pharaonenpaar streng an, während sie auf dem Boden rauften. Welch eine Unordnung wieder einmal herrschte. Scherben, wohin man auch sah, und die Kopfkissen lagen in allen Ecken herum. Honig war auf dem Bettbezug ausgelaufen und überall waren Datteln auf dem Boden verstreut. Die Katzen hatten sich unter dem Bett verkrochen, ein Kätzchen war sogar in Pharaos Pschent-Krone geschlichen und schlief darin. Aber Bürsas Bedenken waren, wie immer, unberechtigt. Anchesenamun hätte ihrem Bruder und Gemahl niemals etwas angetan. Der kleine Tutanchamun umklammerte seine Halbschwester, schmatzte auf ihren Bauch und entschuldigte sich, weil er sie ausgelacht hatte. Aber die prallen Brüste gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn, als er Bürsa erblickte. Klein Tut kniff seine Augen zusammen und versuchte, sich zu beherrschen – ihm rannen bereits Tränen der Belustigung über die Wangen. Er versuchte verzweifelt eine anbahnende Lachattacke zu unterdrücken, damit seine hitzköpfige Schwester bloß nicht erneut in Rage geriet.

„A-aber unsere Dynastie … Mutter sagte doch, wir brauchen einen Sohn, geliebter Gemahl“, schluchzte Ani.

Tutanchamun massierte seine Augen und erhob sich aus dem Horusthron. Er war müde und seine Kopfschmerzen zermürbten ihn. Morgen würde er auf dem Nil durch das Land reisen und sein Volk begrüßen. Er würde seine Bauwerke begutachten, die er bislang nur von Baumeistern auf Papyrusrollen gezeichnet präsentiert bekommen hatte und beschloss, gemeinsam mit dem Volk in den Tempelanlagen zu opfern. Und wenn er wieder in seine Residenz zurückkehrte, wäre es sowieso nicht mehr notwendig, das Theater des Imhotep fortzuführen, nur um seine Freunde wiederzusehen. Er beabsichtigte ohnehin Rechmire und Petu als seine treu ergebenen Leibwächter einzustellen, die dieses Amt bestimmt wohlwollend annehmen würden. Unermesslicher Reichtum würde seine Freunde erwarten und sie müssten nie wieder im Nil fischen. Er lächelte. Besonders Petu würde sich sicherlich an seinem Harem erfreuen, welchen er ihm vermachen würde. Anchesenamun behielt Recht. Einen Harem benötigte er wahrlich nicht mehr, wenn Nefertiri zu einer Königin von Ägypten gekrönt würde.

Tutanchamun

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