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Kapitel 3 – Imhotep, der Junge aus Heliopolis

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Rechmire und Petu rannten ihrem Freund entgegen und begrüßten ihn, indem sie über ihn herfielen und ihn zu Boden rissen. Sie balgten im Sand und lachten. Seit fünf Jahren waren sie unzertrennliche Freunde, die sich früher täglich am Nilufer getroffen und dort gemeinsam Streiche ausgeheckt hatten. Jetzt, nachdem ein Jahr verstrichen war, waren sie endlich wieder vereint.

Imhotep besuchte die Schreiberschule in Theben, denn ihm wurde ermöglicht, das Handwerk eines Steinmetzen zu erlernen, weil sein Vater ein bekannter Steinhauer war, der sogar einst eine Skulptur für den längst verstorbenen Pharao Echnaton anfertigen durfte. Das erzählte er ihnen jedenfalls. Rechmire war besonders stolz auf seinen gebildeten Freund, schließlich konnte nicht jeder Fischerjunge behaupten, mit einem Burschen befreundet zu sein, der sogar lesen und schreiben konnte.

Sogleich stürzten sie in die Flut hinein und schwammen um die Wette, hinüber zu den grasigen Inseln, die mitten aus dem Fluss ragten, obwohl ihnen bewusst war, wie gefährlich dies enden konnte. In diesen kleinen Inseln hausten oftmals Krokodile, die, im Schilf versteckt, nur auf solchen Leichtsinn lauerten. Außerdem war die Nilströmung heimtückisch und hatte schon so manch guten Schwimmer verschlungen. Aber wer etwas auf sich hielt und seinen Mut unter Beweis stellen wollte – vor allem nahmen die Burschen dieses Risiko in Kauf, weil zahlreiche Mädchen am Ufer hockten – musste etwas wagen. Die alten Weisen würden zwar verständnislos ihre Köpfe schütteln, obwohl sich einige von ihnen damals in ihrer Jugend manches Mal ebenso töricht verhalten hatten, aber Mut und Ruhm war schon immer bedeutsamer gewesen als der Verstand es erlaubte weil, letztendlich würde man Lorbeeren ernten.

Imhotep war ein ausgezeichneter Schwimmer und als er die Hälfte der Distanz erreicht hatte, schwamm er auf dem Rücken weiter und beobachtete seine Freunde dabei, wie sie ihm angestrengt hinterher kraulten.

„Die Nilenten schwimmen in der Tat schneller als ihr!“, spottete Imhotep. Er schlürfte etwas Flusswasser und spie es in hohem Bogen wieder aus. Plötzlich tauchten Petu und Rechmire einfach ab und ruderten wild mit ihren Armen zum Ufer zurück.

„Imo, kehr sofort wieder um!“, riefen sie panisch.

Imhotep blickte mit weit geöffneten Augen zur Grasinsel hinüber. Soeben huschten einige Krokodile in den Fluss hinein. Ihre dunklen, schuppigen Körper ragten aus dem Wasser und steuerten direkt auf ihn zu. Sofort tauchte er ab, wendete und kraulte mit vollen Kräften dem Nilufer entgegen. Rechmire und Petu hatten bereits wieder festen Boden unter ihren Füßen und mussten tatenlos zusehen, wie ihr Freund um sein Leben schwamm.

„Schneller Imo, schwimm etwas schneller!“, brüllten sie zugleich.

Immer wieder blickte Imhotep zurück. Die Reptilien verfolgten ihn unermüdlich und kamen ihm bedrohlich nahe. „Bei Amun, dies könnte für mich in der Tat böse enden“, murmelte Imhotep und paddelte so schnell er konnte, um den Ungeheuern zu entwischen. Die Augen der Bestien ragten aus dem Wasser. Ihre strichförmigen Pupillen wirkten gruselig und seelenlos – die Krokodile hetzten ihn erbarmungslos über das Flussbett, wobei das Wasser, wie am Bug einer Barke, elegant an ihren langen Schnappmäulern vorbei glitt.

Nefertiri sprang sofort auf und hielt entsetzt die Hände vor ihren Mund. Die Aufmerksamkeit der Mädchen, welche die Jungs mit diesem Unsinn bezweckten, hatten sie nun vollkommen erreicht und überdies sogar das Aufsehen all derer geweckt, die gerade am Nilufer ausruhten. Ein zahnloser, alter Mann schnappte beherzt einen Speer und ging bis zur Hüfte mutig in das Wasser, obwohl ihm bewusst war, dass er mit seiner Holzlanze gegen diese Ungetüme wenig ausrichten konnte und der Junge offensichtlich verloren war. Mit kämpferischen Blicken zielte er dennoch mit dem Speer auf das Schnappmaul, welches den Jungen zuerst erwischen würde.

Imhotep schaute erneut über seine Schulter. Plötzlich überkam ihn eine herzhafte Lachattacke, sodass er etwas Nilwasser verschluckte. Er hustete und lachte abwechselnd, wobei sich seine rudernden Schwimmzüge verlangsamten und ihm allmählich die Kraft entschwand. Es belustigte ihn, dass eine Krokodils Horde nach seiner Leber, Lunge und einigen seiner weiteren Köstlichkeiten trachtete, er sich aber gewiss war, dass er diesen Bestien entkommen würde. Als er den schlammigen Boden unter seinen Füßen spürte, wandte er seinen Blick dem Flussbett entgegen. Vier schuppige Krokodilrücken ragten aus dem Wasser und stoppten wie geankerte Segelboote. Das Sonnenlicht blendete und ließ die Wasserwogen wie Diamanten aufglitzern. Imhotep lachte höhnisch, zog seinen Schurz herunter, bückte sich und zeigte der schuppigen Bande seinen blanken Hintern.

„AHAHAHA, kommt doch her, holt mich ihr Geschöpfe des Sobek und küsst meinen Arsch!“, johlte Imhotep und klatschte mit den Händen auf seine Pobacken. Rechmire und Petu bückten sich daraufhin ebenfalls und zogen, wie er es tat, ihren Schurz herunter. Sie lachten und sangen dabei ein fröhliches Lied. Der alte Mann, der seine Courage unter Beweis gestellt hatte, rammte seinen Speer in den Boden und schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Diese Banausen waren sowieso unbelehrbar, weshalb er sich jeglichen Tadel ersparte. Aber vielleicht würden sie eines Tages wahre Männer werden und solchen Unsinn unterlassen, falls sie bis dahin noch leben würden, meinte er.

Nachdem diese riskante Mutprobe vollbracht worden war, vergaßen die Jungs die Gefahren sogleich wieder und balgten, damit die Damen schließlich sahen, wer nicht nur Mut hatte, sondern auch seine Kräfte effektiv einsetzen konnte. Nur ein mutiger, starker Mann vermochte auch eine Familie zu beschützen, hieß es unter der Burschenschaft. Imhotep konnte sich zwar sehr flink beweisen und überlistete seine Freunde mit einer Kampftechnik, welche er in der Schreiberschule von den Tempelpriestern erlernt hatte, doch Rechmire war der Stärkere, bezwang ihn im Zweikampf und saß letztendlich auf seiner Brust. Kämpferisch streckte er die geballten Fäuste in die Höhe und posaunte seine Siegesfreude laut heraus. Er hatte Imhotep vor den Augen der Frauen, und vor allem vor Nefertiris hübschen Augen, besiegt. Sein verschwitzter, braungebrannter Körper glänzte im Sonnenschein.

„Bei Amun-Re, bist du stark geworden, Rechmire. Respekt mein Freund“, keuchte Imhotep, als er unter ihm am Boden lag. „Du solltest eher als Leibwache dem Großen Pharao dienen, anstatt den Fischen täglich nach dem Leben zu trachten.“

„In der Tat“, antwortete Rechmire selbstbewusst. „Es wäre mir eine Ehre und wer weiß, vielleicht wird dies eines Tages auch so geschehen.“

Nefertiris neugierige Blicke, die sie den Burschen heimlich entgegenbrachte, blieb Imhotep nicht lange unbemerkt. Ihr scheues, bezauberndes Lächeln betörte ihn, genauso wie ihr langes, schwarzes Haar. Ständig schaute sie zu ihm herüber, aber wenn er sie anlächelte, blickte sie verlegen weg.

„Petu, sag, wer bei der Göttin Isis ist dieses hinreißende Mädchen dort hinten in der letzten Reihe?“, fragte er schließlich, als Rechmire sich längst wieder dem reparaturbedürftigen Fischernetz gewidmet hatte und von alledem nichts mitbekam.

„Hathor steh dir bei. Du erinnerst dich in der Tat nicht mehr an Nefertiri?“

„Nefertiri?“, wiederholte Imhotep ungläubig. „Meinst du etwa Nefi, dieses kleine, kahlköpfige Mädchen, dieses hässliche Nilentlein, wie wir sie immer genannt haben und die wir damals zu gerne hänselten? Igitt, die hatte doch ständig Läuse.“

Imhotep wollte dies nicht glauben, aber Petu nickte. Ein schelmisches Grinsen fuhr über sein Gesicht.

„Nun Imo, lass mich eines erklären, mein treuer Freund. Nefertiri ist dasselbe kleine Mädchen, das du nur zu gerne schikaniert hast. Allein nur du! Rechmire hatte sie damals stets verteidigt, worauf du ihn ebenfalls verspottet hast und ihr euch daraufhin immer geprügelt habt. Damals warst du noch der Stärkere von uns, erinnerst du dich?“, grinste er.

Imhotep blickte nach unten, verzog die Miene und wankte verärgert mit dem Kopf.

„Ich Narr, das hätte ich lieber unterlassen sollen. Woher sollte ich denn wissen, dass Nefi jemals zu einer Lotosblume erblühen würde?“

Die Zeit drängte und das Flachsnetz war schließlich repariert. Der pflichtbewusste Rechmire wurde ungeduldig, schließlich warteten seine Eltern darauf, dass er die nächste Fangbeute herbeibringen würde, damit sie auf dem Markt frischen Fisch verkaufen konnten. Rechmire schloss Imhotep in seine Arme, drückte ihn und klopfte ihm beherzt auf den Rücken.

„Bleib nicht wieder allzu lange fern, mein geliebter Freund.“

Petu lächelte als ihre Hände klatschend aufeinander trafen.

„Komm bald wieder zurück. Ich vermisse dich jetzt schon, Bruder.“

Imhotep verabschiedete sich, lief rücklings und hoffte erneut eine freundliche Geste von Nefertiri zu erhaschen. Sie berauschte seine Sinne. Wenigstens sie noch einmal lächeln zu sehen oder gar ihre Stimme zu hören, damit er sie in seinen Tagträumen realistischer erleben konnte, würde sein Herz erfreuen. Aber weder schaute sie ihm hinterher, noch hörte er sie sprechen. Imhotep zuckte mit seinen Schultern, schlug seine geballte Faust in die Luft und verschwand johlend hinter den Hügeln, die zu der berühmten weißen Stadtmauer von Men-nefer führte.

Nefertiri, sie musste seine Frau werden.

Tutanchamun

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