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Kapitel 5 – Das Porträt für die Ewigkeit

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„Wo bleibst du so lange? Wir wollten heute unser Porträt fertig stellen lassen und nun, nun ist es schon wieder so spät. Du hattest es mir heute Morgen aber versprochen, jawohl, versprochen hattest du es mir!“

Plötzlich hörte Imhotep eine erboste Frauenstimme. Königin Anchesenamun stand bekleidet mit einem weißen, beinahe durchsichtigen Gewand hinter ihm, das ihre üppigen Rundungen sogar etwas betonte. Nichtsdestotrotz wirkte ihre mollige Erscheinung äußerst reizvoll. Eine wunderschöne Frau war sie allemal.

Imhotep stockte als Meritaton ihn anblickte und lasziv lächelte. Die Überraschung, die Prinzessin in den Pool zu stoßen, war nun dahin. Die königliche Gemahlin hatte die Hände auf ihre wohlgeformten Hüften abgestützt und zwischen ihren geschminkten Augen war wieder diese Falte zu erkennen, welche ihr hübsches Gesicht bedrohlich erscheinen ließ, wie eine Gewitterwolke am strahlend blauen Himmel. Sie war offensichtlich missmutig gestimmt und Imhotep wusste, dies war der Augenblick defensiv und vor allem einfühlsam zu antworten, zumal er wiedermal auf ihren Blumenbeten rumgetrampelt hatte. Imhotep schluckte.

„Verzeihe mir, aber nach der langen Zeit in der Schreiberschule musste ich einfach meine Freunde wiedersehen. Seid mir deswegen bitte nicht böse, geliebte Schwester.“

Anchesenamun konnte es einfach nicht nachvollziehen, weshalb ihr Halbbruder sowie ihr Gemahl, der Pharao Tutanchamun, sich immer wieder unter das Volk mischte. Was hatte er bloß ständig bei seinen Untergebenen zu suchen, wo er doch im Königspalast alles auf einem goldenen Tablett serviert bekam? Der König von Ägypten schlüpfte seit seiner Kindheit regelmäßig in die Theaterrolle des Imhotep, in die eines gewöhnlichen Jungen, um seinem öden Alltag und seinen Sorgen zu entfliehen.

Tutanchamun lächelte verlegen, zog seinen schlichten Lendenschurz wieder an und umarmte die Königin. Sie aber reagierte wiedermal trotzig, erwiderte seine Zärtlichkeit nicht und behielt ihre Hände auf ihrer Hüfte gestützt. Anchesenamun hasste es, wenn ihr Gemahl sich mit seinen anderen Schwestern und Cousinen, vor allem mit ihrer gemeinsamen Schwester Meritaton vergnügte. Zwar hätte die Königin es nicht verhindern können, weil der Pharao tun und lassen konnte, wie es ihm beliebte, aber trotzdem versuchte sie hartnäckig, einen möglichen Beischlaf mit diesen Huren, wie sie ihre weibliche Verwandtschaft bezeichnete, zu unterbinden.

Anchesenamun lauerte gelegentlich in dunklen Ecken des Palastes, packte die ahnungslosen Damen am Schopfe, hielt ihnen einen Dolch an die Kehle und drohte, ihren Leoparden auf sie zu hetzen, falls sie es wagen würden, Tut zu verführen. Insbesondere drohte sie ihrer älteren Schwester Meritaton, weil es allgemein bekannt war, dass ihre Verführungskünste niemals zu unterschätzen waren und ihr die adeligen Höflinge und Prinzen aus anderen Ländern scharenweise nachstellten. Prinzessin Meritaton und die Königin waren zwar leibliche Schwestern, aber trotzdem bis aufs Blut verfeindet. Anchesenamun durchschaute ihre Machenschaften und war davon überzeugt, dass Meritaton nur das Ziel verfolgte, des Pharaos Sohn zu gebären, um die zweite königliche Gemahlin zu werden. Und allen Zofen drohte Anchesenamun, sie eigenhändig in die Krokodilsgrube zu stoßen, falls sie dem Wunsch des Pharaos nachgingen, die Nacht mit ihm zu verbringen. Aber Tutanchamun rührte bisher keine andere Frau an, obwohl er ihnen ständig begierig hinterher blickte und nur ein Fingerschnippen ausreichen würde, seinen Willen durchzusetzen. Er wusste aber, dass Anchesenamun dies niemals duldete und weil er sie aufrichtig liebte und sie äußerst schätzte, hatte er es bislang nicht gewagt, mit anderen Frauen auch nur einmal das Bett zu teilen, insbesondere nicht mit Meritaton. Schließlich war Anchesenamun seine Gemahlin und überdies seine große Halbschwester, die ihn seit seiner Geburt beschützte und nur ihr konnte er bedingungslos vertrauen. Nicht einmal den vorhandenen Harem akzeptierte die Königin, welchen sich ihr gemeinsamer Großvater einst zugelegt hatte und diesen stets, wie eine rare Kunstsammlung, mit neuen, hübschen jungen Frauen aus fernen Ländern erweitert hatte. Die Königin verbannte das Männerparadies kurzerhand ins Kellerverlies des Palastes, trotz alledem in angemessene Räumlichkeiten, und der Pharao Tutanchamun protestierte gegen ihren Beschluss nicht ein einziges Mal.

„Anches, ich halte stets meine Versprechen und werde mich rasch eilen. Ich erwünsche angemessen gekleidet zu werden und dass die Bildhauer augenblicklich in meinem Garten erscheinen.“

Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihre Lippen. Die Königin klatschte zweimal in ihre Hände. „Ihr habt es gehört, was der Große Pharao sagte. So soll es geschehen!“

Die Zofen verneigten sich tief, verließen rücklings die Terrasse und schnellten im Palast umher, um die Künstler herbeizuholen. Anchesenamun hob ihr Kinn und schaute erhaben auf die planschenden Frauen, die ihre Verwandtschaft waren und die ihr hasserfüllte Blicke entgegenwarfen und wortlos, ohne sich vor ihr zu verneigen, über die Terrasse huschten, um im Palast zu verschwinden. Meritaton blickte ihr besonders abweisend in die Augen, bevor auch sie grußlos an ihr vorbeiging und die Königin dabei um Haaresbreite anrempelte. „Schlampe!“, brüllte jemand mit verstellter Stimme, sodass die Königin nicht heraushören konnte, welches Luder sie soeben beleidigt hatte. Sogleich rannten die jungen Damen laut lachend davon und flitzten nackt durch die riesige Galerie. Meritaton aber schlenderte gemächlich durch die Korridore. Der Saum ihres weinroten Kleides schleifte wie ein kleiner Umhang auf dem Boden, während sie finster drein blickte.

Tutanchamun stülpte sich eine schwarze, geflochtene Perücke über und ließ sich von einer Dienerin die Augenlieder schminken. Anchesenamun dagegen verzichtete auf eine Perücke, denn sie legte sehr großen Wert darauf, ihre lange, schwarze Haarpracht zu präsentieren. Schließlich sollte dies das erste Porträt werden, auf dem man sie nicht mehr als Kind, sondern als eine junge Frau betrachten würde und das obendrein zusammen mit ihrem Gemahl, dem Pharao. Dieses Bild war ihr sehr wichtig, weshalb sie Tutanchamun auch darum gebeten hatte, dass sie diesmal bei der Gestaltung des Porträts mitentscheiden durfte. Tutanchamun hatte ihr schließlich gähnend diesen Gefallen gewährt.

Die Königin war sichtlich glücklich als die Zofe eine Kragenkette, bestückt mit Lapislazuli und weiteren Edelsteinen, um ihren Nacken knüpfte und eine weitere Hofdienerin eine Lotusblume in ihre Hände legte. Vier Bildhauer waren nun jeweils dabei, das Abbild des Königspaars auf den Deckel einer Holztruhe zu schnitzen, diese zu bemalen und mit kostbarem Elfenbein zu verzieren. Dies war für die Bildhauer zugleich ein Wettbewerb, denn nur das von dem Königspaar auserwählte Kunstwerk wurde beglaubigt, woraufhin der Künstler auf weitere Aufträge hoffen durfte. Die restlichen Holztruhen würden später auf dem Scheiterhaufen landen. Nur die begabtesten Künstler wurden auch bezahlt und hatten gar Aussichten, bei der Gestaltung der Pharaonengruft im Tal der Könige mitzuwirken. Ansonsten bliebe noch die Möglichkeit, sich bei der wohlhabenden Gesellschaft zu bewerben, um die Wandbemalung in deren Grabmälern zu gestalten. Das Handwerk und die Kunst waren vielversprechende Berufe im Ägyptischen Reich und wurden reichlich entlohnt.

Ehrfürchtig und mit mehrfachen Verbeugungen baten die Bildhauer um Erlaubnis, die Hochwohlgeborenen anfassen zu dürfen, um ihre Posen zu korrigieren. Tutanchamun hatte eine Idee und fragte die Experten, was sie davon halten würden, wenn er einen Spazierstock in seinen Händen hielt. Er meinte ein Spazierstock in seinen Händen würde ihm Weisheit verleihen und der Nachwelt vermitteln: Leute, schaut mich an, ich bin zwar der jüngste Pharao aller Zeiten, dennoch weiß ich mein Volk zu führen. Die Künstler waren sich sofort einig und pflichteten dem Pharao anstandslos bei. Sie lobpreisten seinen majestätischen Einfall, wogegen Anchesenamun ihre Augen verdrehte und insgeheim dachte, dass ihm dieser Unsinn nur eingefallen war, weil er sich ständig heimlich unter die Bevölkerung mogelte.

Wie versteinerte Statuen standen die Majestäten nun auf der Terrasse. Anchesenamun überreichte ihrem Gemahl eine Lotusblume und Tutanchamun posierte anmutig mit seinem Stock, um sie zu empfangen. Doch immer wieder musste die Königin ihren Gemahl ermahnen.

„Tut, du sollst dich doch nicht bewegen. Schau dich nur an, deine Perücke sitzt schon wieder schief!“

„Anches, ich bin hungrig“, entgegnete er ihr daraufhin gelangweilt. Kaum hatte Tutanchamun dies ausgesprochen, wurde er augenblicklich von einer Zofe mit Trauben gefüttert. Behutsam steckte die Dienerin nach und nach Trauben in seinen Mund, aber der Pharao kaute weder, noch schluckte er eine davon hinunter. Seine Backen wurden mit jeder gestopften Traube praller, wobei er seiner Gemahlin ernst in die Augen sah. Nach einer Weile wurde die Zofe nervös, denn sie wusste jetzt nicht mehr, was zu tun war und ob sie den Pharao weiterhin füttern oder es besser sein lassen sollte. Tutanchamun begann zudem Grimassen zu schneiden, rollte lustig mit seinen Augen und schielte abwechselnd. Als die Dienerin diesen Unfug bemerkte, verbeugte sie sich demütig und wagte es nicht, den König weiterhin anzublicken.

„Hör auf, Tut, hör auf der Stelle mit dem Unfug auf!“, forderte Anchesenamun, während sie verbissen ihre Lippen zusammenpresste und belustigt prustete. „Du wirst unser Bildnis mit deinem albernen Schabernack noch ruinieren.“

Eje, der Wesir von Ägypten, betrat plötzlich die Terrasse. Er deutete mit einem kurzen Nicken eine Verbeugung an.

„Verzeiht mein unangemeldetes Stören, mein Großer Pharao, aber ich erwünsche Eure Majestät umgehend im Audienzsaal. Die Angelegenheit betrifft die Blockade unserer Handelsroute. Die Verhandlungen sind leider gescheitert und nun droht möglicherweise ein Krieg.“

„Der Pharao hat im Moment keine Zeit. Dieser Belang muss bis morgen warten!“, antwortete die Königin forsch, woraufhin Eje sie wortlos mit erhobenem Kinn anstarrte.

Anchesenamun mochte diesen alten Eje nicht besonders, genau genommen fürchtete und hasste sie ihn. Sie war davon überzeugt, dass Eje nur eine freundliche Maske trug, aber sich in Wahrheit dahinter großes Verderben verbarg. Er war ihr unheimlich. Scheinbar wollten die Götter nicht, dass der Greis endlich starb, was sie sehr bedauerte. Irgendetwas Bedrohliches ging in ihm vor. Sie spürte es.

„Anches, das sind äußerst wichtige Angelegenheiten!“, zischte Tutanchamun.

„Ich erwarte Euch geschwind im Audienzsaal, mein Großer Pharao“, funkte Eje dazwischen, damit dem König bewusst wurde, dass ihn zahlreiche Abgeordnete des Landes bereits erwarteten. Ohne Königin Anchesenamun eines Blickes zu würdigen nickte Eje, bevor er den königlichen Garten wieder verließ.

Ejes Gesichtsausdruck blieb stets ernst. Sein faltiges, kantiges Gesicht verlieh ihm Weisheit und seine autoritäre Persönlichkeit empfand selbst der junge Pharao manches Mal als beängstigend. Der betagte Mann hatte immerhin schon 78 Opet-Feste überlebt, was zu jener Zeit äußerst selten war. Trotzdem war sein Verstand immer noch so scharfsinnig wie der eines listigen Steuereintreibers. Eje konnte sich das Recht herausnehmen, ein kurzes Nicken als eine Verneigung durchgehen zu lassen, denn als Wesir zählte er, neben dem Pharao und dem Hohepriester des Amun, zu den wichtigsten Personen des Reiches. Er war es insgeheim, der bislang das Land regiert und für einen Konjunkturaufschwung gesorgt hatte, indem er den Amun-Re-Kult wiederherstellen ließ. Als der Wesir im Palast verschwunden war, packte der Pharao Anchesenamun am Handgelenk und rüttelte sie empört.

„Anches, wie kannst du es nur wagen? Das ist ungeheuerlich. So kannst du mit Eje nicht umgehen! Er ist nicht irgendein dahergelaufener Abgeordneter, er ist der Wesir unseres Landes und diente bereits unserem Großvater, Amenophis III und unserem Vater Echnaton. Er tätigte schon die Regierungsgeschäfte, lange, bevor wir das Licht Atons erblickten. Amun lächelt, wenn er sein Wort erhebt!“

„Entsinne dich endlich, Tut. Du bist der Pharao, nicht er. Wenn Eje nach dir ruft, bist du allzu rasch an seiner Seite. Merkst du es nicht, wie er dich an seinen Fäden führt? Der Ursprung deines Handelns ist stets sein Wille gewesen und in letzter Zeit sprichst du zu oft seine Worte. Sehe dich vor, Eje benutzt dich für seine Macht. Einen Krieg zu führen ist momentan nicht notwendig. Unserem Volk ergeht es besser denn je, seitdem du Amun-Re wieder über unser Land herrschen lässt. Die Götter sind dir wohlgesinnt!“

Tutanchamun ließ sie los und breitete seine Arme aus.

„Aber liebste Anches. Eje haben wir es doch zu verdanken, dass unser wundervolles Land wieder aufgeblüht ist. Nicht mir. Ich war damals noch ein Kind und unfähig, Ägypten zu regieren. Gewiss benutzt er mich, doch aber nur für das Wohlergehen meines Landes. Geliebte Schwester, noch benötige ich seine Unterstützung, seinen Rat, solange, bis ich mir absolut sicher bin, allein entscheiden zu können.“ Tutanchamun seufzte und blickte beschämt zum Boden. „Wisse Schwester … Ich-ich fühle mich dieser Aufgabe noch nicht gewachsen.“

Warum nur hegte sie ständig Bedenken, obwohl sich der Wesir doch seitdem Tutanchamun ein Prinz war fürsorglich um ihn gekümmert hatte? Wann würde endlich Frieden zwischen seiner Gemahlin und Eje herrschen, fragte er sich.

„Falls es tatsächlich eines Tages Krieg geben wird, “ entgegnete sie ihm patzig, „wird der ehrenwerte Eje im Lande bleiben, um zu regieren, während du in die Schlacht ziehst und an der Front kämpfst. Du könntest dabei getötet werden und Kemet gar den Krieg verlieren. Was dann? Unsere Babys starben beide in meinem Leib. Wir brauchen einen Sohn, einen Nachkommen, damit unsere Dynastie erhalten bleibt. Tut, das ist unsere Pflicht!“

Anchesenamun wirkte viel reifer als ihr Gemahl und ihr anmutiges Wesen verkörperte mit ihrer jugendlichen Schönheit und Selbstsicherheit eine wahre Königin. Tutanchamun nahm seine Halbschwester in seinen Armen.

„Beruhige dich, geliebte Schwester. Während unser Vater sich nur um seine Selbstdarstellung gekümmert und seine Zeit ausschließlich dem Bau seiner angepriesenen Stadt Achetaton gewidmet hat, besessen von seinem Sonnengott Aton, hat mich Eje stets in seine Obhut genommen, wie ein wahrer Vater. Hier im Königshaus vertraue ich nur drei Menschen“, sagte er, schmatzte ihr flüchtig auf die Nase und schaute sie dabei mit einem treuen Blick an. „Das sind du und Eje und …“

„Papperlapapp“, erwiderte sie und befreite sich verärgert aus seiner Umarmung, wobei Tutanchamun rücklinks auf einen Schemel plumpste. Anchesenamun lief nachdenklich im Garten umher, pflückte eine Traube vom Strauch, die auf einem goldenen Tablett serviert lag, und knabberte daran. Plötzlich warf sie sich vor seine Füße.

„Was immer du befiehlst, ich werde zu dir halten und nur mir kannst du in der Tat trauen. So wahr wir Osiris und Isis Kinder sind!“

Anchesenamum vergrub ihr Gesicht in seinen Schoß und umklammerte seine Beine. Tutanchamun schluckte. Dies war für ihn etwas befremdlich, denn solch eine Ergebenheit war er von ihr nicht gewohnt. Seine dominante Schwester neigte gewöhnlich dazu, ihren Entschluss kompromisslos durchzusetzen und scheute auch manchmal nicht davor zurück, ihre Stimme gegen ihn zu erheben. Behutsam streichelte er ihr Haar. Anchesenamun ließ sich einen Augenblick lang vertrösten, doch dann fragte sie lieblich: „Und wem vertraust du noch?“

„Wie-wie meinst du das?“, stotterte Tutanchamun, weil ihm sogleich bewusst war, dass er sich offenbar verhaspelt hatte.

Anchesenamun hob ihren Kopf aus seinem Schoß und blickte zu ihm hinauf. „Du sagtest, du würdest nur drei Menschen vertrauen. Drei. Also sprich schon, wer ist die dritte Person?“

Tutanchamun atmete schwermütig auf. Dies sollte eigentlich ein Geheimnis bleiben, aber wie glaubwürdig würde er jetzt vor ihr erscheinen, wenn er ihr dies vorenthielte? Außerdem kannte er Anchesenamun zur Genüge. Sie würde niemals locker lassen, ihn tagelang geschickt in Diskussionen verwickeln und es letztendlich sowieso erfahren. Also konnte er ihr die Wahrheit auch jetzt sofort beichten.

„Satamun“, antwortete er zerknirscht.

„Satamun?“, entgegnete sie ihm stirnrunzelnd. „Aber das ist doch diese komische Priesterin.“

Anchesenamun erhob sich, streichelte seine Wange, küsste ihm auf die Stirn und lächelte. Satamun war weder eine mächtige Person noch eine ernstzunehmende Konkurrentin. Die Königin meinte, wie alle im Königspalast, dass die Amunpriesterin etwas eigen und merkwürdig war. Ihr dürfte man demnach keine Beachtung schenken.

Auf seinem Haupt lag die zylindrische, weiß-rote Doppelkrone (Pschent-Krone), welche die Vereinigung von Unter- und Oberägypten symbolisierte und in seinen Händen hielt er Geißel und Krummstab als er den Audienzsaal betrat. Tutanchamun überkreuzte die Arme auf seiner Brust, als er auf dem Horusthron Platz nahm. Mit einem regungslosen Gesichtsausdruck verfolgte der junge Pharao die Debatte über einen möglichen Krieg gegen einige Nachbarstaaten, weil die rechtmäßigen Tribute seit zwei vergangenen Vollmonden nicht geleistet worden waren. Außerdem blockierten Kriegsschiffe der Phönizier den Handelsweg nach Ägypten, was durchaus als eine Kriegserklärung zu interpretieren war. Einige Großen des Landes waren sich diesbezüglich jedenfalls einig. Die Staatsleute vermuteten, dass die verhassten Hethiter hinter alldem steckten und ein Komplott gegen Ägypten anstifteten. Nun kam es nur noch darauf an, den jungen Pharao für einen Gegenschlag zu überzeugen, damit der Handel mit allen fernen Ländern wieder gewährleistet war. Das Großkönigreich der Hethiter war schon seit Urzeiten der Feind des altägyptischen Reichs. Nur den Hethitern war es bislang gelungen, dem Pharaonenreich ernsthaft die Stirn zu bieten und insgeheim lauerte dieses Volk nur darauf, irgendeine Gelegenheit beim Schopfe zu packen, um ihren Erzfeind Kemet zu bezwingen. Ebenso wartete das Ägyptische Reich seit Jahrzehnten darauf, einen Vernichtungsschlag gegen die Hethiter vor den Nachbarstaaten zu rechtfertigen. Sollte Pharao Tutanchamun einer Kriegserklärung gegen Phönizien zustimmen, musste damit gerechnet werden, dass auch die Hethiter eingreifen. Und Tutanchamun müsste letztendlich die Verantwortung für sein Land tragen.

Tutanchamuns Gedanken schweiften ab und er wünschte sich augenblicklich, unten am Nil bei seinen Freunden zu sein. Immer wieder hatte er das Traumbild von der hübschen Nefertiri vor seinen Augen. Selbstverständlich liebte er seine Gemahlin, aber sie war seine Halbschwester, die er seit seiner Geburt kannte. Aber das Mädchen vom Nilufer bescherte ihm Glücksgefühle, wie er es zuvor noch nie erlebt hatte. Er konnte sich selbst nicht erklären, was mit ihm geschah. Er sehnte nach ihrer Berührung und nach ihren Worten, denen er zu gerne lauschen würde. Im Palast wimmelte es von atemberaubenden Schönheiten, exotischen Frauen, Töchtern von Königen aus fernen Ländern, wahren Prinzessinnen, die zwecks des Friedens an den Pharao verschenkt worden waren, dennoch vermochte keine dieser Damen sein Herz zu erobern. Auch seine eigene Halbschwester Prinzessin Meritaton nicht, von ihr träumte er nur heimlich in seinem Schlafgemach.

Im Audienzsaal waren zurzeit die wichtigsten Personen des Landes anwesend, die debattierten und dazu entschlossen waren, das Reich kompromisslos aufrecht zu erhalten. Und falls es unabdingbar war, würden ägyptische Streitkräfte mit stählerner Faust auf den Schwingen des Todes über die feindlichen Länder wüten. Aber in Tutanchamuns Gedanken erschien, wie eine Fata Morgana, lediglich das friedliche Angesicht von Nefertiri.

Tutanchamun

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