Читать книгу Tutanchamun - W. Francis Dille - Страница 12

Kapitel 9 – Die Vertraute der Königin

Оглавление

Bürsa war die älteste Zofe unter der Gefolgschaft des Herrscherpaares und hatte bereits zweiundsechzig Nilschwemmen erlebt, jedoch war sie keine gebürtige Ägypterin. Damals, als noch Amenophis III regierte und der Pharao seinen Schatzmeister sowie einen Soldatenzug wegen eines Handelsabkommen für eine regelmäßige Kupferlieferung nach Zypern entsandt hatte, trafen die Ägypter am Hafen allererst ausgehungerte Menschen an. Es waren abgemagerte Geschöpfe gewesen, die an ihren Schürzen gezerrt und nach einem Bissen Brot gefleht hatten. Aber die Ärmsten der Armen waren nichts wert. Man vertrieb sie einfach mit Schlägen, Tritten und Peitschenhieben und falls dabei jemand zu Tode geprügelt wurde, war das nicht nennenswert und wurde auch nicht strafrechtlich verfolgt.

Solch ein erbärmliches Szenario war in Kemet undenkbar. Die Seefahrer sowie die Pilger aus fernen Ländern erblickten bei der Ankunft in einer Hafenstadt zuerst die pompösen Tempelkomplexe und monumentalen Steinstatuen der Pharaonen, welche den Reichtum und die Macht des Landes repräsentierten. Nicht nur die Architektur des Ägyptischen Reichs war seinerzeit unübertroffen, überdies war Kemet die organisierteste Zivilisation in der Antike. Kein Großkönigtum vermochte sein Volk ähnlich diszipliniert zu regieren wie es die Pharaonen taten. Die regelmäßige Völkerzählung war im Ägyptischen Reich schon immer üblich gewesen, wobei selbst die Obdachlosen akribisch aufgelistet wurden und täglich aus den Tempelsilos ihre Rationen erhielten. Mindestens reichten die ausgeteilten Portionen soweit aus, dass niemand auf der Straße elendig verhungern musste. Dies regelte die Regierung aber keineswegs der Barmherzigkeit wegen, sondern nur damit das Ansehen des gelobten Ägypten unbescholten blieb.

Ein ägyptischer Hauptmann war es schließlich, der sich angesichts dieses leidvollen Anblicks erbarmte und befahl, all das harte und vertrocknete Brot, welches zusätzlich mit den wertvollen Geschenken für den König von Zypern verschifft wurde, an die hungernden Menschen zu verteilen.

„Aber Hauptmann, Herr. Das Brot ist für die Schweine des Königs von Zypern vorgesehen, doch nicht für diesen nutzlosen Abschaum. Ich protestiere, das ist nicht der Wille des Großen Pharao Amenophis!“, empörte sich ein Unteroffizier, packte den Griff seines Kurzschwertes und blickte ihn entrüstet an. Der Unteroffizier widersprach dem ranghöheren Hauptmann und machte gar den Anschein, sein Leben dafür einzusetzen, damit die Schweine des Zypernkönigs, wie Pharao es befohlen hatte, rechtmäßig ihr Futter bekamen. Im Gegensatz zum Offizier zog der Hauptmann entschlossen sein Kurzschwert und hielt die scharfe Bronzeklinge an seine Kehle.

„Du wagst es, dich meinem Befehl zu widersetzen, Soldat? Du wagst es, mir zu drohen? Du persönlich wirst dafür sorgen, dass die Alten den Kindern das Brot nicht wegnehmen oder ich schwöre bei Amun, dass lediglich dein Haupt das gelobte Kemet wiedersieht. Alles möge gerecht verteilt werden. Im Namen des Pharaos, so soll es geschehen!“, drohte er seinem Offizier und blickte dabei entschlossen in die Runde.

Jeder Soldat wusste, der Protest des Unteroffiziers war rechtens und dem Hauptmann drohte, falls der Soldat seinen Vorgesetzten beim Pharao anschwärzen würde, was er sicherlich beabsichtigte, eventuell eine gewaltige Strafe. Schließlich wurde Pharaos Befehl missachtet. Davon hing eigentlich nur ein einziger Faktor ab, welcher für den Hauptmann entweder strafmildernd oder doch seinen Tod bedeuten würde, gleich wenn es sich lediglich um Schweinefutter handelte: War der Pharao bei Laune oder hatte Majestät schon wieder Zahnschmerzen?

Als die ausgehungerte Meute im strömenden Regen sich auf das ausgeschüttete Sackgut stürzte, bemerkte der Hauptmann ein kleines Mädchen, das ihn mit ihren dunklen Augen nur anschaute anstatt, so wie es ihre Leidensgenossen taten, gierig ausgetrocknetes Brot einsammelte. Sie fiel plötzlich mit ihren Knien in den Matsch, umklammerte seine Beine und bedankte sich für seine Barmherzigkeit. Der Hauptmann aber wollte von seiner Gnade nichts hören. Insgeheim war ihm nämlich nicht wohl dabei, Pharaos Befehl missachtet zu haben und versuchte das Mädchen von seinen Beinen wegzuziehen.

„Geh Kind, bevor man dir nichts übrig lässt!“, sprach er barsch zu ihr. Zu seiner Verwunderung antwortete sie ihm in seiner Sprache: „Herr, bitte nehmt mich mit. Ich will in Ägypten aufwachsen. Meine Eltern sind beide tot und ich bin ganz alleine. Herr, habt Erbarmen mit mir und schickt mich nicht fort.“

Einen Augenblick verharrte der Hauptmann. Ihre kastanienfarbene Haut, die großen dunklen Augen und ihr pechschwarzes, langes Haar ließen sie beinahe wie ein ägyptisches Mädchen aussehen. Nachdem er sie augenscheinlich auf typische Krankheiten begutachtet und sie vor allem nach Läusen untersucht hatte, und er das Kind daraufhin für gesund einstufte, was unter den Armen ein äußerst seltenes Phänomen war, befahl der Hauptmann, das Waisenkind in seine Kabine bringen zu lassen.

In Theben, der damaligen Hauptstadt Ägyptens, und im Königspalast angekommen, nahm der Hauptmann das junge Mädchen an seine Hand und stellte sich hinter der aus dutzenden Menschen bestehenden Dienerschaft an, welche dem Pharao Amenophis III die Tribute aus Zypern übereichen wollten. Der Hauptmann schaute hinter seine Schulter und versuchte seine Nervosität vor dem verhasst blickenden Unteroffizier, den er vor seinem Soldatenzug öffentlich gedemütigt hatte, zu verbergen. Der fettleibige, kahlköpfige Pharao Amenophis III lümmelte mürrisch auf seinem Horusthron und wies all die Tribute mit einer verachtenden Handbewegung ab.

„Wegtreten … Nächstes Geschenk“, sprach er gelangweilt.

Der König von Ägypten wirkte wiedermal launisch. Sklaven fächerten ihm lauen Wind zu, während der junge, ehrgeizige erste Schreiber des Pharaos, Eje, mit einer Papyrusrolle dastand und die Tribute aus Zypern akribisch protokollierte.

In seiner Hand hielt Amenophis wie immer einen randvoll gefüllten Weinbecher aus purem Silber. Seine Leibärzte verordneten Hoheit einen reichlichen Weinkonsum, denn damit würde er seine Zahnschmerzen etwas lindern, meinten die Gelehrten. Die eigentlich sinnvollere Alternative, die kranken Backenzähne heraus zu meißeln, genauso wie er seine anderen verfaulten Zähne hatte einfach bei vollem Bewusstsein herausmeißeln lassen – lediglich ein gemixter Schlafmohntrunk, vermischt mit Heilkräutern diente als dürftige Betäubung –, lehnte er vorerst ab, weil so sehr schmerzte ihn der Backenzahn wiederum doch nicht. Um dieser Prozedur würdevoll entgegenzutreten, meinte Hoheit Amenophis einst – er sprach aus Erfahrung –, müsse man sich vorab reichlich Mut antrinken, denn das Gebrüll sei schlichtweg peinlich und eines Königs unwürdig.

Mit Edelsteinen wurde Amenophis überhäuft, zudem erhielt er wertvolle Statuen, unzählige Weinamphoren, Goldschmuck, Weihrauchharz und hübsche Sklavinnen aus dem privaten Haremssortiment des Zypernkönigs, wie ihm versichert wurde. All die kostbaren Tribute, nach denen ein machthungriger König lechzen würde, interessierten den Pharao nicht und landeten ungeachtet in seinen Schatzkammern oder in seinem bereits überfüllten Harem. Nur die Weinamphoren ließ der Pharao sogleich hinter seinem Horusthron verstauen.

Als der Hauptmann schließlich vor den Pharao trat, sich tief verneigte und ihm das kleine Mädchen vorstellte, lächelte der König plötzlich. Amenophis liebte Kinderherzen über alles, neigte seinen Kopf seitlich, grinste breit über das Gesicht und fragte mit der Stimme eines netten Großvaters: „Na meine Kleine, sprich. Wie ist denn dein hübscher Name?“

Als er zu seiner Verwunderung feststellte, dass die kleine Bürsa sogar die ägyptische Sprache fließend beherrschte, erfreute es ihn umso mehr, und so nahm er das Mädchen auf seinen Schoß und plauschte und schäkerte mit ihr herum. Die kleine Bürsa berührte sein Herz, weil sie so niedlich kicherte, wenn er seinen Finger auf ihre Nase stupste.

Schließlich war der Unteroffizier an der Reihe. Er legte sich flach zu Boden und gab seine Beschwerde über seinen Vorgesetzten kund. Der Hauptmann sei ungehorsam gewesen, behauptete der Soldat, und hätte nach seinem Leben getrachtet, nur weil er Pharaos Wille verteidigt hatte. Aber die Gräueltat, die der Hauptmann angestellt haben sollte, interessierte den König nicht und damit der am Boden liegende Offizier endlich seinen Mund hielt, warf ihm Pharao Amenophis einfach seinen randvollen Weinbecher – aus purem Silber gefertigt – wuchtig gegen seinen Hinterkopf, sodass er dem Offizier eine hässliche Platzwunde zufügte und dieser ohnmächtig liegen blieb.

„Dein Geschwätz beschert mir Zahnschmerzen … Soldat!“

Die kleine Bürsa jedoch entzückte Pharao Amenophis, woraufhin die Majestät Folgendes entschied: Weil das Mädchen noch viel zu jung für seinen Harem war, sollte Bürsa zu einer Zofe ausgebildet werden, damit sie zukünftig seinen eigenen Kindern und Kindeskindern dienen sollte.

„So soll es geschehen. Und nun hinfort mit euch allen!“

Seine Untergebenen verneigten sich und gingen rückwärts aus dem Thronsaal heraus, wobei der bewusstlose Offizier mitgeschliffen wurde und dieser eine unansehnliche Blutspur auf dem Granitboden hinterließ. Pharao Amenophis neigte wieder seinen Kopf seitlich und lächelte. Nur die kleine Bürsa sollte auf seinem Schoß hocken bleiben, weil sie so niedlich kicherte, wenn er ihren Bauch kitzelte.

Als Anchesenamun aus der Kabine geeilt war, weil sie mit ihren gleichaltrigen Zofen das Ablegen der Königsbarke mitverfolgen wollte, setzte sich Tutanchamun schmollend auf das Bett, zerrte sein Nemes-Kopftuch runter und feuerte es zu Boden. Er vernahm, dass Anchesenamun und ihre vertrauten Zofen miteinander lachten. Bürsa hob das königliche Kopftuch sogleich wieder auf, faltete es ordentlich und überreichte es dem König. Tutanchamun strich mit beiden Händen zerknirscht über seinen stoppeligen Kopf und fluchte.

„Ihr dürft nicht verzagen, mein Pharao. Die Königin meint es nur gut. Eines Tages werdet Ihr ein wahrer König sein und wissen, wie Ihr Euer Volk zu führen habt“, sprach sie mit ihrer knurrigen Stimme sanft auf ihn ein.

„Ich muss aber jetzt ein wahrer König sein. Jetzt, Bürsa, jetzt!“, schimpfte er zornig. „Und das wird erst dann geschehen, wenn die Königin meine Entscheidungen einfach stillschweigend hinnimmt, selbst wenn ich mich eines Tages dazu entschließen würde, eine Nebenfrau zu heiraten!“

Bürsa zog die Augenbrauen hoch und blickte den Pharao kurz nachdenklich an, bevor sie sich vor ihm verneigte und wortlos verschwand.

Unterdessen fieberte, einige Kais weiter entfernt, eine mit fünfhundert überaus motivierten Soldaten bewaffnete Kriegsflotte darauf, das Mittelmeer anzusteuern. Ihnen dürstete es nach Rache, weil die Phönizier sich unverschämt anmaßten, die Handelsroute mit ihren Kriegsschiffen nach Ägypten zu blockieren. „Krieg!“, riefen die Soldaten im Chor. „Im Namen des Pharaos, wir wollen Krieg!“

Pharao Tutanchamun erteilte jedoch einen unmissverständlichen Befehl. Die Feinde sollten lediglich eingeschüchtert werden, um einen kampflosen Sieg zu erringen. Nur falls eine kriegerische Handlung unausweichlich wäre, sollte ein Vernichtungsschlag erfolgen. General Haremhab unterzeichnete griesgrämig die Schriftrolle des Einsatzbefehls, packte seinem untergebenen Oberst an die Schulter seines ledernen Brustschildes und blickte ihm unheilvoll in die Augen.

„Ramses, zermalmt die Blockade, fegt wie Seths Wüstenatem über sie hinweg. Lasst niemanden entkommen. Vernichtet sie … Jeden Einzelnen, selbst wenn sie sich ergeben. Möge Phönizien ihre entsandten Söhne niemals mehr wiedersehen. Bereuen sollen sie, zutiefst bereuen. Macht Euch euertwegen keine Sorgen, mein treu ergebener Freund. Hierfür übernehme ich alleinig die Verantwortung, falls Pharao von unserer Kriegslist erfährt.“

General Haremhab lächelte und nickte dabei stetig. Oberst Ramses kniete vor ihm nieder, senkte sein Haupt und streckte ihm die flache Hand entgegen.

„Wie du befiehlst, hoher Herr, so soll es geschehen. Wir werden dir bis auf die Messerschneide folgen. Die Götter sind auf deiner Seite!“

Drei Mal ertönte die Fanfare. Langsam driftete die königliche Barke davon und drehte sich gen Süden. Insgesamt zehn militärische Einmaster eskortierten die Königsbarke sowie die Transportschiffe. Zugleich rauschten die Ruder ins Flussbett und trieben die Schiffe gleichmäßig voran. In diesen Moment wurden hunderte Boten entsandt, die bis hin zu den abgelegenen Siedlungen eilen und die frohe Botschaft verkünden sollten, dass der Pharao kommt und die Tempelsilos mit Getreide gefüllt werden. Somit würde die Bevölkerung vorerst von einer Hungersnot verschont bleiben, selbst wenn die alljährliche Nilschwemme diesmal ausbliebe. Die Menschen im Land jubelten und riefen: „Hurra, lang lebe der König von Ägypten! Hurra, ewig lebe Pharao Tutanchamun!“

Tutanchamun

Подняться наверх