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Kapitel 9

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Mittwoch, 16.Juli 1975

Sein erster Gedanke nach dem Aufwachen galt dem Behördenfreier, als Max sich stöhnend aus dem Bett bewegte und in die Küche schlurfte, um die Kaffeemaschine einzuschalten.

Wer konnte das sein? Und wer hatte von dem Tod der Prostituierten Vor- oder Nachteile zu erwarten? Fragen über Fragen. Vielleicht kommt die Antwort in der folgenden Nacht ja von allein, wenn wir die Razzia durchführen und die Zeugen zur Vernehmung ins Büro bringen, dachte Max. Er war nur froh, dass der Staatsanwalt mitspielte.

Erst einmal duschte er, um einen klaren Kopf zu bekommen. Nach einem Frühstück war ihm nicht zumute und so machte er sich auf den Weg zur Dienststelle, wo er gegen zwölf eintraf. Während des Aktenstudiums klingelte sein Telefon.

„Herbst, Kripo St. Pauli, guten Tag!“

„Hallo Max, äh…, Herr Herbst“, hörte Max, während die Person am anderen Ende der Leitung ein schwaches Hüsteln von sich gab.

„Hier ist Toni... Mir geht es nicht gut. Ich habe Fieber. Komm nicht aus dem Bett. Mein Kreislauf macht nicht mit. Setzen Sie mich bitte auf krank. Ich melde mich, wenn es mir besser geht.“

„Okay, Toni, soll ich einen Arzt schicken?“

„Nee, nicht nötig, meine Freundin versorgt mich“, krächzte Anton Meyer.

„Dann gute Besserung und tschüs!“, Max legte auf. Das ist ja blöd, dachte Max. Nun musste er für die kommende Nacht auch noch umdisponieren.

Herbst telefonierte mit der Fahrbereitschaft im Polizeipräsidium und bestellte einen Pkw mit Fahrer, der ihn um 22:20 Uhr an der Dienststelle abholen sollte. Nach dem Telefonat sprach er mit dem Dienststellenleiter.

„Dieter, der Praktikant hat sich eben krank gemeldet. Jetzt fehlt mir natürlich für heute Nacht ein Mann. Bestimme bitte jemanden!“

„Ja… dann nimm Oberkommissar Ahlers, der hat eh Bereitschaftsdienst heute.“

„Gut, informiere ihn bitte. Teil ihm aber mit, dass er seinen Dienstgrad nicht ausspielen soll. Die Ermittlungen führe ich und somit leite ich auch den Einsatz!“, erwiderte Herbst bestimmt.

„Ja, ja, werde ich ihm sagen. Wird wohl eh froh sein, wenn du das Ganze machst und sich nicht darum reißen.“

Während Max Herbst sich seinen zweiunddreißig anderen Akten widmete, klingelte sein Telefon erneut; er riss den Hörer mit einem Ruck an sich.

„Hier Wachraum, Bröse“, sagt der Erste Wachhabende der Nachtschicht.

„Max, ein Fahrer der Fahrbereitschaft ist hier und will dich abholen.“

„Okay, danke Alfred, wir kommen!“ Schon so spät? Hab ich gar nicht bemerkt. Tatsächlich, auf den Punkt 22:20 Uhr, dachte Max, während er in das Büro von Oberkommissar Fiete Ahlers ging.

„So, Fiete, es geht los“, sagt er zu seinem Kollegen, der sein Kreuzworträtsel beiseitelegte, sein Sakko anzog und Max mit saurem Gesicht nach unten in den Wachraum folgte, wo sie den Fahrer begrüßten.

Die drei Personen fuhren unverzüglich zum Busbahnhof nach Hamburg-Blankenese. Punkt dreiundzwanzig Uhr trafen sie am vereinbarten Treffpunkt ein.

Die drei grünen Hanomag- Mannschaftswagen mit Plane und Spiegel und dem Blaulicht auf der Fahrerkabine warteten bereits. Die LKW waren in Reihe hintereinander geparkt, davor ein Jeep der Bereitschaftspolizei mit einer grünen Fahne rechtsseitig am Stander. Es war das Zugführer-Fahrzeug.

Max Herbst stieg aus und ging zu dem Zugführer, während der Fahrer des Kripo- Pkws und Oberkommissar Ahlers im Fahrzeug verblieben.

„Hallo Kollege Schmitz, da sind wir“, begrüßte Herbst den Zugführer. Es war Polizeikommissar Wieland Schmitz. „Passt gut, dass Sie heute Abend Dienst schieben. Wir haben ja schon einige Aktionen gemeinsam bewältigt.“

„Moin, Herr Herbst, das ist wohl wahr.“

„Also, wir fahren jetzt unverzüglich ohne Blaulicht und Martinshorn in die nahe gelegene Bernsteinstraße 14, um in dem dortigen Bordell Club Marita eine Razzia durchzuführen. Ihre Leute sollen die äußere Hausabsperrung der Immobilie vornehmen. Wie viel Leute sind sie?“

„Mit meinem Fahrer und mir sind wir dreißig Mann in Uniform.“

„Gut, zehn Mann möchte ich drinnen im Objekt haben und den Rest verteilen Sie bitte draußen um das Bordell. Hier ist eine Katasteramtsblattkarte der Immobilie für Sie. Teilen Sie bitte Ihre Leute ein, in fünf Minuten starten wir. Könnte ein hartes Stück Arbeit werden. Heute ist Mittwoch. Das ist immer eine der umsatzträchtigsten Nächte in Rotlichtetablissements“, informierte Max Herbst den Zugführer Schmitz.

„Sollte draußen ein Türsteher zu sehen sein, so ist dieser sofort von dem Eingang wegzubringen, bevor er Gelegenheit hat, die außen versteckt angebrachte Warnklingel zu betätigen“, schob Herbst nach.

Kriminalkommissar Herbst setzte sich wieder auf den Beifahrersitz des zivilen Kripofahrzeuges und sah, wie Schmitz die Mannschaften antreten ließ und sie instruierte. Nach etwa fünf Minuten hob Zugführer Schmitz den rechten Arm und gab mit kreisenden Bewegungen des Handgelenks das Zeichen zur Abfahrt.

„Wir können!“, sagte Max Herbst zu seinem Fahrer.

Um 23:20 Uhr trafen sie am Objekt ein. Der Zugführer gab schnelle, zackige Befehle. Die ausgewählten Mannschaften sprangen von den Fahrzeugen und umstellten sofort den gesamten Gebäudekomplex.

„Mein Fahrer und die Fahrer der Mannschaftswagen bleiben zur Sicherung bei den Fahrzeugen, damit wir hier keine unangenehmen Überraschungen erleben“, befahl Zugführer Schmitz.

Leck-Hans war nicht auf seinem Posten. Max Herbst ging zielstrebig auf die Eingangstür des Bordells zu. Kriminaloberkommissar Ahlers und zehn Kollegen der Schutzpolizei folgten.

„Kommt rein, die Tür ist nur angelehnt“, röhrte eine männliche Stimme aus dem Inneren der Immobilie.

Irritiert öffnete Max Herbst die Tür. Mitten im Flur thronte der Bordellbesitzer Karl-Heinz Bis auf einem mächtigen Lehnstuhl.

„Na, so was. Was machen Sie denn hier?“, platzte es mit voller Freude aus Puff-Kalle heraus.

„Touchée Herr Kommissar Herbst. Heute ist Ruhetag angesagt!“, empfing ihn Puff-Kalle mit einem süffisanten Grinsen.

„Schauen Sie ruhig nach. Lassen Sie sich Zeit, ich habe genug davon. Sie sind wirklich das Überraschungsei der Woche, Herr Herbst“ , gluckste der Bordellbesitzer.

Karl-Heinz Bis machte einen selbstsicheren und überzeugenden Eindruck; er wirkte überlegen.

Verdammt, dachte Herbst, was ist hier los? Das darf doch wohl nicht wahr sein. Wir kommen hier mit einer Armada an und dann so was.

„Wo haben Sie denn Ihren Lehrling gelassen, Herr Kommissar, den mit der feuerroten Hose?“, fragte Puff-Kalle mit scheinbar erstaunter Miene.

Herbst ignorierte die provozierende Frage des Bordellbesitzers, stattdessen wies er die Schutzpolizisten an, die Räume zu durchsuchen.

Nachdem die allgemeine Heiterkeit bei Kalle Bis verebbt war, sagte Herbst: „Herr Bis, wir sind Ihretwegen hier. Sie werden uns begleiten! Sie haben eine Zeugenpflicht und mich mit Ihrer Aussage noch nicht befriedigen können.“

„Ja… macht mir nichts. Habt ihr Weizenbier im Haus?

Bitte mit Hefe, kein Kristallklar, von dem bekomme ich Sodbrennen, ha, ha“, war der provozierende Kommentar von Karl-Heinz Bis.

Nach etwa zehn Minuten war der letzte Bereitschaftspolizist zurück im Flur und meldete, dass keine Personen im Objekt angetroffen worden waren.

„Lassen Sie uns gehen, Herr Bis. Sie dürfen mit mir fahren!“

„Gerne doch, Herr Kriminaler“, gluckste Puff-Kalle und folgte den Einsatzkräften nach draußen.

Er zog die Eingangstür ins Schloss und setzte sich widerspruchslos zu Oberkommissar Fiete Ahlers auf den Rücksitz des Kripofahrzeuges.

Kalle Bis lächelte schief und setzte müde seine verspiegelte Sonnenbrille auf.

Ahlers sah auf seine Armbanduhr und war erfreut, dass der Einsatz so zügig beendet war und er endlich nach Hause fahren konnte.

„Tja, Herr Schmitz. Das war diesmal wohl nichts. Muss irgendwo ein Maulwurf stecken. Rücken Sie ab, der Einsatz hat sich für Sie erledigt. Ich melde mich morgen telefonisch bei Ihnen. Danke und gute Nacht.“

„Merkwürdig, gute Nacht, Kollege Herbst. Aufsitzen und Abmarsch!“, verabschiedete sich der Zugführer.

Einige der Schutzpolizisten schüttelten verständnislos den Kopf, während sie die Mannschaftwagen bestiegen.

Sie hatten nicht durchschaut, was vor sich ging, aber genügend Gesprächsstoff für die nächsten Tage und Wochen.

Bürde der Lust

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