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Kapitel 5

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Nachdem Max Herbst und Anton Meyer in ihrem Büro eingetroffen waren, stand Ines bereits erwartungsvoll auf der Matte.

„Max, der Sachverständige der KTU hat sich gemeldet.

Er hat die Fingerabdrücke der Leiche sofort als Eilsache gecheckt und einen Treffer gelandet.

Die Sabrina heißt Miranda Genc, ist zwanzig Jahre alt und wurde in Pristina im Kosovo geboren. Sie kam als Sechzehnjährige als unbegleiteter Flüchtling über die DDR nach Westdeutschland und wurde mit Fingerabdrücken in der Flüchtlingsunterkunft Zirndorf registriert. Die Prints wurden im Ausländer- Zentral- Register erfasst und an das BKA weitergeleitet, wo sie in dem automatischen Fingerabdruck- System gespeichert wurden. Es gibt keine Zweifel. Ansonsten ist sie noch nie kriminalpolizeilich aufgefallen. Aber, sie ist, beziehungsweise war, illegal. Es gab damals nur eine Duldung, die zweimal verlängert wurde und nach einem weiteren Jahr sollte sie zurückgeführt werden. Das war nicht möglich, weil sie untertauchte.

Der Bericht folgt“, ratterte Ines herunter.

„Ja, in der BRD gibt es für Illegale nur drei Möglichkeiten zu überleben. Erstens putzen, zweitens Puff und drittens einen deutschen Mann heiraten in der Hoffnung, dass er sie in kein Bordell steckt.

Danke für die Info, Ines“, sagte Herbst, während Ines bereits wieder auf dem Weg in das Geschäftszimmer war.

„So, Toni.

Sie fahren jetzt in das Polizeipräsidium am Berliner Tor zur Kriminalaktenhaltung und werden sich einmal die Kriminalakte von Kalle Bis ansehen.

Notieren Sie die Delikte, in die er involviert war mit den entsprechenden Daten und eventuellen Mittätern. Ich möchte einen präzisen kriminellen Lebenslauf dieses Mannes haben. Normalerweise rufe ich dort an und lasse mir die Akte telefonisch vorlesen. Aber für den Buchstaben B ist eine Angestellte verantwortlich, die ein unverständliches Deutsch spricht. Sie scheint aus dem Ostblock zu stammen. Es kam in letzter Zeit immer wieder zu Missverständnissen. Deshalb fahre ich ständig rüber, wenn ich Beschuldigte aus diesem Buchstabenbereich habe, auch wenn es zeitaufreibender ist.

Wenn der Auftrag erledigt ist, fahren Sie noch einmal zum Klinkenputzen in Tatortnähe. Stellen Sie sich an den Fundort des Opfers und prüfen Sie die umliegenden Hausfassaden. Wer könnte etwas gesehen haben? Dann klingeln Sie bei den Personen, die als mögliche Zeugen in Betracht kommen könnten und vernehmen diese gegebenenfalls.“

„Gut, Max, äh…, ich meine, Herr Herbst.“

„Na, dann gehen Sie schon!“

„Behörde, Behörde“, überlegte Max Herbst. Ein Stammfreier von einer Behörde. Wer sollte das sein? Kommt meistens mittwochs in der Nacht. Wer war dieser Mann von der Behörde. Wer zum Teufel war er eigentlich. Wie hing er in der Sache drin? Könnte noch interessant werden. Hoffentlich keine hochgestellte Persönlichkeit oder war das nur eine Trugspur aus dem Rotlichtmilieu?

Max fragte sich, ob er tatsächlich auf der richtigen Spur war oder wollten die Luden ihn lediglich auf eine falsche Fährte locken, einfach von sich ablenken. Gab es einen Haken bei der Geschichte?

Er schweifte in Gedanken ab zu seinem neuen Praktikanten, den er wohl erst noch zurecht stutzen musste:

Diese rote Hose! Einfach ein absolutes No-Go. Wenn der morgen wieder so kommt, dann raste ich aus. Übermorgen kommt er womöglich in kurzer Hose und Badelatschen zum Dienst, wenn die Temperaturen weiter steigen. Aber nicht mit mir.

Kriminalkommissar Max Herbst versuchte, seinen Ärger herunter zu schlucken und seine Gedanken auf das Wesentliche zu konzentrieren:

Wir könnten zur Beweissicherung bei dem Bordell in Blankenese eine stationäre Observationsstelle einrichten lassen. Nur für etwa zwei Wochen. Vielleicht tut sich ja etwas. Gästemäßig beispielsweise. Vielleicht landen wir so einen Volltreffer. Hoffentlich hat das LKA Kapazitäten für so was frei. Na, nochmal bis morgen warten.

Und schon wieder war Herbst mit den Gedanken woanders.

Ihm fiel ein, dass er sich bei seiner Freundin Billy Berger noch melden musste und griff zum Hörer. Nach dem dritten Freizeichen hörte er:

„Hier Berger.“

„Hallo Billy-Maus, hier Max. Ich habe heute einen dicken Fall bekommen und muss den erst einmal auf die Reihe kriegen. Deshalb komme ich heute Abend nicht zu dir, tut mir leid. Melde mich morgen, wenn du zu Hause bist.“

„Ich liebe dich, Max“, hörte er die enttäuschte Stimme von Billy Berger.

„Ja, ich dich auch Billy, Ciao!“

Max fühlte sich unbehaglich.

Liebe, Liebe... Die Liebe ist ein ständiges Fragen und eine ansteckende Krankheit. Die Bedingung war doch, dass sich bekanntlich zwei Menschen in dasselbe Bett legen müssen. Und was daraus wird, weiß man nie.

Max Herbst hatte die 30jährige Billy vor etwa einem Jahr beim Joggen um die Außenalster kennengelernt.

Seine große Liebe, seine Ina, mit der er vier Jahre verheiratet war, kam vor zwei Jahren im hochschwangeren Zustand bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der ungeborene Sohn Jonas wurde ebenfalls bei dem Supergau getötet.

Der Verkehrsrowdy, ohne Fahrerlaubnis, war zugekifft bei Rotlicht mit einem gestohlenen Porsche mit 150 km/h auf der Kennedy-Brücke über die Kreuzung gebrettert und hatte Inas Citroen 2 CV so heftig erwischt, dass ihre Ente in der Außenalster landete und Ina ertrank.

Immer wieder hatte Herbst sie zuvor gebeten, sich ein anderes Auto zuzulegen, aber sie hing an der alten Kiste.

Seit diesem Vorfall mochte Max Herbst nicht mehr am Steuer sitzen. Wann immer es möglich war, setzte er sich auf den Beifahrersitz und benutzte ein Taxi oder öffentliche Verkehrsmittel. Ein paar Minuten lang konnte er dieses grausige Inferno vergessen; doch dann kam der Kummer immer und immer wieder zum Vorschein und der Schmerz machte ihn ganz wirr. Und noch etwas anderes bedrängte ihn. Es war einfach die verzweifelte Sehnsucht nach Ina.

Wenn Ina früher zum Seminar gereist und manchmal eine Woche lang abwesend war, so vermisste er sie zwar eine Zeitlang, doch es war immer der tröstliche Gedanke vorhanden, dass sie bald wieder in seinen Armen liegen würde.

Aber dieses Mal war es anderes. Es war endgültig und er konnte das Rad nicht mehr zurück drehen, so sehr er sich auch das Hirn zermarterte. Wo Gott ist, ist auch der Teufel zu finden. Das schien die harte Realität des Lebens zu sein. Und das Leben ging weiter…

Billy war eine äußerst aparte und liebe Person.

Er mochte sie, vor allem ihre hennaroten Haare, die sie meist zu einem Zopf gebunden hatte. Ebenfalls liebte er ihre dunkelbraunen Augen, die ihm so tief wie der Marianengraben vorkamen.

Sie war schlank und hoch gewachsen und darüber hinaus mit allen Attributen versehen, auf die Max stand.

Manchmal war Max eifersüchtig, wenn die Kerle auf ihre großen Brüste starrten. Billy war geschieden. Ihre neunjährige Tochter lebte bei ihrem Erzeuger. Billy-Maus war als Dolmetscherin im Amerikanischen Generalkonsulat tätig. Sie wohnte in einer Single-Wohnung im Univiertel, Max ganz in der Nähe am Klosterstern, neben der U-Bahnstation. Aber Billy war eben doch nicht Ina.

Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte Herbst, dass es bereits 17:00 Uhr war. Die Büros leerten sich, die Kollegen gingen in den Feierabend. Nur Siggi Christens war noch anwesend, er hatte Bereitschaftsdienst.

„Hallo, da bin ich wieder!“, platzte Toni zurück ins Büro.

„Ja, ist ja nett“, brummelte Max Herbst, „berichten Sie!“

„Wie wir wissen, war Puff-Kalle bis vor zwei Jahren noch als Wirtschafter im Eros-Center, Haus D, Salon „Rote Katze“, tätig.

Dort ackerte bis vor drei Jahren seine damalige Partie Elfi Krause. Sie hatten eine gemeinsame Wohnung in Altona, wo Elfi dann plötzlich an einem Abend vom Balkon stürzte. Leider war der Balkon in der achten Etage und Elfi berührte mit dem Kopf zuerst die Gehwegplatten. Genickbruch und ex.

Kalle hatte ein Strafverfahren am Hals, weil die Hamburgische-Allgemeine- Lebensversicherung ihn anzeigte.

Elfi hatte eine Lebensversicherung in Höhe von 300.000 Mark abgeschlossen. Begünstigter war Puff-Kalle. Zwei Tage nach der Karenzzeit geschah der sogenannte Unglücksfall, bei dem Elfi verstarb. Die Versicherung vermutete Betrug. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein, weil kein dringender Tatverdacht vorlag. Der einzige Zeuge des Vorfalles war Kalle Bis, dem jedoch kein Fremdverschulden nachgewiesen werden konnte.

Fazit, die Versicherung musste löhnen und Kalle scheint sich von dem Geld die Immobilie in Blankenese geleistet zu haben.“

„Ja, mir ist bekannt, dass einige Luden auf diese Art ihre Portokasse füllen“, sagte Max Herbst. „War das alles, Toni?“

„Nein, dann hat er mal zwei Jahre ohne Bewährung eingefangen, weil er eine Minderjährige auf den Strich schickte.“

„Hm, ja, der Strolch scheint wohl eine Vorliebe für junge Mädchen zu haben; und sonst noch was, Toni?“

„Eigentlich unbedeutend, schon zu lange her.

Er hat 1958 im jugendlichen Alter von achtzehn Jahren in Kiel einen Geldtransporter überfallen und dabei wurde der Beifahrer querschnittsgelähmt geschossen. Die Beute war 250.000 Mark. Acht Jahre Knast gab es dafür. Er hat alles abgesessen und wurde 1966 entlassen. Mehr ist nicht.“

Anton Meyer spürte Max Herbst vorwurfsvollen Blick, noch bevor dieser geantwortet hatte.

„Toni, die Beurteilung, ob etwas unbedeutend ist oder nicht, überlassen Sie doch bitte mir! Dazu sind Sie noch zu unerfahren. Wer waren die Mittäter?“

„So wie ich gelesen habe, gab es keine.“

Das war äußerst seltsam. Solch eine brutale Tat mit diesem Modus Operandi und dann als Einzeltäter? Man lernte doch immer wieder dazu, wunderte sich Max.

„Toni, wir machen jetzt Feierabend. Morgen haben wir diverse Zeugenvernehmungen in der Mordsache vorzunehmen. Deshalb ist Dienstbeginn erst um zwölf Uhr. Seien Sie pünktlich und denken Sie an ein anderes Outfit.“ „Hm, ja, tschüss Max…, äh Herr Herbst.“

Bürde der Lust

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