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Kapitel 4

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Es war der Vormittag eines warmen, sonnigen Tages, als Toni um 13:00 Uhr den zivilen Dienst-Pkw, einen Ford Granada in braun mit schwarzem Vinyldach, direkt vor dem Bordell in der Bernsteinstraße 14 in Hamburg- Blankenese parkte.

Die in diesem Stadtteil befindliche Immobilie lag in einer Durchgangsstraße im Villenviertel Blankenese` s, wo ausschließlich die vermögenden und reichen Bürger der Hansestadt eines ihrer Domizile hatten.

Trotz diverser Bürgerinitiativen war es den Bewohnern des Stadtteils bislang nicht gelungen, die Behörden von der Schließung des Bordells zu überzeugen.

Das Bordell sah ansprechend und prachtvoll aus. Von außen zeugte nichts darauf hin, dass dort der Lust gefrönt wurde. Der vermögende Bauherr hatte es Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Chalet in Deutschland gebaut, wo er sich gelegentlich aufgehalten hatte und Geschäftsfreunde empfing, obwohl er hauptsächlich in Übersee wohnte, bevor er starb.

Über Beziehungen war es Karl-Heinz Bis gelungen, die Immobilie von den Erben zu erwerben. Bis hatte 30 Prozent des Kaufpreises in bar gezahlt, die restliche Summe war die Hypothek, die er bei seiner Hausbank finanzierte. Den Barbetrag konnte Kalle Bis locker aus dem Ärmel schütteln, nachdem er zum Zeitpunkt des Erwerbs zwei hohe Versicherungssummen ausgezahlt bekam. Es waren die Gelder von zwei Lebensversicherungsgesellschaften, die zu seinen Gunsten von zwei seiner damaligen Dirnen abgeschlossen worden waren.

Die Frontdiseusen waren bei einem Verkehrsunfall und einem Fenstersturz aus der achten Etage eines Wohnhauses ums Leben gekommen. Trotz akribischer, kriminalpolizeilicher Ermittlungen gelang es nicht, Fremdverschulden bezüglich der Todesfälle nachzuweisen. Die Versicherungen hatten zu zahlen.

Die Außenmauern der Immobilie waren aufwändig im Fachwerkstil der damaligen Zeit mit hundertjährigen Eichenbalken und hart gebrannten Rotklinkerziegeln gebaut worden. Die zur Front gerichteten Fenster waren eher klein. Zwischenzeitlich hatte man die dünnen Glasscheiben durch Butzenscheiben ersetzt. Die grünen Fensterläden aus Eichenholz mit deutlicher Patina-Anhaftung versehen, wurden jeweils bei beginnender Dämmerung geschlossen.

Innen hatte Karl-Heinz Bis zusätzlich schwere, rote Samtvorhänge anbringen lassen, die stets zugezogen waren, sodass man nicht ins Innere des Gebäudes sehen konnte.

Das Dach war reetgedeckt und passte zum Stil der umliegenden Immobilien. Es machte jedoch einen ungepflegten Eindruck. Seit Jahren hatte man versäumt, es zu kämmen. Durch ständigen Schatten der nahestehenden Kastanienbäume und Regenschlag hatte sich ein starker Moosbefall gebildet, der die Feuchtigkeit im Ried hielt, das dadurch verrottete.

Dieses Etablissement hatte Priorität eins in der honorigen, hanseatischen Männerwelt.

Sie alle liebten die Abgeschiedenheit von dem Rotlichtmilieu, die gewisse Anonymität, die für sie entscheidend war.

Dort konnten die Hanseaten nach einem harten Arbeitsalltag oder Familienstress ihren Gelüsten freien Lauf lassen, ihre phantasievollen Vorlieben ausleben und für Stunden ein anderer Mensch sein.

Die Damen des Hauses waren ausnahmslos aparte, gepflegte hübsche Geschöpfe mit ausgezeichneten Manieren. Es gab unter ihnen welche, mit denen eine anspruchsvolle Konversation durchaus möglich war.

Je nach Mentalität trieben die Freier Sado-Maso-Spiele oder vergnügten sich mit griechischen, französischen, englischen, russischen, Natursekt- oder weiteren Sexpraktiken bei den Dirnen, die sie für Stunden mieteten.

Einige wenige unter ihnen standen auf blutjunge Prostituierte, andere wiederum suchten nur das Gespräch. Es waren dann hauptsächlich Männer, deren Testosteron Spiegel bereits an dem unteren Level angelangt war. Das Milieu nannte sie deshalb Seibelfreier.

Materielle Dinge spielten bei all diesen Freiern wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Sie alle wollten den ultimativen Kick, um damit ihre Batterien aufladen zu können, damit die täglichen Pflichten sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause in einem erträglichen Maß ausgehalten werden konnten. Sie waren nun einmal gestresste Manager mit hoher Verantwortung, die es zu kanalisieren galt…

„So, Toni, nun kommen Sie. Mal sehen, was der Lude Bis uns zu sagen hat“, forderte Herbst seinen Praktikanten auf.

Als Antwort kratzte sich Toni plötzlich ausgiebig am Kinn und rieb sich den Hinterkopf.

Irgendwie ungewöhnlich, was für ein komischer Vogel, dachte Max Herbst, dem das seltsame Verhalten nicht entgangen war.

In der mächtigen Eingangstür aus Eichenholz befand sich auf Augenhöhe eine kleine Klappe, die zur Gesichtskontrolle der Gäste diente, wenn es dem Türsteher draußen zu kalt wurde. Neben der Tür entdeckte Herbst eine auffällige Türklingel.

Der Bereich war durch eine mannshohe Rotbuchenhecke verdeckt. Unterhalb der Klingel war ein weiterer, winziger Klingelknopf zu sehen, der kaum wahrnehmbar war. Es handelte sich um eine Art Alarmknopf für den Türsteher, wenn er vor unliebsamen Gästen warnen wollte.

Vor Betreten des Bordells war Max aufgefallen, dass Toni nun auch noch ein nervöses Zucken im Gesicht bekam. Max konnte keine Erklärung dafür finden, aber es machte ihn trotzdem stutzig. Konnte das etwa die Aufregung sein, das erste Mal in ein Bordell zu gehen, auch wenn gar kein Betrieb herrschte?

Max Herbst klingelte dreimal, während Toni hinter ihm stand. Nach einer Weile hörten sie schlurfende Schritte und plötzlich öffnete sich die Türklappe. Herbst sah in das Gesicht eines müden Mannes, der mürrisch fragte:

„Was wollt ihr? Mit wem habe ich die Ehre, mit wem kann ich rechnen?“

Max schnappte nach Luft. Diese Fratze hatte auch noch die Frechheit, ihm ins Gesicht zu lügen. Dieser Schleimer. Habe die Ehre… was sollte das? Diese blödsinnige Floskel. Am liebsten hätte er diesem Luden eins auf die Zwölf gegeben.

Oberflächlich betrachtet hatte Karl-Heinz Bis, genannt Puff-Kalle, eine fast blütenreine Weste. Allerdings war er ein skrupelloser Typ, der über Leichen ging. Man sagte, dass man sich ihm nicht widersetzen sollte.

Wollte er einen Puff, so sollte man ihm besser gleich den Schlüssel geben. Das war zwar nicht verboten, aber wenn man tiefer sinnierte, konnte man durchaus zu dem Ergebnis kommen: einmal ein Lump, immer ein Lump. Ist halt so.

Mit äußerster Beherrschung und einem verbindlichem Lächeln erwiderte Max: „Herbst, Kripo St. Pauli, das ist mein Kollege Meyer. Sind Sie Karl-Heinz Bis?“

„Ja…, kommt rein!“, sagte Kalle mit einladender Handbewegung, während er sich über die feuchte Oberlippe wischte. Dazu hatte er untypisch ein zerknülltes Stofftaschentuch benutzt, das er anschließend sofort wieder in der Hosentasche verschwinden ließ.

„Nehmt Platz, ihr hättet ruhig etwas später kommen können, bin noch hundemüde. Lasst euch durch die Putzfrau nicht stören“, brummelte Kalle, während Max dessen vom Schlafmangel blutunterlaufenen Augen auffielen.

„Danke, Herr Bis. Ein Tötungsdelikt duldet keinen Aufschub, sollten Sie schon wissen. Was starren Sie meinen Kollegen so an, hat er sich verwandelt? Oder ist es seine Hose?“, fragte Herbst.

„Nee, nee, ist nichts, ich dachte nur…Darf ich euch etwas anbieten.

Wollt ihr was trinken? Eine Cola mit Schuss oder so?“, fragte Puff- Kalle.

Toni nickte eifrig und sagte laut und vernehmlich; „Gerne, hätte nichts dagegen einzuwenden.“

„Nein, danke, Herr Bis, wir sind im Dienst!“, fuhr Max Herbst mit strengem Blick zu Toni dazwischen, dessen Kinn herab sackte. „Bieten Sie uns zur Abwechslung vielleicht einmal die Wahrheit an, Kalle!

Herr Bis. Sie haben dieses Bordell jetzt seit etwa zwei Jahren, waren ja vorher im Eros- Center im Haus Pardon als Wirtschafter tätig.

Bereits nach einem Jahr Bordellbetrieb haben Sie sich eine Lampe eingefangen, weil Sie hier eine Neunzehnjährige ackern ließen...“

Kalle zuckte mit den Schultern und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Darüber ist noch gar nicht gerichtlich entschieden“, war die scheinbare Empörung des Bordellbesitzers, während er sich vor Max aufbaute wie ein Gockel.

„ Heute kann ich euch mehrere Achtzehnjährige vorführen, die ihre Dienste anbieten.

Ich bin erfreut, dass der Gesetzgeber seit erstem Januar das Volljährigkeitsalter von einundzwanzig auf achtzehn runter gesetzt hat.

Und dann soll ich dafür bestraft werden, weil ich letztes Jahr hier eine Neunzehnjährige ackern ließ? Das ist doch einfach lächerlich… die ganze Sache wird wohl eingestellt. Und wir haben jetzt endlich mehr Material zur Verfügung, ha, ha.“

„Reden wir doch über die Nacht, als Sabrina getötet wurde.

Sagen Sie, wie würden Sie Ihr Verhältnis zu dem Opfer beschreiben?“, war die erste Frage von Herbst, den das schmierige Grinsen des Bordellbesitzers störte.

„Tja, was soll ich sagen? Sie hat eben halt hier gearbeitet und gewohnt. War ein nettes Mädchen, eben unser Glamourgirl. Ich hatte nie Probleme mit ihr, niemals.“

„Gut, Herr Bis, lassen wir das mal. Gab es hier Ärger im Haus. Was spricht man so in Ihren Kreisen?“

„Nichts, kein Ärger oder sonstige Probleme. Alles im grünen Bereich“, erwiderte Kalle, wobei er sich bemühte, eine überzeugende Miene aufzusetzen.

„Wer hat Sabrina umgebracht?“

„Weiß ich doch nicht… Wenn es einer von uns war, hätte ich doch nicht die Schmiere gerufen. Dann hätten wir sie einfach auf andere Art entsorgt. Ist doch logisch, oder? Im Übrigen, ist Ihr Job, das rauszufinden.“

Kalle` s Blick wirkte gespannt und von wachsendem Zorn erfüllt.

„Wie sind denn Sabrinas tatsächliche Personalien?“, fragte Herbst, während Toni mit gleichgültigem Gesicht den Dialog zwischen Bis und Herbst verfolgte.

„Weiß ich nicht… Sie ackert seit erstem Januar hier. War mein bestes Pferd im Stall.

Sie kam aus einem Club am Berliner Tor. Sie durfte dort zwar nicht arbeiten, weil sie noch keine einundzwanzig war, aber es war nie Schmiere zur Kontrolle da, fiel also nicht weiter auf“, brummelte Kalle Bis, während er lautstark gähnte.

Er tastete nach einer Zigarette, nahm sie und zündete sie an. Das Dupont-Feuerzeug machte ein lautes kratzendes Geräusch. In dem Augenblick klingelte das Telefon. Kalle hob den Hörer ab und lauschte ein paar Sekunden, sagte dann:

„Hallo…, ja, ja, ich melde mich später“, bevor er das Gespräch beendete.

„Wo wohnte Sabrina?“, führte Max die Unterredung fort.

„Hab ich doch schon gesagt, nur hier im Haus, hatte oben ein Zimmer für sich“, raunzte Kalle ihn an.

„Wer war letzte Nacht an Personal und Gästen hier anwesend?“, fragte Herbst.

„Es muss doch keiner wissen, wer mit wem oder so! Diskretion ist angesagt…ist ja auch das Motto des Hauses, Herr Kommissar“, erwiderte Kalle Bis mit schwerem Atem.

Max hatte den Eindruck, dass Kalle` s larmoyantes Gerede einfach nur gekünstelt und theatralisch von ihm in Szene gesetzt wurde.

„Herr Bis. Wir sind nicht von der Konzessionsbehörde, aber auch nicht blöd, wie Sie vermuten. Also, klare Kante, sonst…!“

„Was sonst?“, war der lachende, flapsige Kommentar von Kalle, dessen Lachen übermütig klang und Max Mühe hatte, ihn zu verstehen.

Max änderte seinen Tonfall und versuchte es mit Strenge:

„Beleidigen Sie nicht meinen Scharfsinn, Karl-Heinz Bis. Wenn Sie nicht kooperieren, werden Sie mich dafür verantwortlich machen können, dass hier Razzien ohne Ende stattfinden werden. Danach können Sie feststellen, ob sich unsere Maßnahmen umsatzfördernd auf Ihre Geschäfte ausgewirkt haben, Herr Bis. Also, entscheiden Sie sich!

Das hier ist der Ort des Verbrechens.

Wir behalten uns vor, Ihnen jederzeit lästig zu sein, solange, bis wir zum Erfolg gekommen sind. Damit das klar ist, Herr Bis!“

Kalle, dessen gute Laune und Siegesgewissheit schlagartig verflogen war, bemühte sich um Schadensbegrenzung.

„Mensch, Jungs. Es sind doch nur hochkarätige Gäste hier, die sich in ihrem Licht sonnen wollen. Es ist ein Salon der besonderen Art, wo jedermann seine speziellen Neigungen ausleben kann. Eben ein Prominentenclub erster Sahne.

Macht ihn mir doch bitte nicht kaputt oder wollt ihr mir Schwierigkeiten bereiten? Ich habe große Pläne mit diesem Club. Außerdem strebe ich einen Öko-Puff an. Hier werden in Zukunft nur noch Bräute aus der Region arbeiten, Herr Kommissar, ha, ha.

Hole doch nur die erwerbslosen Damen von der Straße, damit sie dem Sozialamt nicht zur Last fallen. Ist quasi so eine Art Unterstützung für den Staat“, säuselte Kalle mit einem schmierigen Grinsen.

„Ich brauche einfach Frauen, die Stil und Klasse haben. Solche, die in der Lage sind, halbwegs sinnvolle Sätze in deutscher Sprache herauszubringen. Konversation nennt man so was wohl. Dabei sollen sie Champagner saufen und die Freier animieren. Wir suchen stets hochklassige Bräute, die sich hier verwirklichen können. Sie müssen aber spezielle Typen sein, die meinem Club die unverwechselbare, reizvolle Atmosphäre geben.

Aber, die kann man leider nicht so leicht finden. Da müssen wir schon gegenhalten, sonst schwinden die Umsätze und wir sind mause. Ich mache keine öffentliche Werbung für meinen Club. Alles regelt sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda.

Wir brauchen hier keine Internationale Gartenausstellung oder einen militärischen Flottenverband, der auf einmal 3000 Matrosen ausspuckt. Das ist eh nicht unsere Klientel. Wir sind kein Matrosenpuff.

Nein, wir haben die Großverzehrer dieser Stadt, die hanseatische Gesellschaft im Visier, die nicht auf die Mark schaut. Sie sind es, die wir haben wollen und auch bekommen. Aber, Verschwiegenheit ist das Motto des Hauses. Dafür müsst ihr doch Verständnis haben“, jammerte Puff-Kalle mit aufgesetzter Leidensmiene, während er Max Herbst stramm in die Augen sah und auf Zustimmung wartete.

„Ich wiederhole mich nicht gern, Herr Bis. Reden Sie nicht solch einen Blödsinn und hören Sie auf zu schleimen!“

Kalle schluckte schwer und schnaufte. „Tja…, wenn’s dann sein muss“, stöhnte er theatralisch mit einem hörbaren Seufzer und kam endlich zur Sache:

„Also, die Bardame Biene Schmidt, Leck-Hans, also Hans Knappe, Helma März, Angelika Maurer und wie gesagt Sabrina, mehr nicht - waren nur schwach besetzt“.

„Und die Freier…, waren Stammgäste darunter?“, fragte Herbst.

„Muss das sein? Hm, ja, einer…, der von Sabrina. Der ist aber schon um halb drei gegangen. Er kommt seit einem Jahr regelmäßig, meistens mittwochs gegen Mitternacht.

Gestern war eher die Ausnahme. Soll einer von der Behörde sein, wie ich aufgeschnappt habe“, antwortete Kalle zögerlich.

„Geht’s auch etwas präziser, Herr Bis?“

„Ich weiß nicht, kenne den nicht…Er kommt immer sehr scheu und stiekum hier rein.

Hat dann meistens einen schwarzen Mantel an und trägt einen schwarzen Hut tief ins Gesicht gezogen. Ist auch nur so klein wie Sabrina. Er verschwand dann immer sofort in Sabrinas Zimmer. Die Gäste laufen hier ja alle nackt rum.

Der Typ zieht sich bei ihr aus und wenn die mal an die Bar gehen, dann trägt er eine Maske wie andere Freier übrigens auch. In der Regel war er nach gut drei Stunden verschwunden. Soll ein großzügiger Gast gewesen sein.

Sabrina klagte mir einmal, dass er sich total in sie verknallt hätte und ihr die Besuche langsam lästig würden.“

„Kalle, haben Sie etwas gehört? Stimmen, einen Streit, ein Handgemenge?“

„Nein, nichts von alledem. Ich war ja auch nicht in der Nähe, war drinnen. Ich hatte im Lagerraum den Bestand an Spirituosen geprüft, wenn Sie verstehen? Wie soll ich da was hören können? Die Tür war zu und außerdem hat der Raum kein Fenster.“

„Hm, weiter Kalle.“

„Sabrina…, sie fehlt mir so. Sie war jung, schön, jetzt ist sie tot“, flüsterte Kalle, während er sich einmal theatralisch mit dem Handrücken über die Augen wischte.

Max hörte das Geplapper und dachte:

Arschloch, dieser widerliche Lude. „Wir wollen doch alle wissen warum, oder nicht, Karl-Heinz Bis?“, sagte Max mit scheinbarer Anteilnahme in der Stimme.

„Ja natürlich, Herr Kommissar. Nicht nur warum, sondern auch, wer es war.“

„Ach ja, Kalle. Hätte ich fast vergessen“, beendete Max Herbst den kleinen Schlagabtausch.

„Gut, Karl-Heinz Bis. Herr Meyer wird jetzt vier Zeugenvorladungen für die Frauen Schmidt, März, Maurer und Herrn Knappe ausfüllen und hier lassen. Sie überreichen den Frauen und Ihrem Türsteher bitte heute Abend die Ladungen. Wir möchten sie morgen zur Vernehmung in unserem Büro sehen. Nun gehen wir beide einmal nach oben und Sie werden mir das Zimmer von Sabrina zeigen.“

„Hm…, dann kommen Sie!“

Kalle Bis ging die steile Treppe hinauf in das Zimmer mit den schrägen Wänden, Max folgte ihm.

Es war schon eine Luxusabsteige mit Hochbetrieb jede Nacht. Das besondere an diesem Etablissement war, dass sogar in den kleinsten Zimmern ein Bidet installiert wurde. Wenn die Dirnen vor ihrem Einsatz diese Art der Spülbecken benutzten, konnte man durch die dünnen Zimmerwände stets das Rauschen des Wassers hören.

Der Bordellbesitzer Puff-Kalle betätigte den Lichtschalter und eine grelle Deckenlampe erleuchtete den Raum. Dieses war also der einzige private Zufluchtsort des Opfers.

Der Fußboden war mit einem graumelierten Flokati-Teppich bedeckt, der nach minderer Qualität aussah und einen leicht muffigen Geruch von sich gab.

An den beiden Fenstern befanden sich dunkelrote, schwere Vorhänge, die zugezogen waren und die Sicht nach draußen versperrten. Die horizontal verlaufenen Falten der Vorhänge reichten bis auf den Teppich.

Die Wände waren mit englischen Samttapeten, auf denen sich ein dunkelgrünes Rosenmuster befand, tapeziert. Das Mobiliar bestand aus einem runden Tisch aus Mahagoniholz. Die vier Stühle waren passend dazu ausgewählt worden.

Das Sofa, fast schon eher eine Ottomane, war mit einem rosafarbenen Blumenstoff bezogen. Auf dem Tisch befanden sich eine Tiffany-Lampe und ein Ascher aus Kristallglas.

„Machen Sie, machen Sie“, drängelte Kalle. „Ich weiß zwar nicht, was Sie hier suchen oder finden wollen, aber nur zu“, war der mürrische Kommentar von dem Bordellbesitzer.

Gelangweilt ging er zu einem der Fenster, schob den Vorhang beiseite und sah scheinbar teilnahmslos nach draußen, obwohl er schon reges Interesse an den Amtshandlungen des Mordermittlers hatte.

Max schaltete die Deckenbeleuchtung wieder aus und ging zu dem Mahagoni-Sideboard, das sich neben dem Sofa befand. Er zog die oberste Schublade auf und sah nach einem flüchtigen Blick, dass ganz oben eine Art Notizkalender mit ledernem schwarzen Einband lag. Nachdem er ihn aufgeklappt hatte, las er „Tagebuch“. Die Buchstaben waren in Goldfarben gedruckt.

Max Herbst blätterte hastig auf die nächste Seite und registrierte sofort, dass es sich um ein sogenanntes Tagebuch mit den Kontakten ihrer Freier handelte. Es sah wie ein penibel geführtes Clubregister aus.

Höchstbrisant. Die Freier stammten fast alle aus den höheren Kreisen der hanseatischen Kaufmannsgilde. Was für ein Skandal, wenn diese Informationen in falsche Hände gerieten. Max beschloss, dieses Beweismittel erst einmal allein in aller Ruhe zu sichten.

Von den Namen eines Verlegers und bekannter Schauspieler, waren auch Reeder, ein stellvertretender Bezirksamtsleiter und ein Autohausbesitzer aufgeführt. Also ein bunter Querschnitt gehobener Berufe, aber wem stand es schon auf die Stirn geschrieben?

Einige Seiten fehlten ganz offensichtlich und waren wohl herausgerissen worden. Max klappte das Tagebuch zu und steckte es von Kalle unbemerkt in seine Jackentasche.

Hinweise auf Verwandte oder Bekannte des Opfers waren nach flüchtiger Durchsicht nicht vorhanden. Behutsam schob er die Schublade wieder zu. Der Fund war für Max eine äußerst sensible Angelegenheit. Er würde mit niemandem darüber reden. Im Zweifelsfall könnte es sein Ass, ein bedeutender Trumpf, bei diesem üblen Verbrechen sein.

„Gibt es Sparbücher oder Bargeld, Herr Bis?“

Kalle riss sich von dem Fenster los und wandte sich wieder Max zu.

„Sparbücher nicht, Geld gab sie mir zur Aufbewahrung. Ist aber nicht mehr viel übrig. Sie hat ja immer teure Klamotten gekauft und die Miete…und, und, und“, gab Kalle weinerlich Auskunft.

Dieser Schweinehund. Hat sie bis zum Letzten ausgebeutet. Andererseits dürfte er wohl kein Motiv gehabt haben, sie zu töten oder doch…? Warum wurde gerade sie zum Opfer? Hatte sie sich mit den falschen Leuten eingelassen?, dachte Max.

Nach etwa fünfzehn Minuten verließen Herbst und Bis das Zimmer des Opfers.

„Na, sehen Sie, Herr Herbst, nichts gefunden. Den Weg hätten wir uns sparen können“, war der lakonische Kommentar von Kalle.

„Ist ja gut, Herr Bis. Man weiß ja nie. Immer nach dem Sprichwort: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, antwortete Max.

Als Herbst und Bis wieder unten im Salon eintrafen, hatte Toni gerade die letzte ausgefüllte Vorladung auf den Tisch gelegt.

„So, Herr Bis! Wir nehmen Rücksicht auf die Damen und Herrn Knappe, haben sie erst für nachmittags vorgeladen. Frau Schmidt beginnt, dann Frau März, danach Frau Maurer und zum Schluss Leck-Hans.

Wiedersehen. Wenn wir weitere Fragen haben, hören Sie von uns.

Halten Sie sich bitte zur Verfügung!“ verabschiedete sich Herbst und sah Puff-Kalle noch einmal scharf in die Augen, während Toni schon kommentarlos auf dem Weg nach draußen war.

„Und, Herr Herbst, was gefunden. Beweismittel oder so?“, fragte Toni mit Blick auf Max, während er den Ford-Granada startete.

„Nein, nichts“, log Max, während er den Kopf schüttelte und absichtlich einen geistesabwesenden Eindruck erkennen ließ, als er eine Eintragung in seinem Merkbuch vornahm.

„Fahren Sie schon, Herr Meyer, unsere Zeit ist begrenzt“, sagte Max.

Bürde der Lust

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