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Das Fälschergenie
ОглавлениеFälschungen gehören seit seinen Anfangstagen zum Journalismus. Wer weiß das besser als die BILD-Zeitung. Aber Nachrichtenfälscher sind am Werk, seitdem es die Presse gibt, auch weil es früher für die Rezipienten noch schwerer war Fälschungen als solche auszumachen. Zu den prominenten Produzenten des frühen fiktionalen Journalismus zählten Edgar Allen Poe, der in einem im Jahre 1844 in der New York Sun erschienenen Artikel die erste Atlantiküberquerung in einem Heißluftballon um 134 Jahre vorwegnahm und Mark Twain, der sich wie Poe vor seiner schriftstellerischen Karriere als Journalist bemühte. Er griff die Legende von einem versteinerten Mann auf und narrte damit 1861 die Leser der Territorial Enterprise in Virginia.
Auch am Anfang des 20.Jahrhunderts gab es Fälscher, wie den Reporter Ben Hecht, der das Chicago Daily Journal mit Schlagzeilen versorgte, "(…)die die Konkurrenz erblassen ließen. ‚Erdbeben zerreißt Chicago' stand in riesigen Lettern über einem vier Spalten breiten Photo der großen Kluft, die das Beben in den Lincoln Parc Beach gerissen haben sollte. Ganze zwei Stunden hatten Hecht und sein Photograph im Sand gegraben, um ein möglichst überzeugendes Photo zu schießen."
In Deutschland gilt als eines der ersten Fälschungen die von der Hamburger Zeitschrift Minerva zwischen 1797 und 1799 lancierte Legende der sogenannten "Potemkinschen Dörfer". Als eine frühe Form des freien Mitarbeiters betätigte sich Arthur Schütz, der Erfinder des "Grubenhundes", in dem er der Wiener Neuen Freien Presse wiederholt erfundene Meldungen zukommen ließ. "Sein stärkstes Stück erschien am 18. November 1911 - ein Bericht über ein angebliches Erdbeben im Ostrauer Kohlerevier, in dem es hieß, dass der "im Laboratorium schlafende Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab." Jeder halbwegs informierte Zeitgenosse hätte wissen müssen, dass in der Bergwerkersprache der "Hund" eine handgezogene Lore bedeutete."
In dieser Zeit setzten sich auch im deutschen Sprachraum mediale Fälschungen mehr und mehr durch. Erich Kästner, der in seinem Roman "Fabian" auch das Ausschmücken von Zeitungsmeldungen mit erfundenen Tatsachen beschreibt, sagte nach seiner Zeit als angestellter Redakteur: "Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden kann, sind wahr".
Sprunghaft angestiegen ist die Anzahl der enttarnten Elaborate des fiktionalen Journalismus seit Anfang der Siebzigerjahre. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf journalistische Fälschungen, sie schließt auch fiktionale Inhalte ein, die von PR oder Politikern lanciert werden. Dennoch kann auch für den fiktionalen Journalismus gelten, dass seine Artikel als wahr gelten, solange sie von den Medien für wahr erklärt werden.
Fälschungen haben in einer durch und durch öffentlichkeitsorientierten Welt enorme strategische Bedeutung. Mediale Fälschungen sind nicht wahr und trotzdem vorstellbar, deswegen können sie für ihre Urheber sehr wertvoll sein. Heute liegt der Marktwert einer Information in der Anzahl von Personen, die sich für sie interessieren könnten. Diese Zahl hat indes nichts mit der Wahrheit zu tun. Mit den Fälschungen nahm auch die Anzahl ihrer Enttarnungen zu. Die Fälschung-Moderne war außerdem von Fälschern wie Christoph Jones, der für die New York Times 1981 erfundene Frontreportagen aus Kambodscha ablieferte und natürlich von Konrad Kujau und Gerd Heidemann geprägt.
Zwei weitere Fälscher erregten in Deutschland danach die landesweite Aufmerksamkeit: Zunächst der für Boulevardmagazine wie Stern TV arbeitende Filmemacher Michael Born. "In der Zeit von 1990 bis 1995 produzierte und verkaufte
Born insgesamt 21 teilweise oder völlig gefälschte TV-Beiträge an die ARD, das ZDF, das Schweizer Fernsehen DRS, SAT 1, RTL, PRO 7 und VOX". Unter den bekanntesten seiner Fälschungen waren der Beitrag über die vermeintlichen Untriebe des Ku-Klux-Klan in der Eifel (1994), die Reportage über deutsche Katzenjäger (1995) und der Filmbericht über einen von einem Krötensekret abhängigen Junkie (1994). Die teilweise äußerst liebevoll angefertigten Film-Fälschungen brachten ihren Macher ins Gefängnis, weil die Verantwortlichen von Stern TV, um nicht selbst verfolgt zu werden, ihn angezeigt hatten. Born veröffentlichte ein Buch über seine Geschichte(n) und begann offensiv mit dem Thema umzugehen. Er wies auf das Mitwissen der gesamten Redaktion von Stern TV (inklusive des Moderators Günther Jauch) hin, richtete eine Website ein, von der aus bis heute Videozusammenschnitte der "besten Fälschungen" verkauft werden.
Im Jahr 2000 wurde Tom Kummer, ein Mitarbeiter des Magazins der Süddeutschen Zeitung, beim Fälschen erwischt. Er hatte mehrere Interviews mit Prominenten gefälscht, hatte sich einzelne Passagen ausgedacht und andere aus Biographien und älteren Interviews zusammengeklaut. Im Nachhinein (also auf die Enttarnung folgend) unternahm Kummer den Versuch, seine Artikel "als Konzeptkunst zu verkaufen". Er führte den Begriff des "Borderline-Journalismus" ein und merkte nicht ganz zu Unrecht an, dass Journalisten bei den meisten Interviews die überlangen, nicht wohlgeformten oder fremdsprachigen Antworten ihrer Gesprächspartner verändern würden. Kummer und auch die damaligen Chefredakteure des SZ-Magazins kostete sein Grenzgängertum zwischen Wirklichkeit und Fiktion den Job.
In einem geschichtlichen Überblick der medialen Faktes muss auch auf die Häufung derselben zu Kriegs- bzw. Krisenzeiten hingewiesen werden. Ramonet (1999) weist auf einige dieser Fälschungen hin, zu denen im Rahmen des Aufstandes in Rumänien die Inszenierung eines Massengrabes in Timisoara zählte. "Die auf weißen Leintüchern aufgereihten Leichen waren nicht die Opfer des Massakers vom 17. Dezember 1989, sondern vielmehr Tote, die man auf dem Armenfriedhof ausgegraben hatte (...)". Wer die Fälschung initiiert hatte, ist bis heute unklar, fest steht lediglich, dass die Bilder von angeblich 60.000- 70.000 Leichen auf Fernsehkanälen rund um den Globus zu sehen waren, darunter auch ARD, ZDF und RTL plus. Das "Massaker von Timisoara" forderte, wie sich später herausstellten, jedoch "nur" einige Dutzend Todesopfer, in ganz Rumänien waren es 689. Im Golfkrieg betätigten sich vor allem die amerikanischen Medien als Mythenmacher, so institutionalisierten sie Symbole wie die Patriot-Rakete, die Gasmaske oder den Tarnkappenbomber als eine Art Füllfake, weil die "echten Kriegsbilder" fehlten. Diese Form der Propaganda gehört nicht zum Kern des Themas, weil derartige Manipulationen in der Regel eher von Militärs und Politikern lanciert werden, dennoch soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass mit dem wachsenden Engagement der Bundeswehr auch in deutschen Medien die Legitimationsfakes zugenommen haben. Die ARD-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge" enthüllte beispielsweise reihenweise Fälschungen deutscher Medien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg und dem Massaker von Pristina (ARD, 8. Februar 2001).
So weit, so (nicht)gut. Es sollte der größte Medienknüller der Nachkriegszeit werden und wurde der größte Reinfall des Magazins "Stern". Vor über 20 Jahren schreckte die Redaktion des Blattes die Öffentlichkeit mit der Meldung auf, Adolf Hitlers geheime Tagebücher seien entdeckt worden. "Nach der Auswertung der Tagebücher muss die Biografie des Diktators und mit ihr die Geschichte des NS-Staates in großen Teilen neu geschrieben werden", verlautbarte der "Stern" am 22. April 1983. Drei Tage später präsentierte die Chefredaktion in einer international besuchten Pressekonferenz etwa ein Dutzend von 60 gebundenen Kladden im DIN-A-4-Format mit Reichsadler, Kordel und Hakenkreuz. Für die Echtheit der mit schwarzer Tinte geschriebenen Aufzeichnungen konnte sich der "Stern" auf namhafte Historiker berufen, unter ihnen der britische Hitler-Experte Hugh Trevor-Roper.
Keine zwei Wochen später war der Spuk vorbei. Nach erneuten Untersuchungen des Bundesarchivs, des Bundeskriminalamts und des Bundesamtes für Materialprüfung lautete das einhellige Urteil: eine "grotesk oberflächliche Fälschung". Ganze Passagen waren aus einer längst veröffentlichten Sammlung von Hitler-Reden abgeschrieben. Einbände, Papier und Klebstoffe enthielten zum Teil Materialien, die vor 1955 gar nicht auf dem Markt waren.
Der "Stern" stoppte den bereits begonnenen Abdruck der "Tagebücher" und stürzte in eine Ansehens- und Auflagenkrise, von der er sich jahrelang nicht erholte. Der "Entdecker" der Bände, der Reporter Gerd Heidemann, konnte bei der Suche nach dem Fälscher zunächst wenig helfen. Er hatte die Hefte gegen viel Bargeld von einem Stuttgarter Militaria-Händler namens Konrad Kujau ehalten, der sie seinerseits aus einer dunklen Quelle bekommen haben wollte.
Insgesamt investierte der "Stern" 9,3 Millionen Mark (knapp 4,8 Millionen Euro) für die 60 Bände. Heidemann trug das Geld jeweils in Plastiktüten zu Kujau, der ihm mal einen, mal drei Bände übergab. Dass Kujau die Tagebücher selbst geschrieben hatte, dämmerte Heidemann damals nicht. Er fiel auf dessen Geschichte herein, die Bände seien in einem gegen Kriegsende in Sachsen abgestürzten Flugzeug gefunden worden.
Heidemann schilderte der "Berliner Zeitung" das Geschehen von 1983 so: "Ich rief ihn in Stuttgart an oder er rief mich morgens in Hamburg an und sagte: Komm her, in übernehme heute Vormittag drei Tagebücher an der Autobahn ... Er rief mich also an und sagte: Bring mal Geld für drei Tagebücher mit. ... Aber er hatte nur eins dabei. ...
Ich hab dann oft zu Kujau gesagt, ruf mich doch erst an, wenn du genau weißt, wie viele Tagebücher du hast. ... Ich hatte keine Lust, immer Hunderttausende Mark hin und herzutransportieren. Manchmal hatte ich 900.000 Mark in einer Plastiktüte dabei, für drei, vier Bücher, aber Kujau hatte dann nur eins."
Am Ende landeten sowohl der Fälscher Kujau als auch Heidemann, der sich bis heute als Opfer fühlt, vor Gericht. Kujau gab an, von den 9,3 nur 2,4 Millionen Mark erhalten zu haben, und wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Heidemann wurden sogar vier Jahre und acht Monate aufgebrummt, weil ihm das Gericht nicht glaubte, dass er die Millionen komplett an Kujau weitergereicht hatte.
Kujau blieb seinem Fälscher-Image auch nach der Haft treu: Er malte Kopien bekannter Gemälde von Künstlern wie Salvador Dali oder Marc Chagall und signierte sie mit dem Namen des echten Meisters und seinem eigenen. Die "echten Fälschungen" verkauften sich gut, und der Meisterfälscher betätigte sich auch als Galerist und Gastronom, bis er im Jahr 2000 im Alter von 62 Jahren an Krebs starb.
Heidemann ist noch heute verbittert und fühlt sich unfair behandelt. Er lebt in bescheidenen Verhältnissen und hat nach eigener Aussage keine Ahnung, wo die verschwundenen "Stern"-Millionen geblieben sind. Noch immer liegen die meisten der 60 "Tagebücher" im Keller des Gruner+Jahr-Verlags in Hamburg - bis auf einige Bände, die im Museum ausgestellt werden, etwa im Haus der Geschichte in Bonn.
Ein echter Knüller wurde die Verfilmung der Tagebuch-Geschichte in Helmut Dietls Erfolgskomödie "Schtonk", die 1993 sogar für den Oscar nominiert wurde.
Heidemann, der während der Dreharbeiten am Set war: "Ich habe Tränen gelacht über Götz George, der mich spielt in dem Film. So einen Typen hätte (der damalige "Stern"-Herausgeber) Henri Nannen schon nach drei Minuten gefeuert, so einen hätte der nie ertragen."
Nun zum Vorbild für "Hermann Willié": Gerd Heidemann. Der war in Wahrheit alles andere als ein ständig in Geldnot lebender Schmierfink, der keine Knüller lieferte und dessen Berichte von der Chef-Redaktion zurück gewiesen wurden. Ganz im Gegenteil waren seine z.T. unter großem persönlichem Einsatz zustande gekommenen Reportagen aus aller Welt fast immer einen Abdruck wert. So erschien z.B. sein Bericht über Görings Yacht "Carin II" entgegen dem, was Dietl in "Schtonk" suggeriert - tatsächlich auf der Titelseite des Stern. Dass Heidemann diese Yacht auf eigene Rechnung gekauft hatte (für 160.000.- DM, von den Briten, die sie bei Kriegsende als Siegerbeute "beschlagnahmt" und nach der Geburt des ersten Sohnes von Queen Elizabeth in "Prince Charles" umbenannt hatten), mag eine Fehlspekulation gewesen sein, aber keine, die ihn nun gleich an den Rand des Verhungerns gebracht hätte - und zum Nazi machte ihn das ja wohl auch nicht. Dann kam also Kujau (der freilich unter einem anderen Namen - Fischer - auftrat) und bot ihm an, "Hitlers Tagebücher" zu besorgen. (Heidemann lernte ihn tatsächlich über Fritz Stiefel kennen, allerdings nicht anlässlich einer Feier von Hitlers Geburtstag, sondern weil er dem reichen Fabrikanten - nicht Görings Nichte, wie im Film – die Yacht andrehen wollte.) Das wäre eine Sensation; und warum hätte man daraus nicht ein Geschäft machen können - wie ja auch mit Goebbels' Tagebüchern? Wenn man das vermeiden wollte, was mit letzteren geschehen war, nämlich ein jahrelanges Hin und Her mit Gerichtsprozessen und schließlich einer Doppel-Veröffentlichung, die sich bald in Form von unverkäuflichen Remittenden-Exemplaren in den Modernen Antiquariaten stapeln sollte, dann war schnelles Handeln geboten. Heidemann reiste nach Börnersdorf (allerdings nicht, wie im Film, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf eigene Faust und unter Bestechung der DDR-Grenzer, sondern ganz offiziell, auf Vermittlung und in Begleitung seines Ressort-Leiters Thomas Walde, der die notwendigen [Stasi-]Kontakte in die DDR hatte – er wurde übrigens im Gegensatz zu Heidemann später nicht gerichtlich belangt, sondern zur Belohnung, dass er im Prozess gegen letzteren aussagte, zum Geschäftsführer des Staatssenders "Radio Hamburg" befördert), vergewisserte sich, dass der Flugzeugabsturz 1945 tatsächlich stattgefunden hatte, und hielt es danach für möglich, dass die Tagebücher echt waren - wollte es vielleicht auch schon glauben. In diesem Sinne berichtete er seinem Arbeitgeber.
Wirklich seinem Arbeitgeber? Nicht ganz, denn das wäre ja eigentlich der Stern gewesen. Aber Heidemann und Walde (der wieder die richtigen "Kontakte" hatte) setzten eine Stufe höher an, nämlich beim Chef des Verlags Gruner & Jahr, dem der Stern gehörte. Im Film ist das durchgehend der dämliche "Dr. Wieland", der das Ganze mit den beiden "hinter dem Rücken der Chef-Redaktion" durchzieht.
Tatsächlich gab es aber zwei Personen: 1980, als Heidemann und Walde die Tagebuch-Story anleierten, saß auf dem Chef-Sessel noch Dr. Manfred Fischer – bis ihn Mitte 1981 Gerd Schulte Hillen ablöste, der sich später damit heraus redete, er habe sich darauf verlassen, dass sein Vorgänger alles sorgfältig geprüft habe. Und das hatte der auch, denn er hatte ja allen Grund, bei derartigen Geschichten misstrauisch zu sein: Hatte nicht schon der notorische Lügenbold und Verleumder Luis Trenker (der noch heute als "der nette Bergsteiger-Opa von nebenan" durch manch unwissendes Gehirn geistert) in den fünfziger Jahren die so genannten Eva-Braun-Tagebücher gefälscht? Und die Schwestern Panvini aus Vercelli in den sechziger Jahren die so genannten Mussolini-Tagebücher? Und waren aus der Zeit des "Dritten Reiches" nicht noch eine Reihe anderer dreister Fälschungen im Umlauf, vom so genannten "Wannseekonferenz-Protokoll" bis zum so genannten "Tagebuch der Anne Frank"? Hatte nicht gerade erst zwei Jahre zuvor, im Dezember 1980, der Bundesgerichtshof in höchster Instanz rechtskräftig festgestellt (freilich in einem Urteil, das selbst von den juristischen Fachzeitschriften und erst recht von den Massenmedien so gut wie tot geschwiegen wurde), dass das angebliche "Tagebuch der Anne Frank" mit einer Kugelschreiber-Tinte geschrieben war, die es vor 1951 noch nicht gab und dazu noch in einer Handschrift, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit der echten Handschrift der Anne Frank aus dem selben Jahr hatte?
Oder das so genannte "Hoßbach-Protokoll", das schon sein angeblicher Verfasser, der - als Widerstandskämpfer etwaiger Sympathien für die Nazis sicher unverdächtige - Fritz Hoßbach als Zeuge der "Nürnberger Prozesse" unter Eid als Fälschung bezeichnet hatte? Was freilich nicht gehindert hatte, die deutschen Angeklagten dennoch wegen "Planung und Vorbereitung eines Angriffs-Krieges", wie sie jenes Protokoll vermerkte, zu verurteilen. Das war indes nur ausgleichende Gerechtigkeit, denn auch von Rechts wegen hätten diese Leute verurteilt werden müssen, nämlich wegen nicht ausreichender Vorbereitung eines Verteidigungs-Krieges - aber das ist eine andere Geschichte. Nun, direkt nach dem Krieg war es erklärlich, dass die Fälschung des "Hoßbach-Protokolls" nicht erkannt bzw. nicht zur Kenntnis genommen wurde; weshalb sich aber manche deutsche "Historiker" bis heute nicht entblöden, es für echt zu halten, ist dem Autor ein Rätsel. Und hatte nicht ein Jahr zuvor ausgerechnet die Konkurrenz in Person des ZEIT-Redakteurs Karl-Heinz Janßen nachgewiesen, dass der Stern schon mit seiner Artikelreihe "Unternehmen Reichstagsbrand" den Fälschungen eines dreisten Schmierfinken und seiner Helfershelfer aufgesessen war? (Auf jenen Erich Kuby hätte der "Hermann Willié" aus Schtonk eigentlich viel besser gepasst als auf den armen Gerd Heidemann, und auf seinen Hintermann, den falschen Doktor Edouard Calic der falsche Professor "Fritz Knobel" viel besser als auf den eher harmlosen Falsifikaten-Händler und Gelegenheits-Maler Konrad Kujau; aber auch das ist eine andere Geschichte.) Und waren nicht diese Fälle womöglich nur die Spitze vom Eisberg?
War es nicht mehr als peinlich, jetzt herum eiern zu müssen mit blumigen Umschreibungen für offenkundige Fälschungen wie "nachträglich aus dem Gedächtnis rekonstruierte Kopien der leider verloren gegangenen Originale"? [Nicht dass Ihr glaubt, liebe Leser, solche Fälschungen gäbe es nur in der deutschen Geschichte oder nur in der des 20. Jahrhunderts: Wie wir heute wissen, sind auch die meisten der so genannten "Washington Papers" und der so genannten "Lincoln Papers" gefälscht und sogar viele der - ursprünglich deutsch geschriebenen - Tagebücher der Queen Victoria: Deren jüngste Tochter Beatrice hat erst die Originale vernichtet und dann ein paar Märchenbücher - auf Englisch - geschrieben, pardon "rekonstruiert", was ihre Mutter angeblich so gewünscht hatte.
Und dann war da noch ein peinlicher Fall aus dem Jahre 1967, in den der Stern direkt verwickelt war, nämlich die Behauptung, der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke sei ein "KZ-Baumeister" und "Kriegsverbrecher" gewesen. Die Stasi hatte dem Stern Unterlagen zugespielt, wonach unter Lübkes Leitung Baracken für KZ-Häftlinge gebaut wurden. Ja, Lübke hatte die Baracken bauen lassen – als Unterkünfte für Rüstungsarbeiter; und später, als die Rüstungsproduktion infolge der alliierten Luftangriffe unter die Erde verlagert wurde, zogen dort tatsächlich KZ-Häftlinge ein. Aber die Stasi hatte noch ein paar Unterlagen hinzu gefälscht, um die - an sich echten - Unterschriften herum; und so kam es zu genau den Szenen, die als Vorbild für den Film Schtonk gedient haben: Der Stern schaltete mehrere Schriftsachverständige ein, u.a. den Schweizer Kriminologen Dr. Frei-Sulzer und den New Yorker Gerichts-Keksperten Howard Haring (eine schillernde Figur; er hatte mit seinem Schriftgutachten schon den Grundstein zu dem berühmt-berüchtigen Justizmord an Bruno Richard Hauptmann, dem vermeintlichen Kidnapper und Mörder des Lindbergh-Babys, gelegt). Da die Stasi ihre Fälschung um zwei echte Handschriftproben Lübkes herum aufgebaut hatte, kamen die Sachverständigen zu dem einhelligen Urteil: Jawohl, das Material ist echt. (Wobei die Expertise Frei-Sulzers auf Druck der Bundesregierung hin nicht veröffentlicht werden durfte.)
Dieses Ergebnis wurde denn auch notariell beglaubigt - ebenso feierlich wie im Film die Ergebnisse der Handschrift-Gutachten -, freilich nicht in Hamburg, sondern in New York, bei Mrs. Eleanor P. DeVito. Erst die Gauck-Behörde sollte den Schwindel aufdecken, als Lübke schon lange unter der Erde weilte. Gleichwohl hält der damalige Ressortchef des Stern, Gerd E. Gründler, bis heute ebenso hartnäckig an seiner These fest, dass das Material echt und Lübke folglich ein "Kriegsverbrecher" gewesen sei, wie "Hermann Willié" in Schtonk daran, dass "Adolf Führer" den Krieg überlebt und die Tagebücher danach geschrieben hat - Gewissenmassen "aus dem Gedächtnis rekonstruiert".
Kurzum, es war also ein ganz normaler Vorgang, wenn die Stern-Verantwortlichen auf einer Untersuchung durch Schriftsachverständige bestanden. Was lag näher? Grafologie hat ja - wenn sie ernsthaft betrieben wird - nichts mit Sterndeuterei zu tun; vielmehr ging es um einen Schriftvergleich zur Ermittlung des Urhebers. Dafür brauchte man Vergleichsschriften, richtig. Aber nun setzt die Geschichtsfälschung des Helmut Dietl erst richtig massiv ein: Es war nicht so, dass Kujau dem Stern von ihm selber gefälschtes Vergleichsmaterial unter jubelte. Hätte er das getan, hätten die Richter ihm schwerlich die Einlassung geglaubt, er habe Heidemann von Anfang an gesagt, dass er Fälschungen liefern würde - aber halt gute Fälschungen, die auch ihren Preis haben -, und sie dürften unter keinen Umständen veröffentlicht, sondern nur an private Sammler verkauft werden. Aber ist diese Einlassung nicht lächerlich?
Allerdings unterläuft Dietl in einer der Anfangs-Szenen ein Lapsus, als er Knobel sagen lässt: "Der Hitler hat doch viel besser gemalt als der Toulouse-Lautrec..." Wohl wahr - alles ist relativ. Dennoch geben manche Verrückte für den letzteren (und viele andere, noch schlimmere) Schmierfinken, pardon moderne "Künstler" noch viel mehr Geld aus, Millionen, bisweilen gar 'zig Millionen - vor allem, wenn es nicht ihr eigenes Geld ist, sondern das der Steuerzahler. Ist das weniger lächerlich? [Nein, eigentlich ist das gar nicht zum Lachen, sondern vielmehr zum Heulen: In den meisten Fällen machen nämlich die korrupten Verschwender von Steuergeldern augenzwinkernd Halbe-Halbe mit den so genannten "Künstlern", mit deren Machwerken sie öffentliche Plätze und Gebäude verschandeln.
Warum sollte also nicht ein anderer Verrückter für ein paar Dutzend gut nachgemachter Hitler-Tagebücher ebenso viel auf den Tisch zu blättern bereit sein? Aber erstens behauptete Kujau ja, dass Heidemann nur einen Bruchteil jenes Geldes an ihn weiter gegeben habe, und zweitens darf man zugunsten seiner Richter unterstellen, dass sie nichts vom Kunstmarkt verstanden.
Zurück zu unserer Geschichte. Am 25. April 1983 trat Stern-Chefredakteur Peter Koch vor die versammelten Medien und erklärte: „Die Geschichte des Dritten Reiches wird in weiten Teilen neu geschrieben werden müssen“. Der Stern sei im Besitz von Hitlers geheimen Tagebüchern. Die Welt hielt einen Augenblick den Atem an.
„Stern“-Reporter Gerd Heidemann präsentierte am 25. April 1983 stolz auf einer Pressekonferenz die „Hitler-Tagebücher“, seinen „Sensationsfund“. „Hitlers Tagebücher entdeckt „ stand auf der Titelseite der Zeitschrift „Stern“, des 33. Jahrganges, Heft 5 vom 28. April 1983. In dieser Ausgabe wird der Öffentlichkeit der Fund der angeblichen Hitler-Tagebücher präsentiert.
Der „Stern“-Reporter Heidemann (Jahrgang 1931) gehört zu den seltsamen Zeitgenossen der Epoche.
Als Heidemann erfolgreicher „Stern“-Reporter war, kaufte er eine Yacht, die „Carin II“, die einst Hermann Göring gehört hatte. Das Boot wurde Schauplatz für gesellige Treffen ehemaliger Nazis, mit Heidemann als fasziniertem Gastgeber. Auch Kujau war fasziniert von NS-Veteranen und Neonazis. Dazu gehörten Hitlers Fahrer Erich Kempka und Mitglieder der HIAG, der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS“. Mit der Zeit scharte er eine Gruppe von Sammlern um sich, die sich in seinem Ausstellungsraum in Stuttgart trafen. Unter ihnen waren mehrere höhere Polizeibeamte und Fritz Stiefel, ein 53-jähriger Selfmademan aus Stuttgart.
Im Juni 1979 rief Kujau Stiefel an und teilte ihm mit, er habe von seiner letzten Reise nach Ostdeutschland etwas ganz Besonderes mitgebracht, nämlich ein handschriftliches Tagebuch Hitlers. Tags darauf wurde ihm in Kujaus Laden eine dünne Kladde gezeigt, mit der Aufschrift „Jahrbuch der Partei“. Der Text bezog sich auf die ersten sechs Monate des Jahres 1935.
Kujau sagt in seinem Geständnis, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine weiteren Tagebücher gab. Er habe bis dahin nur eines geschrieben. Das ist eine Lüge. Sowohl sein früherer Anwalt in Stuttgart, Peter Stöckicht, als auch sein „Gönner“, ein heute in Florida lebender, in Deutschland gebürtiger US-Bürger, Wolfgang Schulze, haben bestätigt, dass sie sie in der Hand gehabt haben. Vermutlich hatte Kujau bereits mindestens sieben Tagebücher für den Verkauf an Privatsammler fertig gestellt.
Besitzer von Görings Schiff „Carin II“ mit Edda Göring als Borddame und mit Trauzeugen wie den ehemaligen SS-Generälen Mohnke und Wolf, wollte nichts mehr als mit der Vergangenheit des III. Reichs Karriere zu machen. Die Chefredakteure des „Stern“, Koch, Schmidt und Gillhausen unterstützten dieses mehr oder weniger.
Dr. Manfred Fischer, der Vorstandschef des Verlages wollte zur Thematik „Stern“- Bücher herausbringen. Also Arbeitsauftrag für Heidemann und mit „Stern“-Arbeitseifer ging es ans Werk. Der Partner für dieses Vorhaben war schnell gefunden. Ein gewisser Fischer alias Kujau, mit einem Vorstrafenregister wegen Diebstahl, Waffenbesitz und Fälschung und, wie der Zufall so will, mit einem DDR-General als Bruder, konnte Tagebücher des Führers beschaffen.
Wer war Konrad Kujau? Am 27. Juni 1938 wurde er in Löbau / Sachsen geboren. Seine Kindheit und frühe Jugend verbrachte der spätere Meisterfälscher im Waisenhaus Ruppersdorf, da sich seine Familienmitglieder beim großen Bombenangriff auf Dresden aus den Augen verloren hatten und erst 1951 wieder zueinander fanden. In Löbau besuchte der junge Kujau Volks- und Oberschule und legte dort 1956 das Abitur ab. Bis zum Juli 1957 war er an der Kunstakademie Dresden eingeschrieben. Danach verließ er die DDR auf illegalem Wege und flüchtete in das damalige West-Berlin. Die Zentrale Studienvergabe schickte den Künstler 1958 nach Stuttgart zum Studium, wo er bis 1961 auch als ordentlich Studierender eingeschrieben war. 1963 drängte es Kujau ins pralle Leben, in die Welt vor den Toren der Universität: Er machte sich mit Hilfe seiner Lebensgefährtin Edith Lieblang auf dem Kunstsektor selbstständig. Schon während des Studiums ging er Kunstmalern und Restauratoren zur Hand. Auch während der Schulzeit zeigte sich Genie und Talent des Jungen: Schon früh veröffentlichte er Karikaturen und Zeichnungen für Zeitungen wie „Junge Welt“, „Sächsische Zeitung“, „Fröhlichsein und Singen“ und den „Eulenspiegel“. Richtig bekannt wurde Kujau jedoch zunächst nicht als Maler und Aktionskünstler, sondern als hervorragender Fälscher.
Was verbirgt sich hinter dem begabten Fälschergenie? Konrad Kujau – landesweit bekannt als Meisterfälscher - fühlt sich gut. Ein bisschen Robin Hood muss sein, ein bisschen Robin Hood ist er gern. Ein Schlitzohr mit Herz gewissermaßen. So ganz einfach ist er nicht zu nehmen, dieser Konrad Kujau. Zu viele haben schon versucht auf seine Kosten ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und ein bisschen eitel ist er ja auch - wenn da einer kommt, und ihn versucht nachzuahmen, fühlt er sich schon persönlich beleidigt.
Wie sehen sie aus, seine Erinnerungen? Nicht mal so sehr die an die Hitlertagebücher - das war sein Coup, das hat ihn aber auch einige Jahre seines Lebens gekostet, die er hinter Gittern verbringen musste. Vielmehr die an seine Jugend in Löbau. Damals, als er sich Postkarten von Ulbricht und Pieck besorgte, ihre Unterschriften fälschte und diese „Originale“ an Leichtgläubige verscherbelte.
„Hätten die nachgedacht, hätten sie wissen müssen, dass bei dieser Anzahl von Autogrammen was nicht stimmen konnte. Da hätten die in Berlin ja sagen müssen „He, heute schließen wir, lassen die Politik mal sein und unterschreiben dem Kujau ein paar Karten“, das war unmöglich“ sagte er einmal und lehnt sich zufrieden zurück. Oder wie er die Trottel ausgetrickst hat mit seinen Westfahrrädern: gebrauchte gekauft, Aufkleber in Berlin besorgt, aufgepeppt mit neuen Teilen aus Görlitzer Läden, verziert mit Originalaufklebern aus der Westzone und das ganze Stück für 300 Mark weitergegeben. Wer sich das leisten konnte – so seine Überlegung - der hatte es nicht anders verdient. Fälschen kann eine hohe Kunst sein. Das wissen Liebhaber des Schönen, Guten und Wahren spätestens seit 1983, als der kolossale Kopist Konrad Kujau Deutschland einen der folgenreichsten Fälscher-Skandal seiner an Klitterungen ohnedies reichen Geschichte bescherte.
Kurz vor seinem Tod wollte Kujau übrigens noch als Bürgermeister in seiner Heimatsatdt Löbau kandidieren. Gewählt hätten ihn sicherlich viele der braven Sachsen.
Zurück zu den Tagebüchern. Heidemann hatte diese also vom damaligen Militariahändler und Kunstmaler Konrad Kujau bekommen. Der hatte erzählt, dass DDR-Generäle die Kladden gegen harte West-Mark verkauften. Sie wären in Sachsen gefunden worden, wo die letzte „JU“ abgestürzt sei, die u. a. mit Hitlers Diener 1945 aus dem eingekesselten Berlin gestartet sei... Heidemann und führende „Stern“-Herren bissen an. Kujau machte - sich mit Spucke‚ Asche, Schleifpapier und seiner phänomenalen Fälscher-Begabung ans Werk: „Ich habe einfach drauf zu geschrieben.“ Das war der Illustrierten für eine lange Serie insgesamt 9,34 Millionen Mark wert. Oberflächliche Gutachten hatten die Kladden mit den seltsamen Initialen „FH“ (Führer Hitler) für echt befunden. So der britische Historiker Hugh Trevor-Roper,
der am 4. April 2003 im Alter von 89 Jahren gestorben ist. Trevor-Roper verbürgte sich für die Authentizität der 60 Bände in Sütterlin-Schrift. Davon hat sich Trevor-Ropers Reputation nie mehr erholt. Seine Aussagen, gespickt mit Kommentaren wie „Muss für Eva noch Karten für die Olympischen Spiele besorgen“ sorgten europaweit für Heiterkeitserfolge.
63 angeblich von Hitler verfasste Tagebücher verkaufte er über Heidemann an den „Stern“. Übernacht avancierte der Filou zum Weltstar. Im anschließenden Prozess wurde er jedoch zu mehr als vier Jahren Gefängnis verurteilt. Von denen er aber nur 3 Jahre hinter Gittern zubrachte, da er sehr schwer an Kehlkopfkrebs erkrankte.
Konrad Kujau überwand die schwere Krankheit und lernte wieder sprechen. Stets umschwärmt von der internationalen Presse, stand er abwechselnd als Koch, Fernsehmoderator, Galeriebesitzer, Kneipenwirt und Buchautor im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete Kujau vorwiegend als Maler in seinem Atelier. Gejagt zum Erfolg durch grenzenlose Kreativität, vergaß er völlig seine Gesundheit. Konrad Kujau starb am 12. September 2000 in Stuttgart nach einem schweren Krebsleiden.
Der listige Fälscher Konrad Kujau ist tot. Die Hinterbliebenen des Debakels schieben sich auch heute noch leidenschaftlich die Schuld zu. Da sind der erfolgsbesessene Reporter Gerd Heidemann, die vermarktungslüsternen Verlagsmanager und die eilfertigen Experten, die von der erhofften Bedeutung des Fundes ergriffen waren. Und da sind die Warner - die nicht gehört wurden.
Das Aktendepot Hitlers, ein geheimnisvoller Flugzeugabsturz, Heidemanns Einbildung von Bormanns Doppelgänger und Görings Yacht: Reale und irreale Zutaten der Affäre sind die eines Thrillers. Lag der Fehler in der Geheimhaltungs-Paranoia der Verantwortlichen?
Die aufkommenden Zweifel sollten ausgeräumt werden: Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin untersuchte Papier und textile Fasern. Das Ergebnis am 6. Mai 1983: Fälschung! Der New Yorker Graphologe Kenneth Rendell entlarvte die Fälschung mit einfachsten Mitteln innerhalb von wenigen Stunden. Der Stern hatte dafür über zwei Jahre Zeit gehabt. Wollte man, koste es was es wolle, an die journalistische Sensation des Jahrhunderts glauben? Eine nie dagewesene Blamage war die Folge.
Was wussten Geheimdienste schon vorher von dem drohenden Skandal? Zu beleuchten wäre da die Rolle des damaligen Bundesinnenministers Friedrich Zimmermann (CSU). Dieser wusste bereits vier Wochen vor der „Stern“-Veröffentlichung von der Fälschung. Aber da der „Stern“ eher linksgerichtet war, verschwieg Zimmermann tunlichst sein Wissen. Nach der Veröffentlichung schlug er aber mit einer Pressemitteilung dann geballt zu.
Am 21. August 1984 beginnt der Prozess vor dem Hamburger Landgericht der Illustrierten „Stern“ gegen Konrad Kujau, den Fälscher der 1983 veröffentlichten „Hitler-Tagebücher“, und den ehemaligen „Stern“-Journalisten Gerd Heidemann. Am 8. Juli 1985 das Urteil: Kujau bekam viereinhalb Jahre Haft, Heidemann zwei Monate mehr, der Ex-Reporter bekommt heute Sozialhilfe. Seine „Carin II“ wurde zwangsversteigert. Die Abfingung für die entlassenen Chefredakteure betrug 3,5 Millionen DM. Schulte-Hilten wechselte später in den Aufsichtsrat von Bertelsmann. Wo aber die fast 10 Millionen vom „Stern“ versilbert sind, ist bis heute noch ungeklärt. Doch es traf nicht nur den „Stern“. Hinterher waren auch andere blamiert, denn selbst Medienmogule wie Rupert Murdoch pokerten beim Ausverkauf von Hitlers angeblich weltbewegenden Aufzeichnungen mit.
Zum ersten Mal bekennen sich auch Vertreter von renommierten Blättern wie Sunday Times und Newsweek zu ihrer zweifelhaften Rolle bei dem Hitler-Veröffentlichungs-Geschäft. Des Führers 60 Kunstleder-Kladden „Hitlers Tagebücher“ zeigt darüber hinaus, dass schon vor 20 Jahren die Diskussion darüber eröffnet war, wieviel Raum die Medien der Hitler-Vermarktung geben sollten. Die Flut von Büchern, Filmen und TV-Dokumentationen spricht da eine deutliche Sprache.
„Publish“, so Rupert Murdoch, nachdem er bereits von der Fälschung erfahren hatte, und fügte danach hinzu: „after all we are in the entertainment business!“ – „Veröffentlichen! Schließlich sind wir im Unterhaltungs-Geschäft!“ Nach seiner Haftentlassung lebte Kujau gut mit ehrlicher Arbeit in Stuttgart. Hat seine Galerie, sein Restaurant, organisiert Modeschauen mit Dessous, die er sich selbst ausdenkt, schreibt Bücher. Manche Nacht malt oder zeichnet er drei Bilder, „fälscht“ Monet und Picasso, noch viel lieber aber produziert er Original-Kujaus. Wer den Lebensweg des Konrad Kujau beobachtet hat, weiß, dass es nicht nur eine Frage des Talents ist. Der Künstler ist nicht nur hochbegabt - ob als Maler oder als Fälscher - er ist auch noch ein Original. Die Mischung macht´s. Mit den angeblichen Hitler-Tagebüchern avancierte Kujau zum Meister der Mimesis – und, dem Film „Schtonk“ sei Dank, im öffentlichen Bewusstsein trotz seiner fraglos kriminellen Ader zu einer Art subversivem Volksheld. Zu einem aufklärerischen Kunsterzieher zudem.
Begannen doch selbst weniger ästhetisch veranlagte Zeitgenossen im Gefolge des Eklats zu begreifen, dass der Schein mitunter trügt. Anfang 2000, ein halbes Jahr vor seinem Krebstod, machte der gewichtige Duplikats-Doyen seine Berufung zum Beruf. In seiner zunächst in Stuttgart beheimateten „Galerie der Fälschungen“, die nach einem Dependance-Intermezzo in Rudow gänzlich im Bezirk Mitte beheimatet ist, frönte er lustvoll dem Spagat zwischen Kunst und Kommerz, Authentizität und Reproduktion. Und sorgte sich um den Nachwuchs, wenn er Kinder bei Malstunden
zu designierten Meisterfälschern heranzog. Auch auf der Insel Rügen präsentierte sich Kujau als lebenslustiges Original der deutschen Fälscherzunft und genoss das Nachtleben im Ostseebad Binz in vollen Zügen.
Unterdes werden seine Kopien zumal der Alten Meister, aber auch zeitgenössischer Künstler, in einem ungeahnten Maße nachgefragt, wie seine Nichte und Erbin Petra Kujau versichert. „Den Konrad hätte es gefreut, wie gut sich seine Fälschungen auch nach seinem Tod noch verkaufen.“ So groß ist der Run auf „echte Kujaus“, dass die Galeristin heute mit Werken ihres Onkels, immer mit deren baldigem Ausverkauf rechnet.
Nun gibt es aber mittlerweile weitere Neuigkeiten bezüglich der Hitler-Tagebücher: Die britische Journalistin Gitta Sereny fand heraus, dass hinter den falschen Hitler-Tagebüchern des Stern sehr wahrscheinlich alte Nazis steckten. Deren ursprüngliche Idee war, sechs Hitler-Tagebücher an die Öffentlichkeit zu bringen, wobei das Interessante dabei ist, dass es tatsächlich ein echtes Hitler-Tagebuch gab. Sie beauftragten Konrad Kujau, aus diesem Hitler-Tagebuch insgesamt sechs Tagebücher zu machen. Mohnke und seine Partner schrieben auf Grundlage des echten Buchs unter anderem Dinge in diese Tagebücher hinein, die nur sie wissen konnten. Kujau allerdings hat schnell gemerkt, dass aus diesen Büchern enormes Kapital geschlagen werden konnte. Schon 1976 wurden einzelne Seiten und ganze Tagebücher, die Kujau hergestellt hatte, in den USA angeboten und verkauft, also schon Jahre vor dem Stern-Skandal. Daraufhin hat Kujau immer mehr Tagebücher produziert, am Ende waren es über 60. Der ehemalige SS-Mann Klapper, neben General Mohnke einer der vier Männer, hat mir gesagt: „Es ist wahr, wir haben das geplant, sechs Bücher.“ Diese sechs Bücher wollten sie von Anfang an veröffentlichen. Vielleicht auch schon beim Stern, sie wollten sie jedenfalls dort platzieren, wo sie am meisten „Gutes“ in ihrem Sinn bewirken konnten. Es war bekannt, dass Klapper und der ehemalige General Wilhelm Mohnke involviert waren, die anderen beiden konnte ich nicht mehr herausfinden, Kujau hat sie nicht verraten.
Mohnke kam aus einer alten Offiziersfamilie, er war ein Herr. Klapper war absolut kein Herr, er war ein Schuft. Er war natürlich extrem national eingestellt und er war ein ausgezeichneter Organisator. Das hat sich daran gezeigt, wie geschickt er den „Stern“-Reporter Heidemann in die Sache hereingebracht und mehr und mehr verwickelt hat, indem er ihm vollkommen irrsinnige Geschichten erzählt hat. Etwa, dass Martin Bormann noch lebe und er ein Treffen mit ihm organisieren könne. Klapper wusste genau, wenn er Heidemann und damit den Stern gewinnen würde, dann könnte er seine Version der Geschichte an ein sehr großes Publikum bringen.
Am 21. Oktober 1979 feierte Fritz Stiefel in seinem Stuttgarter Haus eine Party. Unter Stiefels Gästen waren Kujau sowie ein Paar namens Tiefenthäler. Jakob Tiefenthäler war SS-Angehöriger. Erstaunlicherweise arbeitete er als Leiter der audiovisuellen Schulung der amerikanischen Armee in Süddeutschland. Tiefenthäler durfte eines der Hitler-Tagebücher ansehen. Ein paar Tage nach der Geburtstagsfeier gab er die sensationelle Neuigkeit an Heidemann beim „Stern“ weiter. Heidemann fuhr prompt zu Stiefel. Er war überwältigt von dem, was er da zu sehen bekam: nicht nur das Tagebuch, sondern auch Stiefels Sammlung vermeintlicher Hitler-Gemälde.
Hier nun betritt eine sinistre Figur die Bildfläche. Ich will den Mann „X“ nennen. Wie Kujau stammt er aus Ostdeutschland; wie Kujau hat er sich in Baden-Württemberg niedergelassen. Wie Kujau bewegt er sich in der zwielichtigen Nazi-Welt. Unter dem linken Arm trägt er die Tätowierung der SS. Durch seine Position in der HIAG kennt er sämtliche überlebenden SS-Größen. Gerd Heidemann kannte X schon seit zehn Jahren. Er kam regelmäßig zu Besuch, verbrachte Wochenenden und Ferien an Bord der „Carin II“. Nach seinem Besuch bei Stiefel erzählte Heidemann X von dem Tagebuch, das er gesehen hatte.
Im Januar 1981 traf Heidemann mit Kujau zusammen und sagte ihm, der „Stern“ sei bereit, zwei Millionen für 27 Tagebücher zu zahlen. Einen Monat später kamen die ersten Exemplare „aus Ostdeutschland“. X weihte Heidemann nun in ein noch sensationelleres Geheimnis ein: Martin Bormann sei noch am Leben und halte sich in Spanien auf. Er, X, sei in ständiger Verbindung mit ihm. Er bot an, Bormann einzelne Seiten aus den Tagebüchern zur Prüfung ihrer Echtheit vorzulegen. Prompt berichtete er nach einer Weile, Bormann habe sie für echt erklärt. Und: „Martin möchte sich mit Ihnen treffen“. Heidemann glaubte, der erste Journalist der Welt zu sein, der Bormann interviewen würde. Doch Martin Bormann machte sich rar.
Auf sein Geheiß kaufte Heidemann Flugtickets für die verschiedensten Orte: nach Zürich, wo „Martin“ angeblich neben einer Synagoge wohnte, nach Spanien, wo „Martin“ Häuser besitze, nach Mexiko, wo „Martin“ eine deutsche Kolonie leite. Jedes Mal sagte X im letzten Moment ab. „Martin fühlt sich nicht wohl“, sagte er. Oder: „Uns wurde zugetragen, dass jemand Wind bekommen hat.“
Gegen Ende 1982 geschah etwas, was Heidemann davon überzeugte, dass Martin Bormann tatsächlich noch am Leben war und für ihn jeden Zweifel an der Echtheit der Hitler-Tagebücher ausräumte.
Beim „Stern“ in Hamburg war ein eigenes Büro für die kleine Gruppe eingerichtet worden, die an „Grüne Gewölbe“ arbeitete – dies war der Tarnname der Redaktion für das Projekt Hitler-Tagebücher. Das waren Thomas Walde, der Chef des Ressorts Zeitgeschichte, Leo Pesch, ein junger Journalist und studierter Historiker, und zwei Sekretärinnen. Monatlich gingen etwa drei Tagebücher ein.
Ende Dezember 1982 stießen sie auf einen Namen, den sie nirgends sonst finden konnten: Hauptsturmführer Anton Laackman. Ihn hatte Hitler angeblich mit der Überwachung seines Stellvertreters Heß betraut. Walde und Pesch baten Freunde im Bundesarchiv in Koblenz, für sie im Berlin Document Centre nach Unterlagen über Hauptsturmführer Laackman zu suchen.
Drei Wochen später bekamen sie dreißig fotokopierte Seiten aus Laackmans Personalakte. Das war an sich schon eindrucksvoll genug; noch überzeugender aber war, was Heidemann jetzt vorlegte. Da Laackman in dem Heß-Band als Angehöriger von Bormanns Stab bezeichnet wurde, forderte Heidemann X auf, „Martin“ nach dem obskuren SS-Mann zu fragen. Kurz nachdem die „Stern“-Kopien aus Berlin eingetroffen waren, lieferte X drei Seiten aus Laackmans SS-Akte, die in den Unterlagen des Document Centre fehlten. Es waren keine Fotokopien, sondern Originale. Sie waren zweifellos echt. X erzählte Heidemann, er habe die Dokumente aus Bormanns Schreibtisch in Madrid entwendet.
Das war ein meisterliches Täuschungsmanöver. Ich glaube, dass X eine wesentliche Rolle – vielleicht die Hauptrolle – im Tagebücher-Schwindel gespielt hat. Ich glaube, dass von ihm die Fakten stammten, die es Kujau ermöglichten, so viele Tagebücher zu fälschen. Ich glaube, er hat Heidemann in einem Gespinst raffinierter Lügen über Martin Bormann gefangen.
Wie hatte X die Laackman-Papiere beschafft? Ein gewisser Rainer Hess arbeitete als Fotokopierer und Bote in einem der westdeutschen Staatsarchive, in denen Dokumente über den Zweiten Weltkrieg aufbewahrt werden. Ende 1982 oder Anfang 1983 begann er, im Auftrag von X, Dokumente aus den Archiven zu entwenden. Rainer Hess war seit Jahren Kunde im Waffengeschäft von X.
Zwar hat zweifellos Kujau die Tagebücher geschrieben und dazu Passagen aus Büchern kopiert, doch ist es unwahrscheinlich, dass er in der Lage war, die erforderlichen Recherchen zu organisieren und die zu übernehmenden Inhalte auszuwählen. Sicher, die Tagebücher sind oft banal, aber wenn man sie ganz liest, erkennt man doch durchgehende Linien politischer Einsicht und vor allem den wiederholten Versuch darzulegen, dass Hitler kein fanatischer Antisemit und nicht an den Beschlüssen zur Durchführung des Völkermords beteiligt war.
Als Kujau angeblich mit diesen komplexen Recherchen beschäftigt war, hatte er einen sehr geregelten Tagesablauf. Jeden Werktag ging er morgens aus dem Haus, das er mit Edith bewohnte, und verbrachte den Tag mit seiner 34-jährigen Assistentin Maria Modritsch. Weder hier noch dort, so behauptet sie steif und fest, hat er jemals gelesen oder geschrieben. Wenn er abends nach Hause kam, trank er laut Edith viel und schlief vor dem Fernseher ein. Erst gegen Mitternacht, nachdem Edith zu Bett gegangen war, ging er in sein Arbeitszimmer und arbeitete maximal vier Stunden an den Tagebüchern.
Aber wann wählte er die langen Texte aus den Hunderten von Büchern und Zeitschriften aus, mit denen er seinen gütigen Hitler darstellen wollte? Als die Polizei Kujaus Haus durchsuchte, fand sie eine Bibliothek mit Veröffentlichungen über das Dritte Reich, insgesamt 427 Bände. Aber regelmäßige Besucher seines Hauses und seines Ladens, darunter sein Sohn, versichern, er habe keine solche Bibliothek besessen.
Wo wurden die Bücher aufbewahrt, wer wählte die Passagen aus, die Kujau abschrieb? Wie kamen sie schließlich in Kujaus Haus, wo die Polizei sie dann fand?
Dieses Rätsel lässt sich leicht lösen, wenn, was ich glaube, X der eigentliche Kopf der Verschwörung war.
Bis 1981 war Heidemann fast ständig pleite. Die Kosten für den Unterhalt der Göring-Yacht konnte er von seinem Gehalt beim „Stern“, netto etwa 60 000 Mark im Jahr, nur sehr mühsam bestreiten. Er hatte sich angewöhnt, seine Arbeitskollegen, sogar Sekretärinnen, um kleinere Beträge anzupumpen. Im Jahre 1981, nachdem die „Stern“-Gelder zu fließen begonnen hatten, ging es mit dem Lebensstil der Heidemanns aufwärts. Sie bezogen eine Luxuswohnung in Hamburg mit Blick auf die Elbe und mieteten dieselbe Wohnung im Stockwerk darüber als Heidemanns Büro.
Ein paar Monate später mietete er noch eine Wohnung in der Stadtmitte, außerdem kaufte er zwei Häuser in Spanien. Der „Stern“ zahlte ihm insgesamt 1,5 Millionen Mark in Form von Vorschüssen und Prämien für seinen Hitler-„Coup“. Aber die Polizei hat ermittelt, dass Heidemann von Februar 1981 bis April 1983 2,5 Millionen mehr ausgegeben hat, als er verdiente. Was der „Stern“ nicht wusste: Heidemanns „direkter Draht“ zu Martin Bormann über X war sehr kostspielig. X gibt zu, von Heidemann 185 000 Mark für seine „Spesen“ erhalten zu haben. Die Hamburger Polizei fand Beweise dafür, dass es mindestens 300 000 Mark waren. Fest steht, dass der Verbleib von gut vier Millionen Mark aus der „Stern“-Kasse nach wie vor ungeklärt ist.
Es ging diesen vier Leuten darum, ihre Thesen zu verbreiten, und der Stern war dafür natürlich ideal. Und Heidemann war zwar nicht dumm, aber völlig naiv. Er hat an Dinge geglaubt, die völlig unwahrscheinlich waren. Er war ein Fantast, aber kein Nazi. Das merkwürdige an Heidemann war, wie sorgfältig und gewissenhaft er eigentlich war. Er hat ja immer gesagt: Wir können nichts herausgeben, bevor wir nicht alle Expertisen eingeholt haben, die wir bekommen können. Dann wurde die Story viel früher herausgebracht als eigentlich geplant war, und vorher waren nur sehr wenige Untersuchungen vorgenommen worden. Die Leute vom „Stern“ wurden von ihrem Enthusiasmus für diese Sensation völlig überwältigt, das raubt einem das Denken. Die Gefahr solcher Sensationsgeschichten ist eben, dass man ihnen schnell verfällt. Heidemann war alarmiert. Er war es ja, der immer gebremst hat, aber um ihn herum waren alle völlig von dieser Sache eingenommen. Heidemann hatte anfangs immer noch gesagt, wir müssen warten, das darf noch nicht veröffentlicht werden.
Das ist ihm nie zugutegehalten worden. Er war natürlich auch selbst schuld daran, weil er am Ende auch diesem Enthusiasmus verfallen ist, das war ja wie ein Rausch, jedes mal wenn Heidemann mit einem neuen Tagebuch kam. Ihm ist diese Sache dann auch entglitten. Es war allerdings entsetzlich, dass die ganze Schuld am Ende ihm zugesprochen worden ist, er war ja sogar länger im Gefängnis als Kujau. Die fanden das alles sehr traurig! Dass ihr Plan fehlgeschlagen ist. Mohnke etwa war sehr merkwürdig. Er hat gar nicht verstehen wollen, dass er selbst bereits eine Fälschung geplant hatte. Er beschuldigte den Kujau, Fälschungen hergestellt zu haben. Es kam ihm aber gar nicht in den Sinn, dass die Tagebücher, die er und seine Partner in Auftrag gegeben hatten, auch eine Fälschung gewesen wären.
Mohnke fand, das sei keine Fälschung, weil es sozusagen aus dem Richtigen kam.
Aber auch an einer anderen Stelle ist die genannte Zeitschrift fast wieder einen Schwindler auf dem Leim gegangen. Diesmal ging es um die Jagd nach dem Ex-Reichsleiter Martin Bormann.
„Im Januar 1964 bot Erich Karl Wiedewald, damals 38 Jahre alt, in Westpreußen geboren, den „stern“ eine Bormann-Geschichte an. Er war angeblich mit dem Sekretär des Führers aus dem belagerten Berlin entkommen. Jetzt lebe dieser im brasilianischen Urwald zusammen mit weiteren Ex-Nazis auf einer riesigen Plantage und lasse sich von schießfreudigen Leibwächtern abschirmen. Wiedewald versprach, eine Begegnung zu vermitteln. Zwei „stern“-Reporter flogen nach Brasilien und warteten verabredungsgemäß wochenlang vergebens auf die Kontaktaufnahme.
Wiewald musste Jahre später bei einer richterlichen Vernehmung in Frankfurt (am Main, d.A.) zugeben, dass seine Geschichte erdichtet war.
Mit der Verurteilung und dem Tod Kujaus war die Sache allerdings nicht zu Ende. Es ging weiter.
Für die gefälschten Hitler-Tagebücher zahlte der "Stern" einst 9,3 Millionen Mark. Die angeblich letzte Kladde wurde am 23. April 2004 (konnte man nicht bis „Führers Geburtstag“ aus Marketing-Gründen warten) in Berlin versteigert. Dabei kam heraus: Im Gefängnis produzierte der Stuttgarter Kunstfälscher die Imitate gleich serienweise Konrad Kujaus gefälschte Hitler-Tagebücher, mit denen der Stern 1983 den größten journalistischen Flop der Nachkriegsgeschichte gelandet hatte, sind immer noch ein guter Stoff für Geschäftemacher. Das Berliner Auktionshaus Jeschke, Greve & Hauff hat am 23. April 2004 als Los Nummer 2378 "das originale und authentische Tagebuch Adolf Hitlers, letzter Teil, begonnen am 15. April 1945", meistbietend angeboten.
"56 linierte blütenweiße Blatt, davon 25 vom Führer unterschrieben", hieß es im Katalog. Als Kostprobe aus der Feder des Führers wurde unter anderem Hitlers "letzte Verfügung" zitiert: "Ich bestimme hiermit: Ich selbst und meine Gattin wählen, um der Schande des Gefängnis' oder der Kapitulation zu entgehen, den Tod!" Als Schätzpreis hatte das Auktionshaus 7.000 Euro festgesetzt. Der Stern hatte für sein Konvolut einst 9,3 Millionen Mark bezahlt.
Im Katalog schrieb das Auktionshaus weiter, die Handschrift stamme "aus derselben Quelle, aus der ein in Deutschland relativ bekanntes Wochen-Magazin vor einigen Jahren schöpfte". Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn das Tagebuch kommt zwar aus der Feder von Kujau. Aber es gehört, anders als das Auktionshaus suggeriert, nicht zu jenen 60 Tagebüchern, mit denen der Stern die deutsche Geschichtsschreibung nachhaltig beeinflussen wollte.
Auf Nachfrage sagte ein Mitarbeiter des Auktionshauses, dass Kujau den angebotenen Band während der Haft geschrieben habe, zu der er wegen seiner Fälschungen verurteilt wurde. "Als krönenden Abschluss sozusagen", so der Mitarbeiter. Kujau war zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und nach drei Jahren wegen eines Kehlkopfleidens vorzeitig entlassen worden. Im September 2000 starb Kujau im Alter von 62 Jahren an Magenkrebs. Er hatte nicht nur Tagebücher gefälscht, sondern auch berühmte Gemälde nachgeahmt und den Chorleiter Gotthilf Fischer mittels eines gefälschten Stammbaums zum Mozart-Nachfahren erklärt.
Ein Anruf bei Kujaus Nichte, die in der Stuttgarter "Galerie Konrad Kujau" unter anderem mit Werken des genialen Imitators handelt, fördert eine neue Fälschergeschichte zu Tage. Auch Jahre nach seinem Tod schafft es Kujau offenbar, die Leute an der Nase herumzuführen. Ein Mitarbeiter der Stuttgarter Galerie berichtet, es gebe mehrere Ausgaben des angeblich letzten Hitler-Tagebuchs. Kujau habe sie allesamt im Gefängnis angefertigt - und auch damit Schabernack getrieben.
"Er erzählte allen, denen er es verkaufte, es sei das einzige."
Die Rechnung des Berliner Auktionshauses, mit den Namen Hitler und Kujau in die Schlagzeilen zu kommen, ist aufgegangen. Das Haus war voller Journalisten. Nur das Interesse der Bieter hielt sich in Grenzen, es waren nicht mehr Leute als sonst im Saal. Begonnen wurde nicht wie angekündigt mit 7.000 Euro, sondern nur mit 5.000 Euro. Schon beim zweiten Gebot, 6.500 Euro, fand die Hitlerkladde einen neuen Besitzer. Ein Mitarbeiter des Auktionshauses hatte das Interesse schon zuvor eher gering eingeschätzt. "Wir wissen nicht, ob die Kranken heute Ausgang haben", sagte er der Presse. Für 1.100 Euro gingen auch vier NS-Publikationen weg, die mit handschriftlichen Namenszügen von Hitler, Göring, Himmler und Goebbels signiert sind. Auch sie stammen von - Kujau.
Die echten Hitler-Fälschungen lagern zum größten Teil im Keller des Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr. Einige Bände sind im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen.
Hier einige Auszüge aus den Tagebüchern des „Führers“:
Eintrag für Januar 1935:
„Habe Eva dieses Jahr erst zweimal gesehen... Gesellschaftliche Verpflichtungen musste ich meist ablehnen, da mich die Arbeit total ausfüllt. Leide an Schlaflosigkeit
und Appetitlosigkeit.“