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Abgetrieben – Der Memminger Prozess Einleitung
ОглавлениеNach einer von leisen Tönen geprägten Debatte hat der Bundestag am 13.Mai 2009 mit 326 gegen 234 Stimmen beschlossen, die umstrittene Praxis der Spätabtreibung künftig strenger zu regeln. Die wichtigsten Punkte: Zwischen der Diagnose, dass ein Kind behindert oder geschädigt zur Welt kommen könnte, und einer Spätabtreibung müssen künftig mindestens drei Tage Bedenkzeit liegen. Der behandelnde Arzt ist zudem verpflichtet, der werdenden Mutter eine Beratung anzubieten. Die Frau darf die Beratung ablehnen. Ein Mediziner, der es versäumt, ein solches Gespräch anzubieten, kann mit einer Strafe von bis zu 5000 Euro belegt werden.
Im Jahr 2008 hat sich die soziale Not in Deutschland laut eines Diakonie-Berichtes weiter verschärft. Viele Betroffene suchten eine Beratungsstelle auf, weil sie durch die Schwangerschaft in eine finanzielle Notlage und schwierige familiäre Situation gerieten. So waren 84 Prozent der Gespräche auch eine soziale Beratung. Sechs Prozent der Ratsuchenden waren minderjährig. 40 Prozent von Sozialleistungen abhängig.
Und wie ist mit der Beratung durch die Stellen der katholischen Kirche? Die deutschen Bischöfe warten1997 in gespannter Ruhe auf ein klares Wort aus Rom. Vor einer Entscheidung des Papstes wollen sie sich zum heiklen Thema Schwangerenberatung öffentlich nicht äußern.
Seit dem 27. Mai 1997, als fast die gesamte Bischofskonferenz ein "brüderliches Gespräch" mit dem Papst in Rom führte, steht die Bewertung der vatikanischen Glaubenskongregation aus: Ist der Beratungsschein, ohne den eine legale Abtreibung in Deutschland nicht möglich ist, "Beihilfe zum Mord" oder leistet die Kirche durch ihre Teilhabe am staatlichen Beratungssystem "Hilfe in Not"?
Die Mehrheit der Bischöfe hatte dem Papst und seinem obersten Glaubenswächter, Kardinal Joseph Ratzinger, den späteren Papst, klarzumachen versucht, warum es "zentral wichtig" sei, dass die Kirche "den bedrängten Frauen möglichst nahe bleibt". Das 1995 neu geregelte Abtreibungsgesetz sei zwar unzureichend, argumentierte Karl Lehmann, damals Vorsitzender der Bischofskonferenz, doch in der katholischen Beratung könnten viele Frauen von einem Abbruch "abgehalten" werden. Die Kirche müsse ungewollt Schwangeren auch in Zukunft die Türen öffnen, "denn andere Beratungsstellen", sagte etwa der Erzbischof von Berlin, Kardinal Georg Sterzinsky, in einem Interview mit Radio Vatikan, "halten gar nichts vom Leben, sondern raten eher, das Kind zu töten".
Bischof Johannes Dyba aus Fulda hat bisher als einziger eine andere Gewissensentscheidung getroffen. Schon 1993 verfügte er für seine Diözese faktisch den Ausstieg aus dem Beratungssystem: Notlagengespräche ja, aber ohne Bescheinigung. Die Kirche, die den neuen Paragraphen 218 für eine weitere Verschlechterung des Lebensschutzes hält und ihn nach eigenen Angaben bekämpfen will, müsse "endlich klare Konsequenzen" ziehen und die Caritas sowie den Sozialdienst katholischer Frauen anweisen, keine "Tötungslizenzen" mehr auszustellen.
Seit Inkrafttreten des neuen Abtreibungsrechts 1996 ist die katholische Schwangerenberatung ein Streitfall zwischen Kirche und Politik, weil die "Vorläufigen Bischöflichen Richtlinien" für die Beratungsstellen zum Teil weit über das Gesetz hinausgehen. So darf die Caritas keine Bescheinigung ausstellen, "wenn sich die ratsuchende Frau nicht auf eine Beratung im oben genannten Sinne (der katholischen Kirche, deren Dogma Abtreibung verbietet/d. A.) eingelassen hat". Zum zweiten kann sie abgewiesen werden, wenn die Beratung "wegen eines bestehenden Zeitdrucks nicht möglich ist", die Schwangere also erst kurz vor Ablauf der Abtreibungsfrist zur Caritas kommt.
Das Ergebnis ist bekannt. Aus dem obersten Glaubenswächter, Kardinal Joseph Ratzinger wurde inzwischen Papst Benedikt XVI., der am 28. Februar 2013 von seinem Amt zurücktrat, und der droht allem Abtreibungsbereiten mit dem Fegefeuer in der Hölle. Im Mittelalter verbrannte die Kirche Hexen und heute? Ja, es war immer schon ein Kreuz mit der Abtreibung und der Anwendung des § 218. Den Höhepunkt erreichte der Streit aber in der Bundesrepublik mit den sogenannten Memminger Prozess.