Читать книгу Wahre Kriminalfälle und Skandale - Walter Brendel - Страница 6
ОглавлениеEintrag für Juli 1944:
„Der schwerste Bericht meines bisherigen Lebens! Durch Dummheit und verbrecherischen Ehrgeiz hat eine kleine Gruppe von Lumpen versucht, mich zu beseitigen... Schon am 19. Juli hatte ich so ein komisches Gefühl im Magen. Innerlich dachte ich, hoffentlich passiert mir nichts, ich habe ein ganz schlechtes Gefühl.“
Eintrag für Februar 1945 (im „Führerbunker“):
„Himmler macht Äußerungen, ich hätte die Parkinsonsche Krankheit. Werde Himmler im Auge behalten, und wenn es sein muss, lasse ich ihn erschießen.
Eva sagt mir, sie möchte gerne bei mir sein. Muss ihr immer wieder sagen, sie ist in der jetzigen Zeit für mich nur eine Belastung. Kann sie aber gut verstehen!“
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Das tatsächliche Vorbild für die Geschichte mit dem gefälschten Vergleichs-Material stammt aus dem Jahre 1960 von einem Prozess um die angeblichen Tagebücher der Anne Frank. Da deren Vater nicht nur die "Korrekturen" am "Original" mit einer Kugelschreibermine vorgenommen hatte, die es erst seit 1951 gab - das war unstreitig -, sondern besagtes "Original" auch in derselben Handschrift geschrieben war wie diese "Korrekturen", kam die vom Gericht beauftragte Grafologin Minna Becker, Hamburg, zu dem unumstößlichen Urteil, dass, nein, nicht etwa dass auch das "Original" vom Vater stammte, mithin eine Fälschung sein musste, wie es der Spiegel zart anzudeuten wagte (freilich erst 20 Jahre später) und wie es sich auch aus dem Vergleich von "Original und Korrekturen" mit der echten Handschriftprobe Anne Franks zweifelsfrei ergibt, sondern dass die Korrekturen ebenfalls von Anne Frank stammten, diese also 1951 noch gelebt haben muss! (Wie war das im Film? In der vorletzten Szene sagt Willié zu Dr. Wieland: "Wenn aber die Tagebücher von Hitler geschrieben sind - und dafür haben wir drei unumstößliche Gutachten -, dann beweist das doch, dass Adolf Hitler noch lebt; und den werde ich jetzt suchen gehen!" Warum nicht - schließlich hatte Heidemann schon den mysteriösen Roman-Autoren B. Traven in Mexiko aufgespürt, eine journalistische Meisterleistung allerersten Ranges, die freilich inzwischen aus den Annalen der Geschichte gestrichen wurde; offiziell fand die Enttarnung jetzt 20 Jahre später durch irgendwelche politisch-korrekten Schreiberlinge statt :-) Und Ihr werdet es nicht glauben, liebe Leser, oder vielmehr doch, denn Ihr wisst ja wie das ist mit der staatlich verordneten "Wahrheit": Das Gericht verurteilte einen unschuldigen 76-jährigen Rentner wegen des Verbrechens der Leugnung der Echtheit der Anne-Frank-Tagebücher zu einer hohen Gefängnisstrafe. So war das damals...
Tja, liebe Leser, und da sollte der arme Gerd Heidemann - der das natürlich auch alles erfuhr - nicht zu dem Schluss gelangen: "Selbst wenn die Tagebücher echt gewesen wären, hätten sie nicht echt sein dürfen, das stand von Anfang an fest!"?
Aber das hätte er besser nicht laut gesagt - schon gar nicht vor Gericht (aber das hatten wir ja schon): Er wurde zu einer zwei Monate längeren Freiheitsstrafe (4 Jahre 8 Monate) verknackt als der geständige Fälscher Kujau, unter eklatanter Verletzung des "in dubio pro reo [im Zweifel für den Angeklagten]". Warum? Wir wissen es nicht; auch der Autor rätselt noch immer, warum die Tagebücher denn nicht echt sein durften. Aber er kennt den Inhalt der restlichen Kladden nicht - vielleicht steht da ja tatsächlich so viel Brisantes drin, dass es "volkspädagogisch" besser ist, wenn es (egal, wer der Urheber ist) tot geschwiegen wird. Ebenfalls tot geschwiegen wurde Heidemanns Sicht der Dinge, die Peter-Ferdinand Koch (ein durch und durch seriöser Mann, der so gar nichts mit dem etwas minder bemittelten Chef-Redakteur "Kurt Glück" im Film gemeinsam hat) 1990 unter dem Titel "Der Fund. Gerd Heidemann und die Hitler-Tagebücher" veröffentlichte. Dabei ist sie von allen Darstellungen wahrscheinlich die ehrlichste bzw. die am wenigsten verlogene (was nicht heißen muss, dass es auch die zutreffendste ist - Heidemann hatte sich ja selber herein legen lassen, von wem auch immer). Der Autor nimmt jedenfalls Heidemann drei Dinge ab: 1. Kujau hatte ihm die Tagebücher nicht als Fälschung, sondern als "echt" verkauft, und er glaubte an ihre Echtheit. 2. Heidemann hat den größten Teil der Stern-Gelder (abzüglich des ihm zustehenden Honorars) an Kujau weiter gegeben, also keine Unterschlagung begangen. 3. Die Tagebücher können nicht von Kujau alleine gefertigt worden sein. Die beiden ersten Punkte sind mehr eine Glaubenssache, der dritte nicht, sondern eine Frage des Wissens.
Jeder Schriftsachverständige sieht sofort, dass die "Varianz" innerhalb der Tagebücher (das ist die Unterschiedlichkeit des Schriftbildes, die sich im Laufe des Lebens beim selben Schreiber ergibt, im Gegensatz zur Unterschiedlichkeit, die durch verschiedene Urheber hervorgerufen wird), d.h. zwischen den einzelnen Bänden, so groß, die altersbedingte "Entwicklung" der Schrift so ausgeprägt ist, dass sie ein einzelner Fälscher in einem so kurzen Zeitraum wie Kujau ihn "gestanden" hat, unmöglich geschaffen haben kann. Das ist einfach so, und schon das allein wischt alle schönen Thesen à la Kujau als Einzeltäter zwingend vom Tisch. [Kujau hat auch in anderen Punkten nachweislich gelogen: Er hat behauptet, das fehlende Fraktur-"A" durch ein "F" ersetzt zu haben - das, wie wir gesehen haben, durchaus ein "A" war -; er hat ferner behauptet, er habe alte DDR-Schulkladden benutzt – in Wirklichkeit handelte es sich unstreitig um Papier, das vor Gründung der DDR hergestellt wurde; und last not least hat er behauptet, er habe die Tagebücher nicht bei Domarus abgeschrieben, sondern aus dem Wehrmachtsbericht - das ist völliger Blödsinn. All das beweist, dass sein Geständnis falsch war - aber welcher Staatsanwalt und welcher Richter würde sich schon die Arbeit machen, ein falsches Geständnis in Frage zu stellen, zumal wenn ein solches Hinterfragen politisch unerwünscht ist und er noch befördert werden will?]
Wenn die Tagebücher eine Fälschung sind - und davon geht die herrschende Meinung ja bis heute aus -, dann muss es sich um eine über Jahre hinweg angelegte geniale Arbeit handeln, die ein einzelner niemals hätte leisten könnten. Wieder stellt sich die Frage: Warum wird das der Öffentlichkeit verschwiegen? Warum werden die Tagebücher bis heute unter Verschluss gehalten (wenn sie nicht schon heimlich vernichtet worden sind)? Will man etwa verhindern, dass der wahre Urheber ermittelt wird? Warum gilt allein das Ansinnen, einen Blick auf ihr Inneres zu werfen, bis heute als "Gedanken-Verbrechen"? Sollten (und sollen) die wahren Hintermänner gedeckt werden? Wo sitzen bzw. saßen sie? Bei der Stasi, die ja auch die Akte Lübke gefälscht hatte? (Aber spricht nicht gerade der Umstand, dass diese Fälschung nach dem Ende der DDR heraus kam, dagegen? Hätte dann nicht auch die Kujau-Fälschung heraus kommen müssen?) Oder beim KGB? Wer als die Sowjets hätte ein größeres Interesse daran haben können, zu beweisen, dass z.B. der England-Flug des (1983 noch in Spandau einsitzenden) Rudolf Heß 1941 mit Hitlers Billigung erfolgte, dass dieser mit Hilfe britischer Oppositioneller England zum Bündnis gegen Stalin bewegen wollte? War das nicht die Grundlage für Heß' Verurteilung wegen "Vorbereitung eines Angriffskriegs" in Nürnberg gewesen, und schien das diese Verurteilung (und seine als "Selbstmord" getarnte Ermordung ein paar Jahre später) nicht im Nachhinein zu rechtfertigen? Und war das der Grund, weshalb für den Westen - der ja geschlossen die gegenteilige Ansicht vertritt - der Inhalt der "Hitler-Tagebücher" falsch sein musste und Kujau ihr (alleiniger) Verfasser?
Kujau - der sicher nicht der historischen Wahrheit, sondern allein seinem Nutzen verpflichtet war - hat sein Geheimnis anno 2000 mit ins Grab genommen, und so werden wir es vielleicht nie erfahren. Das ist der eigentliche Skandal und die eigentlich Blamage um die "Hitler-Tagebücher"; und wenn man um diese Hintergründe weiß, dann bleibt einem das Lachen über die gut gemachte Film-Komödie ("Schtonk" wurde ein Riesen-Erfolg, lief erst Monate lang im Kino, dann auch mehrmals auf allen Fernseh-Kanälen) im Halse stecken, und man begreift die (sicher ungewollte) tiefere Bedeutung des Titels - die auch für die meisten anderen der in "Die [un]schöne Welt der Illusionen" vorgestellten Filme uneingeschränkt gilt: Kotze Schtonk!
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Nachtrag von 2002. Die Merkwürdigkeiten in diesem Fall wollen nicht abreißen. Rund zwei Jahrzehnte später, pünktlich zu Führers 113. Geburtstag, meldete sich aus London Gitta Sereny zu Wort, eine verbitterte alte Ungarin mosaïschen Glaubens, Todfeindin des in "Schtonk" so peinlichst verschwiegenen David Irving, und tischte ihre Version der Geschichte auf, an der sie angeblich Jahre lang recherchiert hatte:
Nicht "der kriminelle Clown Konrad Kujau" habe den Betrug eingefädelt - der sei lediglich ausführendes Organ gewesen -, sondern ein geheimnisvoller "Mr. X" (der auch die alten Kladden besorgt haben soll - inzwischen stand ja fest, dass das Papier entgegen zunächst verbreiteter Gerüchte nicht erst nach, sondern schon vor 1945 produziert wurde); und "der naive Gerd Heidemann" sei kein Täter, sondern selber Opfer gewesen. So weit so gut. Aber wenn man weiter liest, wird das ganze doch ziemlich abenteuerlich: Hitler soll doch Tagebuch geschrieben haben, jede Nacht, stundenlang, bis vier oder fünf Uhr morgens. Dieses Tagebuch habe "Mr. X" in sechs Teile geteilt und von Kujau noch etwas "aufpeppen", neu einbinden und versiegeln lassen, um den Fund etwas zu strecken.
Kujau sei dann auf den Geschmack gekommen und habe noch 62 weitere Bände auf eigene Faust (und Rechnung) hinzu geschrieben. Der weder bei Kujau noch bei Heidemann aufgefundene Teil des STERN-Honorars sei wohl bei "Mr. X" gelandet, der wiederum Kontakt zu Martin Bormann gehabt habe; der und seine Hintermänner lachten sich jetzt ins Fäustchen. Schuld daran sei nicht zuletzt der Film "Schtonk", der die Leute auf eine falsche Fährte gelenkt habe. So so. Ganze zwei Wochen blieb dieser Aufsatz im Internet, dann verschwand er wieder.
Aber damit nicht genug, tauchte bald darauf eine neue Webseite auf, ein "Interview" mit Gitta Sereny, in dem sie das große Geheimnis um "Mr. X" lüftete: Er hatte sichwie die Hitler-Tagebücher vervielfacht, zu einem Quartett "alter Nazis", allen voran General a.D. Wilhelm Mohnke ("aus einer alten Offiziers-Familie, er war ein Herr" [selbst das war schlampig recherchiert: Mohnkes Vater war Kunsttischler, und er selber war nicht General a.D., sondern SS-Brigadeführer a.D.] und SS-Mann a.D. Klapper ("er war ein Schuft"); die Namen der beiden anderen hat auch sie nicht heraus gefunden. Diese vier, so Sereny, wollten ursprünglich gar kein Geschäft mit den Hitler-Tagebüchern machen, sondern nur beweisen, dass Hitler doch eigentlich ein netter Mensch war, der gar keinen Krieg wollte und vom "Holocaust" nichts wusste. Wenn das tatsächlich der Inhalt der Hitler-Tagebücher ist - mit oder ohne Ausschmückungen Kujaus und seiner Hintermänner -, dann ist es durchaus verständlich, wenn die amtlichen Gutmenschen nicht wollen, dass das an die Öffentlichkeit gelangt. Dabei dürfte zumindest der erste Punkt längst kein Geheimnis mehr sein: Hitler wollte wirklich keinen neuen Weltkrieg - er glaubte, seine außenpolitischen Erfolge allein mit Bluff und Erpressung erringen zu können und war ganz niedergeschlagen (oder, wie man heute auf Neu-Deutsch sagt: "down" :-) als ihm Frankreich und vor allem sein geliebtes England dann doch den Krieg erklärten, auf den Deutschland nicht annähernd hinreichend vorbereitet war (aber das ist eine andere Geschichte). Er hatte doch nur mal kurz der von den Polen verfolgten volksdeutschen Minderheit zu Hilfe eilen wollen!
Und der zweite Punkt? Sereny hat ihr jüngstes Buch "Das deutsche Trauma" genannt. Es ist wohl eher ein jüdisches Trauma - die Angst, eines Tages feststellen zu müssen, dass Hitler persönlich vielleicht weniger zum "Holocaust" beigetragen hat als andere, die man versäumt hat, rechtzeitig zu Buhmännern aufzubauen. Es fällt auf, dass in Serenys ersterem, so schnell wieder gelöschten Beitrag vom 20. April 2002 noch genau stand, worin denn das bösartige Leugnen von Hitlers Wissen um den "Holocaust" bestand: Auf 12 Seiten (und ausgerechnet die waren dem Bundesarchiv vorgelegt worden!) stand, was der Hitler der Tagebücher sich unter "Endlösung" vorstellte: nicht die Ausrottung der europäischen Juden, sondern "nur" ihre Deportation nach Sibirien. "Eine Möglichkeit, die damals tatsächlich erwogen wurde", kommentierte Sereny - nanu, eine Jüdin als "Holocaust"-Leugnerin? Wurde der Beitrag etwa deshalb so schnell wieder vom Netz genommen? Im "Interview" zweieinhalb Wochen später fehlt jedenfalls jegliche diesbezügliche Bemerkung. Wie dem auch sei, letztlich bleibt es eine Glaubensfrage, ob und wieviel Hitler vom "Holocaust" wusste oder nicht wusste; und wir würde selbst dann nicht alles glauben, wenn er es schwarz oder blau auf weiß in einem oder mehreren nachweislich echten Tagebüchern lesen würde - dafür lügen Tagebuch- und Memoiren-Schreiber erfahrungsgemäß viel zu oft, auch und gerade durch Auslassungen. Auch nach Lektüre der beiden Beiträge von Gitta Sereny bleibt es also dabei: Irgendetwas an dieser Sache stinkt zum Himmel - Kotze Schtonk!
Und noch ein Nachtrag. Auch die schönsten Märchen müssen einmal enden. Das Märchen von den Initialen "FH" wurde zum letzten Mal im Jahre 2003 erzählt: Im April in einer NDR-Reportage von Volker Präkelt unter dem Titel "Der größte Schwindel aller Zeiten" und einem n-tv-Beitrag von Claus-Peter Tiemann unter dem Titel "Es war einmal vor 20 Jahren" (fürwahr ein passender Titel für ein Märchen! :-).
Ein Jahr später, als der NDR die Präkelt-Reportage pünktlich zu Führers 115. Geburtstag, am 20.04.2004, wiederholte, waren die Behauptungen über die angeblichen Initialen "FH" stillschweigend heraus geschnitten - nicht etwa korrigiert - worden. Nun vertritt, soweit ersichtlich, nur noch Manfred Riebe, ein selbst ernannter Keksperte für "gotische oder deutsche Schrift (Sütterlin, Fraktur)" (wenn er wirklich Ahnung von der Materie hätte, müsste ihm als einem der erstem aufgefallen sein, dass es sich tatsächlich um die Initialen "AH" handelte!) vom "Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V." auf einer "09.06.2003" datierten Webseite öffentlich diesen peinlichen Nonsense - mal sehen, wie lange noch. Der Autor grüßt alle seine Leser - auch die vom NDR - mit einem Eishauch der Geschichte.
Hauptfiguren waren ein „Stern“-Reporter und ein kleiner Gauner. Vor über zwanzig Jahren erschütterte ein Skandal die Republik: die gefälschten Hitler-Tagebücher. Wiederholungen werden erwartet.
Doch Kujau ist als Hochstapler kein Einzelfall. Weitere bekannte Hochstapler der Welt sind:
Frank Abagnale
War einer der bekanntesten Hochstapler der USA und lieferte das Vorbild für den Spielfilm "Catch me if you can"; geboren 27. April 1948 in New York.
Jayson Blair
Der Reporter der New York Times erfand bis zum Jahr 2003 systematisch Zitate, Interviews und Reportagen und löste nach Entdeckung seiner Fälschungen eine Krise bei dem Renommierblatt aus; geboren 1976 in Columbia, Maryland.
Michael Born
Produzierte als Fernsehjournalist vor allem für "Stern TV" und "Spiegel TV" gefälschte Reportagen; geboren am 30. Juli 1958 in Lahnstein.
Alexander Graf von Cagliostro
War im 18. Jahrhundert Hellseher, Spiritist, Alchimist und vielfältiger Betrüger; geboren als Giuseppe Balsamo am 8. Juni 1743 in Palermo; gestorben am 26. August 1795 im Kerker des Schlosses San Leone bei Urbino.
Tom Kummer
Der deutsche Starjournalist erfand in den Neunzigerjahren insbesondere für das SZ-Magazin seine hoch geschätzten Interviews mit US-amerikanischen Prominenten; geboren 1963.
Binjamin Wilkomirski
Der Schweizer Bruno Dössekker veröffentlichte 1999 bei Suhrkamp seine angebliche Autobiografie als Auschwitz- und Majdanek-Überlebender; das fiktive Werk wurde zu einem Klassiker der Holocaust-Literatur hochgelobt; geboren als Bruno Grosjean am 12. Februar 1941 in Biel.
Claas Relotius
Der Spiegel-Journalist wurde im Dezember 2018 entlarvt. Es ist der Montag vor drei Wochen, der 3. Dezember, am Abend wird Relotius, SPIEGEL-Mitarbeiter seit sieben, SPIEGEL-Redakteur seit eineinhalb Jahren, in Berlin auf eine Bühne gerufen. Er hat nach Meinung der Jury des Deutschen Reporterpreises 2018 wieder die beste Reportage des Jahres geschrieben, über einen syrischen Jungen diesmal, der im Glauben lebt, durch einen Kinderstreich den Bürgerkrieg im Land mit ausgelöst zu haben. Die Juroren würdigen einen Text "von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert."
Aber in Wahrheit ist, was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen kann, leider alles offen. Alle Quellen sind trüb. Vieles ist wohl erdacht, erfunden, gelogen. Zitate, Orte, Szenen, vermeintliche Menschen aus Fleisch und Blut. Fake.
Die elende Seite im Leben des Claas Relotius dokumentiert eine E-Mail, die zufällig ebenfalls an jenem 3. Dezember, keine 17 Stunden vor der Preisverleihung in Berlin, um 3.05 Uhr in deutscher Nacht, bei ihm eintrifft. Eine "Jan" meldet sich, das ist kurz für: Janet, sie macht die Pressearbeit für eine Bürgerwehr in Arizona, die entlang der Grenze zu Mexiko Streife auf eigene Faust läuft. Sie fragt Relotius, der über diese Bürgerwehr zwei Wochen zuvor in der dunkel schillernden SPIEGEL-Reportage "Jaegers Grenze" geschrieben zu haben vorgab, wie das denn zugehe? Wie Relotius Artikel über ihre Gruppe verfassen könne, ohne für ein Interview vorbeizukommen? Und dass es doch sehr seltsam auf sie wirke, dass ein Journalist Geschichten schreibe, ohne vor Ort Fakten einzusammeln.
Es ist der eine gefälschte Text zu viel, weil er diesmal einen Co-Autor hat, der seinen "Quatsch" nicht mitmacht, der Alarm schlägt und bald Fakten gegen die Fiktionen sammelt. Juan Moreno ist dieser Co-Autor, seit 2007 als Reporter für den SPIEGEL in aller Welt unterwegs. Im Streit mit und über Relotius riskiert Moreno seinen eigenen Job, zwischenzeitlich recherchiert er dem Kollegen, verzweifelt, auf eigene Kosten hinterher. Drei, vier Wochen lang geht Moreno durch die Hölle, weil Kolleginnen und Vorgesetzte in Hamburg seine Vorwürfe anfangs gar nicht glauben können. Relotius? Ein Fälscher? Der bescheidene Claas? Ausgerechnet?
So lässt sich sagen, dass Claas Relotius, 33 Jahre alt, einer der auffälligsten Schreiber des SPIEGEL, ein bereits vielfach preisgekrönter Autor, ein journalistisches Idol seiner Generation, kein Reporter ist, sondern dass er schön gemachte Märchen erzählt, wann immer es ihm gefällt. Wahrheit und Lüge gehen in seinen Texten durcheinander, denn manche Geschichten sind nach seinen eigenen Angaben sauber recherchiert und Fake-frei, andere aber komplett erfunden, und wieder andere wenigstens aufgehübscht mit frisierten Zitaten und sonstiger Tatsachenfantasie. Während seines Geständnisses sagte Relotius wörtlich:
"Es ging nicht um das nächste große Ding. Es war die Angst vor dem Scheitern." Und "mein Druck, nicht scheitern zu dürfen, wurde immer größer, je erfolgreicher ich wurde".