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Akademisches Gymnasium

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Wie erwartet, bestand er die Prüfung und trat im Herbst 1898 im Alter von elf Jahren in das Akademische Gymnasium ein. Er war somit ein Jahr älter als die meisten seiner Klassenkameraden und hatte bisher weder Erfahrungen mit wilden Raufereien oder Tobereien im Klassenraum und Schulhof noch mit Rivalität unter Geschwistern daheim. Vielmehr wuchs er nahezu ausschließlich in der Gegenwart Erwachsener auf, und es war zu erwarten, dass etwas vom enfant terrible zurückbleiben würde, sobald er das Mannesalter erreichen sollte.

Das Akademische Gymnasium war ein äußerst weltliches, säkulares Wiener Gymnasium und weniger kirchlich-religiös orientiert. Schon Ludwig Boltzmann, Arthur Schnitzler und Stefan Zweig gingen hier zur Schule. Es liegt am Beethoven Platz, in der Nähe des Schubert Ringes, ungefähr zehn Minuten Fußweg von Erwins Zuhause in der Gluckgasse entfernt. Djuna Barnes stellte die Schuljungen Wiens einst als „Scharen von Wachteln dar, die ihre Pausen in der Sonne verbringen, mit rosigen Wangen, strahlenden Augen, feuchten, rosigen Mündern und von einem Hauch geballter Kindheit umgeben. Die historischen Fakten, die in ihren Köpfen wie Sonnenlicht schimmern, würden bald verloren, bald vergessen sein, von der Wirklichkeit überholt.“

Der Zeitgenosse Friedrich Paulsen formulierte es so: „Nun ist die Aufgabe der Erziehung doch überall die, das heranwachsende Geschlecht mit den zur Teilnahme an der gesamten Kulturarbeit der Zeit erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnissen auszustatten. Damit ist gegeben, daß die erste und notwendigste Aufgabe des Unterrichts in unserer Zeit die Einführung in das Verständnis jener ihrer Grundtriebkräfte sein muss. … [N]eben und mit dem alten Gymnasium an dem großen Ziel zu arbeiten, der Jugend unseres Volkes eine humanistische Bildung zu geben, das heißt, sie einzuführen in das Verständnis alles Großen und Guten, was die Menschheit, und im besonderen, was unser Volk in der langen Arbeit der uns vorausgegangenen Geschlechter erworben hat.“

Die Ausbildung, die das Erreichen dieses bewundernswerten Zieles ermöglichen sollte, stützte sich vornehmlich auf intensive Studien der griechischen und römischen Klassiker. Da der Besuch des Gymnasiums praktisch der einzige Weg war, der auf die Universität führte, begannen alle Hochschulstudenten mit einem gemeinsamen geisteswissenschaftlichen Hintergrund. Solch eine Vorbereitung wurde von vielen der später bedeutenden Wissenschaftler begrüßt. Max von Laue schrieb zum Beispiel:

„Ich bezweifle, dass ich mich jemals gänzlich der reinen Wissenschaft gewidmet hätte, wenn ich nicht seinerzeit ein seelisches Gleichgewicht hinsichtlich griechischer Sprache und Kultur entwickelt hätte, das man nur im humanistischen Gymnasium erfahren konnte, und sonst in keiner anderen Art von Schule … Wenn du später die wissenschaftliche Entwicklung voranbringen willst, kenne ich ein Rezept, schicke die Jugend auf ein humanistisches Gymnasium und lass sie die alten Sprachen lernen.“

Natürlich gibt es kein Erfolgsrezept für das Hervorbringen von Wissenschaftlern: Die meisten US-amerikanischen Physiker sind der alten Sprachen kaum mächtig, obwohl die Besten unter ihnen auch großartige Beiträge zur Physik geleistet haben. Neben den lateinischen und griechischen Klassikern gab es auch regelmäßig Unterricht in der deutschen Sprache und Literatur mit Schwerpunkten auf Goethe und Schiller, und in Wien natürlich eine Hinwendung zu dem bedeutenden österreichischen Dramatiker Grillparzer. Nur drei Stunden in der Woche standen für Mathematik und Naturwissenschaften zur Verfügung, wobei sich die Mathematik aus Algebra und Geometrie zusammensetzte, Infinitesimalrechnung wurde noch nicht gelehrt.

Erwin war weitgehend zufrieden mit dem Gymnasium. „Ich war in allen Fächern ein guter Schüler, liebte die Mathematik und Physik, aber auch die strenge Logik der alten Grammatiken. Ich hasste nur das Auswendiglernen nebensächlicher Daten und Fakten. Unter den deutschen Dichtern waren mir die Dramatiker am liebsten, aber ich hasste die pedantische Zerlegung ihrer Werke.“ Die Hausaufgaben waren für ihn schnell zu erledigen, sodass er genügend Zeit für andere Dinge hatte.


Abbildung 4: Schrödinger als Gymnasiast

Von der Einschulung bis hin zum Abschluss 1906 war Erwin stets Klassenbester. Ein Mitschüler schrieb später:

„Ich kann mich keines Beispiels entsinnen, wo unser Primus jemals nicht in der Lage war eine Frage zu beantworten. Dementsprechend wussten wir alle, dass er während des Unterrichts alles in sich aufnahm, er verstand alles, er war kein Arbeitstier oder Streber. Besonders in Physik und Mathematik hatte Schrödinger eine Auffassungsgabe, die es ihm ohne jegliche Hausarbeit, umgehend und unmittelbar ermöglichte, den gesamten Stoff in der Unterrichtszeit zu erfassen und anzuwenden. Nach der Vorlesung unseres Professors Neumann – der die beiden Fächer in den letzten drei Jahren auf dem Gymnasium unterrichtete – war es ihm möglich Schrödinger unverzüglich an die Tafel zu schicken und ihm Probleme zur Lösung vorzugeben, die er mit einer spielerischen Leichtigkeit löste. Für uns Durchschnittsschüler waren Mathematik und Physik furchtbare Fächer, aber sie waren seine bevorzugten Interessensgebiete.“

Tatsächlich gab er sich kaum mit Hausarbeiten ab. Wenn irgendjemand im Hause fragte, wo er sei, war die Antwort stets: „Er ist oben auf seinem Zimmer und lernt.“ Erwin hatte zwei kleinere Räume zur eigenen Verfügung, von wo aus es ihm möglich war, den Hof auf der Rückseite des Hauses zu überblicken.

An zwei Nachmittagen in der Woche kehrte Erwin nochmals zum evangelischen Religionsunterricht in die Schule zurück. „Selbst dort habe ich manches gelernt, wenn auch vielleicht nicht vorwiegend Religion.“ Als Vorbereitung auf das Gymnasium hatte er auch den notwendigen Religionsunterricht von seinem Hauslehrer erhalten. Seine Lieblingsfrage am Ende einer Geschichte aus der Bibel war: „Herr Lehrer, glauben sie das wirklich?“ Es war kein Mangel an Kenntnis des Katechismus und der Bibel, die Erwin uninteressiert oder gar eine ablehnende Haltung gegenüber dem organisierten religiösen Glauben und seinen Praktiken einnehmen ließen. Seine Mutter war ein bisschen religiös, sodass seine negative Einstellung eher auf seinen Vater zurückzuführen ist und durch seine eigenen Studien, Beobachtungen und Erfahrungen verstärkt wurde. In den vielen Anekdoten über Erwins Kindheit erwähnte Minnie kein einziges Mal etwas, das mit einem Kirchenfest zu tun hatte – noch nicht einmal mit Weihnachten. Die Schrödingers betraten niemals eine Kirche, außer um getraut oder begraben zu werden oder um ähnlichen Riten für ihre Freunde beizuwohnen. Nichtsdestotrotz hatte Erwin großen Respekt vor Heiligen und Mystik. Er war eher kirchenfeindlich als grundsätzlich glaubensfeindlich. So war es eher die Kirchengeschichte, die ihm Sorge bereitete, weniger ihr Glaube.

Ein Thema, das nicht auf dem Lehrplan stand, war Darwins Evolutionstheorie. Sie musste gelegentlich im Religionsunterricht herhalten, um als Häresie gebrandmarkt zu werden. Erwin war es möglich, sich während der botanischen Exkursionen mit seinem Vater dem Thema in beträchtlicher Tiefe zu widmen.

„… mein Vater, unter dem Einfluß seiner botanischen Freunde, mahnte zur Vorsicht. Die Vermählung der natural selection und survival of the fittest mit den Mendel’schen Gesetzen und der de Vries’schen Mutationslehre war damals doch wohl eben erst angebahnt. Warum zu jeder Zeit die Zoologen viel unbedingter für die Darwin’sche Lehre eintreten, während die Botaniker eher zur Zurückhaltung neigen, weiß ich nicht. Über eines aber waren wir natürlich alle einig – bei alle denke ich besonders an denjenigen von meines Vaters wissenschaftlichen Freunden, den ich am besten kannte und am liebsten hatte, den Hofrat Anton Handlirsch vom naturhistorischen Hofmuseum – ich meine, Einigkeit bestand darüber, daß die Entwicklungslehre nur kausal, nicht final zu begründen sei, daß im Lebenden keine besondere Naturgesetzlichkeit – vis versa, Entelechie, Orthogenese und dergleichen – die an der unbelebten Substanz festgestellten Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setze oder durchkreuze.“

Erwin hatte bald diese Sichtweise angenommen: „Natürlich war ich begeisterter Darwinianer (was ich noch heute bin).“

Sein bester Freund in der Oberstufe war Tonio Rella, der später an der Technischen Universität Professor für Mathematik wurde. Tonio war immer der Zweite in der Klasse, hinter Erwin, all die acht Jahre hindurch auf dem Gymnasium. An einem der letzten Kriegstage im April 1945 kam Rella durch eine verirrte russische Granate ums Leben, sodass das erhoffte Wiedersehen nach Erwins Rückkehr nach Wien nicht mehr stattfinden konnte. Die Familie Rella besaß einen Landgasthof, Kastell Küb, in Semmering, und Erwin verbrachte häufig zusammen mit ihnen die Ferien dort. Von Wäldern umgeben, bot der Gasthof herrliche Ausblicke auf den Schneeberg. Beide Jungen waren begeisterte Wanderer und Bergsteiger. Großvater Bauer war einer der Entdecker der Schönheiten des Semmering gewesen und eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war der Aufstieg auf den Sonnenwendstein, jenen Berg, der der Stadt Schutz bietet. Erwin und Tonio folgten häufig den Pfaden, die er vierzig Jahren früher erkundet hatte.

Im Laufe der Zeit folgte eine weitere Attraktion an den Semmering, beeindruckender als der Ruf der Berge. Das war Tonios Schwester Lotte, auch Weibi gerufen, über die Erwin später sagte: „Ich war ziemlich dauerhaft verliebt.“ Weibi war ein wunderschönes Mädchen mit italienischen Zügen, dunklen braunen Augen und einer üppigen Figur, sie hätte Modell für ein Caravaggio-Porträt stehen können.

Erwin war es nahezu immer gewohnt, die Weihnachtsferien vom 22. Dezember an bis ins neue Jahr am Semmering mit der Familie Rella zu verbringen. Heiligabend aber kehrte er nach Wien zurück, um mit seiner eigenen Familie zusammenzusein, einschließlich Großvater und Tanten. Er war unglücklich, seine Liebste verlassen zu müssen, und wer sich an seine erste Jugendliebe erinnert, wird verstehen, wie er sich fühlte – ein zauderndes Familienmitglied, das gedanklich immer abwesend war. In diesen Tagen war eine derartige Teenager-Romanze auf eine Verehrung aus der Ferne beschränkt. Die Geliebte bei einem Wiener Walzer halten, vielleicht ein zarter Kuss, falls sich eine seltene Gelegenheit ergibt, aber die Schwester eines Schulfreundes würde unantastbar bleiben und eine innigere Beziehung nur ein Wunschgedanke. Lottes Eltern wären glücklich über eine Verbindung mit Erwin gewesen. Seine Zuneigung zu ihr war mehr als eine reine Kinderliebe und sie sollte eine dauerhafte Prägung seiner Seele hinterlassen, aber die Zeit war noch nicht reif für eine dauerhafte und gefühlvolle Beziehung.

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